W. Telesko: Geschichtsraum Österreich

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Titel
Geschichtsraum Österreich. Die Habsburger und ihre Geschichte in der bildenden Kunst des 19. Jahrhunderts


Autor(en)
Telesko, Werner
Erschienen
Anzahl Seiten
576 S.
Preis
€ 79,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michaela Marek, Universität Leipzig

Um es gleich vorweg zu nehmen: Als Kunsthistoriker musste Werner Telesko, um sich seinem Thema überhaupt nähern zu können, etliche, vielfach noch stillschweigend akzeptierte Konventionen der Kunstgeschichte beiseite schieben. Vor allem der Zuschnitt der Fragestellung wie auch der Materialbasis „widersprechen“ geradezu den genuin kunsthistorischen Erkenntnisinteressen – zeigen aber umso anschaulicher, welchen entscheidenden Beitrag das spezifische Instrumentarium dieses Faches zur Auswertung visueller Medien für das Begreifen historischer Konstellationen und Prozesse zu leisten vermag.

Telesko fragt nach der staatsobrigkeitlichen Kunstpolitik der Habsburgermonarchie im „langen“ 19. Jahrhundert: Wie nutzten Kaiserhaus bzw. Staat die Bildkünste, um über Existenz bedrohende Zäsuren, Erschütterungen und Entwicklungen hinweg das Imperium zusammen zu halten, welche Funktionen und Anteile wiesen sie Bildmedien in diesem Unterfangen zu, welche Strategien verfolgten sie dabei – und welche nicht? Dieses Interesse ist der Kunstgeschichte an sich nicht fremd, doch scheint es einer Legitimation durch künstlerisch anspruchsvolle und möglichst originelle, also auch von Künstlerpersönlichkeiten geprägte Werkrealisierungen zu bedürfen. Solche Qualitäten erwartet man seit dem Ende des Barock kaum von „offizieller“ Kunst; vielmehr verbindet man sie seit der Bildpropaganda der französischen Revolutionen mit einer Oppositionshaltung oder zumindest einem emanzipatorischen Impetus. Staatsoffizielle Programme aber müssen ein Mindestmaß an „Monumentalität“ aufweisen, um für die Kunstgeschichte interessant zu sein. Das Kriterium des „Kunstwertes“ bedingt Selektion und Fokussierung, während die systematische Verfolgung der Bildstrategien über längere Zeiträume und mithin auch über verschiedene Medien und Gattungen hinweg einem eher geschichtswissenschaftlichen als kunsthistorischen Interesse entspricht.

Monumentale, spektakuläre Kunstprojekte – jenseits Stadtbaukunst und Architektur – waren aber in der habsburgischen Auftragspolitik ebenso rar wie genuin künstlerische Bildprägungen. Der Befund, dass zum einen Druckgraphik sowie, in der Malerei und Plastik, vergleichsweise bescheidene Formate vorherrschten und dass zum anderen ihre Themenwahl wie auch die Formulierungen eine hochgradige Abhängigkeit von der Historiographie erkennen lassen, bewog Telesko, die Auswahl des Materials dem entsprechend repräsentativ zu gestalten. Dies bedeutet auch: historiographische Werke neben die Visualisierungen der Kernthemen zu stellen und sie nicht allein als „Quellen“ für diese heranzuziehen. Zudem ist die verstärkte Berücksichtigung reproduzierbarer Medien unerlässlich, wenn man nach Wirkungsmöglichkeiten von Bildern fragt; konsequenter Weise dehnt Telesko das Spektrum von Denkmälern über Historiengemälde für unterschiedliche Öffentlichkeiten, Reproduktions-, textgebunden illustrative und selbstständige Graphik bis hin zu Anschauungsmaterialien für den Schulunterricht.

Das erste von zehn Kapiteln leitet das Buch mit einer Methodenreflexion in Abstimmung auf den „historischen Sonderfall“ (S. 22) der habsburgisch-österreichischen Staatlichkeit in der Epoche der gesellschaftlichen, nationalen, kulturellen und politischen Ausdifferenzierung ein. Vor welchen Anforderungen stand eine auf Loyalität, Identifikation, Integration abzielende Kunstpolitik in einem kulturell und sozial zunehmend disparaten Vielvölkerstaat? Welche waren die immer kleiner werdenden „gemeinsamen Nenner“ – die Wertvorstellungen, Institutionen, Figuren, Ereignisse, Motive, auf die man den Gesamtstaat immer wieder einschwören konnte? Telesko adaptiert hier überzeugend Benedict Andersons Konzept der „Imagined Communities“, um die spannungsreiche Analogie zu nationalen Integrationsprojekten herauszustellen. Bereits hier wird klar, dass Inszenierungen gegenwärtiger Verhältnisse in der habsburgischen Bildpolitik weitestgehend vermieden wurden und dass diese sich nahezu vollständig auf in spezifischer Weise modellierte Geschichtsbilder stützte. Neben der Dynastie und vor allem einzelnen Herrscherpersönlichkeiten kam allenfalls noch die Armee zu Bildwürdigkeit. Das erklärt sich aus einer überaus selektiven, „kanonisierenden“ Aufbereitung der Vergangenheit zu Geschichte: Mittels Gedenktagen wurden Ereignisse aktualisiert, die Verdienste um Sicherheit des Staates und Wohl der Untertanen evozierten. In Form von Geschichtswerken, Handbüchern, aber auch weit verbreiteten Kalendern, Graphikmappen usw. bildete die Zusammenstellung dieser Schlüsselmomente schon früh ein Gerüst, das bis zum Ende der Monarchie grundsätzlich verbindlich blieb und das variierenden Anforderungen – sei es der historischen Situation oder der bildkünstlerischen Aufgabe – „weich“ angepasst werden konnte. Eine vermeintliche „ikonographische Tradition“ wird hier als durchaus zielgerichtete, langfristig betriebene Strategie der Bildpolitik „von oben“ erkennbar.

Ebenfalls der Materialanalyse vorangestellt zeigt Telesko die im Verlauf des 19. Jahrhunderts sich wandelnden Rahmenbedingungen für die Wahrnehmung der Habsburgermonarchie als Gemeinwesen auf. Konzise Information über staatsrechtliche Grundlagen und die damit einhergehenden terminologischen Regelungen ergänzt er durch solche zu Konjunkturen, inhaltlichen Verschiebungen und konkurrierenden Auffassungen zentraler Begriffe wie Nation, Staat, Vaterland usw. und verweist auf den früh etablierten Stellenwert der Unterweisung in „Vaterlandskunde“ zur Förderung von „Vaterlandsliebe“. Damit war „Wissen“ und insbesondere Geschichtswissen als dasjenige unter den zeitgenössisch möglichen Mitteln festgeschrieben, die Bewohner des Staates an diesen und das Herrscherhaus zu binden, ohne von vornherein Konflikte mit ihren nationalen oder sozialen Gruppeninteressen zu provozieren. Einzig die allegorische Personifikation der „Austria“ konnte sich als integratives Motiv mit Gegenwartsbezug behaupten, freilich auch diese nur innerhalb enger Grenzen, wie ihre noch vor Ausführung notwendig gewordene Ersetzung durch die Minerva auf der Rampe des Reichsratsgebäudes instruktiv zeigt.

Im Folgenden präsentiert Telesko, ausgehend von einer beeindruckenden Fülle an Text- und Bildquellen unterschiedlichster Gattungen, die vorherrschenden, charakteristischen Motivformeln, in die das „historische Wissen“ gefasst und über die es vermittelt wurde. Gegenüber einer chronologischen Darstellung, welche die „ikonographischen Strategien“ in bestimmten politischen Situationen aufzeigen würde, hat diese Ordnung des Materials den Reiz, die Kontinuität der insgesamt nur wenigen thematischen Stränge plastisch hervortreten und mithin die Kanonbildung in ihrer Reichweite erkennbar werden zu lassen. Anhand von Themen seit der Herrschaftszeit Maria Theresias bis zur (jeweiligen) Gegenwart wird zunächst deutlich, dass Geschichte stets in der Person des Herrschers zur Darstellung gebracht wurde und dies zudem – neben der kleinen Gruppe der offiziellen Staatsporträts – in einer spezifischen, stets im Wesentlichen gleich bleibenden Interpretation: Man wählte bevorzugt Szenen, in denen Fürsorge, Arbeit für das Wohl des Gemeinwesens, Bescheidenheit im Auftreten und Volksverbundenheit sowie Frömmigkeit den Inhalt der ikonischen wie auch der verbalen bzw. literarischen Bilder bestimmten. Die Motive blieben gleichsam als Charakteristika des Herrscherhauses bestehen, die Besetzungen der Rollen waren austauschbar. Dem tendenziell bürgerlichen Wertvorstellungen angenäherten ikonographischen Habitus korrespondierte dabei besonders in den Graphiken ein betont „kunstloser“ Stilduktus.

Entsprechende Muster kann Telesko auch für die Aktualisierungen älterer dynastischer Geschichte in Wort und Bild konstatieren. Paradigmatisch hierfür sind die Legenden um Rudolf I., die sich zu einer überzeitlichen Chiffre der „Pietas Austriaca“, einer auf christliche Tugenden gegründeten, zunehmend zwischen Paternalismus und bürgerlichen Tugenden changierenden Herrschaftsmoral mit hoher Legitimationskraft entwickelten und die den Begründer der Dynastie zum Alter Ego des regierenden Kaisers werden ließen. Als eine wichtige Komponente der Projektion aktueller Anliegen in die Vergangenheit stellt Telesko auch die Einbindung der sich verselbstständigenden Regional- und Nationalgeschichten heraus, mithin das Bemühen um eine integrative Auslegung des Begriffs vaterländischer Geschichte, welche besonders anschaulich in den großen Geschichts- und Stichwerken mit dem so genannten Kronprinzenwerk als Gipfelpunkt hervortritt.

Wenn abschließend die Bildausstattung des „Arsenals“ – als eines von insgesamt nur wenigen staatsoffiziell repräsentativen Programmen in monumentalem Format – in den Blick genommen wird, so verdichten sich in diesem Fallbeispiel alle kennzeichnenden Züge der habsburgischen Bildpolitik. Während die Funktionalisierung von Geschichte für aktuellen Argumentationsbedarf in den 1860er- und 1870er-Jahren noch wenig überraschend anmutet, erweist sich die fortdauernde Dominanz von Historikern in Staatsdiensten als ein Spezifikum: Ihnen oblag die Auswahl der Themen (dies auch für die Akademie!) und die Kontrolle bis in die ikonographischen Formulierungen hinein – gegenüber Künstlern, welche auf die lediglich ausführende Rolle verwiesen wurden.

Ohne Zweifel liefert Teleskos Buch – ganz abgesehen von der Fülle an bisher wenig bekanntem Material – eine Reihe wichtiger Hinweise und auch Erklärungen zu Funktionsmechanismen sowohl politischer Stabilitätsstrategien als auch – vermeintlich – genuin künstlerischer Entwicklungen. Vor allem setzt es methodische Standards für beide Fächer nach dem „iconic turn“ und zeigt, wie man die Grenze zwischen ihnen in beide Richtungen durchlässig machen kann. Für den angekündigten, gespannt erwarteten „Komplementärband“ über die Kronländer sei ein Wunsch gestattet: noch mehr Abbildungen – Kunsthistoriker und Historiker werden dafür aus je eigenen Gründen dankbar sein.

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