M. Roik: Die DKP und die demokratischen Parteien 1968-1984

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Titel
Die DKP und die demokratischen Parteien 1968-1984.


Autor(en)
Roik, Michael
Erschienen
Paderborn 2006: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
396 S.
Preis
€ 44,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gerhard Wettig, Kommen

Michael Roik stellt die Geschichte der DKP dar von ihrer Gründung bis zum Höhepunkt ihrer politischen Wirksamkeit während der Auseinandersetzungen um die NATO-Nachrüstung, als sie zahlreiche andere Kräfte auf ihre Linie bringen konnte. Die Untersuchung wertet die thematisch einschlägige Fachliteratur umfassend aus, die ihrerseits primär auf Erkenntnissen ausgedehnter Studien in west- und ostdeutschen Archiven beruht. Dabei werden – was leider keineswegs selbstverständlich ist – die Aktivitäten der Kommunisten in der Bundesrepublik auf die Vorgaben nicht allein der SED, sondern auch der dahinter stehenden KPdSU einbezogen. Das gibt der Studie Roiks die notwendige Tiefendimension im Ost-West-Konflikt insgesamt. In dieser Perspektive wird deutlich, dass die Funktion der DKP darin bestand, den – dabei in wechselseitigem Einvernehmen agierenden – Staatsparteien der DDR und der UdSSR als Vollzugsorgan zu dienen. Sie war mithin ein Interventionsorgan zweier auswärtiger Mächte, die zur Bundesrepublik in einem prinzipiellen Gegensatz standen.

Die SED-Führung, die sich ihrerseits nach den Vorgaben des Kreml richtete, übte ihre totale Kontrolle über die DKP nicht nur dadurch aus, dass sich ihre Weisungen auf die unfehlbare Autorität des marxistisch-leninistischen Lehramts und sehr enge Parteibindungen stützten, die durch häufige Besuche der Führungsmitglieder in der DDR verfestigt wurden. Wichtig waren auch Mechanismen der materiellen Abhängigkeit, die nicht einmal in kleinen Dingen irgendeine Eigenständigkeit zuließ. Die hauptamtlichen Funktionäre erhielten eine derart geringe Vergütung, dass sie auf Zusatzleistungen – Prämien, kostenlose Erholungsaufenthalte und Krankheitsbehandlungen und ähnliches – angewiesen waren, welche die SED willkürlich gewähren konnte oder auch nicht. Wenn sie möglichst an jedem zweiten Wochenende und zu jedem Urlaub in die DDR kamen, standen ihnen unter anderem freie Unterkunft und Verpflegung in Gästehäusern sowie ein Tagegeld von 25,- DM zu. Den Führungskadern bis hinunter zu den Bezirkssekretären wurde mit der Bereitstellung von Westwagen samt Fahrer, der Übereignung von Zweitwohnungen und Datschen sowie kostenlosem Aufenthalt in luxuriösen Häusern ein Lebensstil geboten, der für sie andernfalls unerreichbar gewesen wäre. Die individuelle Abhängigkeit der DKP-Funktionäre wurde durch in Ost-Berlin lagernde Personalakten mit genauen Eintragungen über alles und jedes zusätzlich gesichert. Die SED-Führung konnte die Dossiers nach Gutdünken verwenden, wenn sie Druck auf die Betreffenden ausüben wollte, die ihrerseits keinen Zugang zu den Angaben über sie erhielten.

Durch ihre Unterwerfung unter die Machthaber in Ost-Berlin und Moskau war die DKP aus dem Kreis der anderen, der demokratischen Parteien, herausgehoben. Roik stellt die Frage, wie sich dies sowohl mit der demokratischen Verfassungsordnung als auch mit der politischen Selbstbestimmung des westdeutschen Staates vereinbaren ließ. Dass nicht mit einem verfassungskonformen Verhalten der neuen Partei zu rechnen war, wussten die Akteure in Bonn schon bei deren Gründung. Die SPD und der ihr angehörende Justizminister Gustav Heinemann, die 1968 die Legalisierung der Kommunisten betrieben und durchsetzten, waren sich darüber klar, dass die angebliche Parteineugründung faktisch auf Wiederzulassung der KPD hinauslief, die 1956 vom Bundesverfassungsgericht auf Grund überzeugender Beweise als verfassungsfeindlich verboten worden war. Ein durch diese Kontinuität möglicher Verbotsantrag war freilich nicht zwingend erforderlich. Die Legalität konnte einer verfassungsfeindlichen Partei zwar entzogen werden, musste es aber nicht. Wenn keine der maßgeblichen Seiten beim Bundesverfassungsgericht einen Verbotsantrag gegen die DKP stellte, stand auch nach dem Grundgesetz ihrer Betätigung nichts im Wege. Es hing demnach von der Einschätzung der Opportunität ab, ob man diesen einreichen wollte oder nicht. 1968 war die SPD anderer Ansicht: Sie hielt es – nicht zuletzt auch im Hinblick auf die geplante „neue Ostpolitik“ – für das Wichtigste, das Verhältnis zu den kommunistischen Staaten zu entspannen und eine Atmosphäre der Geneigtheit auf der anderen Seite zu schaffen, indem man die Kommunisten im eigenen Land gewähren ließ. In der CDU/CSU gab es starken Widerstand dagegen, aber die Sorge, als entspannungsfeindlich denunziert zu werden, war damals und auch später stark genug, um an wirksamer Gegenaktion, etwa einem neuen Verbotsantrag, zu hindern.

Das Argument, die Kommunisten hätten doch nur eine verschwindend kleine Anhängerschaft (sie kamen bei Wahlen nie über 0,3% hinaus), beruhigte alle demokratische Parteien mehr oder minder hinsichtlich der Folgen. Dabei übersah man, wie Roik am Beispiel der Mobilisierungserfolge während der Nachrüstungsdebatte zeigt, die Möglichkeiten einer auf Beherrschung mitgliederstarker Massenorganisationen abzielenden „Bündnispolitik“. Sie erlaubte es der DKP, durch Appelle der „Aktionseinheit“ zur Durchsetzung von identischen Etappenzielen und durch manipulativ geschaffene Mehrheiten in den Aktionskomitees einen gesellschaftlichen und politischen Einfluss zu gewinnen, der auf demokratischem Wege nie auch nur entfernt zu erreichen gewesen wäre. Das Netzwerk der Neben- und Tarnorganisationen, das schon in den fünfziger Jahren aufgebaut worden war und nach der Neugründung der Partei weiter ausgebaut wurde, erwies sich dabei als äußerst nützliches Instrumentarium. Eine weitere unerwartete Folge war, dass auf der politischen Linken die Bereitschaft zur Abgrenzung zunehmend erodierte. Der antitotalitäre Konsens und das Konzept der streitbaren Demokratie, die bis Anfang der siebziger Jahre die Politik der maßgebenden Parteien und Organisationen, etwa der Gewerkschaften, weithin bestimmt hatten, löste sich mehr und mehr auf.

Die Bereitschaft, Verfassungsfeinde bei der Durchsetzung identischer Teilziele zu unterstützen, wuchs stark an. An die Stelle des Antitotalitarismus trat vielfach ein Antifaschismus, der als Antiantikommunismus jede Gegnerschaft zum Kommunismus verurteilte und die Gemeinsamkeit der Demokraten gegenüber der kommunistischen Herausforderung aufkündigte. Entspannung im Verhältnis zu den Feinden der Demokratie, nicht deren Abwehr, erschien nunmehr geboten. Dieser Haltungswechsel linker Kräfte zog in der SPD wachsende Spannungen nach sich, die auf ein Auseinanderbrechen dieser Partei zusteuerten, als der NATO-Doppelbeschluss zur Entscheidung stand. Zwar konnte Bundeskanzler Schmidt seine Partei noch einige Jahre lang mehrheitlich auf Bündniskurs halten, aber im Herbst 1982 führte überwältigend starker Widerstand in der SPD gegen die westliche Nachrüstung dazu, dass diese Schmidt im Stich ließ und seiner Regierung die parlamentarische Unterstützung entzog. Zudem fanden sich ab 1985 die westdeutschen Sozialdemokraten in Übereinstimmung mit dem Konzept kommunistischer „Bündnispolitik“ zu sicherheitspolitischen Vereinbarungen mit der SED, der KPdSU und anderen östlichen Staatsparteien bereit und reihten sich auf diese Weise in eine gemeinsame Front nicht nur gegen die – nunmehr von der CDU/CSU geführte – Bundesregierung, sondern auch gegen die Sicherheitspolitik der NATO ein.

Das Buch von Roik ist ein Meilenstein auf dem Weg zur Beleuchtung nicht nur der DKP, ihrer Politik und der davon ausgehenden Wirkungen auf die Haltung der demokratischen Parteien in der Bundesrepublik, sondern auch der Einbindung dieser Partei in die östliche Deutschland-Politik, die neben der zwischenstaatlich-diplomatischen Dimension auch eine auf die Bundesrepublik innerstaatlich einwirkende Seite hatte. Die Lektüre ist ein Muss für alle, die sich über die Deutschland-Politik von UdSSR und DDR in den 1970er- und 1980er-Jahren umfassend informieren wollen.

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