S. Kroll: Soldaten im 18. Jahrhundert

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Titel
Soldaten im 18. Jahrhundert zwischen Friedensalltag und Kriegserfahrung. Lebenswelten und Kultur in der kursächsischen Armee 1728-1796


Autor(en)
Kroll, Stefan
Reihe
Krieg in der Geschichte 26
Erschienen
Paderborn 2006: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
654 S.
Preis
€ 88,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Suter, Fakultät für Geschichte und Philosophie, Universität Bielefeld

Wie bereits die Aufnahme in die renommierte Reihe „Krieg und Geschichte“ zeigt, handelt es sich bei der an der Universität Rostock erarbeiteten und von Kersten Krüger und Bernhard R. Kroener betreuten Habilitationsschrift von Stefan Kroll um eine herausragende Forschungsarbeit. In Anlehnung und Erweiterung der einschlägigen Arbeiten von Peter Burschel, Ralf Pröve und Michael Sikora geht es auch Kroll darum, die Lebenswelten der Soldaten, das heißt vor allem der Unteroffiziere und einfachen Soldaten, im 18. Jahrhundert zu rekonstruieren. Als Untersuchungsgebiet dient ihm das Herzogtum Kursachsen. Die militärische Bedeutung dieses Territoriums war zwar nicht mit jener der damaligen Großmächte Österreich und Brandenburg-Preußen gleichzusetzen, aber doch deutlich größer als jene in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht vergleichbarer Territorien. So unterhielt Kursachsen zwischen der Heeresreform von 1728 und dem Ende des 18. Jahrhunderts ein bedeutendes stehendes Heer, dessen Bestand je nach Friedens- und Kriegszeiten zwischen rund 20.000 und 50.000 Mann schwankte.

Kursachsen bietet sich jedoch nicht nur aus sachlichen Gründen, sondern auch wegen der hervorragenden Quellenlage für eine Fallstudie an. Im Unterschied etwa zu Preußen blieben hier die einschlägigen Archivbestände weitgehend erhalten. Entsprechend wertet die Untersuchung eine Vielzahl von Quellen aus, angefangen von normativen Quellen wie Dienst- und Exerzierreglements, Ordonnanzen und Militärrechtsquellen über zeitgenössische Zeitungen, Flugschriften, Soldatenlieder, Predigten von Feldgeistlichen, Gedichte und Theaterstücke bis hin zum ungedruckten Verwaltungsschriftgut der zivilen und militärischen Behörden, unter dem man Musterungslisten, Gerichtsakten, Verhörprotokolle, Briefe, Suppliken und Eingaben von Soldaten findet.

Die Quellenauswertung kombiniert gekonnt quantitative Verfahren, präzise Einzelfallschilderungen und die Rekonstruktion zeitgenössischer Diskurse über das Militär und das Soldatenleben. Auf diese Weise gelingt es Kroll, sein Rekonstruktionsvorhaben überzeugend in die Tat umzusetzen. Der Leser erhält einen umfassenden und zugleich faszinierenden Einblick in das Leben der sächsischen Soldaten. Die Fülle der in den vier Hauptkapiteln behandelten Fragen und Themen kann hier nur angedeutet werden. Das erste Kapitel untersucht die Werbung und die Rekrutierung der Soldaten und Unteroffiziere im In- und Ausland sowie deren soziale Herkunft. Die Darstellung bestätigt den auch in anderen Territorien gewonnenen Befund, dass sich die Soldaten in überwiegender Zahl aus den ländlichen und städtischen Unterschichten rekrutierten, während sich die landbesitzenden Bauern und die zünftigen Handwerker dieser Lebensform eher entzogen. Bittere Armut und fehlende materielle Alternativen waren das wichtigste Motiv jener Menschen, die sich für geringen Sold der schweren, von körperlicher Züchtigung und Misshandlung begleiteten Ausbildung unterzogen und der Gefahr von Kriegen aussetzten. Sehr oft wurden bei der Rekrutierung zudem Täuschung und Zwang eingesetzt, um Widerstrebende zum Unterschreiben eines Dienstvertrags zu bringen. Allerdings bot der Militärdienst, das zeigt Kroll auch, diesen Menschen in Form des Soldes und anderer materieller Vergünstigungen ein Mindestmaß an materiellem Rückhalt.

Das zweite Kapitel untersucht den Alltag der Soldaten in Friedenszeiten. Wie gestaltete sich das Leben in der Garnison? Wie sah der Tagesablauf aus? Welche Arbeiten mussten die Soldaten im Einzelnen verrichten? Wie war das Sozialleben der Soldaten beschaffen? Wem gelang es zu heiraten? Wie war es um das Leben der Frauen und Kinder bestellt? Wie beschafften sich die Soldaten und ihre Frauen die notwendigen Zusatzeinkünfte – der Sold reichte bei weitem nicht aus –, um die familiäre Existenz zu sichern? Wie lassen sich die häufig vorkommenden unehelichen Partnerschaften zwischen Soldaten und Frauen beschreiben? Unter anderem zeigt dieses Kapitel, dass es die oft behauptete Trennung zwischen einem militärischen und einem nichtmilitärischen Bereich in der Praxis gar nicht gab. Charakteristisch waren vielmehr vielfältige und intensive Austauschbeziehungen wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Natur zwischen diesen beiden Lebensformen.

Das dritte Kapitel ist mit der Überschrift „Kriegserleben und die Kriegserfahrung“ etwas unglücklich betitelt. Denn erstens werden hier weniger Erlebnisse und Erfahrungen, sondern Praktiken des Kriegs analysiert – zum Beispiel Gewalt gegen die Zivilbevölkerung oder der Umgang mit Gefangenen und Verwundeten. Zweitens geht es dem Verfasser hier auch um die wichtige diskursgeschichtliche Frage, durch welche loyalitätsstiftenden Werte und Konzepte die Soldaten zum Krieg motiviert und diszipliniert wurden. Während der herkömmliche Diskurs die in der „Gottesfurcht“ verankerte „Treue“ des Soldaten zur Dynastie stark machte, rekurrierten die Aufklärer im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts zunehmend auf das Konzept der „Vaterlandsliebe“ und der Liebe zur „Nation“. Wie die Forschungen der letzten Jahre zeigen, wurde zumal in Preußen während des Siebenjährigen Kriegs versucht, unter den Soldaten durch den Einsatz verschiedenster Propagandamittel patriotische Werthaltungen zu verankern. In den Kriegen gegen das revolutionäre Frankreich fand das Nationskonzept weitere Verbreitung. Kroll beantwortet die Frage, ob sich diese Ergebnisse auch auf Sachsen übertragen lassen, allerdings negativ. Zwar fanden die Konzepte der Nation und der Vaterlandsliebe auch in Sachsen seit dem Siebenjährigen Krieg zunehmend Verbreitung im elitären Diskurs. Überzeugende Befunde, dass sie zu handlungsleitenden Konzepten einfacher Soldaten geworden wären, kann er hingegen keine finden.

Das vierte Kapitel behandelt Praktiken der Verweigerung. Während der offene Widerstand der Soldaten oder der Bevölkerung gegen die Zumutungen des absolutistischen Militärstaates in Gestalt von Aufständen oder kollektiven Meutereien im 18. Jahrhundert seltener wurde oder gar vollkommen aufhörte, blieben Formen des verdeckten Widerstandes endemisch: Untertanen, die noch nicht Soldaten geworden waren, entzogen sich dem Dienst durch Flucht, Verstecken vor den Werbern, Selbstverstümmelung oder die Angabe falscher Tatbestände, welche die Dienstbefreiung ermöglichten. Die Desertion geworbener Soldaten blieb das ganze 18. Jahrhundert über ein Massenphänomen.

Im Schlusswort setzt Kroll seine an Sachsen gewonnenen Ergebnisse in Bezug zu den in der Einleitung vorgestellten übergreifenden Ergebnissen und Thesen, welche die Forschung zur Konzeptualisierung zentraler Entwicklungsprozesse im Militärwesen des Alten Reiches des 18. Jahrhunderts entwickelt hat. Dabei argumentiert der Autor überzeugend, dass für Kursachsen das anhand von Preußen entwickelte Modell einer „Militarisierung“ der Gesellschaft (Otto Büsch) nicht zutrifft. Denn die kursächsische Armee war, gemessen an Wirtschaftskraft und Bevölkerung des Territoriums, wesentlich kleiner als die preußische; folglich war es nicht im selben Maße notwendig, die gesellschaftlichen Ressourcen für die Bedürfnisse des Militärs zu mobilisieren und zu kanalisieren. Weniger überzeugt dagegen die Kritik Krolls an der von Oestreich formulierten These einer „Fundamentalsdisziplinierung“ im Militär und an Peter Burschel, der in Anlehnung an Oestreich die Soldaten des stehenden Heeres im Vergleich zu den temporären Söldner- und Landsknechtsverbänden früherer Jahrhunderte als wesentlich disziplinierter charakterisiert. Zwar ist Kroll darin zuzustimmen, dass die kontrollierenden und disziplinierenden Maßnahmen der Vorgesetzten ihre Wirkung oft verfehlten, die Soldaten des 18. Jahrhunderts folglich nach wie vor über beträchtliche Frei- und Gestaltungsräume verfügten und es in vielen Situationen meisterhaft verstanden, sich den Zumutungen militärischen und lokalen Vorgesetzen zu entziehen. Dennoch zeigen seine Ergebnisse auch deutlich, dass Staat und Armee mit dem Übergang zu stehenden Heeren ihre Zugriffsmöglichkeiten auf die Soldaten und ihre Familien ganz erheblich ausgeweitet hatten und in der Tat einen nachhaltigen Disziplinierungserfolg erzielten. Nicht nur in der Binnenperspektive des Alten Reiches, sondern vor allem auch aus der internationalen Vergleichsperspektive mit Staaten, die bis zum Ende des 18. Jahrhunderts und darüber hinaus nur über zahlenmäßig kleine stehende Heere verfügten, scheint mir diese Feststellung von Bedeutung zu sein.

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