P. van Schie u.a. (Hrsg.): The Dividing Line between Success and Failure

Titel
The Dividing Line between Success and Failure. A Comparison of Liberalism in the Netherlands and Germany in the 19th and 20th Centuries


Herausgeber
van Schie, Patrick; Gerrit Voerman
Erschienen
Münster 2006: LIT Verlag
Anzahl Seiten
159 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jeannette Nowak, Frankfurt am Main

Die Forschungslage zum Liberalismus in Deutschland oder den Niederlanden ist durchaus reichhaltig. Vergleiche mit liberalen Bewegungen anderer Staaten – vorzugsweise mit Großbritannien, den USA oder Italien – gibt es ebenfalls. Bisher fehlte jedoch eine direkte Gegenüberstellung des deutschen mit dem niederländischen Liberalismus. Diese Lücke zu schließen nahmen sich niederländische Politikwissenschaftler vor und führten dazu im Dezember 2003 eine Konferenz in Groningen durch. Die seinerzeit präsentierten Beiträge liegen nun – erweitert um einen Beitrag von Jörn Leonhard, der einen nicht eingereichten Konferenzbeitrag ersetzt – in englischer Sprache als Buch vor. In den acht Aufsätzen werden unterschiedliche Aspekte angesprochen: historische Abrisse finden sich ebenso wie Beiträge zur „Ideologie“ der Liberalen sowie zur Geschichte der liberalen Parteien. In der Einleitung erläutern die Herausgeber die Themenwahl: Die Niederlande werden vom großen Nachbarn Deutschland nach wie vor in vielerlei Hinsicht beeinflusst. Dies gilt auch für politische Ideen und den Austausch zwischen den Parteien. Obwohl sich der Liberalismus in den beiden Staaten völlig unabhängig voneinander herausbildete, wird in diesem Sammelband ein Vergleich versucht.

In seinem Beitrag „Co-existence and conflict“ schildert Jörn Leonhard die uneinheitliche Geschichte des deutschen Liberalismus im 19. Jahrhundert und plädiert für eine differenzierende Sichtweise. Dennoch arbeitet er Gemeinsamkeiten und Parallelentwicklungen heraus. Die soziale Herkunft der Anhänger des Liberalismus variierte sowohl regional als auch zeitlich, eine Konstante bildete etwa die höhere Affinität der Liberalen zum Protestantismus als zum Katholizismus. Ein einheitliches „Programm“ entwickelten die Liberalen nicht; zu vielen Themen bildete sich jedoch eine gemeinsame Rhetorik heraus. Nach der Revolution von 1848/49 vollzogen die deutschen Liberalen den Wechsel zur „Realpolitik“ und sammelten erste politische Erfahrungen. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts erwies sich die liberale Bewegung aufgrund ihrer Inkonsistenz jedoch als eher schwach.

In „The strengths and weaknesses of Dutch liberalism“ geht Patrick van Schie anhand eines Vergleichs mit dem deutschen Liberalismus der Frage nach, ob der niederländische Liberalismus wirklich so stark war und ist, wie es gelegentlich den Anschein hat. Seiner Ansicht nach gilt dies erst für das 20. Jahrhundert. Die Beteiligung der niederländischen Liberalen am politischen Geschehen des 19. Jahrhunderts ging auf den König zurück, der damit einer Revolution zuvorkommen wollte. Intern war die Bewegung jedoch gespalten. Die Organisation der niederländischen Liberalen setzte später ein und war auch weniger erfolgreich als in Deutschland. Dies belegen etwa die Mitgliederzahlen. Die soziale Herkunft der Anhänger dagegen war in beiden Staaten ähnlich, doch wirkten sich die Konflikte mit der katholischen Kirche in den Niederlanden wiederum stärker aus. Nach dem Ersten Weltkrieg gerieten die niederländischen Liberalen in die Opposition, um erst nach 1945 wieder zu erstarken.

In seinem Beitrag „Intellectual history, party politics, and social foundations“ belegt Hans Vorländer anhand von Parteikonzepten und der veränderten Bedeutung des Begriffs „liberal“ den Einfluss liberaler Ideen in Deutschland seit Ende des 19. Jahrhunderts. Zunächst beleuchtet er ideologische Merkmale des „zahmen“ deutschen Liberalismus vor 1848/49. Die Erfolge während des Kaiserreiches und der Weimarer Republik erwiesen sich als kurzlebig. Die Ideen der Liberalen erschienen überholt und waren unpopulär. Noch bis weit über 1945 hinaus war der Begriff „Liberalismus“ diskreditiert. Die FDP übernahm zwar liberale Ideen in ihr Programm, bezeichnete sich jedoch erst ab 1976 als „liberal“. In intellektuelle und politische Diskussionen fanden liberale Ideen bis in die 1980er Jahre nur sporadischen Eingang, und sie dienten vor allem als Gegengewicht zu nationalen Traditionen. Vorländer schließt mit einem Überblick über die Geschichte der FDP.

In „Resilient liberalism in a small Western European State“ schildert Jos de Beus die Entwicklung des niederländischen Liberalismus seit dem 19. Jahrhundert, indem er zunächst auf die Hauptunterschiede zwischen dem niederländischen und dem deutschen bzw. preußischen Liberalismus eingeht. Die Konzepte der niederländischen Liberalen bilden den Schwerpunkt des Aufsatzes. Johan Rudolf Thorbeckes „klassischer Liberalismus“ gehörte ebenso dazu wie der Sozialliberalismus und der Nationalliberalismus. Von 1918 bis in die 1970er Jahre konstatiert der Autor bis zur Gründung der VVD (Volkspartij voor Vrijheid en Democratie) ein ideologisches „Vakuum“. In den letzten Jahren überwog der „aufgeklärte Liberalismus“, wie ihn etwa Frederik Bolkestein vertritt. De Beus stellt Untersuchungsergebnisse vor, die den Einfluß des deutschen auf den niederländischen Liberalismus als eher gering ausweisen. Zuletzt geht de Beus auf die Europäische Union ein: Ihre Gründung und Etablierung sei zwar ein Ziel der Liberalen in beiden Staaten gewesen, doch müsse sich noch erweisen, wie ihr Einfluss auf die weitere Gestaltung der Union aussehe.

In „Which way to go?“ befaßt sich Detmar Doering mit der Geschichte der FDP. Darin beschreibt er chronologisch die wiederkehrenden innerparteilichen Diskussionen um Ausrichtung und Parteiprogramm. Nach 1945 entstanden zunächst regionale liberale Parteien, deren je unterschiedliche Ausrichtung bei ihrem Zusammenschluß in der FDP „unter einen Hut“ gebracht werden mussten. Doering verfolgt die Strategie bzw. das Fehlen einer Strategie während der folgenden Jahrzehnte weiter: die Zusammenarbeit mit wechselnden Koalitionspartnern, die programmatischen Diskussionen und das pragmatische Handeln als Regierungspartei, die Vorteile der Rolle als Minderheitenpartei und die Konkurrenz neuer kleiner Parteien. Ausführlich geht Doering auf die Neuausrichtung der FDP in den 1990er-Jahren wie auch die medienwirksamen Wahlkampagnen ein. Beide hätten die heutige Krise der FDP nicht verhindern können.

Um liberale Parteien in den Niederlanden geht es im Beitrag von Paul Lucardie und Gerrit Voermann „Eccentric yet powerful“. Ausgehend vom politischen System der Niederlande gehen die beiden Autoren auf die Rolle der liberalen Parteien in einer Gesellschaft ein, die sich seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend „versäulte“. Dabei platzieren sie die Liberalen in ein von Gegensätzen geprägtes Schema: progessiv versus konservativ und links versus rechts. Die häufige Beteiligung der VVD an Regierungen erscheint rückblickend eher erstaunlich. Als mögliche Erklärungen für ihren Erfolg müssen der soziale Wandel, eine vergleichsweise kompetente Führung sowie die günstigen internationalen, ideologischen und ökonomischen Umstände der 1990er-Jahre gelten. Verschiedene Entwicklungen lassen eine zukünftige Fusion der beiden großen liberalen Parteien denkbar erscheinen. Die Autoren diskutieren freilich auch, wie sich die politische Landschaft nach einer solchen Fusion voraussichtlich verschieben würde.

In seinem abschließenden Beitrag „Two ways to freedom: liberalism in Germany and the Netherlands“ weist Frits Botermann – wie andere Autoren vor ihm – darauf hin, dass ein Vergleich verschiedener Liberalismen stets schwierig sei. Er führt einige der unterschiedlichen Rahmenbedingungen an, definiert aber auch Bereiche, in denen Vergleiche sinnvoll sind, wie etwa der politisch-philosophische Hintergrund der Liberalen sowie der jeweilige Grad der „Ideologisierung“. Auch wird die heutige Schwäche des deutschen Liberalismus aus seiner historischen Entwicklung heraus erklärt. Der geringe Erfolg der FDP lasse sich auch darauf zurückführen, dass konkurrierende Parteien nach 1945 (sozial-)liberale Elemente fortgesetzt aufgegriffen hätten.

Auch wenn der Titel einen Vergleich des deutschen mit dem niederländischen Liberalismus suggeriert, findet er in diesem Sammelband nur eingeschränkt statt. Meist stehen entweder die deutschen oder die niederländischen Liberalen im Mittelpunkt. Mehrere Autoren konstatieren die grundsätzlichen Schwierigkeiten einer solchen Gegenüberstellung, etwa wenn de Beus darauf aufmerksam macht, dass der deutsche Liberalismus von niederländischer Seite kaum rezipiert worden sei. Der Wechsel zwischen deutschen und niederländischen Perspektiven macht das Lesen des Buches schwierig. Zudem sind Vorkenntnisse der Historie beider Länder, speziell der Politikgeschichte, sowie des Liberalismus notwendig. Für Kenner des Liberalismus bietet der Band manche Anregung für einen Vergleich, während er sich für alle anderen immerhin als Kurzdarstellung des niederländischen Liberalismus empfiehlt.

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