A. Thompson: Britain, Hanover and the Protestant Interest, 1688-1756

Cover
Titel
Britain, Hanover and the Protestant Interest. 1688-1756


Autor(en)
Thompson, Andrew C.
Reihe
Studs Early Modern Cultural Political Social History
Erschienen
Cambridge 2006: Boydell & Brewer
Anzahl Seiten
256 S.
Preis
€ 81,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Matthias Pohlig, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Die Debatten, die außenpolitische Beobachter heute führen, interessieren auch Historiker, die sich mit dem 18. Jahrhundert befassen: Geht es um Religion? Oder in Wahrheit um wirtschaftliche und strategische Interessen? Diesen Fragen nachgehend, verfolgt Andrew Thompson in seinem aus einer Cambridger Dissertation hervorgegangenen Buch die Interventionen Großbritanniens in die kontinentaleuropäische Politik im Zeitraum zwischen Glorious Revolution und Siebenjährigem Krieg. Sein primäres Untersuchungsfeld sind dabei nicht die besser erforschten außenpolitischen Beziehungen wie etwa jene zu Frankreich, sondern die Politik Englands und Hannovers innerhalb des Reiches.

Thompson vertritt drei Thesen, die er deutlich (manchmal überdeutlich) markiert: Erstens, dass Religion auch nach 1648 einen wesentlichen Faktor innerhalb der europäischen Außenpolitik darstellte; generell bedeute dies, dass zumindest die britische Politik „on ideas, not just immediate interests“ beruhte (S. 229). Thompson wendet sich damit wie eine Reihe anderer jüngerer Historiker gegen eine „realistische“ Orthodoxie der Diplomatiegeschichte. Seine These der außenpolitischen Bedeutung der Religion sucht er am Beispiel des „protestant interest“ als Leitidee der britischen Politik bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts zu belegen. Die zweite These zielt auf die „European identity“ (S. 236) Großbritanniens, das im 18. Jahrhundert eben nicht nur eine überseeische „blue-water policy“ und den außenpolitischen Primat des Handels vertrat, sondern der kontinentalen Politik einen ebenso großen Stellenwert einräumte. Drittens wertet Thompson für den Bereich der Reichspolitik Kurhannover als Schutzmacht des deutschen Protestantismus gegenüber dem von der Geschichtsschreibung traditionell in den Vordergrund gerückten Preußen auf.

Das Buch beginnt mit einem Kapitel über die konzeptionellen Probleme von ‚balance of power’ und Universalmonarchie und deren Verhältnis zum „protestant interest“ der britischen Außenpolitik. Dem folgt ein Abriss über die britische Außenpolitik von der Glorious Revolution bis 1714, also in der Zeit der antiludovizianischen Kriege bis zur hannoverschen Erbfolge. Daran anschließend untersucht Thompson einige Krisen innerhalb der Reichspolitik: die Pfälzer Religionsstreitigkeiten, die sich seit 1719 am Pfälzer Katechismus und dem Simultaneum der Heidelberger Heiliggeistkirche entzündeten und darüber hinaus den Streit um die Rijswijker Klausel von 1697 neu anfachten, die den konfessionellen Status quo der von Frankreich zurückgegebenen rechtsrheinischen Gebiete garantierte. Ferner geht es um das Eingreifen der deutschen Protestanten in die Krise um das „Thorner Blutgericht“ von 1724, um die Initiativen Georgs II. zugunsten der 1731 vertriebenen Salzburger Protestanten und um das Problem des (Nicht-)Eingreifens Englands in den Polnischen Thronfolgekrieg, wobei Thompson die Bedeutung Walpoles zugunsten des Königs relativiert. Untersucht wird schließlich der Zeitraum von der Krise des Reichs in den 1740er Jahren bis zum Ausbruch des Siebenjährigen Krieges – ein Zeitraum, für den Thompson einen Niedergang des „protestant interest“ konstatiert.

Thompson stützt sich vor allem auf die Akten des Hauptstaatsarchivs Hannover, erweitert diese Quellengrundlage aber durch gedruckte Predigten und Pamphlete, die den Öffentlichkeitsaspekt einer „political culture of diplomacy“ (S. 3) beleuchten. Überzeugend kann er zeigen, dass eine Analyse der britischen Politik, die auf rein wirtschaftlichen und machtpolitischen Erwägungen beruhte, zu kurz griffe. Überzeugen kann auch sein Plädoyer dafür, die Politik der verschiedenen Teile der „composite monarchy“ England-Hannover nicht zu weit auseinanderzudividieren und damit der „European identity“ Englands im 18. Jahrhundert größere Aufmerksamkeit zu schenken. Wichtig ist schließlich sein Hinweis auf die Rolle der Religion in der öffentlichen Debatte, aber auch in den Aussagen der Entscheidungsträger; auch wenn es sich hier oft um Rhetorik handelte, könne man daraus doch viel über das öffentliche Meinungsklima der britischen Gesellschaft zu Beginn des 18. Jahrhunderts erfahren, wobei der konkrete Zusammenhang zwischen öffentlicher Meinung und politischen Entscheidungen letztlich unklar bleibt.

Eine Würdigung dieser beeindruckenden Untersuchung kann nicht umhin, auch auf einige Probleme hinzuweisen. Dass die Kritik sich in einigen Punkten mit der Perspektive der von Thompson so harsch kritisierten traditionellen Position deckt, ist dabei nicht zu ändern: So scheint es auch nach Thompsons Untersuchung zweifelhaft, ob die hannoversche Selbstwahrnehmung als „premier power of north Germany“ (S. 22) sich auch nur mittelfristig hat durchsetzen können. Sicher ist die Preußenfixiertheit der älteren Historiographie zu überwinden, aber die eminente Rolle Preußens in der Politik des Reichs bereits vor Friedrich dem Großen, etwa im Corpus Evangelicorum, scheint dennoch unbestreitbar. Dass in der Pfälzer Religionskontroverse die Initiative oft von Hannover ausging, sieht auch die Literatur zum Reich; 1 es wäre aber zu fragen, ob der hannoversche Reichstagsgesandte Wrisberg hier nicht einen Einzelfall darstellte. Und wenn Thompson die fraglos größere Zahl der Salzburger Vertriebenen, die von Preußen aufgenommen wurden, mit dem Hinweis auf eine Abmachung zwischen Friedrich Wilhelm I. und Karl VI. um die Anerkennung der Pragmatischen Sanktion als machtpolitischen Schritt relativiert (S. 166), so mag dies zwar zutreffen; dass preußische Protektionspolitik für den Protestantismus lediglich konfessionell motiviert war, wird aber ohnehin niemand behaupten.

Ein zweiter Kritikpunkt betrifft einige von Thompsons zentralen Begriffen: „Britain“ etwa als mehr oder minder zeitenthobenes, statisches Politiksubjekt. Vor allem aber die theologische Unterbestimmtheit des Protestantismusbegriffs: Eine Untersuchung der englisch-kontinentalen Beziehungen auch die religiösen Verbindungen etwa zwischen England und dem deutschen Pietismus einbeziehen könnte, muss man zwar in einer politikgeschichtlichen Studie nicht unbedingt erwarten muss. Doch zumindest das Problem des Austarierens des „protestant interest“ zwischen Anglikanern, Dissenters, hannoverschen Lutheranern und anderen Denominationen hätte größere Aufmerksamkeit verdient. Dieser Mangel ist ein Indiz für den völlig politisch verstandenen Begriff des „protestant interest“: Thompson möchte zeigen, dass „der britische Protestantismus“ der späteren Frühneuzeit zunehmend von Religionspolemik abließ und sich einen sachlichen, „politischen“ Anstrich gab. „Protestantism could best be defended pragmatically, by avoiding outright confessional conflict but insisting on the preservation of religious and legal rights“ (S. 141). Wenn dies zutrifft, stellt sich jedoch die Frage, ob dann die Übergänge zu einer rein machtstaatlichen Politik nicht fließend sind.

Hinsichtlich der Beweisführung darf zudem nicht vergessen werden, dass Thompson eine gezielte Vorauswahl der außenpolitischen Themenfelder trifft – in Gestalt eben gerade der religiösen Krisen der Reichspolitik. Zugegeben, Religion war hier gerade wegen ihres rechtlich fixierten Status auch weiterhin häufig Ansatzpunkt für Konflikte, wie zahlreiche Studien zur Reichspolitik hervorheben. Doch erscheint es wiederum nur als natürlich, dass die englischen Monarchen in den Religionskrisen des Reiches als konfessionelle Schutzmacht auftraten. Zu fragen wäre daher, ob man so etwas wie ein „protestant interest“ auch in nichtreligiösen Krisen, etwa im Streit um die Ostende-Kompanie, zu fassen bekäme.

„Historians become trapped by their own notions of periodisation“ (S. 67): Die traditionelle Sicht einer Säkularisierung der Politik nach 1648 sei, so Thompson, weitgehend ein Mythos. Dass dies für die Reichsgeschichte wenigstens partiell zutrifft, ist unbestritten; für das internationale System im 18. Jahrhundert scheint es – bei aller Anerkennung des Faktors Religion – übertrieben, es in die Nähe des konfessionellen Zeitalters zu rücken, wo Konfession tatsächlich als tragende Strukturachse des Systems erscheint. 2 Wenn Religion eine Säule der englischen Außenpolitik war, warum dann immer wieder Allianzen mit Wien? Und warum sollte umgekehrt die Politik eines „protestant interest“ just in dem Moment verschwinden, als durch den „renversement des alliances“ sich erstmals politische Gegnerschaften mit konfessionellen Konfliktlinien deckten?

Thompson weiß um diese Probleme, verschenkt aber manche Differenzierung zugunsten seiner weitreichenden Thesen. Dennoch ist das Buch, gerade wegen seiner klaren und offensiven Aussagen, ein Gewinn für die Frühneuzeitforschung: Es fordert Reichshistoriker dazu auf, die Rolle Hannovers schärfer zu beleuchten; es fordert Englandhistoriker auf , sich von isolationistischen Klischees zu befreien; und es fordert schließlich Frühneuzeithistoriker allgemein dazu auf, die politische Bedeutung von Religion auch für die Periode nach 1648 genauer zu untersuchen.

Anmerkungen:
1 Vgl. Schmidt, Georg, Geschichte des Alten Reiches. Staat und Nation in der Frühen Neuzeit 1495-1806, München 1999, S. 252.
2 Vgl. jetzt: Schilling, Heinz, Konfessionalisierung und Staatsinteressen (1559-1659), (Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen 2), Paderborn u.a. 2007.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension