C. Classen u.a. (Hrsg.): Zwischen Pop und Propaganda

Cover
Titel
Zwischen Pop und Propaganda. Radio in der DDR


Herausgeber
Arnold, Klaus; Classen, Christoph
Erschienen
Anzahl Seiten
382 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörg Requate, Fakultät für Geschichtswissenschaft und Philosophie, Universität Bielefeld

Das gewachsene mediengeschichtliche Interesse der letzten Jahre hat den Hörfunk zwar nicht ganz links liegen gelassen, aber insgesamt am wenigsten betroffen. Die Zeit, in der das Radio als Leitmedium fungierte, war zwar vergleichsweise kurz, umfasste aber die wohl entscheidende Phase des 20. Jahrhunderts. In diese Periode fällt nicht nur die nationalsozialistische Diktatur, sondern auch die Frühgeschichte der DDR, in der dem Radio sowohl in der Bedeutungszuschreibung durch die politische Führung als auch im Alltag der Bevölkerung ein beträchtlicher Stellenwert zukam.

Der von Klaus Arnold und Christoph Classen herausgegebene Sammelband über das Radio in der DDR behandelt grundsätzlich deren gesamten Zeitraum. Der Schwerpunkt liegt aus guten Gründen jedoch auf der Zeit zwischen dem Ende des Krieges und den 1960er-Jahren. In ihrer Einleitung stecken die Herausgeber grob das schon im Titel des Bandes angedeutete Spannungsfeld ab, in dem sich der Hörfunk bewegte: Zwischen den ideologisch-propagandistischen Vorgaben und Ansprüchen der politischen Führung auf der einen und den Hörerbedürfnissen auf der anderen Seite. Die Autoren skizzieren knapp und konzise die Entwicklung des Radios in diesem Spannungsfeld und streichen heraus, dass die SED-Führung den Bedürfnissen der Hörer und der Eigendynamik des Mediums zwar insofern Rechnung trug, als der Anteil an unpolitischer Unterhaltung immer mehr zunahm, das Informationsprogramm gleichwohl weiter in höchstem Maße von ideologischen Vorgaben bestimmt blieb. Die bei Classen und Arnold schon angedeutete Grundbedingung der System- und der damit verbundenen Medienkonkurrenz wird von Thomas Lindenberger in einem übergreifenden konzeptionellen Beitrag in den Kontext des Verhältnisses zwischen dem Kalten Krieg und dem potenziell grenzüberschreitenden Charakter der Massenmedien eingeordnet. Gegen die Übertragbarkeit des vor allem für die USA entwickelten Konzeptes der Cold War Culture auf den europäischen bzw. deutschen Kontext argumentiert Lindenberger überzeugend, dass die westeuropäischen Medien viel zu pluralistisch waren, als dass sie ein einheitliches System von Wertevorstellungen repräsentiert hätten oder gar als Ganzes propagandistisch instrumentalisierbar gewesen wären. Weit problematischer für die DDR war jedoch die Tatsache, dass sie in einen systemübergreifenden konsumkulturellen Prozess eingebunden war, für dessen Verbreitung die Medien eine zentrale Rolle spielten. Dieser Prozess habe die Logik des Kalten Krieges mehr und mehr unterlaufen und es für die DDR-Führung zunehmend schwierig gemacht, ihre Deutungshoheit weiter aufrecht zu erhalten. Die ästhetischen Maßstäbe kamen, sowohl was die Seh- als auch die Hörgewohnheiten anging, zunehmend aus dem Westen. Westliche Filme wurden ebenso wie westliche Popmusik zum Maß aller Dinge, gegen die es zunehmend schwer wurde, ein eigenes Modell sozialistischer Unterhaltung „auf Weltniveau“ zu etablieren.

Von den beiden einleitenden Aufsätzen abgesehen, haben die Herausgeber den Band in vier Blöcke mit jeweils vier bis fünf Beiträgen gegliedert: Rundfunk in der SBZ und in der frühen DDR, der DDR Rundfunk nach dem Mauerbau, Zielgruppenprogramme und Geheimsender, Vergleichs- und Rezeptionsebene. Auch wenn diese Gliederung zum Teil eher der Logik der gleichgewichtigen Verteilung als zwingender inhaltlicher Zuordnung folgt, deckt der Band ein breites Spektrum mit den genannten Schwerpunkten ab. Ohne dass hier auf alle Aspekte eingegangen werden könnte, zeichnet sich ein Schema ab, das auch für andere Medien in der DDR zu beobachten ist, beim Radio aber in besonders ausgeprägtem Maße zum Tragen kam. In dem permanenten Spannungsfeld zwischen den engen ideologischen Vorgaben und den Publikumsbedürfnissen lassen sich immer wieder Versuche beobachten, die entweder die Propaganda in neue Formen zu gießen oder aber die Publikumsbedürfnisse mit neuen Ansätzen besser zu befriedigen beabsichtigten. Dabei gab es partiell durchaus gewisse Erfolge, nie aber den wirklich großen Wurf. Die Zeit bis zum Aufstand vom 17. Juni 1953 erweist sich hier in besonderem Maße als Zeit von Versuch und Irrtum. Die Umformung des Rundfunks unter den ideologischen Vorgaben des neu entstehenden Staates gelang, wie Christoph Classen zeigt, in erstaunlich kurzer Zeit. Die schnelle Abwendung der Hörer von dem neu entstandenen Rundfunk, die damit provoziert wurde, entsprach jener Ablehnung, die sich auf der Straße im Aufstand des 17. Juni entlud. Ingrid Pietrzynski analysiert in ihrem Beitrag die Reaktionen auf den Aufstand, der sowohl zu Kritik am Radio als auch zu intensiven Diskussionen in den Redaktionen führten. Zu einem überzeugenden Ergebnis gelangten diese Diskussionen aber letztlich nicht, zumal die Verantwortlichen den Spielraum für Veränderungen auch weiterhin sehr begrenzt hielten. Die Hörerfreundlichkeit nahm zwar insgesamt ebenso zu wie der Unterhaltungsanteil. Die extrem stalinistische Ausrichtung des Rundfunks der frühen 1950er-Jahre gehörte damit der Vergangenheit an, „das Lavieren zwischen Ideologie und Hörererwartungen“ blieb aber auch in der Folgezeit die Grundbedingung für die Radiomacher. Allein das Gewicht hatte sich etwas zugunsten der Hörererwartungen verlagert. Vor allem in den Beiträgen zu den Unterhaltungsprogrammen wird immer wieder deutlich, dass die Verantwortlichen nur zu allzu gerne das ganz Neue und das ganz Andere – eine wahrhaft sozialistische Unterhaltung eben – erfunden hätten. Doch wie insbesondere die Beiträge von Monika Pater für die frühe DDR sowie die beiden Aufsätze von Heiner Stahl und von Edward Larkey zu dem legendären Radiosender DT 64 zeigen, waren diese Versuche immer wieder zum Scheitern verurteilt. Erfolg war letztlich immer mit schnell beargwöhnten ideologischen Konzessionen verbunden. Damit wurde letztlich jedoch nur die Dichotomie zwischen Ideologie und Publikumsgeschmack weiter zementiert, ohne den erhoffen Ausweg zu finden. Erst als in der Ära Honnecker der Anspruch auf eine eigenständige sozialistische Unterhaltung gleichsam fallen gelassen wurde, löste sich, wie Rolf Gesericks Beitrag zeigt, dieses Spannungsfeld etwas auf – aber eher durch Resignation als durch eine Lösung des Problems im Sinne derer, die immer noch auf eine eigene Form der sozialistischen Unterhaltung gehofft hatten.

Der Titel des Bandes „Zwischen Pop und Propaganda“ passt auch besonders gut für jene Sender, die nicht nach innen, sondern nach außen wirken sollten. Sowohl der „Deutschlandsender“, mit dem sich Klaus Arnold beschäftigt, als auch der „Freiheitssender 904“ und der „Deutsche Soldatensender 935“, die in den 1950er und 1960er-Jahren den Westen propagandistisch infiltrieren sollten und mit denen sich Jürgen Wilke auseinandersetzt, erzielten ihre ohnehin begrenzte Resonanz wohl allein durch ihre Musik- und Unterhaltungsprogramme. Doch anders als der RIAS, dessen Rolle Bernd Stöver für die Jahre 1946 bis 1961 untersucht, transportierten die DDR-Sender mit dem Unterhaltungsprogramm eben kein damit verbundenes und darüber hinausweisendes Weltbild. Die in den Wortbeiträgen mitgelieferte Propaganda wurde von den Westhörern mit aller Wahrscheinlichkeit schlicht abgekoppelt. Der RIAS dagegen stand umgekehrt schon mit seiner Musik für einen westlichen Lebensstil, dessen Attraktivität gewissermaßen „frei Haus“ mitgeliefert wurde.

Was schließlich die Vergleichsebene angeht, die in verschiedene Beiträge des Bandes integriert ist, scheint für die künftige Forschung der diachrone Vergleich zwischen dem nationalsozialistischen Hörfunk und dem Hörfunk der DDR vielversprechender zu sein als der Vergleich zwischen der DDR und der Bundesrepublik. Hans-Ulrich Wagner und Konrad Dussel zeigen in ihren Beiträgen zwar eine Reihe von interessanten Ähnlichkeiten und Unterschieden in den Entwicklungen des Radios der DDR und der Bundesrepublik auf, doch bleiben diese Vergleiche – notgedrungen, wie es scheint, – relativ formal. In dem Aufsatz von Adelheid von Saldern, die sich dem Vergleich zwischen dem Rundfunk in der DDR und im Nationalsozialismus widmet, wird dagegen das Potenzial deutlich, das in diesem Vergleich auch für die weitere Forschung noch stecken kann. Denn hier zeigt sich, wie die DDR auf der einen Seite mit dem Erbe des NS umgehen musste und dabei unterschiedliche „Überschreibungsstrategien“ anwandte. Auf der anderen Seite verweist von Saldern auf eine Reihe struktureller Parallelen, etwa bei dem Versuch, mit ähnlichen und unterschiedlichen Mitteln eine „Massenverbundenheit“ zum Hörfunk herzustellen. Nicht zuletzt die methodischen Überlegungen, die von Saldern hier anstellt, dürften sich für künftige Forschungen in diesem Bereich als weiterführend erweisen.

Trotz der thematischen Breite des Bandes sei zuletzt noch auf ein Defizit verwiesen: In der Konzentration auf das Spannungsfeld „zwischen Pop und Propaganda“ kommt eine wichtige Funktion des Radios etwas zu kurz, nämlich die, bestimmte Informationen etwa über das Wetter, über Veranstaltungen, über Sportereignisse usw. zu liefern und auch als Ratgeber in Bereichen der Gartenpflege und sonstigen eher unpolitischen Bereichen zu fungieren. Angedeutet findet sich diese Funktion bei Christian Könne, der sich mit Wirtschaftspropaganda in der DDR befasst. Insbesondere in der Auseinandersetzung mit den durchaus populären Sendungen von Karl-Heinz Gerstner, in denen gerade auch Versorgungsprobleme angesprochen, aber als eben lösbar präsentiert wurden, hätte man hier sicher noch weiter gehen können. Angedeutet findet sich die Funktion schließlich auch bei Michael Meyen, der hervorhebt, dass das Radio auch zum Ende der DDR weiter seine Hörerschaft hatte, nicht zuletzt, um mit alltagsbezogenen, regionalen und DDR-spezifischen Informationen versorgt zu werden. Um die Bedeutung des Radios in der DDR insgesamt noch besser zu erfassen, wird man diese Ebene sicher noch stärker zu berücksichtigen haben.

Das ändert insgesamt nichts an der Tatsache, dass der Band grundlegend für alle künftigen Forschungen zu diesem Bereich ist und zugleich eine Reihe weiterer Perspektiven aufzeigt.

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