Cover
Titel
Privat-Vorstellung. Heimkino in Deutschland vor 1945


Autor(en)
Roepke, Martina
Anzahl Seiten
236 S.
Preis
€ 24,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Annette Deeken, FB II - Medienwissenschaft, Universität Trier

Entgegen dem Titel geht es in dem vorliegenden Band nicht generell um private Filmvorführungen. Wie schon der Begriff Heimkino anzeigt, steht das Zeigen und Betrachten von Filmen in Privaträumen in enger Beziehung zum professionellen Kino: Es ist zu weiten Teilen eine Verkleinerungsform des so genannten großen Kinos. Bevor dieses geboren war, gab es bereits eine Vielzahl von Firmen, die Filme an Privatkunden verkauften oder, seltener, Filme zur Ausleihe anboten. Selbst für heute so exotische Betrachtungsgeräte wie Mutoskop oder Kammatograph gab es in früheren Tagen der Filmgeschichte industriell hergestellte Bewegbilder, die im privaten Rahmen betrachtet werden konnten.

Die Dissertation von Martina Roepke streift diese dominante Praxis des Heimkinos nur am Rande und setzt die private Vorführpraxis bis auf wenige Bemerkungen gleich mit der spezifischen Anwendungsform des Amateurfilms, also selbstgedrehten Streifen. Im medienwissenschaftlichen Kontext wurde dieser Spezies bislang nur spärliche Aufmerksamkeit zuteil, woraus sich beileibe nicht schließen ließe, es handele sich dabei um ein simples Gegenstandgebiet. Im Gegenteil, dies merkt man bei der Lektüre der vorliegenden Studie, hat die Mediengeschichtsschreibung es bei Amateurfilmen mit einem ausgesprochen komplexen Bereich zu tun, für den die adäquate Art des Zugriffs wohl erst noch gefunden werden muss. Schon der filmische Bestand, der als Quellenmaterial dienen könnte, ist ungleich geringer als der des etablierten Kinowesens, denn in Deutschland gibt es bis heute keine zentrale Institution, die sich dieses Teils des kollektiven Gedächtnisses annehmen würde, im Unterschied zu Luxemburg, den Niederlanden und den französischen Regionalarchiven. Geht es, wie im vorliegenden Fall, um den Zeitraum vor 1945, schrumpft der filmhistorische Bestand, auf den die Amateurfilmforschung zugreifen könnte, in besonderem Maße. Dieser eklatante Materialmangel erklärt sich, neben kriegsbedingten Verlusten, vor allem aus der historischen Trennung von speziell an den Amateur adressierten Schmalfilmformaten und professionellem 35mm-Film, womit Heimkino und öffentliches Kino zu inkompatiblen Veranstaltungsräumen wurden. Dieses Phänomen wiederum wirkte auf die öffentliche Wertschätzung von Schmalfilmen, jedenfalls soweit sie von Amateuren belichtet wurden, negativ zurück.

Historisch gesehen setzte die Etablierung eines separaten Marktes für Amateurfilmer in den 1920er-Jahren ein. Eine Art Vorspiel dazu bildete, wie Martina Roepke darlegt (S. 40ff.), das Schmalfilmangebot der Dresdener Firma Ernemann in den Jahren 1903 bis 1908. Das Defizit an historischen Filmquellen konnte natürlich auch die vorliegende Studie nicht beheben, denn es wäre schon Aufgabe der Filmarchive, sich um die Sicherung der Amateurfilme zu kümmern. Als Materialbasis dienten Martina Roepke aber immerhin gut ein Dutzend Filme, die der Südwestrundfunk gesammelt hat, sowie zehn Filme aus dem Archiv des Bundes Deutscher Film-Autoren in Jülich und einige Kompilationen für das Fernsehen, die vor allem mit dem Namen Michael Kuball verbunden sind, der 1980 das bis heute gültige Standardwerk zur Geschichte des Familienkinos in Deutschland vorgelegt hat, auf das auch die Autorin vielfach zurückgreift. 1 Neuere Filmeditionen wie die vom Deutschen Institut für Filmkunde edierten Amateurfilme des Leica-Erfinders Oskar Barnack, die im Krieg gedrehten Filme der Dortmunder Amateurfilmerin Elisabeth Wilms oder die privaten Filme Eva Brauns, die seit zwei Jahren auf DVD vorliegen, wurden nicht zur Kenntnis genommen.

Das Buch, gegliedert in fünf Kapitel, will sowohl ein „systematischer Beitrag zu einer Theorie des privaten Films und seiner darstellerischen Praktiken“ sein als auch ein „Beitrag zur Mediengeschichtsschreibung“ (S. 9). Aus diesem Anspruch ergeben sich methodologisch zwei völlig disparate Zugänge, die jedenfalls aus medienhistorischer Sicht vielfältige Probleme aufwerfen und zu einem sehr unbefriedigenden Resultat führen. Als „Kernstück“ (S. 34) der Arbeit sieht die Autorin ihr Kapitel über das „Heimkino als Ensemblespiel“ (S. 105ff.)an, in dem der Akt des Filmens als Gruppenprozess, das Agieren von Familien am Set als Rollenspiel und deren Instrumentarium der Selbstinszenierung ausgeführt werden. Im Zentrum der Betrachtung stehen also die komplexen Aufführungsbedingungen, soweit diese am unmittelbaren filmischen Text ablesbar sind in Form von Blicken, Gesten, stummen Dialogen zwischen Kameraführung und Gefilmten. Diese strategische Sichtweise auf den Familienfilm unter der Perspektive seiner Entstehung ist im wesentlichen bereits etabliert durch die Studie von Familienfilmen, die Alexandra Schneider vor zwei Jahren unter dem Titel „Die Stars sind wir“, gleichfalls eine Dissertation, vorgelegt hat. 2 Zudem wirkt die ermüdend häufig wiederholte Abstraktion, „Heimkino als mediale Praxis ist eine Gruppenaktivität, die sich unter spezifischen Bedingungen vollzieht“ (S. 162), merkwürdig blass in Anbetracht des Umfeldes, denn die filmische Praxis wurde, wie die Autorin betont, anhand von Familienfilmen herauspräpariert, die zur Zeit des Nationalsozialismus entstanden. Hier hätte die Autorin sicher gut daran getan, der Frage, wie das Private zum herrschenden Regime stand, grundlegend nachzugehen.

Kompensiert wird dieses empfindliche Defizit leider nicht durch die nachfolgenden drei Fallstudien (S. 169ff.), die den historischen Ort der Filme auf die beklemmende Nähe „zwischen kleinem Glück und großer Katastrophe“ (S. 9) reduzieren. Ausgewählt wurden „Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus“, ein 8mm-Film von 1937, der die Geburt des ersten Kindes thematisiert, sodann „Eine Nacht und ein Morgen“ aus demselben Jahr, der auf spielerische Weise das konventionelle Ideal bürgerlichen Familiendaseins darstellt. Leider ist dieser Film im Quellennachweis (S. 218ff.) gar nicht aufgeführt. Das dritte und sicherlich extremste Beispiel, das in „Montage/Av“ bereits 2001 vorgestellt wurde, ist der titellose Film von 8 Minuten Länge über eine Familie bei der Luftschutzübung mit Gasmasken und beim Luftalarm im Keller. 3 Alle drei Beispiele repräsentieren gerade nicht den typischen Familienfilm, dessen Kennzeichen die selbstgenügsame, unstrukturierte Sammlung von ausgesuchten, glückhaften Momenten der bürgerlichen Biografie ist und für den „die Idee der Ungestaltetheit der Filme eine entscheidende Rolle“ (S. 22) spielt. Sie entstanden vielmehr „im Kontext des ambitionierten Amateurismus, wie er in Handbüchern und Zeitschriften in diesen Jahren als Ideal dargestellt wurde“ (S. 180) und sind somit schlicht jener vergleichsweise raren Spezies der „Familienspielfilme“ (S. 177) zuzuordnen, welche „hochgradig inszeniert und nachbearbeitet“ (S. 177) wurden.

Wenn aber schon Beispiele gewählt werden, die unausgesprochen dem „Diskurs der Macher“ (S. 61), also der seit den 1920er-Jahren aufblühenden Ratgeberliteratur für Laien Folge geleistet haben, dann fragt man sich schon, warum der geistige Anschluss der ambitionierten Amateurfilmer an den Nationalsozialismus, in der zeitgenössischen Literatur unübersehbar signalisiert durch die Hakenkreuz-Titelblätter der Zeitschrift „Film für alle“, vollkommen ignoriert wurde. Vielleicht ist diese Ausblendung aber auch dem extrem eng gezogenen Fokus auf die filmische Repräsentation innerfamiliärer Ereignisse geschuldet. Die launige These des französischen Amateurfilmexperten Roger Odin jedenfalls, „kennt man einen Familienfilm, kennt man alle“, ist mit der vorliegenden Studie nicht widerlegt, schon weil deren Standardform gar nicht vorkommt. Das „Kino zum Selbermachen“ (S. 101) wurde in dem vorliegenden Band wohl allzu stark reduziert auf ausgewählte Muster-„Filmfamilien“ (S. 169) und deren naiv heile Welt-Sicht in faschistischer Vorkriegszeit. Wohl unabsichtlich fördert Roepkes „Privat-Vorstellung“ auf diese Weise das Ergebnis zutage, dass die Bezeichnung Familienfilm im Grunde irreführend ist, weil sie den Betrachtungswinkel der Ideologie von der bürgerlichen Kernfamilie nahelegt, womit der breite Kosmos an dokumentarischen Motiven, und sei es nur „Skatclubausflug [...], Betriebsfeiern und Trachtenumzüge“ (S. 29), entgegen seiner faktischen Bedeutung in der Amateurfilmproduktion zur Randerscheinung degradiert wird.

Anmerkungen:
1 Kuball, Michael, Familienkino. Geschichte des Amateurfilms in Deutschland, 2 Bde., Hamburg 1980.
2 Schneider, Alexandra, Die Stars sind wir: Heimkino als filmische Praxis, Dissertation, Marburg 2004.
3 Roepke, Martina, Feiern im Ausnahmezustand. Ein privater Film aus dem Luftschutzkeller, in: Montage/Av 10/2/2001, S. 59-66.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension