Geschichte und Geschehen. Das 20. Jahrhundert. Erster Teil 1914-1949

Cover
Titel
Geschichte und Geschehen. Das 20. Jahrhundert. Erster Teil. Die Jahre 1914-1949. Einzelversion


Herausgeber
Henke-Bockschatz, Gerhard; Sauer, Michael; Deutsches Historisches Museum, Haus der Geschichte, Frauenhofer Institut
Reihe
Geschichte und Geschehen 4
Erschienen
Leipzig 2006: Klett-Cotta
Anzahl Seiten
DVD-ROM
Preis
€ 24,69
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bert Freyberger, Philologisch-Historische Fakultät, Universität Augsburg

„‚Geschichte und Geschehen multimedial 4’ bietet Ihnen eine umfassende Darstellung und Quellensammlung zur deutschen Geschichte zwischen 1914 und 1949. Auf dieser DVD sind originale Ton-, Film-, Bild- und Textdokumente für den modernen Geschichtsunterricht unter didaktischen Gesichtspunkten zusammengestellt. Mit Hilfe der neuen Technik wird dieser Schatz an Quellenmaterial leicht für Lehrer und Schüler verfügbar. Dabei wird nicht nur die Möglichkeit gegeben, die Materialien abzuspielen, sondern auch die aktive und kritische Auseinandersetzung mit Hilfe entsprechender ‚Fragen und Anregungen’ auf digitalen Arbeitsblättern angeboten. Das Analysieren der Quellen vermittelt Methodenkompetenz, die auf alle Materialien der DVD angewandt werden kann.“

Mit solch anspruchsvollen Worten summiert das kurze Begleitheft die Idee dieser neuen multimedialen DVD aus dem Hause Klett, die sich mit der Darstellung des 20. Jahrhunderts eines geschichtswissenschaftlich und -didaktisch beliebten Themenkomplexes angenommen hat. Vor einem solchen Hintergrund ist der hohe Anspruch natürlich einer mindestens ebenso kritischen Prüfung zu unterziehen, und so bietet es sich im Folgenden an, einzelne programmatische Begriffe der Zielvorgabe (im Eingangszitat kursiv gesetzt) herauszufiltern und an ihrer konkreten inhaltlichen wie methodischen Umsetzung zu messen.

Zunächst zu den technischen Daten: Die DVD fordert als Systemvoraussetzung einen Multimedia-PC mit Pentium 500 MHz (empfohlen aber 1 GHz) mit 256 MB RAM, einen freien Festplattenspeicher von 50 MB (bei Vollinstallation 4 GB), die übliche Grafikkartenauflösung von mindestens 800x600 Pixel, eine 16-Bit-Soundkarte mit Lautsprecher oder Kopfhörer, für einige Features eine funktionsfähige Internetverbindung (vor allem zur bekannten Materialiensammlung LeMO [Lebendiges virtuelles Museum Online]) sowie als Betriebssystem Windows 2000 oder Windows XP. Das Abspielen der DVD ist ohne vorherige Installation möglich; möchte man jedoch sämtliche Funktionen (vor allem Arbeitsblätter) nutzen, muss ein eigenes Profil mittels Anmeldung angelegt werden, die auf dem Laufwerk C (Dokumente und Einstellungen) einen Ordner mit persönlichen Daten erstellen lässt. Alles in allem erscheinen solche Vorgaben auf den ersten Blick verständlich, doch erfährt man nirgendwo explizit, dass die DVD nur mit der aktuellsten Version des Adobe Flashplayers in Gang gesetzt werden kann. Die angepriesene „Möglichkeit […], die Materialien abzuspielen“ ist ansonsten nicht wirklich gegeben.

Was den inhaltlichen Gesamtanspruch anbelangt, so verheißt die DVD eine „umfassende Darstellung und Quellensammlung“ bzw. einen „Schatz an Quellenmaterial“ und spricht an anderer Stelle gar von einer „einmaligen Quellensammlung für den Geschichtsunterricht“. In der Tat legt die systematische Navigation im Quellenfundus der DVD eine Vielzahl bekannter (und teilweise weniger bekannter) Quellen offen, die es erlauben, die Geschichte des 20. Jahrhunderts von 1914 bis 1949 in ihren wesentlichen Zügen nachzuzeichnen. Wo indes die vermeintliche Einmaligkeit des Primärmaterials, mithin der „Schatz“ nun liegen soll, bleibt dem Schatzsucher auch bei aufrichtiger Anstrengung eher verborgen. Interessant ist dagegen die Feingliederung im Aufbau, die neben traditionellen Kapitelüberschriften (hier nur auszugsweise: Die Revolution 1918/19, Weimarer Verfassung, Jugend und Schule im Nationalsozialismus, Rassismus und Antisemitismus, „Entartete Kunst“, Widerstand im Zweiten Weltkrieg, Flucht, Vertreibung und Zwangsumsiedlung, Entnazifizierung, kultureller Neubeginn oder Heimkehr aus der Kriegsgefangenschaft) auch kreative, interessante Neukonturierungen mit buntem Denkansatz bietet (etwa: Eine Chance zur Emanzipation der Frauen? [zum Ersten Weltkrieg], Germania – ein Sinnbild [einschließlich einer gleichnamigen zeitgenössischen Schreibmaschine], Faszination Technik bzw. Verbreitung der Elektrizität [beides zur Krise der Weimarer Republik], Hakenkreuz, Frauen- und Männerrollen im Nationalsozialismus, Wehrkraftzersetzung, Lebensgefahr im Winter, Gesundheits- und Hygienefrage oder Suchdienst und vermisste Angehörige [die drei letzteren zur unmittelbaren Nachkriegszeit]). Hier gewinnen die insgesamt 59 Unterkapitel klar an Farbe und Durchschlagskraft – werden dem Nutzer doch in gut verständlichen Worten die wichtigsten Fakten auf knappem Raum näher gebracht.

Verstärkt wird der erste Eindruck leichter Zugänglichkeit der Inhalte durch die Bereitstellung von 11 einführenden Filmsequenzen zu zentralen Themen, 8 historischen Liedaufnahmen, 26 Sprechertexten, 94 historischen Tondokumenten mit Transkript, 54 historischen Filmausschnitten, 14 Zeitzeugeninterviews, circa 1200 Bilddokumenten und 15 interaktiven Karten. Fast fühlt man sich ein wenig überrollt von der Fülle des Materials – auch der landläufige „Schatz“ fordert mitunter Rationalität im Umgang mit ihm – und fragt sich schnell, wie eine solche DVD im handlungsorientierten Geschichtsunterricht mit hoher Eigenverantwortlichkeit der Schülerinnen und Schüler über reines Quellensammeln hinaus sinnvoll einzusetzen ist. In diesem Zusammenhang erscheint der qualitative Sprung zum Erstellen möglicher Arbeitsblätter oder Präsentationen didaktisch opportun, angesichts der Begrenztheit mancher Frage- und Hilfestellungen jedoch methodisch halbherzig. Am präsentierten Material allein liegt es, wie gesagt, nicht: In einem ersten Schritt betritt man beispielsweise ein virtuelles Zeitungsbüro des Vorwärts der Jahre 1918/19, in dem man zwar schön im 360°-Winkel navigieren kann, ansonsten jedoch zunächst auf die Betrachtung eher kindlich gestalteter Motivdetails beschränkt bleibt. Erst ein – wiederum leicht zugänglicher – Link liefert hier wertvolle Zusatzinformationen, lässt aber seinerseits die moderne Möglichkeit interaktiver Gestaltung ganz außer Acht. Hier wird die an sich schöne Idee, Zugang über dreidimensionale Räume bzw. Gebäude zu bieten, schnell an Reiz für das meist jugendliche Publikum verlieren.

Zwei weitere wichtige Angebote der DVD sind überdies zu nennen: Eine übersichtliche Zeitleiste von 1900 bis 1999 mit insgesamt 425 Einträgen ermöglicht in der Tat „die Einordnung der Inhalte in den historischen Kontext“ – ob sie allerdings gleichzeitig „einen umfassenden chronologischen Überblick“ zu bieten imstande ist, muss von jedem Nutzer nach eigenen Maßstäben entschieden werden; auch die bereits angesprochene Einfachheit der eingefügten Darstellungen scheint eher für jüngere Altersstufen geeignet. Das Glossar mit mehr als 380 Einträgen listet die wichtigsten Personen, Ereignisse und Begriffe aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts mit systematischem Anspruch auf, lässt jedoch die für das Verständnis der jeweiligen Epoche nicht minder wichtige Terminologie der Zeitgenossen (z.B. die „Tätersprache“ der Nationalsozialisten: etwa „Endlösung“ oder „Sonderbehandlung“) leider außen vor. Ob Einträge wie „Elvis Presley“ dabei vorrangiger sein müssen als solche zu – hier eben fehlenden – Hauptakteuren ihrer Zeit (etwa Aristide Briand als kongenialer französischer Partner des Weimarer Außenministers Gustav Stresemann oder Oswald Pohl als Chef des Wirtschaftsverwaltungshauptamtes der SS und Verantwortlicher für das riesige KZ-System im Zweiten Weltkrieg), bleibt ebenfalls dem Urteil des Nutzers überlassen. Hier wäre etwas mehr Ausgewogenheit in der Schwerpunktsetzung wünschenswert.

Fasst man alle Beobachtungen im Spiegel der eingangs lancierten Ziele der DVD zusammen, so bleibt – wie im Detail mehrfach betont – ein ambivalenter bis leicht positiver Eindruck: Die „umfassende Darstellung und Quellensammlung“ bietet zahlreiche Möglichkeiten ambitionierter Vertiefung in die historische Materie, riskiert jedoch den bemühten Nutzer zu erschlagen, wenn dieser sich erst einmal ohne große Hilfestellung im Faktengewirr des 20. Jahrhunderts zurechtfinden möchte. Ob das Ganze somit wirklich „leicht für Lehrer und Schüler verfügbar“ ist, hängt ganz von den technischen Umständen und der Fähigkeit jedes Einzelnen zu eigenverantwortlichem Arbeiten ab. Die Zusammenstellung von Material und Autorentexten „unter didaktischen Gesichtspunkten“ ist als „modern“ gut erkennbar, laviert jedoch wiederholt zwischen offensichtlicher Schlichtheit des inhaltlichen Angebots und methodischen Hilfestellungen, die im Ernstfall mitunter zu große Freiräume bieten. Zurückzuführen ist eine solche Diskrepanz vielleicht auf den recht großen Kreis an verantwortlichen wissenschaftlichen Herausgebern und Autoren, der unter anderem mit Gerhard Henke-Bockschatz, Michael Sauer oder Vadim Oswalt anerkannte Spezialisten heutiger Didaktik umfasst, eine auf die Bedürfnisse der Unterrichtsrealität zielende Endredaktion jedoch ein wenig vermissen lässt. Dass die „Vermittlung von Methodenkompetenz“ eines der höchsten Ziele des Geschichtsunterrichts sein muss, steht hier wie auch allgemein zu Recht außer Frage; ob die DVD indes jederzeit die „kritische und aktive Auseinandersetzung“ mit dem gebotenen Material auf so hohem Niveau (wie behauptet) zu fördern imstande ist, bleibt fraglich. Hier sind andere multimediale Angebote in jüngerer Zeit einen noch nachvollziehbareren Weg gegangen.1

Anmerkungen:
1 Zu nennen wäre hier etwa aus der Reihe „Multimediale CD-ROMs für Unterricht, Studium und Erwachsenenbildung (medialesson)“. CD-ROM 1: Gienger, Johannes; Jersak, Tobias; Hirschfeld, Gerhard, Nationalsozialismus, Simmozheim 2003; CD-ROM 2: Gienger, Johannes; Hirschfeld, Gerhard; Krumeich, Gerd; Hadley, Frédéric; Jersak, Tobias, Imperialismus & Erster Weltkrieg, Simmozheim 2005. Hier ist v.a. auf mehr Übersichtlichkeit und Praktikabilität geachtet; vgl. dazu auch die Rezension von Bert Freyberger in H-Soz-u-Kult vom 21.3.2007.

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