P. Kalning: Kriegslehren in deutschsprachigen Texten um 1400

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Titel
Kriegslehren in deutschsprachigen Texten um 1400. Seffner, Rothe, Wittenwiler mit einem Abdruck der Wiener Handschrift von Seffners "Ler von dem streitten"


Autor(en)
Kalning, Pamela
Reihe
Studien und Texte zum Mittelalter und zur frühen Neuzeit 9
Erschienen
Münster 2006: Waxmann Verlag
Anzahl Seiten
268 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Antje Thumser, Freie Universität Berlin

In ihrer germanistischen Dissertation behandelt Pamela Kalning mit Johann Seffners ‚Ler von dem streitten’ 1, Johannes Rothes ‚Ritterspiegel’ 2 und Heinrich Wittenwilers ‚Ring’ 3 die drei frühesten Texte, in denen Kriegstheorien in deutscher Sprache verarbeitet wurden. Kalning deckt die kriegswissenschaftliche Grundlegung dieser Schriften auf, indem sie sich einer immanenten Methode bedient. Ganz pragmatisch ausgehend von den direkt oder indirekt nachweisbaren Autoritätenverwendungen der jeweiligen Verfasser, stellt sie in einem ersten Kapitel skizzenhaft paraphrasierend den bis zur Abfassungszeit der Schriften herausgebildeten Wissensfundus von Kriegslehren in drei thematisch ausgerichteten Schritten vor. Zuerst verfolgt sie die Entwicklung einer christlichen Kriegstheorie von den frühen Christen über Augustinus und Isidor von Sevilla bis zu Thomas von Aquin. Besondere Bedeutung misst sie der im ausgehenden vierten Jahrhundert entstandenen Militärschrift ‚Epitoma rei militaris’ des Vegetius bei, die das römische Wissen über die Kriegführung mit dem christlichen Gedankengut vereint. Wiederum chronologisch referiert sie dann die Behandlung kriegstheoretischer Fragen und die Weiterentwicklung der Lehre vom gerechten Krieg in der römischen Rechtstradition sowie die Kriegstheorie im kanonischen Recht, berücksichtigt aber auch die Möglichkeit außergerichtlicher Konfliktbeilegung durch Schiedsverfahren. Zentrale Bedeutung für die Geschichte der Kriegswissenschaft mit außerordentlicher Wirkungsmacht im Mittelalter gesteht sie der 1360 vollendeten Schrift des Bologneser Juristen Giovanni da Legnano ‚De bello, de repressaliis et de duello’ zu. Abschließend geht sie auf den christlichen Kreuzzugsgedanken als Sonderfall eines gerechten Krieges ein. Problematisch an der gewählten Herangehensweise ist, dass sich die Themen und Argumente in den kriegstheoretischen Schriften immer wieder überschneiden und wiederholen und von den immergleichen Zitaten aus der Heiligen Schrift gestützt werden, ein Umstand, der auch in Kalnings Ausführungen Redundanzen nach sich zieht.

Anhand des aufbereiteten „Wissensfeldes“ geht sie sodann der Verarbeitung dieses Wissens in den deutschen Texten nach. Sie will vor allem die Strukturierung des Wissens nachvollziehen und aufzeigen, was jeweils ausgewählt, verändert, hervorgehoben oder vernachlässigt wurde. Die Auswahl ihrer Texte begründet sie einleuchtend mit deren auffälligen Gemeinsamkeiten wie der Entstehungszeit um 1400, dem Rekurs auf die Lehre vom gerechten Krieg sowie der Rezeption und Verwendung des Vegetius in kriegswissenschaftlichen Fragen. Alle drei Texte behandeln vorrangig theoretische Grundfragen wie die Zulässigkeit von Krieg und die Lehre vom gerechten Krieg, während Strategie oder Kriegstechnik kaum eine Rolle spielen. Obwohl die drei Texte äußerst spärlich überliefert sind und sich zwischen ihnen keinerlei Abhängigkeiten nachweisen lassen, schöpfen sie aus dem gleichen Wissensreservoir, so dass sie sich gut eignen, sowohl die Wissensinhalte der Kriegslehren aufzuzeigen als auch deren literarische Verarbeitung vorzuführen.

Den Anfang macht die wenig nach 1394 entstandene und in nur zwei Textzeugen erhaltene ‚Ler von dem streitten’ des Wiener Theologen Johann Seffner, die in engstem Überlieferungszusammenhang mit der ‚Österreichischen Chronik von den 95 Herrschaften’ 4 steht. Den für die Österreicher katastrophalen Ausgang der Schlacht bei Sempach 1386 nimmt Seffner zum Anlass für einen kurzen kriegstheoretischen Traktat. Unter Heranziehung verschiedenster Autoritäten behandelt er zunächst die Geschichte und die Arten des Krieges sowie die Lehre vom gerechten Krieg. Wie Kalning nachweisen kann, stellt Seffner dann äußerst knapp, systematisch und strukturell orientiert an den Fehlern der Österreicher, vor allem unter Rückgriff auf Vegetius und vereinzelt mit Beispielen aus Konrads von Megenberg ‚Buch der Natur’ veranschaulicht, Ratschläge für die Kriegführung und die wichtigsten Regeln für Heerführer und Ritter zusammen, die zum Grundbestand des Fachwissens über den Krieg im späten Mittelalter gehören. Eine nützliche Tabelle im Anhang enthält alle Quellenzitate in der Reihenfolge ihres Auftretens. Beigefügt ist der Text aus einer bislang kaum bekannten Wiener Handschrift. Charakteristisch an Seffners Traktat ist für Kalning die Mischung aus Theorie und Anwendungsbezogenheit. Seine Rezipienten dürfte er am Wiener Hof gefunden haben.

Unikal überliefert ist der um 1410/15 entstandene, mehr als 4000 Verse umfassende ‚Ritterspiegel’ des Eisenacher Stadtschreibers und Klerikers Johannes Rothe. Virtuos verwendet er Auszüge aus der Bibel, antiken und christlichen Autoren, wovon im Anhang eine Tabelle mit allen Zitaten zeugt. Bei Rothe nimmt vor allem die recta intentio breiten Raum ein. Vermittelt wird im ‚Ritterspiegel’ nicht primär Sachwissen, sondern die erwartete moralische Haltung beim Führen eines christlichen Krieges, dessen Ziel vornehmlich in der Herstellung von Gerechtigkeit liegt. Als spezifische Intention des ‚Ritterspiegels’ vermutet Kalning eine Morallehre für junge Adlige. In einer sehr ausführlichen Analyse von Rothes Vegetius-Rezeption stellt sie fest, dass er die zitierten Stellen der didaktischen Ausrichtung seiner Schrift anpasst. Dies wird im Anhang mit einer Übersicht der Vegetius-Referenzen belegt. Zusätzlich sind sämtliche Übernahmen aus dem Vegetius in einem synoptischen Abdruck dokumentiert. Die ausgewählten Lehren aus den ‚Epitoma rei militaris’ sind nach Kalnings Ansicht vor allem im Rahmen eines länger andauernden Kreuzzuges nützlich. In seiner Tendenz und in der Berufung auf bestimmte Autoritäten sieht Kalning Rothes ‚Ritterspiegel’ in der Nähe jener Werbeschriften, mit denen der Deutsche Orden nach der Schlacht von Tannenberg um neue Mitglieder warb. Er könne somit dazu gedient haben, junge Adlige zur geistlichen Ritterschaft und dem Eintritt in den Orden zu bewegen.

Der ebenfalls nur in einer einzigen Handschrift erhaltene um 1410 geschriebene ‚Ring’ des Konstanzer Juristen Heinrich Wittenwiler bildet den Höhepunkt der Untersuchung. In dem fast 10.000 Verse umfassenden Lehrgedicht erzählt Wittenwiler von der Brautwerbung des Bertschi Triefnas aus Lappenhausen um Mätzli Rürenzumpf aus Nissingen und ihrem in einer Schlägerei eskalierenden Hochzeitsfest samt dem sich daraus entwickelnden Krieg zwischen den beiden Dörfern, in den sukzessive die ganze Welt hineingezogen wird. In der Schilderung des Krieges gibt Wittenwiler, wie Kalning herausarbeitet, eindrucksvoll Zeugnis von seiner hervorragenden Kenntnis kriegswissenschaftlicher Theorien. Geradezu enzyklopädisch angelegt, kommen Notwehrrecht, Lehre vom gerechten Krieg, theologische Begründung der Kriegführung und korrekte Fehdeansage ebenso zur Sprache wie der astrologisch berechnete Zeitpunkt für eine Schlacht. Ferner werden Fragen zur Vorbereitung auf die Schlacht, die Aufgaben von Banner- und Heerführern sowie juristische Detailprobleme unter ausführlicher Wiedergabe des Giovanni da Legnano behandelt, zudem Belagerungstechniken, vorgeführt nach allen Regeln des Vegetius beim Kampf um einen Heuschober. Die Bedeutung von Wittenwilers literarischer Leistung sieht Kalning in der klugen Anbindung der vielfältigen Lehren an eine schwankhafte Erzählung. Gedient haben könnte der Text der Selbstvergewisserung eines Standes, der Zugang zu gelehrtem Wissen hatte.

Pamela Kalnings Textauswahl ist sicherlich gut geeignet, sowohl den kriegstheoretischen Wissenskanon um 1400 vorzustellen wie auch den souveränen Umgang der Verfasser mit den Kriegslehren nachzuweisen. Anhand von Auswahl und Zusammenstellung der dargebotenen inhaltlichen Details sowie der je spezifischen Strukturierung kann sie belegen, dass die Texte, so unterschiedlich sie auch sind, nicht beliebig, sondern gezielt und sorgsam aus den einschlägigen Werken aufbereitet und im Dienst der jeweiligen Intention eingesetzt wurden. Die vielen im Anhang dokumentierten Belegstellen zeugen davon und eignen sich darüber hinaus gut als Grundlage zur weiteren Beschäftigung mit dem Thema. Vorstellbar wäre beispielsweise, auf Kalnings Ergebnissen und Materialien aufbauend, die Überprüfung anderer Textsorten wie Chronistik oder Epik auf ihren kriegstheoretischen Gehalt.

Anmerkungen:
1 Seffner, Johann, Ain Ler von dem Streitten, hrsg. v. Seemüller, Joseph, in: Österreichische Chronik von den 95 Herrschaften, München 1909, S. 224-230.
2 Rothe, Johannes, Der Ritterspiegel, hrsg. v. Neumann, Hans, Halle an der Saale 1936. Vgl. auch <http://homepages.uni-tuebingen.de/christoph.huber/rothe.htm>.
3 Wittenwiler, Heinrich, Der Ring, Frühneuhochdeutsch/Neuhochdeutsch, nach dem Text von Edmund Wiessner ins Neuhochdeutsche übersetzt und hrsg. v. Brunner, Horst durchgesehene und bibliografisch ergänzte Ausgabe, Stuttgart 2003.
4 Wie Anm. 1.

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