Cover
Titel
From World War to Cold War. Churchill, Roosevelt, and the International History of the 1940s


Autor(en)
Reynolds, David
Erschienen
Anzahl Seiten
374 S.
Preis
£ 30.00/$ 45.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Henning Hoff, Cambridge

Seit vor über 25 Jahren sein großes Werk zur Entstehung der britisch-amerikanischen Allianz im Zweiten Weltkrieg erschien1, zählt der Historiker David Reynolds (Cambridge) nicht nur zu den besten Kennern dieser transatlantischen „Sonderbeziehungen“, sondern auch zu den profiliertesten, vielseitigsten Vertretern einer „Internationalen Geschichte“ des Zweiten Weltkriegs und des Kalten Kriegs. Aus seiner Feder stammen unter anderem die konziseste und bis heute nicht übertroffene Betrachtung britischer Außenpolitik im 20. Jahrhundert, eine innovative Untersuchung der „amerikanischen Besetzung Großbritanniens“ während der fast drei Jahre dauernden Vorbereitung auf den „D-Day“ und zuletzt ein detailliertes, aufschlussreiches Werk über Winston Churchill als Geschichtsschreiber und Mythenbildner. Die vorläufige Krönung fand Reynolds’ Werk in seiner glänzend geschriebenen Globalgeschichte der Epoche nach 1945, die er im Jahr 2000 veröffentlichte.2

Der nun erschienene Band „From World War to Cold War“ versammelt 18 bislang disparat erschienene Aufsätze und Vorträge Reynolds’ aus den letzten zwei Jahrzehnten, oft überarbeitet, miteinander verknüpft und auf den neuesten Stand gebracht. Unterteilt in sechs Oberkapitel („World War“ – „Churchill“ – „Roosevelt“ – „‚Mixed Up Together’“ – „Cold War“ – „Perspectives“) bieten sie einen auf die 1940er-Jahre und die „special relationship“ fokussierten Querschnitt seiner bisherigen Forschungen und verdichten sich durch die Zusammenstellung zu einem neuen Ganzen. Der Band destilliert sozusagen eine „Internationale Geschichte à la Reynolds“, in der sich ein an die „realistische“ Schule internationaler Beziehungen anlehnendes Interesse für Strategien und Allianzen fruchtbar mit interessierter Aufgeschlossenheit gegenüber neueren historiographischen „turns“ mischt. „The state is not a unitary actor“, schreibt Reynolds einleitend. „We need to understand the dynamics of policymaking and the complexities of bureacratic politics. [...] ‚power‘ takes many forms, tangible and intangible, hard and soft.“ (S. 4)

Auf der Basis immenser Quellenkenntnis und durch die Entwicklung immer neuer Perspektiven gelingt es Reynolds, selbst der so ausführlich erforschten Zeitspanne von 1940 bis 1950 noch überraschende Erkenntnisse abzugewinnen. Der Blick auf die „folgenschwere Dekade“ in der Mitte des 20. Jahrhunderts setzt ein mit einer begriffsgeschichtlichen Betrachtung über die „Ursprünge des ‚Zweiten Weltkriegs‘“. Abgesehen von der primär auf deutscher Seite vorhandenen Neigung, beim „Großen Krieg“ von 1914 bis 1918 früh vom „Weltkrieg“ zu sprechen, war dieser Terminus vor allem das Ergebnis der zeitgenössischen Begriffsprägung von US-Präsident Franklin D. Roosevelt. Die Bezeichnung war Anfang 1941 ursprünglich als Provisorium zur Propagierung eines amerikanischen Kriegseintritts gewählt; später erwogene Alternativen wie „Everyman’s War“ oder „The Tyrant’s War“ setzten sich dann nicht mehr durch.

Wie Reynolds wiederholt deutlich macht, verstellt die Interpretation als „Zweiter Weltkrieg“ den Blick darauf, dass es sich bei den vom nationalsozialistischen Deutschland und Japan begonnenen militärischen Eroberungszügen und dem Zurückschlagen durch die „Großen Drei“ eher um eine Kette regionaler Kriege handelte. Ebenso verdecke die häufig vorgenommene Periodisierung 1939 bzw. 1941 bis 1945 (oder auch 1914 bis 1945), dass ein entscheidender Angelpunkt des 20. Jahrhunderts das Jahr 1940 war, oder genauer gesagt: der überraschend schnelle Sieg Deutschlands über Frankreich im Mai und Juni 1940. Ohne Hitlers „Blitzsieg“ im Westen, so argumentiert Reynolds überzeugend, hätte es beispielsweise keine anglo-amerikanische Allianz gegeben (sondern ein extrem enges Bündnis zwischen Großbritannien und Frankreich), kein italienisches Eingreifen, keinen baldigen deutschen Angriff auf die Sowjetunion und wohl auch keine japanische Attacke auf die US-Flotte in Pearl Harbor mit all ihren Folgen. Kalter Krieg, Dekolonisation und (west)europäische Integration – diese Nachkriegsentwicklungen verfolgt Reynolds ins Frühjahr 1940 zurück und erinnert indirekt daran, dass historische Entwicklungen keineswegs vorbestimmt und unausweichlich sind.

Ob er über Churchills Entscheidung von 1940 schreibt, den Krieg gegen Hitler fortzusetzen, oder über die berühmte „Eiserner-Vorhang“-Rede in Fulton/Missouri vom Februar 1946 – die eigentlich als „Angelsächsische-Allianz“-Rede gedacht war, bei der sich Churchill aber in der medialen und politischen Wirkung seiner Worte verkalkulierte –, ob Reynolds die diplomatischen Fähigkeiten Roosevelts als „Rollstuhl-Präsident“ betrachtet, sich der staatlichen Förderung von „Amerikanischen Studien“ 1941 bis 1943 in Großbritannien oder dem Umgang mit afroamerikanischen GIs widmet, oder ob er die Bedingungen untersucht, durch welche die Vereinigten Staaten im Zweiten Weltkrieg anders als 1917/18 zur Supermacht aufstiegen – stets führen die Essays geradewegs zu Kernfragen der britisch-amerikanischen Kriegs- und Nachkriegsbeziehungen und deren nachhaltigen Wirkungen auf die internationale Politik.

Von besonderem Interesse ist das Schlusskapitel „Culture, Discourse, and Policy: Reflections on the New International History“. Dort beschreibt Reynolds die Herausforderungen, denen sich die heute eher unmodische, einst unter „Diplomatiegeschichte“ firmierende Subdisziplin „Internationale Geschichte“ in den vergangenen Jahrzehnten ausgesetzt sah. Während er die Öffnung dieses Fachs gegenüber kulturellen Dimensionen prinzipiell ebenso begrüßt wie eine neue Sensibilität gegenüber der Sprache, die der „linguistic turn“ mit sich brachte, weist er mit Recht auf die in Sackgassen führenden Tendenzen postmoderner Theorie hin, aber auch auf die begrenzten Erklärungsreichweiten von zuletzt beliebten Kategorien wie „gender“ und „otherness“.

Es wäre „zutiefst bedauerlich“, schreibt Reynolds, sollten Forscherinnen und Forscher der Internationalen Geschichte ihr traditionelles Interesse an der Formulierung von Politik und Entscheidungen verlieren. Seinem behutsamen Appell wenn nicht für eine „diplomatische Wende“ („diplomatic turn“), so doch für einen „wiederkehrenden diplomatischen Ruck“ („a recurrent diplomatic twitch in the saga of international history“; S. 351) ist nichts hinzuzufügen.

Anmerkungen:
1 Reynolds, David, The Creation of the Anglo-American Alliance, 1937-1941. A Study in Competitive Co-operation, London 1981.
2 Ders., Britannia Overruled. British Policy and World Power in the 20th Century, London 1991; ders., Rich Relations. The American Occupation of Britain, 1942-1945, London 1995; ders., In Command of History. Churchill Fighting and Writing the Second World War, London 2004; ders., One World Divisible. A Global History since 1945, London 2000.

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