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Titel
Blaundos. Berichte zur Erforschung einer Kleinstadt im lydisch-phrygischen Grenzgebiet


Herausgeber
Filges, Axel
Reihe
Istanbuler Forschungen 48
Erschienen
Tübingen 2006: Ernst Wasmuth Verlag
Anzahl Seiten
XIII, 351 S.; 2 Farbtaf.; 6 Falttaf.; 3 Beilagen
Preis
€ 57,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Oliver Hülden, München

Während seiner Zeit als Referent an der Abteilung Istanbul des DAI hat Axel Filges drei Feldforschungskampagnen in der im Inneren Kleinasiens an der Grenze zwischen Lydien und Phrygien gelegenen Stadt Blaundos durchgeführt. Die Ergebnisse dieses 2002 abgeschlossenen Surveys wurden nun von ihm und seinen damaligen Mitarbeitern in einem einzigen Band herausgegeben. Dies mutet vordergründig etwas minimalistisch an, da Filges mit Ausnahme eines einzigen Kolloquiumsbeitrags 1 auch auf Vorberichte seiner Forschungen verzichtet und seine Ergebnisse vorab nur durch Vorträge bekannt gemacht hat. Es sei aber vorweggenommen, dass diese Konzentration auf eine gebündelte Abschlusspublikation ohne weiteres vorbildlich für die Aufbereitung ähnlicher Projekte werden könnte.

Im einleitenden Kapitel beschäftigt sich Filges mit der Topographie von Blaundos und läßt dessen Forschungsgeschichte Revue passieren. Darauf folgen Überlegungen zur historischen Entwicklung, die teilweise von Falko von Saldern stammen und sich primär auf die schriftliche Überlieferung stützen.2 Diese erweist sich als sehr bruchstückhaft, weshalb etwa die Rekonstruktion des Territoriums von Blaundos nur leidlich an Kontur gewinnt, was auch aus dem Verzicht auf einen regelrechten Survey in der Chora resultiert. Im Hinblick auf die Siedlung selbst und insbesondere auf ihre Frühzeit bleibt ebenfalls vieles im Dunkeln. So stellt der einheimische Name Mlaundos, unter welchem der Ort auf Münzen der hellenistischen Zeit erstmals greifbar ist, nur einen schwachen Beleg für die Existenz eines früheren Siedlungsplatzes dar, dessen Einwohner Luwisch gesprochen haben sollen (vgl. aber S. 21 u. 31). Bezüglich der (Neu-?)Gründung schließt sich Filges der gängigen Forschungsmeinung an, dass die Nennung des entsprechenden Ethnikons auf kaiserzeitlichen Münzen eine makedonische Abstammung der Einwohner bezeugt, und zeichnet das Bild einer kleinen Gruppe wohl seleukidischer Militärkolonisten, die sich im frühen Hellenismus an dem bereits bestehenden indigenen Ort niederließen. Auch für den weiteren Verlauf der Geschichte lassen sich den Quellen vornehmlich punktuelle Beobachtungen abringen, wobei einige Aussagen nur durch einen Vorgriff auf Ergebnisse der Materialauswertung möglich sind. Dazu gehören insbesondere die beiden Blüteperioden der Siedlung, die in flavischer Zeit und im 4. Jahrhundert n.Chr. festzustellen sind. Das Ende von Blaundos dürfte schließlich zwischen 900 und 1200 n.Chr. gelegen haben.

Das erkennbar lückenhafte historische Bild, das sich von Blaundos für seine gesamte Bestehenszeit ergibt, drängt geradezu die Frage auf, weshalb die Auswahl eines solchen Ortes, der selbst in Fachkreisen kaum bekannt ist und sich dazu durch eine gewisse Abgeschiedenheit auszeichnet, als Forschungsobjekt sinnvoll erschien. Filges hat diese Frage deshalb auch gleich zu Beginn der Materialauswertung, die den Kern des Buches bildet, thematisiert. Neben der angesichts zunehmender Zerstörungen generellen Sinnhaftigkeit, die oberflächig anstehenden Reste antiker Siedlungen zu dokumentieren, führt Filges insbesondere die Grenzsituation von Blaundos nicht nur zwischen Lydien und Phrygien, sondern auch am Übergang von der allgemein gut erforschten Küstenregion und dem anatolischen Hochland als Gründe für die Wahl an. Ferner sei der kleinstädtische Charakter des Ortes ausschlaggebend gewesen, da gerade solche Städte bislang nahezu unerforscht blieben. Und in der Tat sind es diese Punkte, die die Wichtigkeit der Erforschung von Blaundos unterstreichen und dem Projekt einen innovativen Charakter verleihen. Über diese Gründe hinaus formuliert Filges eine Reihe spezieller Fragen, die sich an einem kürzlich von Dieter Mertens zusammengestellten Themenkatalog zur archäologischen Stadtforschung orientieren 3, und verweist auf diverse Spezifika, durch die sich Blaundos von anderen Orten abhebt. An dieser Stelle offenbart sich allerdings eine gewisse, aber zweifellos bewusst hingenommene Diskrepanz zwischen den Fragen auf der einen und ihrer Beantwortbarkeit auf der anderen Seite. So geht beispielsweise bereits aus dem vorangegangenen historischen Überblick hervor, dass über die Hintergründe der makedonischen Präsenz mangels einer adäquaten Quellen- und Materialbasis allenfalls spekuliert werden kann, was erst recht für die daran anschließende Frage nach Prozessen der Hellenisierung gilt. Dieser Einwand ist freilich weniger als Kritik zu verstehen, sondern verdeutlicht einmal mehr, in welch eng gesteckten Grenzen sich Oberflächenuntersuchungen gewöhnlich bewegen.

Nach einem kurzen Einblick in die methodischen Vorgehensweisen bei der Aufnahme der Siedlung obliegt es Dorothea Roos, einen ersten Gesamteindruck von deren urbanen Strukturen zu vermitteln. Sie entwirft das Bild einer zumindest in der Kaiserzeit präzise geplanten Stadt. Während dieser Befund aus dem erhaltenen Baubestand abzulesen ist, entbehrt die Orientierung an einem Raster der hellenistischen Zeit zwar nicht einer gewissen Wahrscheinlichkeit, muss aber dennoch eine Vermutung bleiben. Am Ende ihrer Überlegungen nimmt Roos mit der Feststellung, dass „weder die Ausführung der einzelnen Bauanlagen noch die Stadtanlage in ihrer Gesamtheit hinter der Qualität großstädtischer Planung“ zurückstehen (S. 39), gewissermaßen schon das Fazit der folgenden Betrachtungen einzelner Bauten vorweg. Diese schwerpunktmäßig öffentlichen Bauten werden im Anschluss von Filges und den diversen Mitarbeitern je nach Wichtigkeit und Erhaltungszustand mehr oder weniger detailliert abgehandelt. Darunter befinden sich Tempel bzw. Heiligtümer, die Stadtmauern, das Stadion, das Theater, die Agora, Säulenhallen, Wohnhäuser, die Nekropolen sowie Installationen für die Wasserversorgung. Da hier nicht auf die Auswertung jedes dieser Bauten eingegangen werden kann, seien nur die wichtigsten exemplarisch herausgegriffen.

Dazu gehört zunächst einmal ein Podiumtempel mit umgebender Quadriportikus und Propylon im Norden der Stadt, der nicht zuletzt aufgrund einer Inschrift in die Jahre zwischen 70 und 79 n.Chr. datiert wird. Während die Gottheit dieses Tempels nicht zu identifizieren ist, lässt sich ein weiteres Heiligtum inmitten der Stadt der Göttin Ceres zuweisen. Bei dem Tempel, der ebenfalls mit einer Quadriportikus und einem Propylon ausgestattet ist, handelt es sich um einen der bedeutendsten noch sichtbaren Bauten von Blaundos. Roos, Filges und von Saldern teilen sich die Aufgabe, den Bau in seiner Gesamtheit zu rekonstruieren, die teilweise recht außergewöhnliche Bauornamentik und die lateinisch-griechische Architravinschrift detailliert zu besprechen. Anhand des Bauschmuckes lässt sich eine überzeugende chronologische Einordnung in die Jahre zwischen 90 und 110 n.Chr. vornehmen. Es sind diese auch für andere Bauten geltenden verhältnismäßig präzisen Datierungen, die wichtige neue Erkenntnisse hinsichtlich der Einordnung bestimmter Schmuckelemente liefern und nicht nur deshalb von eminenter Bedeutung sind. Dass der Tempel in christlicher Zeit als Kirche genutzt wurde, ist dagegen zwar naheliegend, aber am Bau selbst nicht nachzuweisen.

Klar erkennbar, wenn auch dürftig erhalten ist das Stadion nordwestlich des Ceres-Tempels. Oberhalb von ihm schließt sich ein quadratischer, ehemals von Säulenhallen gesäumter Platz an, dessen zeitliche Einordnung in die erste Hälfte des 1. Jahrhunderts n.Chr. anhand entsprechender Bauornamentik wesentlich sicherer ist als seine Deutung; diese schwankt zwischen Agora oder Gymnasium, wobei Filges letzterem den Vorzug geben möchte. Nicht zuletzt aus diesem Grund muss ein anderer Ort für die Agora gesucht werden. Vorgeschlagen wird eine Platzanlage im Süden der Siedlung, an der mit dem so genannten Steinfachwerk-Gebäude einer der auffälligsten Bauten von Blaundos gelegen ist. Anders als es der forschungsgeschichtlich bedingte Name suggeriert, weist Roos nach, dass der skelettartige Eindruck durch den zufälligen Erhaltungszustand bedingt ist und dass dem Gebäude ein durchaus gängiges Konstruktionsprinzip zugrunde liegt. Die Deutung als Basilika vermag allerdings kaum zu überzeugen, da sich nur wenige Gemeinsamkeiten mit den angeführten Vergleichsbeispielen aus Kleinasien und Italien ergeben. Insofern dürfte auch die Interpretation des angegliederten Platzes als Agora recht fraglich sein. Kurz in Erwägung gezogen wird schließlich eine Funktion des Baus als Kirche, die dann aber eher einem größeren Gebäude im südwestlichen Stadtgebiet zugetraut wird. Dabei spricht viel für diese Interpretation als Kirche, und womöglich ist der vagen Datierung in die flavische Zeit eine in die Spätantike vorzuziehen.

Während die nachkaiserzeitlichen Stadtmauern insgesamt eher unspektakulär sind, ist das Nordtor nicht nur besonders imposant, sondern weist trotz der ausnahmslosen Verwendung von Spolien auch eine erstaunliche Bauqualität auf. Es ist von Jürgen Giese vorbildhaft dokumentiert worden; seine Datierung des Tores in die Spätantike, mithin die zweite Hälfte des 4. Jahrhunderts n.Chr., fußt dabei auf einer fundierten Kenntnis verwandter Wehrbauten. Ausgeklammert wurde allerdings die Frage, warum die Toranlage nicht nur im Verhältnis zum gleichzeitigen Rückbau der Siedlung, sondern auch zu den als Vergleichen angeführten Toren der wesentlich bedeutenderen Städte Hierapolis, Aphrodisias und Sagalassos so prunkvoll ausfällt. Zuletzt erwähnenswert ist die ebenfalls fachkundige Auswertung der Nekropolen durch Peter Baumeister. Er stellt eine Auswahl der 270 Felskammergräber vor und bietet eine Typologisierung anhand der Grundrissformen und der Innenausstattung. Hervorzuheben ist die Ausgestaltung einiger Gräber mit Malerei, die aufgrund stilistischer Vergleiche schwerpunktmäßig in das 3. Jahrhundert n.Chr. zu datieren sind. Für alle übrigen Gräber nimmt Baumeister eine Zeitspanne an, die sich über die gesamte Kaiserzeit bis in die Spätantike erstreckt. Nicht in Erwägung zieht er jedoch, dass einige der Felsgräber durchaus früheren Datums sein können und ihre heutige Gestalt erst durch spätere Umbauten und Erweiterungen erhielten. Dies ist schon allein deshalb naheliegend, weil kein einziges vorkaiserzeitliches Grab identifiziert werden konnte.

An die Besprechung der Bauten schließt sich die Analyse bestimmter Fundgattungen an. Die allesamt kaiserzeitlichen Skulpturen werden von Filges souverän besprochen, wobei insbesondere sein Vorschlag, einen Torso im Typus der so genannten Hera von Ephesos als Demeter zu deuten, hervorzuheben ist. Petra Matern behandelt die Münzprägung, wobei sie ihre Überlegungen primär als Motivstudie verstanden wissen will. Vor allem als Quelle für die sonst kaum erhellte hellenistische Zeit erweisen sich die Münzen als hilfreich. Darüber hinaus vermitteln viele von ihnen Einblicke in die religiöse Identität der Stadt. Bemerkenswert ist, dass die hellenistischen Münzen keinen Hinweis auf den makedonischen Ursprung der Stadt zeigen. Das Kapitel endet mit einigen, sehr knappen Bemerkungen von Filges zur Fundkeramik, was nicht zuletzt an der unverständlicherweise nur sehr geringen Anzahl von etwa 100 aufgesammelten Scherben liegt. Allein von größerem Interesse sind einige Fragmente, deren Bemalung auf eine vorhellenistische Datierung oder zumindest Tradition hinweisen könnte. Filges übt in dieser Frage allerdings Zurückhaltung, was angesichts der mangelhaften Kenntnis lokaler Waren sicherlich angebracht ist.

Das letzte Kapitel ist mit „Blaundos im Laufe der Zeiten“ überschrieben und bündelt unter Berücksichtigung des eingangs aufgestellten Fragenkatalogs sämtliche Ergebnisse. Allerdings scheint hier das oben schon erwähnte Missverhältnis zwischen Fragen und den Möglichkeiten, sie befriedigend zu beantworten, gelegentlich durch. So entbehren einige der zusammenfassenden Überlegungen von Filges etwa hinsichtlich der Hellenisierung und Romanisierung bzw. Romanisation sowie zur Einordnung des Stadttyps oder zum wirtschaftlichen Hintergrund zwar nicht einer gewissen Plausibilität, gehen aber letztendlich auf ein Operieren mit vielen unbekannten Faktoren zurück. So lässt sich etwa die wohl nicht unerhebliche Präsenz von Italikern in Blaundos zwar weiter untermauern, die Gründe für ihre Anwesenheit können aber nach wie vor nicht namhaft gemacht werden. Auch nach den Feldforschungen ist also zu konstatieren, dass Blaundos im Grunde vor der flavischen Zeit fast überhaupt nicht zu greifen ist. Die grundlegende Neuanlage der Siedlung im ausgehenden 1. und frühen 2. Jahrhundert n.Chr. ist wohl als Folge von Erdbeben zwischen 50 und 60 n.Chr. zu betrachten, und dieser Zeitabschnitt gewährt auch die meisten und deutlichsten Einblicke. Daneben lässt sich ein zweiter Höhepunkt in der Umbruchsphase des 4. Jahrhunderts n.Chr. feststellen, während alle übrigen Epochen weitgehend im Dunkeln bleiben.

Filges und seine Mitstreiter haben eine erstaunliche Fülle von Ergebnissen zusammengetragen und damit einen entscheidenden Beitrag zur Erforschung einer bislang nur unzureichend bekannten antiken Stadt im Inneren Kleinasiens geleistet. Dass manche Erwartung unerfüllt bleibt, ist nicht zuletzt einer Nüchternheit in der Darstellung geschuldet, die keinen Raum für zu gewagte Interpretationen lässt, aber zweifellos eine der großen Stärken des Buches darstellt. Die Ergebnisse des Surveys wurden zudem nicht nur in einem angemessenen Zeitraum und klar strukturiert aufbereitet, sondern ebenso in einer äußerlich ansprechenden Form präsentiert. Auch wenn Blaundos vermutlich nicht das Interesse eines breiteren Publikums finden wird, ist jedem, der ein ähnliches Unterfangen zu bestreiten hat oder sich an der Diskussionen um das Städtewesen in Kleinasien beteiligen möchte, ein nicht nur flüchtiger Blick in diese mustergültige Publikation anzuraten.

Anmerkungen:
1 Filges, Axel, Stadtentwicklung im Gebiet des oberen Mäander. Die lydisch-phrygische Grenzregion am Beispiel von Blaundos, in: Schwertheim, Elmar; Winter Engelbert (Hrsg.), Stadt und Stadtentwicklung in Kleinasien, Bonn 2003, S. 35–49.
2 Einbezogen sind auch die Inschriften, die durch von Saldern bearbeitet wurden und dem Buch am Ende als katalogartiger Anhang beigegeben sind.
3 Mertens, Dieter, Archäologische Stadtforschung, in: Borbein, Adolf H.; Hölscher, Tonio; Zanker, Paul (Hrsg.), Klassische Archäologie. Eine Einführung, Berlin 2000, S. 231.

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