J. Femers: Deutsch-Britische Optionen

Titel
Deutsch-Britische Optionen. Untersuchungen zur internationalen Politik in der späten Bismarck-Ära (1879-1890)


Autor(en)
Femers, Jörg
Reihe
Europäische und Internationale Studien. Wuppertaler Beiträge zur Geschichtswissenschaft 4
Anzahl Seiten
296 S.
Preis
€ 29,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulrich Lappenküper, Otto-von-Bismarck-Stiftung

"Solange in England die Erkenntnis nicht durchgedrungen ist, daß sein einziger wertvoller und sicherer Alliierter auf dem Kontinent in Deutschland zu finden ist, sind uns die guten Beziehungen zu Rußland von dem größten Wert".1 Mit diesen programmatischen Worten skizzierte der präsumtive Kanzler des Deutschen Reiches, Otto von Bismarck, im Winter 1870 einen Grundzug seiner zukünftigen Außenpolitik. Im Bewußtsein um die britische Neigung zur "splendid isolation" hielt er zwei Jahrzehnte lang eisern an der implizit geforderten Anlehnung an das Zarenreich fest, bis seine Nachfolger die Koordinaten der deutschen Außenpolitik auf England ausrichten sollten. Freilich, von einer einseitigen Option zugunsten Rußlands gegen England konnte auch bei Bismarck nie die Rede. Mehrfach streckte der Reichskanzler seine Fühler zwischen 1879 und 1890 nach London aus, wobei der Zweck dieser Sondierungen in der Forschung bis auf den heutigen Tag kontrovers diskutiert wird. Sieht die "britische" Schule Bismarcks Außenpolitik "von einem gescheiterten Verlangen nach der britischen Option getragen", mißt die "russische" seiner Beziehung mit Rußland "aus politischen und weltanschaulichen Gründen [...] die ausschlaggebende Bedeutung bei".2

Angesichts der für die Bewertung der Bismarckschen Außenpolitik fundamentalen Bedeutung dieses Dissenses greift man mit einiger Spannung zu der von Jörg Femers vorgelegten Studie über "Deutsch-Britische Optionen" in den 1880er-Jahren. Einem dezidiert "diplomatiegeschichtlichen Ansatz verpflichtet" (S. 4) geht die von Franz Knipping betreute Dissertation anhand ausgewählter bilateraler Problemfelder der Frage nach, "ob und inwieweit während der späten Ära Bismarck Möglichkeiten für ein deutsch-britisches Bündnis bestanden haben" (S. 1). Nach einer methodisch eher dürftigen Einleitung schlägt Femers in drei Kapiteln den Bogen von der im September 1879 vom Reichskanzler lancierten Anfrage, wie London sich im Falle eines deutsch-russischen Zerwürfnisses verhalten würde, bis zu dessen Bündnisangebot vom Januar 1889, behandelt aber auch ausführlich die deutsch-britischen Misshelligkeiten in der Afrikapolitik 1884/85 und die bilaterale Wiederannäherung im Zuge der Orientkrise von 1885-1887.

Hatte schon Bismarcks Sondierung von 1879 ganz grundsätzlich unter Beweis gestellt, wie begrenzt die Möglichkeit einer engen deutsch-britischen Kooperation in den großen Fragen der europäischen Politik sein würden, zeigten die nächsten Jahren auch "en détail, wie groß die Auffassungsunterschiede ungeachtet punktuellen Zusammenwirkens" etwa in der Ägyptenfrage waren (S. 41). Da es Bismarck in der Zwischenzeit aber gelang, Österreich-Ungarn mit Hilfe des Zweibundes an Deutschland heranzuziehen und den infolge des Berliner Kongresses zerfasernden Zusammenhalt der drei Kaiserreiche wieder herzustellen, konnte er seit 1881 auf den Beistand Großbritanniens durchaus verzichten. Nach Osten durch die Allianz der drei Nordischen Höfe abgesichert und nach Westen dank eines entspannteren Verhältnis zu Frankreich ohne Gefährdung, wagte der Reichskanzler es 1884/85 sogar, Großbritannien in kolonialpolitischen Fragen herauszufordern. Doch sein dabei verfolgtes Ziel, im Verein mit Frankreich "eine Kontinentalliga gegen Großbritanniens Macht auf den Meeren und in Übersee zusammenzubringen", scheiterte an der sowohl in Berlin als auch in Paris nur beschränkten Bereitschaft zur deutsch-französischen Entente (S. 132).

Obwohl die orientalische Krise der Jahre 1885-1887 abermals verdeutlichte, dass die Schnittmenge der deutschen und britischen strategischen "Kerninteressen [...] für eine engere Verbindung – gar bis zur höchsten Stufe eines Bündnisses – nicht reichte" (S. 250), legte Bismarck dem britischen Premierminister Salisbury im Januar 1989 ein Allianzangebot vor, das der Einschätzung Femers' zufolge als "neuerliche Erkundung der britischen Haltung in bezug auf ein konkretes Krisenszenario" (S. 266) gedeutet werden muss. Eine Allianz habe Bismarck damals wie in den Vorjahren nicht gewollt.

Entscheidend für die von Femers auf beiden Seiten des Kanals diagnostizierte Unfähigkeit, die Hindernisse für eine "engere, auch vertraglich fixierte Zusammenarbeit" zu überwinden, war seiner Meinung nach neben der "unterschiedliche[n] Stellung zu Frankreich und Rußland" (S. 267) die "Asymmetrie des Stellenwertes", den Berlin bzw. London füreinander besaßen (S. 268). Für die Briten habe Deutschland einen strategischen Faktor dargestellt, den sie zu instrumentalisieren hofften, um die Rivalität der kontinentalen Mächte im Sinne der eigenen Balance of Power zum eigenen Vorteil zu nutzen. Der Wert Großbritanniens für die deutsche Außenpolitik sei demgegenüber "taktischer Art [gewesen], nämlich auf die Stärkung der Position des Zweibundpartners Österreich-Ungarn gegenüber Rußland" berechnet (S. 270). Prinzipiell erachtet Femers ein bilaterales Bündnis durchaus für möglich, hält Deutsche und Briten "geradezu prädestiniert für eine Partnerschaft". Nachdem aber schon die Kolonialpolitik in London eine "Dosis Skepsis über den Wert einer Partnerschaft" habe aufkommen lassen, sei den Briten dann während der west-östlichen Doppelkrise vollends klar geworden, dass Bismarck den "Draht nach Petersburg nicht abreißen lassen" wolle (S. 271).

Den selbstbewusst angemeldeten Anspruch einer "Neugewichtung des Faktors ,Großbritannien’ in Bismarcks Außenpolitik" vermag die in der Disposition wie in der Materialbasis nur bedingt überzeugende Studie von Femers nicht einzulösen. Ohnehin scheint es fraglich, ob dieses Ansinnen mittels einer "Diagonale zwischen Untersuchungen zur internationalen Politik im Zeitalter des Imperialismus und zwischen zahlreichen Veröffentlichungen zu eng umrissenen Spezialfragen" realisiert werden kann (S. 4f.). Auch formal weist die Arbeit etwa hinsichtlich des Personenregisters oder des Anmerkungsapparates Unebenheiten auf. Dass Femers Gerhard Ritters bekanntes Diktum vom "Jahrfünft verhältnismäßiger Entlastung" 3 Andreas Hillgruber zuweist (S. 182), zeugt überdies von einer gewissen Unachtsamkeit im Umgang mit der Literatur. So beschränkt sich das Verdienst der Untersuchung auf die dichte Zusammenschau zentraler Etappen der diplomatischen Beziehungen zwischen Berlin und London von 1879 bis 1890.

Anmerkungen:
1 Lepsius, Johannes; Mendelssohn Bartholdy, Albrecht; Thimme, Friedrich (Hgg.), Die Große Politik der Europäischen Kabinette, Bd. 2, Berlin 1922, S. 19.
2 Hildebrand, Klaus, Deutsche Außenpolitik 1871-1918, München 1994, S. 63.
3 Ritter, Gerhard, Bismarcks Verhältnis zu England und die Politik des „Neuen Kurses“, in: Archiv für Politik und Geschichte 2 (1924), S. 511-570, hier S. 543.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension