Titel
Päpstliche Stellenvergabe am Konstanzer Domkapitel. Die avignonesische Periode (1316-1378) und die Domherrengemeinschaft beim Übergang zum Schisma (1378)


Autor(en)
Hotz, Brigitte
Reihe
Vorträge und Forschungen, Sonderband 49
Erschienen
Ostfildern 2005: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
752 S.
Preis
€ 68,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kerstin Hitzbleck, Fachbereich Geschichte der Universität Köln

Die bereits 1999 abgeschlossene Dissertation von Brigitte Hotz hat ihren sperrig formulierten Untertitel nicht verdient, der geeignet scheint, die interessierten von den bloß neugierigen Lesern zu scheiden. Das umfangreiche Werk steht im Kontext der in den letzten Jahren zahlreichen Studien zu deutschen Domkapiteln, wählt freilich einen Zugang, der sich von den bekannten und wegweisenden Arbeiten deutlich unterscheidet.1 Gegenstand der Untersuchung ist die personelle Entwicklung des Konstanzer Domkapitels vor allem im 14. Jahrhundert, wobei die avignonesische Zeit des Papsttums einerseits, die personelle Struktur der Gemeinschaft im Schwellenjahr 1378 andererseits die Schwerpunkte bilden. Diese beiden Anliegen werden in zwei Hauptteilen auf methodisch unterschiedliche Weise verfolgt, was die Arbeit ebenfalls von anderen Werken der aktuellen Domkapitelforschung abhebt. Ziel ist keine Stiftsprosopografie für das gesamte Mittelalter, vielmehr liegt der Akzent auf der außerordentlichen Stellenvergabe durch den Papst, dem päpstlichen Benefizialwesen. Dem ersten „Darstellungsteil“, der die Domkapitulare vor allem als Petenten an der Kurie von Avignon zeigt, steht im zweiten „Personaliateil“ die Momentaufnahme von 1378 entgegen, welche die ehemaligen Petenten nun mit ihren Biografien als Domherren in Konstanz vorstellt. Zentrale Erkenntnisziele beider Teile sind neben dem Provisionserfolg die ständisch-soziale Qualität der Kapitulare sowie die Frage nach ihrer akademischen Bildung. Die Darstellung ist bemerkenswert klar, das ambitionierte und umfängliche Thema in überzeugender Weise gefasst und gegliedert. Aus dem prosopografischen Gewirr des Domkapitels von Konstanz knüpft die ordnende Hand der Historikerin ein tragfähiges Netz, das nicht nur die Konstanzer Wege zur Pfründe beschreibt, sondern darüber hinaus den Ruf nach vergleichenden und vergleichbaren Untersuchungen zu anderen Domkapiteln – nicht nur im deutschen Raum! – nahelegt.

Die Arbeit gliedert sich in vierzehn sorgfältig strukturierte Kapitel, die eine präzise Navigation im Stoffberg ermöglichen. Die Einleitung stellt neben Quellen- und Forschungslage Zielsetzung und Struktur der Arbeit vor und verortet sie in der aktuellen Forschung zu deutschen Domkapiteln, lässt aber leider die nach 1999 erschienenen Arbeiten unberücksichtigt. Das zweite Kapitel gewährt zunächst einen Einblick in die spezifische Situation des Konstanzer Domkapitels im Mittelalter, nennt Zahl und Natur der Pfründen, klärt die Kompetenzen der Domkanoniker im Bistum und stellt das für das Untersuchungsziel zentrale Problem der lokalen Kollaturrechte und -gewohnheiten vor. Der nächste Abschnitt führt in die rechtlichen Grundzüge des päpstlichen Benefizialwesens ein, wobei Verfeinerungen und Korrekturen älterer Arbeiten zu dieser komplexen Materie gelingen.2 Hotz kommt zu dem differenzierten Ergebnis, dass das Benefizialwesen des avignonesischen Papsttums auch dem ordentlichen Kollator durchaus Möglichkeiten ließ, eigene Kollationsinteressen zu verfolgen und leitet so zu Kapitel 4 über, das die „Auswirkungen der außerordentlichen Kollatur auf das Konstanzer Domkapitel“ schildern soll. Die Synopse ergibt ein heterogenes Bild, das die immer noch verbreitete Schreckensvision eines Domkapitels im Würgegriff päpstlicher Kollaturwünsche nicht bestätigen kann.

Kapitel 5 widmet sich der Vergabe von Stellen am Konstanzer Kapitel durch die Päpste von Avignon, Johannes XXII. und Benedikt XII. und versucht, ihre Benefizialpolitik zu beschreiben. Während unter Johannes XXII. Zwei Drittel der bewilligten Provisionsreskripte auf adelige Bewerber entfallen, belegt die Analyse der fünf Reskripte Benedikts XII. eine klare Favorisierung nichtadeliger, zudem akademisch gebildeter Petenten. Clemens VI. stellt auch am Konstanzer Beispiel seine bekannte Großzügigkeit bei der Supplikensignatur unter Beweis, dies besonders gegenüber adeligen und akademisch gebildeten Petenten. Innozenz VI. legt demgegenüber tendenziell weniger Gewicht auf die akademische Bildung. In beiden Pontifikaten scheint das Vorhandensein eines Protektors, der für die Petenten intervenierte, zentral für den Provisionserfolg gewesen zu sein. Dass sich darunter häufig auch der Bischof von Konstanz oder ein Nachbarbischof befand, zeigt die aktive Nutzung des päpstlichen Benefizialwesens durch die geistlichen Würdenträger vor Ort. Diese Situation änderte sich unter den letzten beiden Päpsten von Avignon, Urban V. und Gregor XI. Die Intervention durch örtliche Geistliche wurde unter Urban V. zunehmend unwichtiger und konzentrierte sich auf adelige Petenten, während bürgerliche Interessenten den Weg z.B. über Graduierten- und Universitätsrotuli suchten. „Vereinfacht dargestellt setzte mit Urban V. [...] eine Phase des akademisch geschulten, vielfach fürsprecherfreien und zumeist nichtadeligen Domkanonikatsexpektanten ein, der den bischöflichen Protegé als Bittstellerprototyp der zwei vorangegangenen Jahrzehnte ablöste.“ (S. 232) Gregor XI. teilte die Neigung seines Vorgängers zu akademisch gebildeten Petenten, doch verfuhr er namentlich in der Frage der stets kritischen Pfründenkumulation großzügiger.

Kapitel 6 widmet sich dem Spannungsfeld zwischen ordentlicher und außerordentlicher Kollatur in Konstanz zwischen 1362 und 1378. Auch hier geht es um Bedeutung von Stand und Bildung für die Erlangung einer Pfründe in Konstanz. Nicht nur wurde in den letzten Pontifikaten der avignonesischen Epoche die außerordentliche Kollatur zum vorherrschenden „Präbendenerlangungsmodus“, zuletzt „war bei der Pfründenvergabe [...] der oberste Stellenkollator allgegenwärtig, der lokale vollständig verdrängt“ (S. 31). Eindeutig begünstigte das päpstliche Benefizialwesen den Zuzug nichtadeliger Kleriker in das Konstanzer Domstift.

Das folgende Kapitel beschreibt sodann schlaglichtartig den Zustand des Domkapitels im Jahre 1378. Die Perspektive ist nun eine dezidiert lokale, zeigt die Kapitulare vor Ort in Konstanz. Hotz kann zeigen, dass der Sozialproporz sich zugunsten der nichtadeligen Kleriker verschoben hat, die durch außerordentliche Kollatur an ihre Stellen gekommen sind. Für die Bildungssituation des Klerus im 14. Jahrhundert ist daher die Erkenntnis zentral, dass für adelige Kleriker ein Domkanonikat wirtschaftlicher Ausgangspunkt einer universitären Karriere gewesen sein kann, während sie für die nichtadeligen Bewerber Ziel und Lohn der universitären Karriere selbst darstellen konnte.

Kapitel 8 bringt eine knappe Zusammenfassung und leitet zu einem 9., mit „Ausblicke“ betitelten, Abschnitt über, der den Blick über die selbst gewählte Grenze von 1378 wagt und die Konstanzer Petenten aus dem Pontifikat Clemens VII. untersuchen will. Dabei zeigen sich neben vielen Parallelen zur avignonesischen Zeit auch gravierende Unterschiede, die eine klare, politisch motivierte Bevorzugung von kurienverankerten Personen erkennen lassen. Das 10. Kapitel „Anhang“ bringt eine Gesamtübersicht über die Benefizialgratien aus dem Untersuchungszeitraum.

Mit Kapitel 11 beginnt sodann der 2. Hauptteil, der die Biographien der Kanoniker von 1378 nachzeichnet. Kapitel 12 bietet speziell die Viten von Klerikern mit nicht oder spät verwirklichtem Pfründeninteresse. In der Aufbereitung des Materials unterscheiden sie sich grundsätzlich vom Darstellungsteil: Auf Angaben zur Literatur über die einzelnen Kapitelsmitglieder und zu den Eckdaten ihrer Viten folgen Angaben zum Benefizien- und Ämterbesitz, sowie zu ihrer sozialen Verortung in Konstanz. Diese Listen werden durch Informationen zu Funktionen an der Kurie und in partibus vervollständigt.

Die Arbeit wird abgerundet durch ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis, dies freilich auf dem Stand von 1999, einem Orts- und Personenregister sowie einem Verzeichnis der Konstanzer Domherren und Stelleninteressenten. Ein Sachregister, das man sich besonders wegen der zahlreichen lesenswerten, doch leider unbetitelten Exkurse zu aktuellen Forschungsfragen wünschen würde, fehlt schmerzlich.

Die gut lesbare Arbeit, die auf die suggestive Kraft von Graphiken und Diagrammen verzichtet, zeigt beispielhaft die Möglichkeiten, die in der prosopografischen Methode liegen, indem sie über die Biografien der einzelnen Kleriker Rückschlüsse auf Petenteninteressen aus der Provinz aber auch Providierungsinteressen der einzelnen Päpste von Avignon zulässt. Gleichwohl bleibt das Ende des Untersuchungszeitraums im Jahre 1378 seltsam unmotiviert, wünscht man sich eine Fortsetzung der Studie in die Zeit des Schismas hinein. Aber dann hätte die ohnehin schon voluminöse Arbeit geradezu monströse Formen annehmen müssen. Vergleichsquerschnitte aus der frühen Zeit des avignonesischen Papsttums, bzw. aus dem Ende des Schismas wären wünschenswert, um die langfristigen Auswirkungen der päpstlichen Benefizialpolitik augenfällig zu machen.

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa Meyer, Andreas, Zürich und Rom, Ordentliche Kollatur und päpstliche Provisionen am Frau- und Grossmünster 1316-1523, Tübingen 1986; zuletzt Willich, Thomas, Wege zur Pfründe, Die Besetzung der Magdeburger Domkanonikate zwischen ordentlicher Kollatur und päpstlicher Provision 1295-1464, Tübingen 2005; Erdmann, Jörg, Quod est in actis non est in mundo, Päpstliche Benefizialpolitik im sacrum imperium des 14. Jahrhunderts, Tübingen 2006.
2 Siehe auch die Arbeit von Hotz, die ebenfalls aus der Dissertation hervorgegangen ist und bereits 2002 veröffentlicht wurde: Krönungsnahe Vorzugsdaten unter Clemens VII. (1378-1394), Hinweise zur Erkennung und chronologischen Einordnung rückdatierter Expektanzen, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 82 (2002), S. 122-192.

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