G. Maier: Amtsträger und Herrscher in der Romania Gothica

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Titel
Amtsträger und Herrscher in der Romania Gothica. Vergleichende Untersuchungen zu den Institutionen der ostgermanischen Völkerwanderungsreiche


Autor(en)
Maier, Gideon
Reihe
Historia-Einzelschrift 181
Erschienen
Stuttgart 2005: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
363 S.
Preis
€ 68,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Roland Steinacher, Institut für Mittelalterforschung, Österreichische Akademie der Wissenschaften, Wien

In seiner Rezension der vorliegenden Freiburger Dissertation findet Ulrich Lambrecht die treffende Formulierung, Maier unterziehe sich „dem schwierigen Versuch, die ‚Verfassung‘ dieser vier ostgermanischen Völkerwanderungsverbände [also der Vandalen, Burgunder, Ost- und Westgoten – d. Verf.] in ihren Institutionen zu beschreiben, oder besser: zu umschreiben.“1 Die Schwierigkeiten bei diesem Versuch bestehen darin, dass kaum normative Texte zur Verfügung stehen, eine Urkundenüberlieferung nur sehr spärlich ist, meist Einzelfälle oder bestimmte Personen analysiert werden müssen und zudem den Fragestellungen eine lange, wissenschaftsgeschichtlich höchst komplexe Diskussion zugrunde liegt. Tatsächlich handelt es sich um ein schwieriges Unterfangen zu dem ein gewisser wissenschaftlicher Mut gehört. Weiters ist eines der Grundprobleme die Frage, ob denn überhaupt in den auf dem Boden römischer Provinzen etablierten Regna fremde, barbarische oder ‚germanische‘ Elemente eine Rolle gespielt haben und wie weit nicht eine Fortsetzung römischer Strukturen unter anderen Bedingungen stattfand. Hier positioniert Maier sich mit einem grundsätzlichen Anspruch sehr klar und versucht, ‚germanische‘ Elemente bzw. Ämter, Institutionen und Rechtsvorstellungen herauszuarbeiten.

In drei Unterabschnitten werden die vier Regna der Vandalen, Burgunder, Ostgoten und Westgoten vom Königtum (S. 69–120) über die Ämterorganisation des Hofes (S. 121–206) bis zur jeweiligen Regionalverwaltung (S. 207–314) analysiert. Der in der bisherigen Forschung am häufigsten problematisierte Bereich ist das Königtum. Nur die Ostgoten konnten auf die Strukturen des kaiserlichen Hofes zurückgreifen und auf der Institution des kaiserlichen comitatus aufbauen; die anderen reges mussten sich mit der Tradition römischer Provinzstatthalter begnügen. So residierte der vandalische König auf dem Byrsahügel im Palast des römischen Prokonsuls. Maier verfolgt die Idee, die Entfernung der Mitglieder der gentes von ihrem rex sei in den neu entstandenen politischen Strukturen stetig größer geworden. Gleichzeitig habe sich der König vor allem gegenüber den Provinzialen römischer Repräsentationselemente bedient. Maiers Ausführungen zur politischen Sprache der Regna bieten zwar nichts Neues, ermöglichen aber einen qualitätsvollen und schnellen Überblick zu in den Quellen sehr verstreuten Informationen. Selbiges gilt auch für den Abschnitt zur königlichen Gesetzgebung (S. 110–120). Gegen Maiers Überlegungen, inwiefern territoriale Bezeichnungen eine Rolle in der Terminologie der Zeit gespielt haben (S. 70), wäre indes einzuwenden, dass alle Regna auf dem Gebiet römischer Provinzen bestanden und dieses Faktum für die Zeitgenossen wohl keiner eigenen Erwähnung bedurfte. Wie auch an vielen anderen Stellen des Buches zieht der Autor hier eine klare gedankliche Scheidelinie zwischen ‚germanischen‘ Eroberern und ‚romanischen‘ Eroberten, über die man sicherlich diskutieren kann. Belassen wir es bei der Feststellung, dass Maier sich offenbar auf der Seite der jüngst erschienenen Plädoyers von Peter Heather und Bryan Ward-Perkins für einen harschen Bruch zwischen Barbaren und Römern wohler als bei Forschungsansätzen zu fühlen scheint, die die Phänomene der Transformation spätrömischen Gesellschaft ins Frühe Mittelalter differenzierter und nicht allein als „Kampf der Kulturen“ zu interpretieren versuchen.2

Die Strukturen von Rat, Hofkanzlei und Emissären in den Regna wurden in der älteren Forschung immer wieder untersucht.3 Neu ist im vorliegenden Band die vergleichende Perspektive eines sehr sperrigen und komplexen Teils historischer Betrachtung. Lehrreich war für den Rezensenten der Unterschied zwischen dem ostgotischen Italien, wo die Präfektur als überregionale Institution weiter bestand, und den anderen Regna, in denen die Provinzverwaltung entsprechend erweitert und verändert werden musste. Auch auf der Ebene der Quellen ist durch Cassiodors Variae das Bild Italiens am dichtesten. Hier sind besonders Maiers Ausführungen zu den maiores domus hervorzuheben. Die für das ostgotische Italien unklare Begrifflichkeit wird durch die Erklärungen sehr erhellt (S. 147–159). Ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis wie ein ausgesprochen aufwendig gearbeitetes Register mit einem Verzeichnis aller Ämter wie der Amtsträger und Herrscher erhöhen den Gebrauchswert des Buches erheblich. Maiers Geduld und Feinarbeit bei der Gegenüberstellung verstreuter, oft wenig aussagekräftiger Quellen ist anzuerkennen. Die Arbeit schließt Lücken in der Forschung und beeindruckt durch die Vielzahl der besprochenen Materialien. Das Buch ist sicher geeignet, noch lange Zeit als Referenzwerk zu den einschlägigen Fragen verwendet zu werden.

Auf der anderen Seite ist man bei der Lektüre erstaunt, wie Maier die, zugegebenermaßen in vielem auf allgemeine Strukturen abzielenden, historischen Bilder der jüngeren Forschung ignoriert oder sich gegen diese zu positionieren versucht. Etwa findet die prosopographisch angelegte Arbeit Patrick Amorys zum ostgotischen Italien keine Erwähnung. Gerade dieses Buch wäre aber als wichtiger Kontrapunkt zu Maiers Ansätzen zu sehen.4 Selbiges zeigt sich auch in der von Maier verwendeten Terminologie für ethnische Identitäten, die an keiner Stelle die Forschung des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Frage stellt. Herwig Wolfram vorzuwerfen, eine „germanische“ Sichtweise zu wenig zu berücksichtigen, ist ein starkes Argument (S. 22). Maier möchte seine eigene Kategorie von „germanischem Königtum“ definieren bzw. Herwig Wolframs „These einer maßgeblichen römischen Prägung des germanischen Königtums“ einschränken: „Grundlage des Königtums war jedoch die siegreiche Führung eines gefolgschaftlichen Heerhaufens, die in einer erfolgreichen Landnahme und Reichsgründung gipfelte“ (S. 65). Gegen diese Feststellung ist an sich nichts einzuwenden (sieht man davon ab, dass zumindest der Rezensent „Landnahme“ und „Reichsgründung“ nicht mehr verwenden würde); nur reicht sie schlicht nicht, um irgendetwas an Wolframs Ansatz einzuschränken. Vielmehr gerät Maier durch seine Position – in dieser Ausschließlichkeit formuliert – in die Gefahr, aufgrund der Missachtung langjähriger Forschungsfortschritte zu den Forschungsansätzen aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg zurückzukehren. Der Autor malt dabei germanische Kontinuitäten wie Besonderheiten in den Regna, die sehr zu bezweifeln sind.5 Zwar werden in der Arbeit Michel Foucault, Paul Veyne und Max Weber bemüht, der denkerische Hintergrund der Arbeit bleibt aber klassischer positivistischer Geschichtswissenschaft verpflichtet, was an sich ja kein Schaden ist. Vielleicht wäre das Buch ohne Vorbehalte zu preisen, wenn Maier darauf verzichtet hätte, seine Ansätze so prominent zu stellen und in manchem sensibler mit komplexen Diskussionen verfahren wäre. An manchen Stellen ist seine Parteinahme zu schnell, zu einfach und zu unüberlegt, zum Beispiel im oben erläuterten Versuch „germanisches Königtum“ alt-neu zu definieren. Seine Versuche, etwa Walter Goffarts Ansätze bezüglich der Zuteilung von Steueranteilen an die barbarischen Truppen zu entkräften, bestehen aus bekannten Argumenten, zudem kommt in Maiers Argumentation zu oft das Wörtchen „sicher“ vor. Auf Jean Durliats recht prononcierte Position in Bezug auf die sortes Vandalorum wird übrigens ebenso wenig eingegangen wie auf die brillante Widerlegung seiner Ideen durch Yves Modéran (S. 290–295).6

Anmerkungen:
1 Verwiesen sei hier und im Folgenden auf die ausführliche Rezension von Ulrich Lambrecht in: Plekos 7 (2005), S. 215–220 < http://www.plekos.uni-muenchen.de/2005/rmaier.pdf> (05.07.2007).
2 Heather, Peter J., The Fall of the Roman Empire: A New History, London 2005; Ward-Perkins, Bryan, The Fall of Rome and the End of Civilization, Oxford 2005.
3 Hier sei nur auf eine weniger bekannte Arbeit als ein Beispiel von vielen verwiesen: Heuberger, Richard, Vandalische Reichskanzlei und Königsurkunden. Mit Ausblicken auf die Gesamtentwicklung der frühgermanischen Herrscherurkunde, in: Bauer, Wilhelm (Hrsg.), Festschrift Oswald Redlich zum 70. Geburtstag, Innsbruck 1929, S. 76–113.
4 Amory, Patrick, People and Identity in Ostrogothic Italy, 489–544, Cambridge 1997.
5 Zu Wolframs Vorstellungen vom Königtum vgl. Wolfram, Herwig, Rom und das frühe Königtum nördlich der Alpen, in: ders., Gotische Studien. Volk und Herrschaft im frühen Mittelalter, München 2005, S. 15–65; Gotisches Königtum und römisches Kaisertum von Theodosius dem Großen bis Justinian I., in: Frühmittelalterliche Studien 13 (1979), S. 1–28. Dass ein rex erfolgreich sein musste, die gens Siege und Beute von ihm erwartete, wurde immer wieder betont: Pohl, Walter, Die Gepiden und die gentes an der mittleren Donau nach dem Zerfall des Attilareiches, in: Wolfram, Herwig; Daim, Falko (Hrsg.), Die Völker an der mittleren und unteren Donau im fünften und sechsten Jahrhundert, Wien 1980, S. 239–305; Steinacher, Roland, Rex oder Räuberhauptmann. Ethnische und politische Identität im 5. und 6. Jahrhundert am Beispiel von Vandalen und Herulern, in: Burtscher-Bechter, Beate u.a. (Hrsg.), Grenzen und Entgrenzungen. Der mediterrane Raum, Würzburg 2006, S. 309–330.
6 Goffart, Walter, Barbarians and Romans A.D. 418–584, Princeton 1980; Durliat, Jean, Le salaire de la paix sociale dans les royaumes barbares (Ve–VIe siècles), in: Wolfram, Herwig; Schwarcz, Andreas (Hrsg.), Anerkennung und Integration. Zu den wirtschaftlichen Grundlagen der Völkerwanderungszeit 400–600, Wien 1988, S. 21–72; Modéran, Yves, L’établissement territorial des Vandales en Afrique, in: Antiquité Tardive 10 (2002), S. 87–122.

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