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Titel
Building America. Die Erschaffung einer neuen Welt


Herausgeber
Köth, Anke; Minta, Anna; Schwarting, Andreas
Erschienen
Dresden 2005: Thelem
Anzahl Seiten
356 S.
Preis
€ 39,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sebastian Jobs, Historische Anthropologie, Universität Erfurt

Mit dem "spatial turn" hat sich in den Kultur- und Sozialwissenschaften ein Konzept etabliert, das die Bedeutung von Vorstellungen vom Raum sowie dessen Aneignung als entscheidende Elemente menschlichen Handelns hervorhebt.1 In Anknüpfung daran versucht der vorliegende Sammelband "Building America – die Erschaffung einer neuen Welt", herausgegeben von Anke Köth, Anna Minta und Andreas Schwarting, Antworten auf die Frage zu finden, "wie Identitäts- und Geschichtskonstruktionen, nationale Geltungsansprüche sowie gesellschaftliche Ordnungs- und Kontrollstrategien in Architektur, Städtebau und Denkmalpolitik zum Ausdruck gelangen" (Klappentext). Dabei liegt der Schwerpunkt darauf, Ideen, Raumfantasien und Mythen sowie deren Umsetzung in der Schaffung neuer Räume in Nordamerika vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart aus den Perspektiven von Architektur-, Kultur-, Technik-, Konsum- und Kunstgeschichte sowie der Literaturwissenschaft in den Blick zu nehmen. In seinem einführenden Beitrag umreißt Hans-Georg Lippert kurz die Entstehungsgeschichte des Bandes, der größtenteils die Vorträge dreier Symposien zusammenfasst, die 2003 und 2004 am Sonderforschungsbereich 537 "Institutionalität und Geschichtlichkeit" in Dresden stattfanden. Die Themen dieser Symposien geben gleichzeitig auch die inhaltliche Ausrichtung der drei Kapitel des Sammelbands vor. Darüber hinaus sollen die Ergebnisse zweier weiterer Symposien aus dem Jahr 2005 ("Kultur – Ästhetik – Wahrnehmung" und "Eigenbilder – Fremdbilder") in einem zweiten Sammelband publiziert werden.

Den ersten thematischen Schwerpunkt setzt der Sammelband in der Trias von "Identität – Geschichte – Gedächtnis". Michael Hochgeschwenders eröffnender Beitrag verortet die aktuellen Diskussionen um Raum und Identität in der US-amerikanischen Geschichte sehr pointiert und informativ zwischen den wohlbekannten Theorieklassikern von "Frontier"-These und "American Exceptionalism". Dabei stellt er diese Debatten einerseits in den theoretisch-methodischen Kontext des "spatial turn", weist jedoch gleichzeitig darauf hin, dass Reinhart Koselleck schon 1986 die Bedeutung räumlicher Perspektiven für historisches Arbeiten betont hat.2 Caroline Rosenthal erweitert dieses Methodenensemble aus literaturwissenschaftlicher Perspektive um postmoderne Raumtheorien wie Michel Foucaults Heterotopiekonzept, um den städtischen Raum als Kristallisationspunkt des nationalen amerikanischen Zivilisationsprojekts zu beschreiben. Gleichzeitig untersucht sie Traditionen der literarischen Pastorale, die innerhalb eines zivilisationskritischen Projekts "Natur" als sehnsuchtsvoll aufgeladenen dritten Raum jenseits von "wilderness" und Stadt formulierten. Jennifer Dickeys Text "Historic Preservation and the Shaping of National Identity in the United States" hebt die zunehmende Bedeutung einer "memory infrastructure for the nation" (S. 71) seit der Mitte des 19. Jahrhunderts hervor. Dabei betont sie die zentrale Bedeutung von Erinnerungsorten wie Mount Vernon oder Ellis Island als Plätze amerikanischer Identitätsdebatten. An diesem Punkt setzen auch die Beiträge von Jens Kabisch und Eduard Führ an, die die Wirkungsweise verschiedener Memorialisierungsdiskurse analysieren und dabei vor allem die inszenatorische Qualität des Erinnerns betonen.

Um die Inszenierung von Tradition und Herrschaft geht es auch im zweiten Kapitel des Bandes: "Macht – Autorität – Moral". Während Wolfgang Sonne hierbei die Planungen um eine städtebauliche Überarbeitung der amerikanischen Hauptstadt zu Beginn des letzten Jahrhunderts untersucht, stehen in Anna Mintas Beitrag vor allem die Debatten über die Errichtung der National Cathedral in Washington D.C. im Mittelpunkt. Dabei hebt sie vor allem auf die Überschneidungen von christlicher und ziviler Religion, religiösem und patriotischem Eifer hervor. Ähnliche ideologische Berührungspunkte betont auch Harold Hammer-Schenk. Er findet in Profanbauten wie kommerziellen Hochhäusern, Bibliotheken und auch Privatbauten stilistische Anlehnungen an kirchliche Sakralbauten und stellt damit einen Zusammenhang zu zivilreligiösen Missions- und Fortschrittsideen her. Klaus P. Hansens kurzer Beitrag über den Weg "Vom Tellerwäscher zum Millionär" analysiert die Herkunft amerikanischer Mythen von Erfolg in verschiedenen literarischen Texten. Dabei beschreibt er eine "Mentalität der Machbarkeit" (S. 212), die sich an Motiven protestantischer Ethik orientiert und Optimismus und Hoffnung auf Fortschritt hervorhebt. Gleichzeitig betont er jedoch auch die Mythoskritik, wie sie beispielsweise Arthur Millers "Death of a Salesman" betreibt. In diesem Kapitel fällt vor allem Laura Biegers Artikel "'Make no little plans' – der Modus des Spektakulären von der White City bis Las Vegas" methodisch aus dem Rahmen. In ihrer Betrachtung der Modellstadt "White City" auf der Chicagoer Weltausstellung (1893) und der architektonischen Entwicklung verschiedener Bauten in Las Vegas macht sie sich den aus der Musik stammenden Begriff des Modus zueigen. Unter anderem lässt sich der Modus des Spektakulären in "White City" in seinem Charakter als städtische Utopie erkennen, der noch dadurch unterstrichen wurde, dass es sich um ein bautechnisches Provisorium handelte, dass teilweise schon während der eigentlichen Ausstellung zusammenbrach. Diese Inszenierung des Verfalls (S. 232f.) und des Abbruchs bezeichnet Bieger genau so als spektakulär wie die Architektur der Casinos und Hotels in Las Vegas, die einer ständigen Überarbeitung und Aktualisierung unterworfen seien. Gerade die Konstanz des bleibenden Wandels eröffne Räume für Grenzüberschreitung und Utopien. Damit unterscheide sich die spektakulär-utopische Architektur in Las Vegas und "White City" klar von eher monumentalen Bauweisen in Washington D.C., die gleich einem Museum vor allem Tradition und Herkunft hervorhöben.

Das abschließende Kapitel fasst die Diskussion um "Fortschritt – Technik – Geschwindigkeit" zusammen. Dabei analysiert Ellen Kloft die Debatten um eine Nutzung des New Yorker "Ground Zero". Besonders in den Hochhausentwürfen für den Wettbewerb über die Neubebauung des Areals entdeckt Kloft Elemente nostalgischer Rückbesinnung wie auch visionärer Fortschrittshoffnung. Gerade auf den letzten Punkt hebt auch Anke Köths Beitrag über die Bedeutung des amerikanischen Hochausbaus in den 1920er-Jahren ab. Sie zeigt, dass Wolkenkratzer, je nach Verwendungszweck, als Zeichen von Modernität, Fortschritt und Wohlstand gedeutet wurden, deren Herausforderung vor allem im Ausloten der Grenzen und der technischen und finanziellen Machbarkeit lag. Zwei weitere Texte dieses Abschnitts beschäftigen sich mit dem Einfluss des Autos auf Formen amerikanischer Mobilität. Während Christoph Asendorf in seinem Artikel "Verkehrsfluss und Gesellschaftsform" Reichsautobahn und Highways einem konzeptionellen Vergleich unterzieht, betrachtet Liane Löwe in ihrem Beitrag "'A Nation Built on Transport'. Das Auto und die US-amerikanische Gesellschaft" die Anfänge einer Auto- und Fahrkultur in den USA in den 1920er- und 1930er-Jahren. Dabei hebt sie vor allem darauf ab, wie die zunehmende Verbreitung von Autos die Möglichkeiten für die Aneignung des Raums prägte: Stadt und Land wurden enger miteinander verknüpft, Wohngegenden in den Vorstädten wurden zunehmend attraktiver. Durch diese Art des Unterwegsseins, so Löwe, veränderte sich gleichzeitig auch die bauliche Infrastruktur des Verkehrsnetzes, angefangen von den Straßen über Motels, "drive-in restaurants" und Tankstellen bis hin zur heimischen Garage, die ab den 1930er-Jahren zum häuslichen Standard gehörte. Der Beitrag zeigt überzeugend, wie die Möglichkeiten von Bewegung den Alltag von Menschen veränderten. Eine benachbarte Perspektive greift auch Astrid Bögers Text über "Die Zukunft der Vergangenheit" über eine städtebauliche Utopie auf der New Yorker Weltausstellung 1939 auf. Sie stellt unter anderem fest, dass diese Vision einer umfassenden Städteerneuerung erhebliche Leerstellen produzierte, indem sie "auf die Präsenz von Menschen weitestgehend verzichtet[e]" (S. 300) und damit die alltäglichen Praktiken der Menschen im Raum (Michel de Certeau) ausblendete.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass der Sammelband dort am überzeugendsten ist, wo die Perspektive der einzelnen Beiträge über die Konzeptionen, Planungen und Ideen (meist urbaner) Räume hinausgeht und zusätzlich das sprichwörtliche "Gehen in der Stadt" (de Certeau) in den Blick der Autoren kommt. In ihrer starken Bezugnahme auf Klassiker und "Dauerbrenner" US-amerikanischer Ideengeschichte bewegen sich alle Beiträge auf solidem konzeptionellen "common ground" ("frontier", "American exceptionalism", "manifest destiny" et cetera), antworten also auf die Fragen, die dem Sammelband zugrunde liegen. Durch diesen Fokus kommt jedoch gerade die Perspektive der Aneignung der imaginierten und neu entstandenen Räume in den meisten Texten zu kurz. Die Frage nach den Akteuren, beispielsweise in Form städtischer Bewohner, wird zu selten gestellt. Dabei stecken gerade im Abschreiten von Räumen genauso wie im "Benutzen" von Denkmalen Momente der Produktion, der Deutung und Sinnstiftung, gleichzeitig aber auch des Scheiterns, der Veränderung und der Brüche mit Vertrautem und Geplantem.3 Die meisten Beiträge betonen Traditionen und Kontinuitäten, folgen dabei Meistererzählungen von Fortschritt, Technisierung, Demokratisierung und schreiben sie damit fort, ohne ihre mythischen Qualitäten zu thematisieren. Vielleicht sind dies ja Perspektiven, die im zweiten Teil der Veröffentlichung stärker zum Tragen kommen werden.

1 Bachmann-Medick, Doris, Cultural Turns: Neuorientierungen in den Kulturwissenschaften, Reinbek bei Hamburg 2006.

2 Koselleck, Reinhart, Raum und Geschichte, in: ders., Zeitschichten. Studien zur Historik, Frankfurt am Main 2000, S. 78-97.

3 de Certeau, Michel, Die Kunst des Handelns, Berlin 1988; Young, James E., The texture of memory – Holocaust memorials and meaning, New Haven, CT 1993.

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