J.-W. Wessels: Economic Policy and Microeconomic Performance

Cover
Titel
Economic Policy and Microeconomic Performance in Inter-War Europe. The Case of Austria, 1918-1938


Autor(en)
Wessels, Jens-Wilhelm
Reihe
Beiträge zur Unternehmensgeschichte 25
Erschienen
Stuttgart 2007: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
414 S.
Preis
€ 54,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dieter Stiefel, Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte, Universität Wien

In der österreichischen Wirtschaftsgeschichte hat man sich in den 1970er- und 1980er-Jahren intensiv mit der Zwischenkriegszeit beschäftigt. Es gab auf akademischem Boden kaum jemanden, der nicht an diesem „Diskurs“ teilnahm. Der Grund lag darin, dass in dieser kurzen Periode praktisch alle wirtschaftlichen (und politischen) Katastrophen vorkamen, die man sich nur vorstellen konnte: die Desintegration der Habsburgermonarchie 1918, die Inflation der 1920er-Jahre, die Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre, die Bankenkrise 1931, der Ständestaat 1934, der „Anschluß“ an das Deutsche Reich 1938, und anderes mehr. Österreich war zu dieser Zeit eine „Versuchsstation des Weltuntergangs“ um Karl Kraus zu zitieren und damit ein fruchtbares Feld für wirtschaftshistorische Analysen und Darstellungen.

Seither hat sich aber die österreichische Wirtschaftsgeschichte thematisch und zeitlich weiter entwickelt und so ist es fast eine Überraschung, wenn nun eine umfangreiche Publikation nachgeliefert wird. Die Arbeit wurde im Jahr 2001 als Dissertation am Institut für Geschichte der Universität Innsbruck eingereicht. Sie wurde in Englischer Sprache verfasst, um sie einem breiteren, auch nicht deutschsprachigem Publikum leichter zugängig zu machen. Durch den tragischen Unfalltod konnte Jens-Wilhelm Wessels diese nicht mehr für die Drucklegung überarbeiten.

Das Buch stellt die Ergebnisse eines äußerst ehrgeizigen Projektes zusammen, in dem versucht wird, „economic policy“ und „microeconomic performance“ zu verbinden. Der Einfluss der Wirtschaftspolitik auf eine Auswahl von Großunternehmen soll dabei untersucht werden. Dabei geht Wessels von folgenden Phasen aus:
1. 1918-1924: Desintegration, Inflation und Währungsstabilisierung;
2. 1925-1930: Jahre der bescheidenen Prosperität;
3. 1929-1938: Weltwirtschaftskrise.

An den Anfang stellt er eine volkswirtschaftliche Analyse der Probleme und wirtschaftspolitischen Antworten in diesen Jahren. Dabei geht er nicht nur auf Österreich ein, sondern stellt Vergleiche mit Osteuropa, Deutschland, Frankreich und Großbritannien an. Auf dieser Grundlage geht er auf einzelne österreichische Industriezweige ein, wie Eisen- und Stahl, Bergbau, Textil-, Papier-, Motor, Elektro-, Gummiindustrie. Er präsentiert eine kurze allgemeine Entwicklung dieser Branchen, um dann – schwerpunktmäßig auf Grund der Geschäftsberichte- und Bilanzen – einzelne Unternehmen zu besprechen. Hinter der Publikation stehen daher ein enormer Aufwand, eine hohe Sorgfalt sowie fundierte historische und volkswirtschaftliche Kenntnisse. Sie stellt eine verdienstvolle Leistung dar, da sie neben den Archivquellen die Literatur über die Zwischenkriegszeit zusammen fasst und damit in Zukunft ein wichtiges Nachschlagewerk darstellen wird.

Dennoch muss man sich fragen, ob hier nicht zuviel gewollt wurde. Allein der komplexe wirtschaftspolitische Vergleich der verschiedenen Länder wäre schon mehr als eine Dissertation gewesen. Bei den wirtschaftspolitischen Auswirkungen auf individuelle Unternehmen kommt Wessels aber an die Grenze des Machbaren. Einmal berücksichtigt er hier nur die „Großindustrie“, was wohl auf den Einfluss seines Dissertationsbetreuers Franz Mathis zurück zu führen ist, der mit „Big Business in Österreich“ 1 das entsprechende Standardwerk vorgelegt hat. Österreich war aber schon in dieser Zeit kein Land der Großunternehmen, sondern der Klein- und Mittelbetriebe, so dass die behandelten Unternehmen nur einen begrenzten Ausschnitt aus der unternehmerischen Tätigkeit darstellen. Zusätzlich fehlt der Dienstleistungssektor. Die Republik Österreich hatte 1918 mit Wien das Dienstleistungszentrum der Monarchie geerbt und dessen Rückzugsgefechte bestimmten maßgeblich die wirtschaftliche Entwicklung der Zwischenkriegszeit. Eine allgemeine wirtschaftspolitische Darstellung dieser Zeit ohne intensives Eingehen auf den Bankensektor erscheint daher problematisch. Wessels berücksichtigt zwar sehr wohl die Währungspolitik aber eben nicht die Bankenpolitik, die insbesondere seit dem Zusammenbruch der Creditanstalt 1931 die österreichische Wirtschaftspolitik ganz maßgeblich dominierte. So wurde daher auch die theoretische Studie über die volkswirtschaftlichen Auswirkungen der Creditanstaltkrise von Aurel Schubert2 nicht berücksichtigt, obwohl sie gut in das Konzept der Arbeit gepasst hätte.

Es spricht für einen Promovierenden, dass er nach den Sternen greifen will. Der hohe Aufwand der mit einem solchen Projekt verbunden ist, soll zu einem grundlegenden Beitrag in dem entsprechenden wissenschaftlichen Feld führen. Jens-Wilhelm Wessels kann die Fähigkeit hierzu zugesprochen werden. Es wäre aber wohl günstiger gewesen, die Arbeit zu trennen, einmal in die Analyse der Industrie, die für sich alleine stehen kann, und dann in eine, zumindest um den Bereich der Finanzwirtschaft erweiterte und überarbeitete wirtschaftspolitische Darstellung. Trotz dieser kritischen Einschränkungen hat Jens-Wilhelm Wessels bereits mit der vorliegenden Publikation eine Talentprobe abgelegt. Mit seiner sorgfältigen und kenntnisreichen Arbeitsweise hätte man ihm ohne Zweifel eine Zukunft auf akademischer Ebene voraussagen können. Die österreichische Wirtschaftsgeschichte hat mit ihm daher nicht nur einen Kollegen, sondern auch eine Zukunftshoffnung verloren.

Anmerkung:
1 Mathis, Franz, Big Business in Österreich. Österreichische Grossunternehmen in Kurzdarstellungen, Wien 1987.
2 Schubert, Aurel, The Credit-Anstalt Crisis of 1931, Cambridge 1991.

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