Cover
Titel
Unter dem Müll der Acker. Community Gardens in New York City


Autor(en)
Meyer-Renschhausen, Elisabeth
Erschienen
Königstein 2006: Ulrike Helmer Verlag
Anzahl Seiten
176 S.
Preis
€ 17,95
Rezensiert für den Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie / Kulturanthropologie / Volkskunde" bei H-Soz-Kult von:
Leonore Scholze-Irrlitz, Landesstelle für Berlin-Brandenburgische Volkskunde am Institut für Europäische Ethnologie, Humboldt-Universität

„Unter dem Müll der Acker“ – ein Titel, der auf die Abfolge der Arbeiten hinweist, welche in der Großstadt New York der Entstehung eines Nachbarschaftsgartens vorausgehen. Elisabeth Meyer-Renschhausen ist in den Jahren 2002 und 2003 jeweils für einige Wochen zu Feldforschungen in dieser Stadt unterwegs gewesen. Entstanden ist daraus eine sehr anschauliche, materialreiche Darstellung der Community Gardens, in der sich die Autorin entlang einiger Studien von Stadtsoziologen wie Neil Smith oder Hartmut Häusermann auch mit der New Yorker Stadtentwicklungspolitik der letzten 30 Jahre auseinandersetzt, also dem Zeitraum, in dem die Stadt – 1973 fast zahlungsunfähig – gezwungen war, hart zu sparen. Die untersuchte Community Gardening-Bewegung entstand Anfang der 1970er-Jahre in solchen New Yorker Stadtteilen, die im Zuge des Verschwindens der Industrie zunehmend verfielen und verkamen. Zwar waren Stadtteile wie die Lower East Side und Harlem in Manhattan, die Bronx und Teile von Brooklyn in den 1960er-Jahren bereits einem beginnenden Verfall ausgesetzt, jedoch verschärfte die Abwanderung der Arbeitgeber und damit der Steuerzahler diesen Prozess weiter. Daher war es das frühe Anliegen der Bewegung, im unmittelbaren Wohnumfeld mit Müll verschandelte Brachflächen zu räumen und stattdessen auf den entstandenen Flächen größere oder kleinere Gärten, grüne Oasen anzulegen. Unter dem Begriff „Urban Agriculture“ hat sich mit den Arbeiten und Aktionen um die Gründung der Gärten bis heute eine soziale Bewegung entwickelt, die Land in ihrer Nachbarschaft besetzt bzw. auch pachtet, um Obst, Gemüse, Blumen und Gehölze zu pflanzen. Getragen werden die verschiedenen Initiativen überwiegend von Frauen.

Das Interesse von Elisabeth Meyer-Renschhausen bestand darin, sowohl unterschiedliche Gruppen mit ihren spezifischen Ansätzen als auch einzelne Protagonisten bzw. Mitglieder in Form einer Sozialreportage, angelehnt an die Chicago School der Soziologie, zu beschreiben. Die Autorin nimmt dafür den Leser auf eine Wanderung durch New York City mit. Methodisch versucht sie auf der Basis von Materialien aus teilnehmender Beobachtung, aus qualitativen Interviews, aber auch auf der Grundlage von Literatur und Statistiken zum Thema ihren Weg der Entdeckung auch dem Leser nahe zu bringen. Dabei werden einleitend Begriffe und Konzepte sozialer Bewegungen wie Eigenarbeit, Subsistenzwirtschaft, Hackfeldbau und die schon genannte Urban Agriculture eingeführt und deuten auf die Bandbreite weiterer Themen und Probleme hin, die im Buch mit angerissen werden.

Im ersten von vier Kapiteln, in „Ghettogärten mit Gemüse“ geht es um die Vielfalt städtischen Gemüseanbaus anhand verschiedener Typen von Community Gardens: einer davon ist der „Baptist Church Garden“, genannt nach der dem heutigen Garten gegenüberliegendem Kirche, deren Gemeinde 1985 den Anstoß für die Gründung gab. Neben der Begrünung der Nachbarschaft, also der Schaffung von Freiräumen in einem deprimierend verwahrlosten, ehedem netten Arbeiter- und Handwerker-Vorort, der aus kleinen Einzel- bzw. Reihenhäusern mit hübschen Gärtchen bestand, geht es den Initiatoren auch darum, zur Interaktion zwischen verschiedenen Bewohnergruppen einzuladen. Getragen wird die Initiative im Baptist Church Garden von einer Gruppe African Americans, welche die ältere bzw. mittlere Bewohnerschicht des Stadtteils darstellt. Von der ethnischen Bevölkerungsstruktur des Viertels her überwiegen allerdings Puerto Ricans. Angebautes Gemüse wird der lokalen Suppenküche gespendet.

Im zweiten Kapitel „Ghettoisierung führt zur Gewalt – Gemüseanbau als Ausweg“ erläutert die Autorin die Entstehung der Ghettos in den Steinwüsten der Stadt als Resultat einer fehlenden oder verfehlten Stadtentwicklung. Dabei geht sie auf den Prozess der Segregation ein, der angestammte ärmere und bestimmten ethnischen Gruppen zugehörige Bevölkerungsteile zu Gunsten neuer solventerer Bewohner vertreibt. Ghettoisierung ist eine Folge dieser Politik, die besonders die „schwarzen“ bzw. „farbigen“ Bewohner New Yorks trifft. Verbunden mit der aussichtslosen Wohn- und Lebenssituation war besonders seit den 1970er-Jahren – seit Black Power und wachsendem Drogenkonsum – die Zunahme von Gewalt und Verwahrlosung. In diesem Kontext stellen Nachbarschaftsgärten nicht nur die Basis für Stadtbegrünung oder Selbstversorgung durch Gemüseanbau dar, sondern sie dienen in Gemeinwesen- bzw. eben Nachbarschafts-Projekten auch der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Elisabeth Meyer-Renschhausen beschreibt unter anderem zwei Projekte, in denen Jugendliche das Gärtnern und Verkaufen der Produkte auf selbst eingerichteten Bauernmärkten bzw. die Verwaltung solchen Handels erlernen. Kunden dieser Märkte sind Menschen, die Lebensmittelmarken von der Stadt erhalten, da sie unterhalb des Existenzminimums leben. Reste, die bis Marktschluss nicht verkauft werden können, aber auch ganze Teile der Ernte erhalten wiederum private, kirchlich oder anderweitig betriebene Suppenküchen, die von der immer stärker anwachsenden Gruppe von Armen, Niedrig-Lohnempfängern und „Illegalen“ genutzt werden und ihnen das Überleben erleichtern. Eine weiteres Projekt mit straffällig gewordenen Jugendlichen wird unter anderem von „Heifer International“ gefördert. Elisabeth Meyer-Renschhausen stellt das Projekt im ehemaligen Hafenviertel New Yorks vor. Interessant dabei ist, dass sich die beiden männlichen Initiatoren – obwohl in diesem Bereich erfolgreich tätig – nicht als Teil der Community Gardening Bewegung verstehen, die sie als eine „Sache von besser verdienenden Weißen“ ansehen (S. 113).

Im dritten Kapitel „Umwelt-Verteidigung durch Vernetzung“ wird die Entstehung von solchen Interessengruppen historisch entwickelt, die sich im Rahmen der Community Gardens stärker auf den Schutz ihrer Umwelt bzw. auf Umwelterziehung etwa bei Kindern und Jugendlichen spezialisiert haben. Sowohl die „Green Guerillas“ als auch die „Green Thumb“ waren zunächst Bürgerinitiativen, Non Gouvernemental Organisations (NGO), die sich der Gründung, alsbald aber auch dem Schutz der Gärten vor der Zerstörung durch Bodenspekulation verschrieben hatten. Dem vorzubauen stellten sie beispielsweise Zäune für Einfriedungen, Arbeitsgeräte, Erde, Samen u. a. zum Gartenbau zur Verfügung. Später allerdings wurde „Green Thumb“ der „Park & Recreation“-Behörde zugeordnet, während die „Green Guerillas“ eine NGO blieben. Die Verteidigung der Gärten gegen die neoliberale Stadtpolitik der 1990er-Jahre machte die Gründung weiterer Netzwerke nötig. Denn unter dem Bürgermeister R. Giuliani (1994-2001) wurden Gärten aufgelöst und die entsprechenden Flächen an Investoren verkauft. Mit einer vernetzten Bewegung gelang es dann aber, zahlreiche Gärten zu retten, indem sie lautstark verteidigt, mit gesammelten Geldern gekauft bzw. in neue Rechtsformen überführt wurden, die mehr oder weniger dauerhaften Schutz vor Veräußerung gewährleisteten (z. B. Überführung in einen städtischen Landtrust). Heute gehören die meisten der so gesicherten Gärten zu „Park & Recreation“ und haben damit einen Status als Parklandschaft erhalten. 100 weitere Gärten wurden durch eine großartige Spendenaktion gekauft und gehören nun privaten Bodengenossenschaften („Land Trusts“). Insbesondere „Green Thumb“, hervorgegangen aus einem Brachenbegrünungsprogramm, das zunächst über einen Runden Tisch für Umweltfragen ohne eigenen Etat als Beratungsgremium im Bürgermeisterbüro agierte und später mit Fördergeldern aus Washington zum Vermittler zwischen den Community Gardeners-Gruppen und den Behörden wurde, ist genauerer Betrachtung wert. Green Thumb setzt sich u. a. durch Vermittlung von Pachtverträgen dafür ein, dass Gartenbau auf den Brachen legalisiert wird, indem die meisten Nachbarschaftsgärten zum symbolischen Pachtpreis von einem Dollar pro Jahr legal beackert werden dürfen. Seitens Green Thumb werden heute in New York City um die 600 Gärten mit circa 20.000 bis 60.000 aktiven Nutzern betreut, wobei man von einer weiteren Dunkelziffer von vielleicht 100 bis 200 zusätzlichen Nachbarschaftsgärten ausgeht.

Im vierten und letzten Kapitel schließlich versucht Elisabeth Meyer-Renschhausen eine Zusammenfassung und auch Einordnung ihres Themas in die sogenannten neuen sozialen Bewegungen, die sich, unterstützt durch den Weltumweltgipfel in Rio de Janeiro 1991, auch Fragen des nachhaltigen Umgangs mit der Natur zugewandt haben. Als Teil der dort beschlossenen Agenda 21 versuchen die Garten-Projekte die Verbindung von ökologischen, sozialen und ökonomischen Aktivitäten zu praktizieren. Die Autorin unterscheidet dabei zwei wesentliche Entwicklungsphasen der Community Garden Bewegung: zum einen die Auseinandersetzung um Grund und Boden für die Gärten, eingeschlossen den sozial-ökologischen Bereich, zum anderen die Sicherung und den Erhalt der Gärten durch politische und ökonomische Aktivitäten.

Bilanzierend lässt sich festhalten, dass „Unter dem Müll der Acker“ ein flüssig geschriebenes Buch ist, eine lebensnahe Entdeckungsreise in die New Yorker neuen Gärten. Im Resultat der Lektüre entsteht sogar der Eindruck, dass Teile des Gebiets um die Lower East Side von New York ein stark durchgrüntes, mit Gärten versehenes Viertel darstellen – womit gleichzeitig einige Gefahren des Bandes offensichtlich werden: so die Möglichkeit, in eine gewisse Sozialromantik hineinzurutschen, wenn z.B. die Gründe, aus denen heraus die spanischsprachigen Einwohner der Stadt, Hispanics, Puerto Ricans und auch Afro-Americans so stark in der Community Gardening Bewegung vertreten sind, zu wenig ausführlich erläutert werden. Weil sie vom Land kommen, sei ihnen nämlich die „informelle Ökonomie“ in Form der Subsistenzwirtschaft im Familienverband ohnehin noch vertraut. Die Älteren würden wissen, wie man erfolgreich Gemüse anbaut und einen Garten anlegt. (S. 147) Die damit angesprochenen kulturellen Erfahrungen spielen eine Rolle, doch würde sich der Leser hier eine stärkere Differenzierung beispielsweise durch die Beschreibung einiger konkreter Biographien wünschen. Auch beim Resümee, dass durch die Gemeinschaftsgärten eine emanzipatorische Bewegung entstanden sei, die aus „Ghettobewohnern aktive Staatsbürger“ macht (S. 147), fehlt bei aller zu teilenden Euphorie eine konkretere Einordnung in Hinblick auf das Erreichte, aber auch auf die offenen Probleme. Hier deutlich zu machen, welche Funktion diese Bewegung unter anderem als „Hefe“ zur Entwicklung neuen Nachdenkens und Handelns in Globalisierungszusammenhängen hat, bleibt weiteren Überlegungen vorbehalten.

Es wäre daher wünschenswert, wenn die wissenschaftliche Forschung hierzu ausgebaut und auch im Rahmen der Wissenschaftsstiftungen durch entsprechende Stipendien Unterstützung erfahren würde. Zwar zeigt der vorliegende Überblicksband von Elisabeth Meyer-Renschhausen sehr eindrucksvoll den Alltag in einer der reichsten Städte der Welt, angefangen von der Wohnungspolitik mit ihren Gentrifizierungseffekten in ausgewählten New Yorker Stadtteilen bis hin zu den Suppenküchen der Unterprivilegierten, ist also eine gute und plastische Darstellung städtischer Lebensweisen, eine Handreichung zum Nachdenken über konkrete Praxen in spätmodernen Gesellschaften. Jedoch sollte dieses Material nun vertieft werden, damit die Euphorie des Betrachtens in die überlokale und übernationale Arbeit des grundlegenden Vergleichs auch in Richtung Osteuropa umschlagen kann und damit weitere Perspektiven hervortreten.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Kooperation
Diese Rezension entstand in Kooperation mit dem Rezensionsdienst "Europäische Ethnologie/Kulturanthropologie/Volkskunde" http://www.euroethno.hu-berlin.de/forschung/publikationen/rezensionen/
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension