L. Schorn-Schütte: Historische Politikforschung

Cover
Titel
Historische Politikforschung. Eine Einführung


Autor(en)
Schorn-Schütte, Luise
Erschienen
München 2006: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
160 S.
Preis
€ 17,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tobias Weidner, SFB 584 "Das Politische als Kommunikationsraum in der Geschichte", Universität Bielefeld Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie Abteilung Geschichtswissenschaft

Politik ist wieder ein Thema. Die Überschriften, unter denen in der Geschichtswissenschaft darüber debattiert wird, variieren: Mit zunehmender Intensität werden Entwürfe einer „Kulturgeschichte der Politik“ bzw. „des Politischen“ diskutiert 1, insgesamt scheint in der allgemeinen historiografischen Debatte zurzeit die methodisch etwas unverbindliche Forderung nach einer „Neuen Politikgeschichte“ zu dominieren.2 Und wie der Bielefelder Sonderforschungsbereich 584 „Das Politische als Kommunikationsraum in der Geschichte“ mit seiner Buchreihe hat nun auch Luise Schorn-Schütte für ihre Einführung die „Historische Politikforschung“ zum Titel gewählt. Die damit verbundene interdisziplinäre Offenheit und der Verzicht auf die Überbetonung von (bekanntlich besonders schnell alternder) Neuartigkeit macht sicher Sinn – gerade deshalb wäre aber auch eine explizite Begründung der Wahl nützlich gewesen.

Was ist Luise Schorn-Schüttes 160-Seiten-Paperback nun für ein Buch? Zunächst ist es genau das, was der Titel verspricht: Eine Einführung – und sicher eine sehr empfehlenswerte. Einer knappen orientierenden Einleitung folgt ein sehr gut erzählter historiografiegeschichtlicher Überblick. Auf wenigen Seiten wird man durch viele Jahrzehnte politikgeschichtlicher Konzeptionen geführt, gewinnt Einblicke in politik- und gesellschaftstheoretische Debatten (auch jenseits der Geschichtswissenschaft), und erhält nicht zuletzt einen differenzierten Überblick über die Staats- und Politikbegriffe von Historikern zwischen Historismus und der Wehler-Hillgruber-Debatte. Entwicklungen in Nordamerika, England und Italien werden genauso souverän vermittelt. All das hat nicht nur einführende Qualitäten, sondern liefert auch der aktuellen Debatte Tiefenschärfe und räumt mit manch bequemem Vorurteil von angeblich rein etatistischer, unreflektierter „alter“ Politikgeschichte auf.

Unter der Überschrift „Gegenwärtige Tendenzen“ wird dann eine Auswahl neuer Ansätze skizziert: die sozialgeschichtliche Erforschung „der Ideen und der Politik“, Begriffsgeschichte, kommunikationstheoretische, historisch-semantische und diskursgeschichtliche Entwürfe. Auch diese Abschnitte erfüllen den einführenden Zweck überzeugend, wobei sich natürlich immer im Detail manche Komprimierung des Stoffs und manche Zuordnung kritisieren lässt. Zum Beispiel ist die Trennung von Begriffsgeschichte und Historischer Semantik, die später auch wieder aufgegeben wird (S. 110), begründungsbedürftig. Verständnisfördernd wäre auch ein Abschnitt über symbol- und handlungstheoretische Ansätze im konzeptionellen Teil gewesen, denen im empirischen Teil jedoch Aufmerksamkeit geschenkt wird. Über die konzeptionellen Abschnitte hinaus liefert Schorn-Schütte nämlich auch noch eine geschickt montierte Auswahl nach Epochen geordneter empirischer Befunde und einen ausgewogenen problematisierenden Ausblick. Dass all dies inklusive hilfreichem Kurz-Glossar und Literaturverzeichnis auf 160 Seiten gelingt, ist beeindruckend.

Das Buch ist aber nicht nur Einführung, sondern auch Beitrag zur politikgeschichtlichen Theoriedebatte. Und das auf eine besondere Art: Schorn-Schütte verzichtet wohltuend auf die Überspitzungen konzeptioneller Differenzen und betont stattdessen Anschlussfähigkeiten, Potenziale gegenseitiger Anregung und langfristige internationale Traditionslinien. Insgesamt werden damit sowohl synchron als auch diachron Kohärenzen und Kompatibilitäten betont. Die historiografiegeschichtlichen Abschnitte geraten so zu einer kleinen „großen Erzählung“ mit klarer Stoßrichtung: Die aktuellen Neuorientierungen erscheinen als Teil einer langfristigen internationalen Entwicklung politikgeschichtlicher Ansätze. Der Band ist damit auch ein Akt der Traditionsbildung – wenngleich konstatiert wird, dass es „die Traditionen der politischen Geschichtsschreibung gar nicht gibt.“ (S. 114) All das bringt die Theoriedebatte weiter, hilft, wieder etwas Distanz zum Gegenstand zu gewinnen, ist aber in der einen oder anderen Zuspitzung ungewohnt und wird mitunter Widerspruch provozieren – was sich die Autorin im Vorwort auch wünscht (S. 7).

Insgesamt privilegiert Schorn-Schütte zum Beispiel sehr deutlich eine Verschränkung von Politik- und (neuer) Ideengeschichte. Eine zentrale Botschaft des Buches ist dabei die Betonung der Bedeutung verfassungs- und ideengeschichtlicher Traditionen des ersten Drittels des 20. Jahrhunderts für die neuen Ansätze (genannt werden immer wieder der Verfassungsjurist Rudolf Smend und der Sozialhistoriker Otto Hintze). Verglichen mit der bisherigen Debatte wird diese Verbindung überdurchschnittlich stark gemacht. In der Zusammenfassung verschmelzen dann die Stoßrichtungen diskursanalytischer, kommunikationstheoretischer und historisch-semantischer Ansätze, aber zum Beispiel auch von Karl Rohes „Politischer Kulturforschung“ zu einer allgemeinen „Historisierung der politischen Ideengeschichte“ (S. 83f). Und selbst die Systemtheorie, so Schorn-Schütte, ließe sich in eine zur Historischen Politikforschung verschränkte Ideen- und Politikgeschichte „problemlos“ integrieren (S. 99). Nicht zuletzt diskursanalytische Zugriffe, die auch nur vergleichsweise knapp skizziert werden (S. 77ff.), sind unter dem Oberbegriff einer wie auch immer erneuerten Ideengeschichte problematisch untergebracht.3 Bourdieus feldtheoretische Ansätze, die in der Historischen Politikforschung ja durchaus einschlägig sind und sich vermutlich ebenfalls schwer auf den ideengeschichtlichen Nenner bringen lassen würden, finden übrigens keine Erwähnung.

Die These, dass Konzepte symbolischer Kommunikation, politischer Sprachen (im Sinne der Cambridge School um Pocock und Skinner) und systemtheoretische Ansätze sehr wohl in einen produktiven Dialog treten können, belegt Schorn-Schütte im empirischen Teil plastisch (S. 110, S. 116). Kommunikation als zentrales Konstituens des Politischen geltend zu machen (S. 118f.), wird bei den verschiedenen Vertreterinnen und Vertretern der neuen Ansätze auf breite Zustimmung stoßen. Ob sich dagegen alle Anwender der genannten methodischen Zugriffe, die man bislang wahrscheinlich allgemein als kulturgeschichtlich klassifiziert hätte, mit der Zuspitzung auf den gemeinsamen Nenner der neuen ideengeschichtlichen „Historisierung der traditionalen Ideengeschichte“ (S. 69) zufrieden geben werden, ist zweifelhaft. Ob diese Nomenklatur strategisch sinnvoll ist, wäre ebenfalls zu diskutieren: Gerade im deutschen Sprachraum transportiert der Begriff „Ideengeschichte“ (egal wie unberechtigt das sein mag) nach wie vor eher historistische Verstaubtheit als methodische Innovation. Da schon die Politikgeschichte selbst mit ähnlichen Vorurteilen zu kämpfen hat, könnte eine offensiv verfochtene Verschränkung beider von problematischer Wirkung sein.

Es ist sicher etwas wohlfeil, einer zwangsläufig auf Kohärenz und erzählerische Nachvollziehbarkeit ausgerichteten Einführung in der Bilanz anzukreiden, Differenzen einzuebnen. Aber streckenweise läuft das Narrativ für eine Einführung zu stringent auf eine bestimmte Form ideengeschichtlich umklammerter Historischer Politikforschung hinaus. Das Buch ist genau damit zwar ein anregender Diskussionsbeitrag zur politikgeschichtlichen Theoriedebatte, stilistisch und didaktisch ist es auch eine gelungene Einführung. Mitunter hätten jedoch beide Aspekte im Argument etwas deutlicher getrennt werden können.

Anmerkungen:
1 Vergleiche dazu den jüngsten, sehr kritischen Diskussionsbeitrag von: Rödder, Andreas, Klios neue Kleider. Theoriedebatten um eine Kulturgeschichte der Politik in der Moderne, in: Historische Zeitschrift 283 (2006), S 657-688.
2 Vergleiche dazu besonders die zahlreichen Beiträge in: Frei, Norbert (Hrsg.), Was heißt und zu welchem Ende studiert man Geschichte des 20. Jahrhunderts?, Göttingen 2006.
3 Diese Zuordnung ist jedoch kein Einzelfall. Vgl. zum Beispiel: Lottes, Günther, Neue Ideengeschichte, in: Lottes, Günther; Eibach, Joachim (Hrsg.), Kompass der Geschichtswissenschaft, Göttingen 2002, S. 261-269.

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