F. Beiderbeck: Zwischen Religionskrieg, Reichskrise und Hegemoniekampf

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Titel
Zwischen Religionskrieg, Reichskrise und europäischem Hegemoniekampf. Heinrich IV. von Frankreich und die protestantischen Reichsstände


Autor(en)
Beiderbeck, Friedrich
Reihe
Innovationen 8
Anzahl Seiten
499 S.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Arno Strohmeyer, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Die Erforschung der Geschichte der Außenpolitik und der internationalen Beziehungen hat seit der konzeptionellen und methodischen Erneuerung des Faches, die im deutschsprachigen Raum in den 1990er-Jahren einsetzte, einen deutlichen Aufschwung genommen. Besonders klar zu erkennen ist die Entwicklung bei den Vertretern der Neuesten Geschichte, die sich gegenüber anderen Teilfächern und Nachbardisziplinen öffneten und den Forschungsbereich durch innovative Ansätze wie die „Internationale Geschichte“ und die „Internationale Gesellschaftsgeschichte“ neu positionierten. In der Frühneuzeitforschung ist dieser Fortschritt ebenfalls unübersehbar, so dass die vom Kölner Historiker Jost Dülffer mit Blick auf die Neueste Geschichte getroffene Feststellung: „Diplomatiegeschichte ist tot, wenn man darunter die Interaktion von Diplomaten versteht, also was einer zum anderen sagte“ 1, auch hier zutrifft. Die meisten Frühneuzeithistoriker verwenden nun einen breiter gefassten Begriff des Politischen und beziehen wirtschaftliche, kulturelle, konfessionelle, mentale, geopolitische und andere Faktoren in ihre Analysen mit ein. Zudem ist eine zunehmende Offenheit gegenüber kulturwissenschaftlichen Perspektiven zu beobachten. 2

Vor diesem Hintergrund untersucht der Potsdamer Historiker Friedrich Beiderbeck die außenpolitischen Beziehungen zwischen Frankreich und den protestantischen Ständen des Heiligen Römischen Reiches im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert. Die Studie ist das Ergebnis eines Forschungsvorhabens über „Die protestantische Union, das Reich und Westeuropa“, das an der Ludwig-Maximilians-Universität München durchgeführt und von der Volkswagen-Stiftung gefördert wurde. Die Fakultät für Geschichtswissenschaften der Ruhr-Universität Bochum nahm die Arbeit im Wintersemester 1998/99 als Dissertation an. Für die Drucklegung wurde sie gekürzt und der Forschungsstand bis zum Herbst 2004 eingearbeitet.

Die internationalen Beziehungen während der Regierungszeit Heinrichs IV. (1589-1610) sind nur unzureichend erforscht, denn im Mittelpunkt der Historiographie standen meist entweder die habsburgisch-französischen Auseinandersetzungen unter Karl V. oder der Dreißigjährige Krieg. Dabei bildet die Zeit Heinrichs IV. eine zentrale Phase der europäischen Geschichte, in der Konfessionalisierung und religionspolitische Auseinandersetzungen viele im Entstehen begriffene Staatswesen zu Neuformierungs- und Abgrenzungsprozessen zwangen, mit nachhaltigen Auswirkungen auf das europäische Mächtesystems und die internationalen Beziehungen.

Die Erkenntnisinteressen der Arbeit sind breit gefächert und konzentrieren sich auf aktuelle Leitfragen der Forschung: 1. die Verzahnung von Religion und Politik, insbesondere die Auswirkung von Konfessionalisierungsprozessen auf die konzeptionelle Gestaltung von Außenpolitik und die Formierung des internationalen Systems, 2. die innenpolitischen Voraussetzungen außenpolitischer Aktivität, 3. die maßgeblichen Faktoren der Ausbildung des pluralistischen und kompetitiven Staatensystems und 4. zeitgenössische Wahrnehmungsmuster des europäischen Mächtesystems und ihre handlungsleitende Bedeutung.

Die Gliederung ist systematisch-chronologisch: Nach einem einleitenden Kapitel, in dem der Verfasser den Forschungsstand und die Erkenntnisinteressen darlegt, werden in Kapitel 2 die allgemeinen Voraussetzungen der französischen Außenpolitik erörtert. Ausgehend von der tiefen, durch den Konfessionskonflikt ausgelösten inneren Krise des französischen Königreichs, untersucht Beiderbeck die theoretisch-ideologischen Grundlagen, die Ziele von Heinrichs Politik sowie die Propaganda des protestantischen Lagers. Unübersehbar ist dabei seine Ablehnung eines universalistischen Konfessionalisierungskonzepts, wie man es in der Casa de Austria verkörpert sehen kann. Stattdessen findet Beiderbeck im Beraterumfeld Heinrichs, etwa bei dem Politiker und Publizisten Philippe Duplessis-Mornay, bereits in den 1580er-Jahren Ansätze einer Wahrnehmung der europäischen Staatenwelt als ein „interessenpolitisch gesteuertes säkulares Gleichgewichtssystem“ (S. 74). Kapitel 3 dreht sich um den Themenkomplex „Bellizität, Diplomatie und Kooperation“. Der Verfasser untersucht hier die Kriegsproblematik als fundamentalen Ausdruck der Verknüpfung von Staatsbildungsprozessen mit Konfliktformationen der europäischen Staatenwelt. Dabei zeigt er, wie die mittelalterliche Universalordnung schrittweise zerbrach und sich das Staatensystem neu ordnete: „Die offene oder schleichende Auflösung der traditionalen universalen Bezugssysteme forcierte einen Vergewisserungsprozeß, der nach einem europäischen Kräftegleichgewicht, nach der Stabilität der fürstlichen Legitimität und der Gültigkeit der bestehenden politischen und konfessionellen Ordnungsprinzipien im Reich als der Grundlage einer Neugestaltung Europas strebte.“ (S. 148) Kapitel 4 beschäftigt sich mit der Wahrnehmung des Reiches in Frankreich und mit den ideologischen Grundlagen der französischen Reichspolitik bis 1598. Während Frankreich den Türkenkrieg instrumentalisierte, um ein ausgewogenes Mächteverhältnis herzustellen, wünschten die protestantischen Stände dessen Beendigung, da in ihren Augen die äußere Bedrohung die Stellung des Kaisers im Reich festigte. Der Verfasser verweist dabei auf die Bedeutung der Konstruktion von Bedrohungsszenarien sowie die Instrumentalisierung nationaler Stereotype und Vorurteile im außenpolitischen Diskurs. In der Kooperation Heinrichs mit den Reichsständen sei zu erkennen, dass der König die Rolle eines Arbiters beanspruchte und daraus eine Vorrangstellung unter den weltlichen Herrschern ableitete. Damit bestätigt der Verfasser Erkenntnisse, die bereits Christoph Kampmann in seiner Habilitationsschrift gewonnen hatte. 3

Im Mittelpunkt von Kapitel 5 steht die Verwicklung Frankreichs in die konfessionellen und ständepolitischen Auseinandersetzungen im Reich gegen Ende des 16. Jahrhunderts. Dabei wird deutlich, wie tief Frankreich in diese Auseinandersetzungen verstrickt war und dass sich die Herrschaftsvorstellungen Heinrichs von denjenigen seiner habsburgischen Kontrahenten grundsätzlich unterschieden. Nach 1598 verschärfte sich die Reichskrise weiter. In diesem Zeitraum, der in Kapitel 6 abgehandelt wird, änderte sich die französische Außenpolitik. Hatte man sich früher um eine Integration der protestantischen Stände in eine umfassende antihabsburgische Allianz bemüht, war nun beabsichtigt, die Stände zur Bildung eines innerdeutschen Sonderbundes zu animieren. Als hilfreich erwies sich dabei der Einfall spanischer Truppen am Niederrhein und in Westfalen. Problematisch waren hingegen die hohen Schulden Frankreichs bei den Ständen und die unterschiedlichen Ansichten über den Nachfolger Rudolfs II. als Reichsoberhaupt. Kapitel 7 untersucht die französische Politik im Jülich-Klevischen Erbfolgestreit (1609-1610), eine auf den Dreißigjährigen Krieg voraus weisende internationale Krise, in der sich dynastisch-territoriale, konfessionelle, reichspolitisch-verfassungsrechtliche und hegemoniale Konfliktlinien überschnitten.

Eindeutig zu erkennen ist dabei ein aggressiver, auf Eskalation angelegter Grundzug der französischen Politik, die in dieser Zeit nicht, wie in der Forschung immer wieder behauptet, auf Friedenssicherung oder Ausgleich bedacht war. Stattdessen beabsichtigte Heinrich, die protestantischen Stände in ihren libertären Bestrebungen zu unterstützen und Spanien aus der Region zu verdrängen. Im Vordergrund seiner Interventionspolitik standen weltliche Begründungszusammenhänge, welche die Gültigkeit von Fürstenlegitimität und dynastischem Erbrecht gegenüber dem konfessionellen-machtpolitischen Universalismus des Hauses Habsburg betonten.

Der Verfasser kommt zu dem Schluss, dass sich die bestimmenden Fundamentalprozesse der Epoche – Konfessionalisierung, religiöse Pluralisierung, Staatsbildung, Ausbildung eines kompetitiven und pluralistischen Mächtesystems – teilweise überlagerten, aber nicht völlig deckten. Die Konfession wirkte als ordnungsmächtiger und konfliktverstärkender Faktor, trat jedoch gegenüber den Interessen von Staat und Dynastie eher in den Hintergrund. Die Reichsstände müssen in dem entstehenden internationalen System als selbständiger Akteur verstanden werden. Die machtpolitische Dynamik fand im Gegensatz zweier rivalisierender Ordnungsvorstellungen – Universalismus und Hegemonie auf der einen Seite, Pluralismus und Partikularität auf der anderen – einen deutlich sichtbaren Ausdruck. Angehörige der politischen Elite Frankreichs interpretierten Europa als „ein im wesentlichen bipolares Gebilde“ (S. 455) und stellten die französische Reichspolitik als Alternative zum habsburgischen Universalismus dar. Zu diesem Zweck stützten sie sich auf die Gleichgewichtsidee, die zumindest phasenweise „zentrale Bedeutung“ (S. 55) erlangte und zugleich als Beleg für ein stärker säkular-interessengeleitetes außenpolitisches Handeln verstanden muss. Viele reichsständische Akteure traten ebenfalls gegen eine imperiale oder hegemoniale Struktur des Mächtesystems an und wünschten sich statt dessen eine Gleichheit der Macht zwischen Frankreich und Spanien. Das Denken in Kategorien eines Kräftegleichgewichts – durch Verwendung des Begriffs „Gleichgewicht“ eindeutig belegt – spielte somit im späten 16. und frühen 17. Jahrhundert eine wesentlich bedeutendere Rolle, als die Forschung bislang meinte.

Als Resümee ist festzuhalten, dass der Verfasser eine methodisch reflektierte, systematisch angelegte Studie vorgelegt hat, deren Erkenntnisse nicht nur für die Beziehungen Frankreichs zu den protestantischen Reichsständen, sondern für die gesamte Geschichte des europäischen Mächtesystems im 16. und 17. Jahrhundert ausgesprochen wertvoll sind. Die Verknüpfung der Außenpolitik mit den inneren Verhältnissen des Landes wird überzeugend aufgezeigt und macht jede Diskussion über den Primat des einen oder anderen Bereichs obsolet. Besonders hervorzuheben sind die Einbeziehung mentalitätsgeschichtlicher Perspektiven, die zur Analyse von Feindbildern und Fremdperzeptionen führt, sowie die konsequente Berücksichtigung der zeitgenössischen Wahrnehmung, wodurch die Bedeutung des Gleichgewichtsdenkens dieser Zeit ans Tageslicht tritt. Das alles wird gut lesbar und auf breiter Quellenbasis dargeboten, denn der Verfasser wertete für seine Studie umfangreiches gedrucktes und ungedrucktes Material aus zahlreichen Archiven in Deutschland und Frankreich aus.

Anmerkungen:
1 Dülfer, Jost, Rezension von: Conze, Eckart; Lappenküper, Ulrich; Müller, Guido (Hrsg.), Geschichte der internationalen Beziehungen. Erneuerung und Erweiterung einer historischen Disziplin, Köln u.a. 2004, in: sehepunkte 4 (2004) Nr. 9 [14.05.2007], URL: http://www.sehepunkte.de/2004/09/6404.html.
2 Vgl. den Forschungsüberblick von Kugeler, Heidrun; Sepp, Christian; Wolf, Georg, Einführung: Internationale Beziehungen in der Frühen Neuzeit. Ansätze und Perspektiven, in: Dies. (Hrsg.), Internationale Beziehungen in der Frühen Neuzeit. Ansätze und Perspektiven, Münster 2006, S. 9-35.
3 Vgl. Kampmann, Christoph, Arbiter und Friedensstiftung. Die Auseinandersetzung um den politischen Schiedsrichter im Europa der Frühen Neuzeit, Paderborn u.a. 2001.

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