A. Steiner (Hrsg.): Preispolitik und Lebensstandard

Cover
Titel
Preispolitik und Lebensstandard. Nationalsozialismus, DDR und Bundesrepublik im Vergleich


Herausgeber
Steiner, André
Reihe
Zeithistorische Studien 35
Erschienen
Köln 2006: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
232 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Prinz, Westfälisches Institut für Regionalgeschichte

Preispolitik für die wichtigsten Grundnahrungsmittel, hebt der Potsdamer Wirtschaftshistoriker André Steiner in der Einleitung des von ihm herausgegebenen und eingeleiteten Bandes über „Preispolitik und Lebensstandard“ zu Recht hervor, ist so alt wie entwickelte menschliche Gesellschaften und das Städtewesen überhaupt. Besondere Impulse, auch dieser Hinweis findet sich in dem Band, erhielt die Beschäftigung mit behördlicher Preispolitik aus der Frühneuzeitforschung. Begriffe wie „Teuerungsunruhen“, „gerechter Preis“ und „taxation populaire“ haben seit langem Eingang in die moderne Sozialgeschichtsschreibung gefunden.

Das vorliegende Buch allerdings sucht das Phänomen Preispolitik nicht in der Vormoderne auf, sondern in einer Epoche, in welcher der moderne Massenkonsum längst etabliert war, nämlich den Jahren zwischen 1930 und 1960. Damit unterstreicht die Veröffentlichung schon im Ansatz, dass Preispolitik kein vormodernes Relikt, sondern eine Begleiterscheinung des Modernisierungsprozesses ist. Während André Steiner im Anschluss an die Einleitung die Geschichte der Preisüberwachung und der staatlichen Preisbildung im Nationalsozialismus behandelt, beschäftigt sich Jennifer Schevardo unter der Überschrift „Von der Kartenwirtschaft zum ‚Exquisit’“ mit der Preispolitik in Ostdeutschland zwischen 1948 und 1961. Das Gegenstück dazu liefert Irmgard Zündorf, die in einem rund vierzigseitigen Beitrag die wichtigsten Befunde ihrer Dissertation über die staatliche Verbraucherpreispolitik in Westdeutschland 1948-1963 vorstellt. Ein langer abschließender vergleichender Beitrag von Steiner rundet den Band ab. Was erwartet den Leser?

Alle vier Beiträge tragen Überblickscharakter für die jeweils behandelten Epochen, so dass der Band insgesamt fast wie eine Gesamtdarstellung zur Geschichte der Preispolitik in den deutschen Staaten zwischen 1930 bis 1960 wirkt. Um die angestrebte Vergleichbarkeit zu gewährleisten wird lediglich die Kriegszeit ausgeklammert. Sieht man einmal von formalen Ähnlichkeiten auf der Ebene der Mittel ab, betonen die Beiträge alles in allem doch sehr stark die Unterschiede und Brüche zwischen den Perioden. Letztlich ist die Preispolitik, was im Grunde wenig Wunder nimmt, direkt in die jeweiligen weltanschaulichen Zielsetzungen der politischen Eliten eingelassen. Im Nationalsozialismus dient die Preispolitik in erster Linie dem übergeordneten Ziel, alle durch die Konjunktur freiwerdenden Ressourcen in die Aufrüstung zu verschieben. Die DDR vernachlässigt aufgrund ihrer ideologischen Prämissen lange Zeit die Preispolitik als eigene Dimension, um dann gewissermaßen durch die ökonomische Wirklichkeit und die scheinbare Irrationalität der Konsumentenwünsche mit der Nase auf das Problem gestoßen zu werden. Im Ordnungsbild der sozialen Marktwirtschaft dagegen besitzt die Preispolitik gleichfalls keinen hervorgehobenen Stellenwert, da der Markt idealiter alle Probleme lösen soll.

Unter diesem Aspekt stellt die Bundesrepublik die eigentliche Überraschung, dar, weil sie in der Praxis wohl am stärksten, zumindest während der 1950er-Jahre, von diesem Idealbild abweicht. Das gilt etwa für den Bereich der Grundnahrungsmittel, die Verkehrstarife und die Wohnungsversorgung, um nur einige der von Irmgard Zündorf behandelten Felder zu nennen. In keiner Epoche war die Preispolitik in dem Sinne erfolgreich, dass die Maximalziele auch nur annähernd erreicht wurden. Aber, so lernt man, sie ist auch nirgendwo der Fehlschlag, den man von einem strikt marktwirtschaftlichen Standpunkt her erwarten könnte. Dem NS-Regime gelingt es, den angestrebten Lohn- und Preisstopp bis dicht an den Kriegsbeginn durchzuhalten. Auf der Basis korrigierter Indexzahlen kommt Steiner zu dem Ergebnis, dass sich die Reallohnposition der Arbeitnehmer gegenüber der Weltwirtschaftskrise trotz der dramatisch veränderten Lage auf dem Arbeitsmarkt praktisch nicht veränderte. Erstaunlich demgegenüber das Ergebnis für die DDR, wo die Reallöhne, begünstigt durch das niedrige Ausgangsniveau, in den 1950er-Jahren sogar stärker stiegen als in der Bundesrepublik. Auch die Bundesrepublik schließlich sicherte mit symbolischen Zugeständnissen – unter anderem einem subventionierten, zeitweise sehr populären „Konsumbrot“ für den Massenbedarf – an einzelnen politisch neuralgischen Punkten die soziale Integration breiter Verbraucherschichten. Überhaupt lässt sich aus der Geschichte der Preispolitik im 20. Jahrhundert lernen, dass man auch mit sogenannten Palliativmitteln weiterkommt, als man meinen könnte, und in jedem Fall kostbare Zeit gewinnen kann.

Was die von den Autoren behandelte Epoche zusammenhält, ist die große Bedeutung des Grundbedarfs im Budget der Bevölkerungsmehrheit. Auf die Sicherstellung dieses Bedarfs vor allem bezieht sich die hier behandelte Preispolitik. Insofern ergibt die vorgenommene Periodisierung Ende der 1950er-Jahre Sinn, als der Grundbedarf diese Bedeutung langsam verlor. Andererseits, und damit sei etwas zu den Grenzen der vorliegenden Studien gesagt, gab es natürlich sehr wohl periodenübergreifende Veränderungen innerhalb der nur vermeintlich feststehenden Kategorie des Grundbedarfs. Worin diese konkret bestanden, bleibt bei diesem wirtschaftsgeschichtlichen Zugriff jedoch letztlich blass. Die Unsicherheit der Politik in diesem Punkt wird von den Autoren zwar registriert, aber genau an diesem Punkt ließe sich mit einer stärker sozialgeschichtlich ausgerichteten Fragestellung vermutlich weiterkommen. Hier macht sich denn auch bemerkbar, dass hinter dem Band verschiedene Monographien stehen, so dass die Betrachtungen zur epochenübergreifenden Kontinuität doch vergleichsweise allgemein bleiben.

Ähnliches gilt für die Frage nach inhaltlichen – nicht nur personellen – Kontinuitäten zwischen der NS-Preispolitik und Entwicklungen in beiden deutschen Staaten nach 1945. Ob sich epochenübergreifend ein typisch deutsches Muster der Preispolitik herausbildete, das noch im Systemvergleich erkennbar blieb, auf diese Frage dürfte wahrscheinlich erst der internationale Vergleich Antworten erlauben. Ansonsten sei jedem, der sich für eine geraffte und pointierte Zusammenschau der Ergebnisse interessiert, André Steiners sehr lesenswerte Zusammenfassung am Ende des Bandes empfohlen. Auch wenn der eine oder andere Wunsch offen bleiben mag und man den Autoren an einigen Stellen vor allem mehr Mut zur Pointierung ihrer Befunde im Kontext laufender Debatten gewünscht hätte, bleibt festzuhalten, dass die Erforschung der Preispolitik in der deutschen Zeitgeschichte mit diesem Band auf neuen soliden Grundlagen ruht.

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