K. Klambauer: Österreichische Gedenkkultur

Cover
Titel
Österreichische Gedenkkultur zu Widerstand und Krieg. Denkmäler und Gedächtnisorte in Wien 1945 bis 1986


Autor(en)
Klambauer, Karl
Reihe
Der Nationalsozialismus und seine Folgen 4
Erschienen
Innsbruck 2006: StudienVerlag
Anzahl Seiten
333 S.
Preis
€ 37,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Moll, Universität Graz

Jede Studie im boomenden Forschungsfeld des historischen Gedächtnisses muss sich daran messen lassen, welche neuen Erkenntnisse sie vermittelt. Vor diesem Hintergrund verwundert, dass der österreichische Historiker Karl Klambauer für seine nun gedruckte Klagenfurter Dissertation das gut erforschte Wien als Schauplatz wählt. Noch mehr staunt man, welche Gedächtnisorte der Verfasser ins Zentrum rückt: Hinsichtlich des Zeitraums 1933/34 bis 1945 hätte man an den Heldenplatz, das Gestapohauptquartier Morzinplatz oder an die Schauplätze des Bürgerkriegs vom Februar 1934 gedacht. Klambauer wählt hingegen Objekte, die zwar bekannt sind, jedoch nicht als Gedächtnisorte: Das Opferdenkmal auf dem Zentralfriedhof, das Heimkehrer-Gedächtnismal auf dem Leopoldsberg, den Stephansdom und die Votivkirche.

Die Fokussierung auf wenig bekannte Gedächtnisorte verspricht einen Erkenntnisfortschritt, während damit das Problem einhergeht, dass diese Orte kaum als im kollektiven Gedächtnis verankerte Gedenkstätten bezeichnet werden können. Hierfür genügt nicht, wenn die Errichtung jener Gedenkstätten kurzfristig zu Debatten führte, die alsbald in Vergessenheit gerieten. Für nicht wenige der von Klambauer behandelten Objekte trifft aber genau das zu, zumal einige außerhalb des Stadtzentrums liegen, andere als architektonische und/oder religiöse Orte wahrgenommen werden, ohne dass der Durchschnittsbürger einen Konnex zu Widerstand und Krieg herstellt.

Der Verfasser behandelt die Entstehungsgeschichte seiner Objekte im zeitgenössischen Diskurs: Inwieweit sollte das Opfergedenken über die NS-Herrschaft hinaus ausgedehnt werden und die ständestaatliche Diktatur der Jahre 1934-1938 einbeziehen? In der Folge geht es darum, durch welche politisch-gesellschaftlichen Gruppen die österreichischen Wehrmachtssoldaten als Opfer des Krieges in den Nachkriegskonsens integriert wurden, während die Träger des Widerstands eine Marginalisierung erfuhren.

Klambauers Urteile bedürfen mancherlei Korrekturen: Das Konzentrationslager Mauthausen hatte keine singuläre Position im NS-Lagersystem und war kein „Zentralort des Holocaust“ (S. 217). Nicht weniger problematisch erscheint, dass der Verfasser die Re-Integration ehemaliger Nazis und Wehrmachtssoldaten stets in einem Atemzug nennt, als wären beide Gruppen identisch (z.B. S. 238). Unverständlich ist die These, die 1986/87 vor dem Stephansdom abgehaltenen Demonstrationen gegen Kurt Waldheim hätten gegen das verfälschte Widerstandsbild protestiert (S. 240). Wie es möglich war, mit der Türkei „antislawische“ und „antirussische“ Feindbilder zu aktivieren, bleibt rätselhaft (S. 241). Die altösterreichische Armee definierte ihr Identitätsverständnis zum Teil aus der Türkenabwehr, daneben gab es jedoch den 1740-1866 konstitutiven österreichisch-preußischen Gegensatz, der bei Klambauer nirgendwo aufscheint. Es ergibt wenig Sinn, Banalitäten wie die Darstellung des Prinzen Eugen als Türkenbezwinger auszuwalzen (S. 202). Wiederholt knüpft der Verfasser weitgehende Schlussfolgerungen an periphere Details vor allem bei Kirchenfenstern, die für den Betrachter nicht erkennbar sind (z.B. S. 230). Bei soviel freier Assoziation ist es nur ein kleiner Schritt zu der These, eine Kapelle in der ehemaligen Wäscherei des Konzentrationslagers Mauthausen sei Beweis für die durchgehende Katholisierung des KZ-Gedenkens bzw. ein einziges Kirchenfenster habe das Mauthausen-Gedenken nachhaltig beeinflusst (S. 231). Man wundert sich nicht, wenn Klambauer einige seiner Überlegungen als „nicht wissenschaftlich stringenter, sondern spekulativer und kontrafaktischer Natur“ bezeichnet (S. 233).

Zu den ärgerlichsten Aspekten dieser Arbeit gehören Stil und Sprache; Klambauer treibt die üblich gewordene Newspeak auf den Gipfel. Damit ist nicht nur sein weitschweifiger, repetitiver Stil gemeint. Er verwendet Wortungetüme wie „aporetische Ambiguität“ (S. 192) und Wortschöpfungen à la „Kontinuation“, „Kontinuierung“ (durchgehend), „chronikal“ und „metamorphosiert“ (beide S. 174), „Inakzeptabilität“ (S. 200), „kritikabel“ (S. 205), „Antirussismus“ (S. 210), „manichäistisch“ (S. 226), „Pathosinhalte“ (S. 238) und andere. Ferner finden sich Stilblüten wie jene vom „vollbesuchten Stephansdom“ (S. 202), der „denkmälerische Ausdruck“ (S. 233), „hochnotierter Gedächtnisort“ (S. 239) bzw. „loziertes Denkmal“ (S. 242). Zu den Kreationen gehört ein „Autorenkollektiv österreichischer Historiker“ (S. 216), ganz zu schweigen von Pleonasmen wie „doch jedenfalls“ (S. 207), das „verbildlichte katholisierende antinazistische Narrativ des österreichischen katholisch-konservativen Lagers“ (S. 231) und „überwiegend ausschließlich“ (S. 252). Über die Grenzen der deutschen Sprache geht Klambauer, wenn er abstrakte Begriffe wie „Opferthese“ als „Gedächtnisort“ bezeichnet (S. 245, 253f.), da eine These nicht gut einen Ort verkörpern kann. 1074 Endnoten machen die Lektüre zusätzlich mühevoll.

Fasst man zusammen, so sind zwei zentrale Einwände vorzubringen. Erstens überschreitet der Verfasser das Thema und dessen zeitliche Begrenzung permanent. Exkurse bis in die Türkenzeit lenken die Aufmerksamkeit vom Gegenstand ab (z.B. S. 181ff.). Hingegen erfährt man über das letzte Jahrzehnt des bis 1986 reichenden Untersuchungszeitraums wenig. Umso störender wirkt, dass Klambauer Verbindungslinien konstruiert, die vom Leser kaum nachvollzogen werden können. Die Herstellung eines Konnexes zwischen der Erinnerung an „Widerstand und Krieg“ mit der Türkenabwehr des 16.-18. Jahrhunderts entwickelt sich zu einer wahren Obsession: „Nach 1945 läßt sich nun vor allem für das katholisch-konservative Lager feststellen, daß diese mnemische Kraft eines heroisierenden Prinz-Eugen- und Türkenkrieggedenkens sowohl auf das österreichische Gefallenen- und Kriegergedenken des Ersten und Zweiten Weltkrieges als auch auf das österreichische antinazistische Widerstandsgedenken gelenkt wurde.“(S. 210) Abseits oberflächlicher Analogien bleibt Klambauer einen Beweis dieser Behauptung schuldig.

Zum zweiten unterstellt Klambauer dem sogenannten katholisch-konservativen Geschichtsdenken der Zweiten Republik hegemonialen Charakter (z.B. S. 232). Diese Hegemonie verortet er ausgerechnet in Wien, seit 1945 die sozialdemokratische Hochburg schlechthin. Die SPÖ tritt als Akteur nur zu Anfang in Erscheinung, alsbald verschwindet sie völlig und es treten nur die Kirche, konservative Kreise und Veteranenverbände auf den Plan. Im Widerspruch dazu schreibt der Verfasser über „die antifaschistische gedenkkulturelle Hegemonie von SPÖ und KPÖ im öffentlichen Raum Wiens und die zugleich hier sichtbare defensive Position der ÖVP, die ihre Gedenkstätten … weniger öffentlich präsent errichtet hat“ (S. 219). Im Klartext heißt dies, dass die ausgewählten Gedächtnisorte bloß periphere, von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommene sind. Was kann man von Kirchenfenstern anderes erwarten? Bizarr mutet an, wenn Klambauer zusammenfasst, ein Denkmal „verfügte mit seinem Standort in einer dunklen Nische des Votivkircheninnenraumes nicht gerade über eine ausgeprägte Präsenz im öffentlichen Raum…“ (S. 179). Dann heißt es freilich über dasselbe Monument, man habe einen Gedächtnisort schaffen wollen, „der in seinem Gedenkinhalt dem prominenten österreichischen Heldendenkmal am Wiener Heldenplatz gleichkommt“ (S. 201). Der Verfasser löst diese Widersprüche nicht auf, er scheint auch das Wesen der katholischen Religion und der Amtskirche misszuverstehen, wenn er unterstellt, deren Streben sei dahin gegangen, die Toten als Objekte des Erinnerns in kontrastierende Kategorien einzuteilen. Eher dürfte das Gegenteil zutreffen (S. 203).

Insgesamt hat Klambauer interessantes Material ausgegraben, so dass sein Anspruch, die Entstehungsgeschichte seiner Gedächtnisorte aufzuhellen, eingelöst wird (S. 24). Über diese Basis hinaus versteigt er sich jedoch in Spekulationen, verliert sich in weitschweifigen Exkursen und stellt Zusammenhänge her, die den Menschen der Jahre 1945 bis 1986 nicht in den Sinn gekommen wären. Welcher Zeitgenosse, der sich an Austrofaschismus, Nationalsozialismus und Weltkrieg erinnerte, hatte dabei die Türkenkriege im Kopf? Und welcher Teilnehmer an der Weihe des Bildes der Maria von Guadelupe 1954 erblickte darin einen Link zu den Staatsvertragsverhandlungen oder gar zu Kaiser Maximilian von Mexiko (S. 171-173)? Klambauer übersieht völlig, dass das Religiöse ein Eigenleben führt, ohne derart eng mit politischen und erinnerungskulturellen Fragen verknüpft zu sein.

Kennzeichnend für diese Arbeit ist eine unglückliche Auswahl weniger Objekte, deren Bedeutung für die österreichische Erinnerungslandschaft man, vom Stephansdom abgesehen, gering veranschlagen muss. Klambauer verheddert sich ferner in selbstgestrickten Widersprüchen. Vielleicht liegt es daran, dass seine Schlussbemerkungen allgemeine und bekannte Überlegungen hinsichtlich der österreichischen „Opferthese“ referieren. Richtig ist, dass die politische Rhetorik in Österreich nach 1945 durch einen exzessiv ausgelegten Opferbegriff geprägt war und Täter darin nicht vorkamen (S. 246). Dies entspricht freilich der über Österreich hinaus üblichen Praxis. Soll die Erforschung von Gedächtnisorten und Erinnerungskultur(en) zu neuen Erkenntnissen führen, wird sie gut daran tun, sich nach der Bearbeitung der zentralen Orte nach weiteren, geeigneten Objekten umzusehen. Sonst droht sie, um Klambauer zu zitieren, sich in „dunklen Nischen“ zu verlieren.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension