H. Barmeyer (Hrsg.): Hannover und die englische Thronfolge

Cover
Titel
Hannover und die englische Thronfolge.


Herausgeber
Barmeyer, Heide
Reihe
Hannoversche Schriften zur Regional- und Lokalgeschichte 19
Erschienen
Anzahl Seiten
242 S.
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Alexander Schunka, Historisches Institut, Abteilung für Geschichte der Frühen Neuzeit, Universität Stuttgart

Mit dem „Act of Settlement“ hatte sich im Jahre 1701 das englische Parlament endgültig auf die Kurfürstin Sophie von Braunschweig-Lüneburg und ihre protestantischen Nachfahren als Thronfolger auf der Insel festgelegt. Dies war nötig geworden, nachdem im Gefolge der „Glorious Revolution“ das englische Königtum mit dem protestantischen Bekenntnis verknüpft worden war und weder Wilhelm III. noch seine Schwägerin, die spätere Königin Anna, über Nachkommen verfügten – Annas einziger Sohn, der Herzog von Gloucester, war im Jahre 1700 im Alter von elf Jahren verstorben. Um die exilierten katholischen Stuarts von der Thronfolge auszuschließen, entschied man sich für die Familie der Hannoveranerin Sophie, die als Tochter der „Winter Queen“ Elisabeth Stuart ursprünglich nur an entfernter Stelle der Thronfolge gestanden hatte. Daraus sollte schließlich die Personalunion zwischen einem norddeutschen Reichsstand und dem aufstrebenden British Empire entstehen, die von 1714 bis 1837 Bestand hatte. Genauer nachzulesen sind diese Vorgänge in der maßgeblichen Darstellung Georg Schnaths. 1

Der vorliegende Band möchte die Hintergründe der Sukzession auf rund zweihundert Seiten aus Hannoveraner Sicht beleuchten. Er ist entstanden aus einer Vortragsreihe im Anschluss an das dreihundertjährige Jubiläum des „Act of Settlement“ im Jahre 2001. Die zehn Beiträge von durchaus unterschiedlicher Ausrichtung und Qualität beziehen sich zeitlich teils auf das 17. Jahrhundert, teils auf die unmittelbare Vorgeschichte der Sukzession, teils aber auch auf die Zeit der Personalunion allgemein.

Das Kapitel der Herausgeberin geht auf die politischen Ursachen und Hintergründe ein, die zur Personalunion führten. Es gelangt allerdings ebenso wenig über Schnaths Darstellung hinaus wie die Aufsätze von Stephanie Heilemann zum politischen Wirken der Kurfürstin Sophie von Hannover und von Anne-Kathrin Härtrich zur Rolle ihres Sohnes Georg Ludwig in der Sukzessionsfrage. Verdeutlicht wird immerhin das Dilemma Sophies zwischen der Liebe gegenüber all ihren Söhnen und der notwendigen Bevorzugung des Erstgeborenen im Zuge der Hannoveraner Primogeniturregelung, die die Kurfürstenwürde ermöglichen sollte. Ferner geht es um Sophies Skepsis gegenüber der Rolle des englischen Parlaments bei den Sukzessionsverhandlungen und schließlich um den politischen Spagat Georg Ludwigs, der weder gegenüber England in eine Rolle des Bittstellers verfallen wollte noch den Anschein erwecken durfte, als würde er die Aussicht auf den englischen Thron zu gering schätzen.

Zwei interessante Beiträge widmen sich wichtigen Zeitgenossen der Sukzession, die entweder als Beobachter die Ereignisse scharfzüngig kommentierten, wie Liselotte von der Pfalz am französischen Hof, oder aber mehr oder weniger erfolgreich in die Sukzessionspolitik eingriffen, wie Gottfried Wilhelm Leibniz. Nora Gädeke plädiert dafür, Leibniz’ Agieren für die Sukzession in den Jahren vor 1714 im Rahmen seiner politisch-publizistischen Möglichkeiten als fruchtbaren Prozess zu interpretieren und seine Leistungen als „Mann des brainstorming“ (S. 178) nicht zu vernachlässigen, auch wenn er letztlich persönlich scheiterte. Gerd van den Heuvel arbeitet am Briefwechsel zwischen Kurfürstin Sophie und ihrer Nichte Liselotte von der Pfalz heraus, wie stark die Kurfürstin zwischen der Hochschätzung der Stuart-Dynastie (und damit auch der Jakobiten) und den Interessen einer protestantischen Sukzession Hannovers in England hin- und hergerissen war.

Mit der urbanen Infrastruktur des werdenden Kurfürstentums Hannover befassen sich zwei weitere Artikel. Carl-Hans Hauptmeyer thematisiert die Bedeutung der Residenzstadt um 1700, die zwar mit einer Metropole wie Hamburg kaum mithalten konnte, aber durchaus einen bedeutenden Platz in der norddeutschen Städtelandschaft inne hatte. Dazu trug nicht zuletzt das lange unterschätzte Bauprogramm Georg Ludwigs alias Georgs I. bei, das von Bernd Adam beschrieben wird. So beförderte etwa der Ausbau der Schlossanlage Herrenhausen die Weltläufigkeit der Residenzstadt und ihres Umfelds, was die nötigen Investitionen, das internationale Baupersonal und die öffentliche Wirksamkeit anging.

Zwei Beiträge beschäftigen sich mit der Hannoveraner Wirtschaft. Während sich Karl Heinrich Kaufhold der territorialen Wirtschaftsstruktur unter dem Eindruck der kostspieligen neu erworbenen neunten Kurwürde widmet, geht Udo Obal auf die internationalen Verflechtungen der Wirtschaftspolitik Kurhannovers vor dem Hintergrund der Personalunion ein. Er schildert die Bedeutung des Territoriums als ‚Transitland’ im Übergang zur Marktökonomie, wobei allerdings die Verwendung des Begriffs ‚Globalisierung’ etwas unklar bleibt – ‚globale’ Verflechtungen der Hannoveraner Wirtschaft etwa über den Umweg der veränderten Englandbeziehungen um 1714 werden jedenfalls kaum angesprochen.

Der Band verzichtet auf eine chronologische Anordnung der Aufsätze. Er spannt vielmehr den Bogen in nicht immer nachvollziehbarer Weise von wirtschaftlichen Zusammenhängen über biographische Abrisse bis zu architekturhistorischen Fragen. So steht an dritter Stelle der Aufsatz zur Residenzstadt Hannover, an zehnter und letzter Position derjenige zu den dortigen Residenzbauten. Hätte sich eine logische Anordnung der Aufsätze wohl recht mühelos bewerkstelligen lassen, so herrscht hinsichtlich der behandelten Themen eine ähnliche Beliebigkeit vor. Der vorletzte Beitrag des Bandes etwa, der zeitlich ins 17. Jahrhundert zurückspringt und die katholisch-protestantischen Reunionsgespräche in Niedersachsen von Calixt bis Spinola erörtert, wiederholt bereits Bekanntes. 2 Zudem vermisst man Bezüge zur Gesamtthematik, die sich problemlos hätten herstellen lassen: Immerhin rief ein katholikenfreundliches Gutachten irenisch gesinnter Helmstedter Theologen noch in den Jahren 1707/08 eine handfeste Krise in England hervor, weil man plötzlich die Glaubenstreue der Hannoveraner anzweifelte. Dies lässt sich in Georg Schnaths Lebenswerk nachlesen, der vierbändigen, quellengesättigten Geschichte Hannovers zwischen neunter Kur und englischer Sukzession. Diejenigen Artikel des Bandes, die dem Rahmenthema der Sukzession am nächsten stehen, bieten über weite Strecken eine Schnath-Exegese; andere Beiträge, die sich nicht mit Schnath auseinandersetzen, passen oft nur bedingt zum Thema.

Natürlich kann man von einem kleinen Format wie dem vorliegenden Band keinen umfassenden Überblick erwarten. Dass zentrale Themen – Konfessionsverhältnisse, Verwaltung, Militär, Zeremoniell und symbolische Politik, Prestige und Kosten der neunten Kur, Widerspiegelung der Sukzession in Gesellschaft und öffentlicher Meinung – gar nicht oder allenfalls am Rande angesprochen werden, wäre zu verschmerzen, wenn die vorhandenen Beiträge über mehr Innovationspotential verfügten. Ein genauerer Blick hätte vielleicht zeigen können, dass die mitunter vertretenen schablonenartigen Vorannahmen, die hin und wieder geradezu gebetsmühlenartig den Kontrast zwischen Hannover und England betonen (hier ein ständisch geprägtes Staatswesen auf dem Weg zu Primogenitur und Absolutismus, dort ein ausgereiftes, ‚modernes’ parlamentarisches System – hier Mittelstaat, dort Weltreich und so weiter) sich nicht immer in dieser Deutlichkeit aufrecht erhalten lassen. So war es ausgerechnet der aus kontinentaleuropäischer, angeblich dynastischer Rückständigkeit kommende Georg I., der in England zeremonielle Traditionen beendete, die zum Teil gerade erst unter Königin Anna restauriert worden waren: etwa das königliche Handauflegen mit all seinen politisch-theologischen Implikationen. Auch kam Georg I. als englischer König mit der dortigen Regierung und Verwaltung besser zurecht, als man dies nach Maßgabe der kolportierten Dichotomien hätte erwarten dürfen. Die Beiträge eines fast gleichzeitig erschienenen, am Deutschen Historischen Institut Warschau entstandenen Bandes zu Personalunionen im Vergleich bieten oftmals weitergehende Überlegungen zum Thema; 3 den Aufsatz von Heide Barmeyer aus dem vorliegenden Werk findet man dort allerdings in identischer Form wieder, was die Sinnhaftigkeit des hier besprochenen Unternehmens nicht gerade stärkt.

Bereits die Einleitung weist darauf hin, dass die versammelten Beiträge „nach Anspruch und Stil sehr unterschiedlich“ (S. 7) seien. Dass sich diese Unterschiede offenbar für den Druck nicht mehr ausgleichen ließen, sondern stattdessen die Qualität einiger Beiträge in der Einleitung gleichsam mit Zensuren der Herausgeberin versehen werden, wirkt befremdlich (S. 13; S. 15). Zur Hannoveraner Politik und Gesellschaft um 1700 war Schnaths Geschichte bislang kaum etwas hinzuzufügen. Daran ändert auch der vorliegende Band wenig.

Anmerkungen:
1 Schnath, Georg, Geschichte Hannovers im Zeitalter der neunten Kur und der englischen Sukzession 1674-1714. Georg Ludwigs Weg auf den englischen Thron. Die Vorgeschichte der Thronfolge 1698-1714, Bd. 4, Hildesheim 1982.
2 Otte, Hans; Richard Schenk (Hrsg.), Die Reunionsgespräche im Niedersachsen des 17. Jahrhunderts. Rojas y Spinola – Molan – Leibniz, Göttingen 1999.
3 Rexheuser, Rex (Hrsg.), Die Personalunionen von Sachsen-Polen 1697-1763 und Hannover-England 1714-1837. Ein Vergleich, Wiesbaden 2005.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch