A. Megill: Historical Knowledge, Historical Error

Cover
Titel
Historical Knowledge, Historical Error. A Contemporary Guide to Practice. With Contributions by Steven Shepard and Phillip Honenberger


Autor(en)
Megill, Allan
Erschienen
Anzahl Seiten
288 S.
Preis
$ 25.00/£ 16.00 (Paperb.), $ 60.00/£ 38.00 (geb.)
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Jordan, Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Redaktion Neue Deutsche Biographie

Allan Megill gehört zurzeit zu den interessantesten und reflektiertesten Geschichtstheoretikern Nordamerikas. Bekannt wurde der heutige Professor für Geschichte an der University of Virginia durch seine ideengeschichtlichen Untersuchungen zu Nietzsche, Heidegger, Foucault und Derrida sowie zu Marx. Ebenso einflussreich wurden seine grundlegenden geschichtstheoretischen und -methodologischen Studien zum Verhältnis von Geschichte, Gedächtnis und Identität, zur Objektivität sowie vor allem zu Typen von Meistererzählungen.

Megills jüngster Band synthetisiert diese geschichtstheoretischen Beiträge und präsentiert sie in Form eines akademischen Lehrbuchs mit Überblickscharakter. Dabei hat der Autor bewusst darauf verzichtet, die ursprünglich in den letzten zehn Jahren als Aufsätze erschienenen Studien in eine lineare Argumentation umzuwandeln. Stattdessen versteht er seinen Band als Sammlung von Bausteinen für den Einsatz im Studium. Seine Absicht und ein Vorteil des Bands ist es, dem Leser so eine Lektüre der Kapitel in selbst gewählter Reihenfolge zu gestatten – je nach Interessen und Kompetenzen. Nachteile dieser Vorgehensweise sind ein fehlender roter Faden sowie zum Teil deutliche Redundanzen zwischen den einzelnen Kapiteln.

Verblüffend ist zunächst, dass Megill seine Texte 'in defense of history' verfasst hat (S. 5). Doch im Gegensatz zu anderen Autoren, die sich diesem Anspruch verpflichtet fühlten, geht es ihm nicht darum, postmoderne Ansätze zu einem Popanz aufzubauen, gegen den ein naiver Objektivitätsbegriff bekräftigt werden soll. Vielmehr wendet er sich gegen die Vorstellung, Geschichte als Politik zu betreiben. Gemeint ist damit nicht, dass Geschichte es nicht mit Politik zu tun habe solle (Megill verwendet zur Illustration seiner theoretischen Ausführungen zahlreiche Beispiele aus der Politik). Megill argumentiert vielmehr gegen historische Begründungen, die sich funktionalisieren lassen. Dem Historiker – das ist eine seiner zentralen Thesen – müsse es nicht um eine unumstößliche Wahrheit gehen, sondern (objektivistisch relativiert) um die Erhellung der Vergangenheit („to illuminate the past“, S. 109). Es gebe nicht ‚eine’ Sicht auf die Geschichte; der Historiker habe zwischen verschiedenen zu wählen. Diese Wahl sei aber nichts Beliebiges, behauptet Megill gegen eine Foucaultsche Sichtweise, die er als subjektive Begegnung mit der Vergangenheit, nicht aber als Geschichte charakterisiert („better seen as subjective encounters with the past than as history“, S. 108). Die Vorstellung von einer endgültigen Sicherheit historischer Erkenntnis oder ihrer Ergebnisse lehnt Megill ab (S. 128).

Dementsprechend kann man das Kapitel über „Objectivity & Speculation“ als Zentrum des Buchs sehen. Megill unterscheidet darin zwischen vier Formen der Objektivität: „absolute“, „dialectical“, „disciplinary“, and „procedural objectivity“ (S. 114). Dabei geht es ihm vor allem darum, wie sich bestimmte Objektivitätsansprüche zur Subjektivität des erkennenden Historikers verhalten, nicht – wie man zunächst vermuten kann – um die Verteidigung eines Wahrheitsanspruchs gegen die Fiktionalität. Demgemäß versucht Megill auch nicht, das ‚Erklären’ als methodischen Schritt gegen das ‚Verstehen’ und ‚Beschreiben’ auszuspielen. Vielmehr möchte er in dem Kapitel „Narrative & Knowledge“ die Vorurteile widerlegen, dass Erklären immer auf Universalität und Verstehen und Beschreiben auf Individualität bezogen sei und dass der Verstehensbegriff einer hermeneutischen Naivität entstamme. Für die Arbeit des Historikers seien vier Schritte notwendig: das Beschreiben, das Erklären, die Thesenbildung („argument or justification“) und die Interpretation der Vergangenheit (S. 97).

Das stärkste Kapitel des Bands ist das erste. Es handelt von der Funktion der Erinnerung und ihrem Verhältnis zur Geschichte. Megill geht dabei vom Erinnerungsbegriff Herodots aus und unterscheidet (in Abgrenzung zu William G. Thomas III. und Edward L. Ayers) vier Formen, sich der Geschichte zu nähern: erstens „Historical Nescience. Ignorance or rejection of history“, zweitens „The Aesthesis of History. History is identified with beautiful (or sublime) aesthetic objects“, drittens „History as tradition. The function of history is to carry forward from the past into the future the traditions of specific groups, especially ours“ und viertens „History as (A) Memory (...) (B) Commemoration“ (S. 33). Hinter dem Gegensatz von Geschichte und Erinnerung/Gedächtnis taucht bei Megill der Gegensatz von Objektivität und Subjektivität auf, der mit dem Gegensatz von Vergangenheit und Gegenwart verbunden ist. Erinnerung ziele im Unterschied zu Geschichte nicht auf die Vergangenheit, sondern auf die Gegenwart: „But we do not remember the past. It is the present that we remember. [...] The relevant motto is: ‚Remember the present, think the past’.“ (S. 54)

Megill will bei seiner Verteidigung der Geschichte keinen bestimmten Wahrheitsanspruch verteidigen oder vor einer Fiktionalisierung oder Subjektivierung der Geschichte warnen. Mit seiner Abgrenzung gegen die Politik versucht er, die Geschichte vor einer Funktionalisierung für die Gegenwart zu schützen. Geschichte wird von der Gegenwart aus betrieben, aber nicht, wie etwa Erinnerung, für die Gegenwart, wie Megill im Kapitel „Does Narrative have a cognitive value of its own?“ erläutert. Daraus ergebe sich auch der Umgang mit Narrativen, die einerseits einen Erkenntniswert an sich hätten, indem ihr innerer Zusammenhang den Zusammenhang einer möglichen Welt abbilde, andererseits aber auch keinen „cognitive value“ an sich hätten, weil sie eben nur Möglichkeiten und keine Wirklichkeiten präsentierten. Der Historiker – und lediglich um dessen professionelle Tätigkeit, nicht um populäre Formen von Geschichtsarbeit geht es Megill – sei daher immer auf sein Denken (nicht seine Erinnerung) verpflichtet, das methodisch geregelt und in kritischer Absicht auf die Geschichte angewandt werden müsse (S. 77).

Es dürfte erkennbar geworden sei, dass sich Megills Lehrbuch nur bedingt für ‚Anfänger’ in deutschen Seminaren einsetzen lässt, zumal leichter verständliche und weniger Thesen bildende Vergleichswerke auf Deutsch vorliegen. Eine Leserschaft mag man dem originellen Band unter den ‚Fortgeschrittenen’ wünschen: zum einen, weil Megill Theorien diskutiert – wie jene der ‚Narratives’ –, die im Vergleich zum anglo-amerikanischen Sprachraum in Deutschland weniger verbreitet sind; zum anderen, weil der Autor dabei Probleme berücksichtigt, die wiederum in unseren Theoriedebatten eine größere Bedeutung haben als in englischen und US-amerikanischen Diskursen, zum Beispiel die These der kompensatorischen Leistung von Geschichte in Zeiten beschleunigten Wandels.

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