T. Kaufmann: Konfession und Kultur

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Titel
Konfession und Kultur. Lutherischer Protestantismus in der zweiten Hälfte des Reformationsjahrhunderts


Autor(en)
Kaufmann, Thomas
Erschienen
Tübingen 2006: Mohr Siebeck
Anzahl Seiten
522 S.
Preis
€ 109,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anja Moritz, SFB/KFK 435 Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel, Goethe-Universität Frankfurt a.M.

Nach seiner Studie zu Magdeburgs Herrgotts-Kanzlei legt der Göttinger Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann nun einen Band vor, der die lutherische Konfessionskultur der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in den Blick nimmt. Der Sammelband präsentiert insgesamt 10 Aufsätze des Autors, die seit 1999 entstanden sind. Die 6 bereits publizierten Beiträge wurden zur erneuten Veröffentlichung überarbeitet; einer der 4 bisher unpublizierten Beiträge erscheint demnächst an anderem Ort. Chronologisch knüpft der Band an die Magdeburger Monografie an, inhaltlich und methodisch zeigen sich Anschlüsse an seine Arbeiten zur Rostocker theologischen Fakultät aus dem Jahre 1997 sowie zur lutherischen Konfessionskultur des 17. Jahrhunderts von 1998.

Nach Kaufmann stellt der lutherische Protestantismus der Frühen Neuzeit eine „außerordentlich bewegte religionskulturelle Konfiguration“ dar (VII), der man primär weder mit einem theologie- noch einem institutionengeschichtlichen Ansatz gerecht werden könne. Kaufmann möchte als Kirchenhistoriker einen Beitrag zur Konfessionalisierungsforschung leisten, indem er „den lutherischen Protestantismus innerhalb der komplexen und spezifischen rechtlichen, politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen und Konstellationen des Zeitalters“ (VII) situiert. Den Historiker/innen mag diese ‚Entdeckung des Kontextes’ etwas verwundern, wurde dieser doch gerade durch die – auch von Kirchenhistoriker/innen – im Rahmen des Konfessionalisierungsparadigmas seit den 1980er-Jahren erarbeiteten Studien ausgiebig thematisiert.

Die 10 Beiträge sind thematisch in Gruppen zusammengefasst unter den Stichworten „Krisen“ (Kapitel 2-4), „Kontroversen“ (Kapitel 5-6), „Konsolidierungen“ (Kapitel 7-9) und „Kairos“ (Kapitel 10). Am Anfang steht ein eher programmatischer Aufsatz zur „Lutherischen Konfessionskultur in Deutschland“. Kaufmann führt seinen kulturgeschichtlich inspirierten Begriff von ‚Konfession als kultureller Praxis’ gegen den modernisierungstheoretischen und etatistischen Ansatz der Konfessionalisierungsthese einerseits sowie die epochenspezifische Trennung von Reformation und „konfessionellem Zeitalter“ andererseits ein. Mit dem Begriff der „lutherischen Konfessionskultur“ (S. 9) öffnet Kaufmann den Blick für die Binnenperspektive, für das Studium mentaler Dispositionen und kommunikativer Praktiken, und begreift so das Luthertum nicht als geschlossenes System, sondern als offenen Prozess, dessen konfessionelle Spezifika vor allem in einer ausgeprägten Streitkultur, einer enormen Sensibilität gegenüber apokalyptisch aufgeladenen Störungen innerhalb der göttlichen Schöpfungsordnung und Bedrohungsszenarien sowie in einem steten Kampf um das Erbe Wittenbergs bestanden.

Der zweite Beitrag wendet sich in Form der Apokalyptik einem „Schlüsselthema“ frühneuzeitlicher Transformationsprozesse zu, dessen Bedeutung inzwischen auch von der politischen Ideengeschichte wahrgenommen wird (S. 66). Apokalyptik bezieht sich insofern nicht auf einen rein theologischen Wissensbestand, sondern ist eher als Deutungsmatrix zu verstehen (S. 33). Beispiele aus dem Vorfeld und Kontext des Schmalkaldischen Krieges belegen die plausible These, dass das apokalyptische Denken des lutherischen Protestantismus in einer engen Beziehung zu einem politischen Denken bestand, das auf den Erhalt der göttlichen Schöpfungsordnung zielte.

Im Zusammenhang mit der Deutung der Jahrhundertwende 1600 kommt der Autor noch einmal auf die Frage apokalyptischer Lesarten zurück. Der anstehende Jahreswechsel führte nicht nur zur vermehrten Publikation von Prophetien und Endzeitberechnungen, sondern auch zu dem Bemühen um eine Systematisierung apokalyptischer Wissensbestände, z.B. durch die ‚Reichshistoria’ des Philipp Nicolai. Im Gegensatz zu den Katholiken nutzen die Lutheraner aber das verstärkte Endzeitbewusstsein zur Stärkung der Gemeinde und zur Integration und Verortung des Reformationsjahrhunderts in die göttliche Heilsgeschichte.

Im dritten Beitrag „Wie die Bücher und Schrifften … Lutheri nützlich zu lesen“ illustriert Kaufmann sehr anschaulich das Ringen um die geistige Hinterlassenschaft Luthers angesichts der Publikation konkurrierender und inhaltlich divergierender Lutherausgaben sowie der Tendenz, in innerprotestantischen Streitigkeiten den späten gegen den frühen Luther auszuspielen oder Äußerungen Luthers aus dem Zusammenhang zu reißen.

Eine weitere Studie thematisiert den Wandel des Judendiskurses innerhalb der Wechselwirkung von lutherischem Konfessionalisierungsprozess und gesellschaftlichem Wandel. Die Gestaltung und Ausformung des landesherrlichen Kirchenregiments erforderte eine Positionierung der weltlichen Obrigkeiten und der Geistlichen gegenüber den Juden, vor deren Gebetsfrevel die Christen zwar geschützt werden mussten, die aber – wie Ahasver – als Symbol göttlichen Zorns von großem pädagogischen Nutzen waren.

Der Beitrag zur „Bilderfrage im frühneuzeitlichen Luthertum“ ordnet sich ein in jüngere Forschungen, die die traditionelle Ansicht über die Verwendung der Bilder im Luthertum stark differenzieren. Kaufmann behandelt dieses Thema im Rahmen der Adiaphoraproblematik, nach der Bilder als Kennzeichen christlicher Freiheit und identitätsstiftendes Merkmal des lutherischen Protestantismus galten. Insbesondere in der Auseinandersetzung mit den Reformierten wurde die Bilderfrage virulent, die Kaufmann am Beispiel des Fürstentums Anhalt darstellt. Nicht zuletzt aufgrund der interkonfessionellen Auseinandersetzungen im 16. Jahrhundert, so sein Fazit, siedelten sich die Bilder im lutherischen Protestantismus dauerhaft an, für den sie zwar keine religiös-kultische Bedeutung mehr aufwiesen, sehr wohl aber theologische, philosophische und ästhetische Relevanz besaßen.

Kapitel 6 schildert die Argumentationsstrategien der Lutheraner in ihrer Auseinandersetzung mit den Jesuiten. Da diese nach Ansicht der Theologen nicht nur eine ernstzunehmende Bedrohung für den Bestand des lutherischen Protestantismus selbst, sondern auch für die Wahrung der reichsrechtlichen Regelung des Religionsfriedens darstellten, führten die Lutheraner den Kampf gegen die Jesuiten – durchaus mit Anleihen altgläubiger antijesuitischer Polemik – besonders hart und lang. Wie auch in der Auseinandersetzung mit den Reformierten diente der Verweis auf den bedrohten Religionsfrieden nicht zuletzt der Selbststilisierung der Lutheraner als „Garant der deutschen Reichsverfassung“ und des Friedens (298).

Einen Einblick in die „berufskulturellen Rahmenbedingungen“ des lutherischen Pastorenstandes gibt der nächste Beitrag. Kaufmann verweist darauf, dass die Ausbildungs- und Konfliktstrukturen des lutherischen Protestantismus vor allem universitär geprägt waren. Eine Professionalisierung gesteht Kaufmann dem Pfarrerstand erst am Ende des 16. Jahrhunderts zu; so ist z.B. in Mecklenburg erst um 1600 eine Minorität der Nicht-Akademiker unter den Pastoren zu verzeichnen. Der traditionellen These von der Selbstrekrutierung der Pfarrerschaft erteilt der Autor mit Verweis auf neuere Arbeiten zu deren sozialer Herkunft, die sich insbesondere im „frommen bildungswilligen Stadtbürgertum als ganzes“ findet, eine deutliche Absage (315).

Der Beitrag zur „Gutachtertätigkeit der theologischen Fakultät der Universität Rostock nach der Reformation“ knüpft direkt an Kaufmanns Studie über die Rostocker Theologieprofessoren zwischen 1550 und 1675 an. Einer Beschreibung des vollständig überlieferten Quellenkorpus’ (für den Zeitraum 1558 bis 1760) und der Charakterisierung der Quellengattung folgt die Schilderung einiger Fallbeispiele, die das Spektrum der Gutachtertätigkeit illustrieren. Kaufmann betont die Bedeutung der Gutachten für die kirchliche Lehre wie für personale und politische Fragen.

In der Studie über die Reaktionen auf den Augsburger Religionsfrieden deutet Kaufmann den lutherischen Konfessionalisierungsprozess der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts vor allem als „Diskurs über die Bedeutung und die Interpretation der Confessio Augustana“, auf die die Lutheraner 1555 endgültig festgelegt worden waren (387). Aber auch als regionenspezifischer Kampf um jene Lehrschriften, die neben der CA Eingang in den Korpus der Bekenntnisschriften finden sollten. Die bedrohliche Konkurrenz durch Reformierte wie Katholiken führte letztlich dazu, dass die Lutheraner ihre anfängliche Ablehnung des Religionsfriedens aufgaben und ihn bis spätestens 1600 erfolgreich als Teil ihres Selbstverständnisses integrierten.

Die ‚Ruhelosigkeit’ des lutherischen Protestantismus in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ist ein Grundtenor des von Thomas Kaufmann vorgelegten Sammelbandes. Die einzelnen Beiträge stellen Aspekte eines unruhigen Formierungsprozesses dar, der durch die Verarbeitung innerer Konflikte und äußerer Bedrohungssituationen in Gang gehalten wurde. Da es sich bei allen Beiträgen um Aufsätze oder Vorträge handelt, sind Überschneidungen zu den bereits erschienenen Studien Kaufmanns nicht zu vermeiden. Dies tut der Qualität des Bandes jedoch keinen Abbruch. Klar zu bemängeln ist der oft in keinem Verhältnis zum Textumfang stehende Fußnotenapparat. Der hier abgelegte umfangreiche Subtext erschwert erheblich die Lesbarkeit der Beiträge, unterbricht den Lesefluss und macht das Herausfiltern der für das Textverständnis wichtigen inhaltlichen und bibliografischen Informationen oftmals geradezu unmöglich.

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