Cover
Titel
Zeiten des Kampfes. Das Student Non-Violent Co-ordinating Committee (SNCC) und das Erwachend des afro-amerikanischen Widerstands in den sechziger Jahren


Autor(en)
Carson, Clayborne
Erschienen
Anzahl Seiten
636 S.
Preis
€ 28,80
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Alexander Vazansky Heidelberg Center for American Studies

Clayborne Carsons Werk zur Geschichte des Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC sprich „Snick“) gehört in den USA zu den Standardwerken zur Bürgerrechtsbewegung. Mehr als 25 Jahre nach der Erstauflage des Buches im Jahr 1981 ist nun auch eine deutsche Übersetzung beim Verlag Graswurzelrevolution erschienen. Dass es nach so langer Zeit zu einer solchen Übersetzung gekommen ist, ist dem Verlag und dem Übersetzer Lou Marin hoch anzurechnen. Denn obwohl fast 30 Jahre seit seiner Abfassung vergangen sind, bleibt In Struggle: SNCC and the Black Awakening of the 1960s, so der amerikanische Titel, eine herausragende Studie einer der einflussreichsten und radikalsten Bürgerrechtsgruppierungen der Sechziger Jahre.

SNCC begann als eine lose Organisation afroamerikanischer Studenten aus dem Süden der USA, die sich der Abschaffung der in dieser Region vorherrschenden Rassensegregation verschrieben hatten. Wie der Name der Organisation verrät, sollte das Komitee der besseren Koordination und dem Erfahrungsaustausch im Bezug auf Protestaktionen dienen. Doch sehr bald entwickelte sich im SNCC ein Kader professioneller Organisatoren und Aktivisten, die sich bemühten den Protest in die ländlichen Regionen des tiefen Südens zu tragen. In der ersten Hälfte des Jahrzehnts verschaffte sich das SNCC so den Ruf einer Bürgerrechtsavantgarde, die auch in Regionen vorstieß, in der traditionellere Bürgerrechtsorganisationen kaum vertreten waren und die in der Verfolgung ihrer Ziele kompromissloser und radikaler war als andere Organisationen. Das SNCC wurde so zum Vorläufer und Vorbild der Neuen Linken und der Antikriegsbewegung in den USA.

Clayborne Carson gliedert seine Geschichte der Organisation in drei Teile, Zusammenkunft, Innenschau und Zerfall, wobei Teil I, Zusammenkunft, den größten Raum einnimmt. Er umfasst in etwa die Periode zwischen 1960 und 1965. Carsons Schwerpunkt liegt dabei immer auf der Eigenperzeption der Mitglieder des SNCC und den praktischen, philosophischen und ideologischen Fragen, mit denen sie sich auseinandersetzten. Carson zeigt, dass SNCC außer im Bekenntnis zur Gewaltfreiheit keine einheitliche Philosophie entwickelte. Stattdessen herrschte ein hohes Maß an Individualität und Autonomie unter den Aktivisten vor. Es zählte vor allem das Engagement in der Sache. Ziel der Organisationsarbeit in den Gemeinden des Südens war die Heranbildung lokaler Strukturen und Organisationen, die es einheimischen Afroamerikanern ermöglichen sollten, eigenständig politische und soziale Ziele zu verfolgen. Für Carson ist dies die erfolgreichste Zeit des SNCC. Auseinandersetzungen innerhalb des SNCC gab es vor allem in Bezug darauf, ob die direkte Aktion Projekten wie der Wählereinschreibung vorzuziehen sei, und inwieweit weiße Aktivisten in die Arbeit des SNCC einbezogen werden sollten. Die Debatten um letztere Frage, zeigt Carson, sollte später entscheidend zum Zerfall des SNCC beitragen.

1965 begann laut Carson die Phase der Innenschau. Trotz der von der Regierung Lyndon B. Johnsons durchgesetzten Bürgerrechtsgesetze wuchs die Frustration unter den Aktivisten der SNCC ob der zurückhaltenden und von politischen Erwägungen geprägten Haltung der Bundesregierung und des liberalen Establishment im Norden der USA. SNCC distanzierte sich zunehmend von den Liberalen des Nordens, die bisher zu seinen Unterstützern gehört hatten, aber auch von den anderen gemäßigten Bürgerrechtsorganisationen, die den Mitgliedern des SNCC zu kompromissbereit erschienen. Auf der Suche nach neuen Themen konzentrierten sich die Aktivisten des SNCC zunehmend auf die Zustände in den urbanen Ghettos des Nordens. Die Desillusionierung führte zu einer Intensivierung der Debatte, ob der Einsatz weißer Aktivisten und Freiwilliger den Zielen der Organisation zuwiderlief. Es gab Befürchtungen, dass weiße Aktivisten aufgrund ihrer besseren Vorbildung und ihres privilegierten Status zu leicht in Führungsrollen schlüpfen und dadurch Afroamerikaner hemmen und in alte Rollenmuster drängen könnten. Die Schwierigkeiten des SNCC neue Themen zu besetzen, führten dazu, dass Rufe nach einer einheitlichen Philosophie lauter wurden. Außerdem wurde die Autonomie mit der individuelle Aktivisten an Projekten arbeiteten zunehmend als Schwäche empfunden, die die Arbeit der Organisation ineffektiv und chaotisch machte.

Carson zeigt aber, dass ironischerweise die größere Kohärenz, die auf die Debatten der Innenschau folgte, letztendlich auch den Zerfall des SNCC herbeiführte. 1966 bekam SNCC mit seinem neuen Vorsitzenden Stokeley Carmichael eine charismatische Identifikationsfigur und mit dem mit ihm identifizierten Konzept der „Black Power“ eine Idee, die in der afroamerikanischen Bevölkerung starken Widerhall fand. Doch mit dem neuen „starken“ Mann an der Spitze der Organisation gewannen Separatismus und schwarzer Nationalismus die Überhand im SNCC. Die „richtige“ revolutionäre Ideologie war nun wichtiger als das Engagement. Die letzten verbliebenen weißen Aktivisten wurden ausgeschlossen und ältere Aktivisten aus den Anfangsjahren fühlten sich durch das doktrinäre Auftreten jüngerer Mitglieder verprellt. Viele Projekte im ländlichen Süden verwaisten und wurden eingestellt. Es gelang der SNCC nicht, um die Idee des „Black Power“ realisierbare Projekte zur dauerhaften Mobilisierung der afroamerikanischen Bevölkerung ins Leben zu rufen. SNCC verlor sich zusehends in ideologischen Positionskämpfen zwischen seinen Mitgliedern. Die Mitglieder sahen sich immer mehr als Revolutionäre und verloren mehr und mehr den Bezug zu ihrer Basis. SNCC existierte zwar noch bis in die 1970er-Jahre hinein, spielte aber spätestens nach 1968 keine wichtige Rolle mehr.

Auch wenn Carsons Werk nicht den neuesten Forschungstand zur Bürgerrechtsbewegung repräsentiert, so wirkt es dennoch alles andere als veraltet. Dies liegt mit Sicherheit auch daran, dass Carson für seine Forschung eine Fülle von Primärquellen, vor allem Protokolle und Schriftverkehr des SNCC, sowie eine Reihe von Interviews mit den Akteuren der Zeit verwendete. Obwohl Clayborne Carson selbst als Aktivist in den 1960er-Jahren tätig war, ist sein Rückblick auf SNCC niemals verklärt. Carson bleibt stets distanziert. Er ist in seiner Vorgehensweise sicherlich eher deskriptiv als analytisch. Trotzdem mangelt es dem Buch nicht an einer kritischen Auseinandersetzung mit SNCC.

Die Übersetzung von Lou Marin liest sich sehr gut. Einzelne Begriffe und Institutionen, die dem deutschen Laien unbekannt sein könnten werden zumeist befriedigend erklärt. Allerdings erscheint es in diesem Zusammenhang als nicht ganz akkurat, das FBI mit dem Bundesnachrichtendienst zu vergleichen. Auch benutzt Marin zuweilen den etwas umgangssprachlichen Begriff Knast anstatt Gefängnis. Die Einführung von Marin und das Nachwort von Heinrich W. Grosse dienen vor allem dazu, Carsons Werk in den Kontext linker Debatten zu stellen. Vor allem Grosse trägt dabei wenig Erhellendes zu Carsons Werk bei. Marins These, dass Carson herkömmliche linke Interpretationen der Bürgerrechtsbewegung und ihrer „natürlichen“ Radikalisierung in Frage stellt, ist durchaus interessant. Leider fehlt dem Anhang eine ausführliche Bibliographie. Es werden lediglich einige deutschsprachige Werke zu Martin Luther King Jr. und der Bürgerrechtsbewegung aufgeführt. Die Liste der Abkürzungen ist leider unvollständig, bei der Fülle der verwendeten Abkürzungen ein erheblicher Mangel.

Insgesamt hat der Verlag Graswurzelrevolution mit Zeiten des Kampfes der deutschsprachigen Historiographie eine gelungene Übersetzung eines wichtigen Standardwerks zur Geschichte der Bürgerrechtsbewegung hinzugefügt.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Kooperation
Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension