M. Becher (Hrsg.): Quellen zur Geschichte der Welfen

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Titel
Quellen zur Geschichte der Welfen. Die Historia Welforum, die Chronik Burchards von Ursberg und kleinere Texte der welfischen Hausüberlieferung


Herausgeber
Becher, Matthias
Reihe
Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters 18 b
Erschienen
Anzahl Seiten
328 S.
Preis
€ 99,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bernd Schütte, Historisches Seminar, Universität Leipzig

Die seit dem früheren 9. Jahrhundert bezeugten Welfen sind bekanntlich eines der wichtigsten mittelalterlichen Adelsgeschlechter. In der hochmittelalterlichen Reichsgeschichte begann ihr endgültiger Aufstieg mit Welf III., der im Jahre 1047 von Kaiser Heinrich III. das Herzogtum Kärnten und die Mark Verona erhalten hatte. Mit dem bereits 1055 eingetretenen Tod des Herzogs erlosch das Haus zwar im Mannesstamm, doch war es Welfs Mutter Imiza in dieser krisenhaften Situation gelungen, das Erbe für den Sohn ihrer Tochter Kuniza zu wahren und damit die dynastische Kontinuität zu sichern. In der späteren Salierzeit und unter den Staufern wird das Verhältnis der Welfen zum Königtum teils durch gute Zusammenarbeit, teils durch schwere Konflikte bestimmt. Sowohl diese wechselvollen Beziehungen, die zum Beispiel Welf IV., Heinrich den Stolzen, Heinrich den Löwen oder Otto IV. immer in herausgehobener Stellung zeigen, als auch das sich in der Anlage Braunschweigs verdichtende fürstliche Eigenverständnis des Löwen machen die Welfen zu einem bevorzugten Gegenstand der deutschen Mediävistik. Erst vor wenigen Jahren erschien eine gelungene Monografie, in der die Geschichte der Welfen von den Anfängen bis in die Mitte des 13. Jahrhunderts dargestellt wurde.1

Auf diesem Hintergrund ist es nur zu begrüßen, dass sich der Bonner Historiker Matthias Becher im Rahmen der Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe der welfischen Hausüberlieferung angenommen hat. Dabei handelt es sich um sechs kurze, durchweg anonym auf uns gekommene Texte: Die Genealogia Welforum soll kurz vor 1126 im Umfeld Welfs VI. entstanden sein, die sogenannte sächsische Welfenquelle zwischen 1132 und 1137 vermutlich im Lüneburger Kloster St. Michael, das im Erbgang an die Welfen gefallen war. Die Historia Welforum wurde wahrscheinlich um 1170 am süddeutschen Welfenhof zu Pergament gebracht, wo wohl auch die Annales Welfici und die Weingartener Fortsetzung der Chronik Hugos von St. Viktor anzusiedeln sind. Die Steingadener Fortsetzung der Historia Welforum wurde bald nach dem 1191 erfolgten Tod Welfs VI. geschrieben. Während die Annales Welfici, die im Überlieferungszusammenhang mit der Historia Welforum stehen, knapp von Ereignissen der Jahre 1101 bis 1184 berichten und die Fortsetzungen sowohl der Chronik Hugos als auch der Historia letztlich nur Welf VI. in den Blick nehmen, widmen sich die übrigen Werke dem Haus seit dem frühen 9. Jahrhundert. Im Mittelpunkt stehen neben einigen besitzgeschichtlichen Bemerkungen vor allem die Geschlechterfolge und die verwandtschaftlichen Verhältnisse, doch geht die Historia Welforum noch darüber hinaus, denn sie bietet zudem wichtige reichsgeschichtliche Nachrichten. Gemein ist der Genealogia, der sächsischen Welfenquelle und der Historia, dass ihre Verfasser über die Anfänge der Welfen und deren frühere Geschichte keine genaue Kunde mehr hatten – gesichertes Wissen und nur noch vage Erinnerungen verdichteten sich vielmehr zu Welfenbildern. Gerade deswegen ist insbesondere die Historia Welforum ein einzigartiges Beispiel für das auf Gedächtnis, Erinnerung und Selbstvergewisserung gerichtete Eigenverständnis eines fürstlichen Hauses im hohen Mittelalter.

Zu den Welfenquellen hat Matthias Becher die Chronik des Prämonstratensers Burchard gestellt, der von 1215 bis zu seinem nach dem Januar 1231 eingetretenen Tod dem in der Augsburger Diözese gelegenen Stift Ursberg vorstand. Die Verbindung der welfischen Hausüberlieferung mit Burchards Werk lässt sich aus zwei Gründen rechtfertigen: Zum einen enthält die Chronik einen längeren Abschnitt zur Geschlechterfolge der Welfen, der aus deren Umfeld stammt und der sich sowohl an die Genealogia als auch an die Historia anlehnt. Zum anderen kann Matthias Becher an einen 1998 erschienenen Band der Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe anknüpfen, der mit der Chronik Ottos von St. Blasien und den Marbacher Annalen bereits zwei wichtige Quellen zur Geschichte des ausgehenden 12. und beginnenden 13. Jahrhunderts enthält.2

Burchard, dessen Lebensrahmen sich anhand einiger in der Chronik enthaltener autobiografischer Aussagen ein wenig umreißen lässt, verfasste sein Werk 1229/1230. Nach einer Einleitung nahm er bis zum Tod Heinrichs V. 1125 zunächst die Chronik Frutolfs von Michelsberg und Ekkehards von Aura auf. Dann berichtet Burchard bis in das Jahr 1229 teils unter Verwendung anderer Quellen, von denen einige verloren sind, teils selbständig, wobei er seit der Zeit Heinrichs VI. letztlich aus eigenem Erleben schreibt. Die aus einem durchaus stauferfreundlichen Blickwinkel verfasste Chronik ist eine der wichtigsten Quellen insbesondere für die Geschichte Heinrichs VI., des staufisch-welfischen Thronstreites und die erste Zeit Friedrichs II.

Den Gepflogenheiten der Reihe gemäß werden die Quellen nach älteren Ausgaben wieder abgedruckt: Die Welfentexte folgen einer 1938 erschienenen und 1978 noch einmal nachgedruckten Ausgabe, die freilich unkritisch ist, aber eine Einleitung, eine Übersetzung und einen Sachkommentar enthält, wohingegen der Wortlaut von Burchards Chronik auf der 1916 im Rahmen der Monumenta Germaniae Historica veröffentlichten kritischen Edition fußt. Die Übersetzungen wurden neu gefertigt, doch liegt für Burchard nunmehr die erste Übertragung ins Deutsche vor. In der Einleitung, die durch ein Quellen- und Literaturverzeichnis beschlossen wird, werden die Werke und die Grundlagen der neuen Ausgabe vorgestellt. Dieser Vorspann fällt zwar recht knapp aus, ist aber kenntnisreich geschrieben und informativ. Die Texte werden durch einen elementare Hinweise enthaltenden Sachkommentar erschlossen, und die Übersetzungen hinterlassen einen durchweg zuverlässigen Eindruck. Am Ende des Buches steht ein Register der Orte sowie der Personen.

Vor allem aus dem universitären Unterricht ist die Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe mittlerweile nicht mehr wegzudenken. Daher ist es ausgesprochen erfreulich, dass in den vergangenen Jahren wieder einige Bände erschienen sind, in denen zentrale Quellen in der bekannten Art präsentiert werden. Matthias Becher hat in diesem Zusammenhang ein grundsolides Buch vorgelegt, das sich in der akademischen Lehre ganz ohne Zweifel bewähren wird.

Anmerkungen:
1 Schneidmüller, Bernd, Die Welfen. Herrschaft und Erinnerung (819-1252), Stuttgart 2000.
2 Schmale, Franz-Josef (Hrsg.), Die Chronik Ottos von St. Blasien und die Marbacher Annalen, Darmstadt 1998.

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