Cover
Titel
Liebe und Widerstand. Ambivalenzen historischer Geschlechterbeziehungen


Autor(en)
Bauer, Ingrid; Hämmerle, Christa; Hauch, Gabriella
Reihe
L' Homme Schriften, Bd. 10
Erschienen
Anzahl Seiten
468 S.
Preis
€ 35,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sybille Steinbacher Friedrich-Schiller Universität Jena, Neuere und Neueste Geschichte

Anders als in den USA hat die Historiografie hierzulande die Geschichtsmächtigkeit der Gefühle noch kaum beachtet, schon gar nicht Gestaltungskraft, Ausdrucksform und Handlungsrelevanz des kompliziertesten von allen: der Liebe. Allenfalls die Forschung über die Frühe Neuzeit hat begonnen, der Historizität von Gefühlen Aufmerksamkeit zu schenken. Der Liebesdiskurs des 19. und 20. Jahrhunderts steht jedoch noch kaum im Blickfeld der Wissenschaft. 1

Gefühle liegen an der Schnittstelle von Individuum und Gesellschaft. Sie zu untersuchen lohnt sich, weil keine soziale Praxis ohne Emotion auskommt und auch, weil sich zeigen lässt, wie Gesellschaften soziale Interaktionen wahrnehmen. Als historisch und kulturell wandelbare Konstruktion sozialer Beziehungen hat die Liebe zu allen Zeiten auf jeweils besondere Weise sowohl die Politik als auch das Recht und den Markt beeinflusst. Edith Saurer, eine Pionierin der Frauen- und Geschlechtergeschichte, plädiert schon lange dafür, die Geschichte der heterosexuellen Liebe als Teil der Geschlechtergeschichte zu begreifen.2 Zu ihrem 60. Geburtstag hat die Professorin für Neuere Geschichte an der Universität Wien ein besonderes Geschenk bekommen: ein Buch über die Liebe.

Die Festschrift, hervorgegangen aus einer internationalen Tagung von Geschichts-, Sozial- und Kulturforschenden, präsentiert mit insgesamt 26 Beiträgen ein weites Panorama von thematischen und methodischen Ansätzen. Der zeitliche Bogen ist ausgespannt zwischen dem Dreißigjährigen Krieg und der Gegenwart, wobei der Schwerpunkt auf dem 19. und 20. Jahrhundert liegt. Der Band versammelt aus geschlechtergeschichtlicher, soziologischer, rechtshistorischer und sozialanthropologischer Perspektive eine Vielzahl von Ausdrucksformen, Verknüpfungen und Kombinationen der Liebe. Erkenntnispotential, Stärke und Faszination des Ansatzes liegen in der Sensibilisierung für Widersprüche.

So geht es im Kern um die Ambivalenz der Liebe in den Geschlechterbeziehungen. Denn historisch erwiesen hat sich, dass Liebe zwar verbunden ist mit dem Versprechen von der Gleichheit der Frau, de facto aber ein Instrument patriarchaler Macht darstellt. Plausibel gewählt ist daher der zweite Schlüsselbegriff des Sammelbandes: Widerstand. Mit Blick auf „Liebe und Widerstand“ wird gezeigt, wie emotionale Ideen und Werthaltungen mit Handlungen verschränkt sind und wie Normen, Deutungen und Praktiken das Individuum mit seiner sozialen Umwelt verknüpfen. Die Herausgeberinnen bändigen ihren an Komplexität kaum zu überbietenden Forschungsgegenstand, der, wie es an einer Stelle heißt, „mindestens so viele Fragen zurückgibt wie an ihn gestellt werden“ (S. 10), indem sie zehn sinnvoll gebündelte Kapitel präsentieren. Der rote Faden geht trotz der Vielgestaltigkeit des Themas und der Heterogenität des präsentierten Quellenmaterials nicht verloren. Allerdings wird es dem Leser nicht leicht gemacht, aufzubringen, was beim Thema „Liebe“ selbstverständlich sein sollte: (Lese)Lust. Denn wenig prägnant und zudem theoretisch überfrachtet ist so mancher Beitrag, redundant sind oftmals ganze Passagen und (zu) akademisch ist häufig der Jargon.

Im Zentrum steht das bürgerlich-romantische Modell von Liebe und Ehe, das sich am Ende des 18. Jahrhunderts als Norm etabliert hat. Die daran gekoppelte (rechtliche und soziale) Selbstaufgabe der Frau zugunsten ihres Mannes fordert den – widerständigen – Diskurs von Feministinnen seit jeher heraus. Widerstand, formuliert in dem Anspruch, die traditionelle Geschlechterhierarchie und die damit verknüpfte asymmetrische Herrschaftsbeziehung in der sozialen Praxis zugunsten weiblicher Selbstbestimmung aufzulösen, hat für die Konstituierung der feministischen Wissenschaft grundlegende Bedeutung. Im gegenwärtigen Postfeminismus sieht Gudrun-Axeli Knapp, die den Band eröffnet, in der innerwissenschaftlichen Diskussion die Stärke des Begriffs: Widerstand gerichtet gegen täuschende Selbstaffirmation. Um forschungstheoretische Anregungen geht es auch Waltraud Kannonier-Finster und Meinrad Ziegler. Sie plädieren in Anlehnung an Pierre Bourdieu für die „soziologische Empathie“ als wissenschaftliches Instrument. Gemeint ist die Hingabe an den Foschungsgegenstand – ganz im Sinne einer „intellektuellen Liebe“. Herta Nagl-Docekal nimmt sich Hannah Arendts 1928 verfasste und in den sechziger Jahren (ergänzt und korrigiert) neu veröffentlichte Dissertation vor: über den „Liebesbegriff bei Augustin“.

Sigrid Schmid-Bortenschlager fragt im ersten der drei Beiträge, die unter dem Stichwort „Liebe schreiben“ stehen, nach der Funktion des Romans für die Verbreitung und Durchsetzung des bürgerlichen Modells der Liebe im 18. Jahrhundert. Wolfgang Müller-Funk widmet sich dem Brief als Medium des Liebesdiskurses und entdeckt anhand der Korrespondenz zwischen Sophie Mereau und Clemens von Brentano im Anspruch auf Liebe das Streben, Privatheit und Weltentwurf miteinander zu vereinen. Birgit Wagner schildert mit Blick auf zwei berühmte Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts die Mehrdeutigkeit des Schreibens über die Liebe: für Grazia Deledda und Maria Giacobbe, beide aus Sardinen, bedeutete es Identifikation mit ihrer Heimat, aber auch Revolte gegen die kulturell tradierte geschlechtsspezifische Ungleichheit, der sie dort ausgesetzt waren.

Den Abschnitt „Liebe inszenieren“ eröffnet Johanna Gehmacher mit einem Blick auf die Liebe zur Nation. Die Metaphorik des Nationalismus basiert, wie sie zeigt, auf Geschlechterbildern und der Transformation von Gefühlen. Gernot Heiß konzentriert sich auf den Film „Casablanca“ aus dem Jahr 1942 und fragt nach der Wahrnehmung seiner politischen Botschaft, die hinter dem Liebesmelodram zu verschwinden scheint. Maria Mesner zeichnet nach, wie sich im Laufe einer Generation Symbolik und Ikonografie zweier politisch ganz unterschiedlich akzentuierter Frauen-Festtage kaum mehr voneinander unterscheiden. Der sozialistisch intendierte Internationale Frauentag stellte nach dem Zweiten Weltkrieg die Rolle der Hausfrau und Mutter mehr und mehr ins Zentrum, während politische Forderungen nach Erwerbstätigkeit und Gleichberechtigung zunehmend verschwanden – und damit auch die Unterschiede zum Muttertag.

Im Abschnitt „Homo/Sexualitäten und Liebe“ zeigt Helmut Puff anhand eines gerichtlichen Absetzungsverfahrens gegen einen Fürsten aus der Zeit kurz nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges, in welch unmittelbarem Zusammenhang soziale Ordnung und sexuelle Normen in politischen Umbruchphasen miteinander stehen. Julia Neissl stellt mit Blick auf Texte von Maria Janitschek, Ingeborg Bachmann und Karin Rick fest, dass lesbische Liebe in der Literatur keineswegs als widerständig gedachtes Gegenmodell zur heterosexuellen Norm konzipiert und im Sinne emanzipatorischer Frauenpolitik eingesetzt wird. Sandra Eder untersucht nach dem Ansatz der Queer Theroy die Konstruktion des Geschlechtlichen anhand von amerikanischen Romanheftchen der fünfziger Jahre, den so genannten Lesbian Pulps, mit denen Verleger (vor allem bei heterosexuellen Männern) millionenfache Verkaufserfolge feierten.

Unter dem Stichpunkt „Liebe im Visier der Obrigkeit“ führt Angiolina Arru den Leser in das Rom des ausgehenden Ancien Régime. Sie geht dem Mord an einem Richter des geistlichen Vikariattribunals nach und zeigt die Auslegungsspielräume, die er und seine Kollegen besaßen, um den sittlichen Lebenswandel von Frauen zu kontrollieren. Martin Schaffner befasst sich mit Justiz- und Sanitätsakten aus Basel aus der Zeit um 1900, die zeigen, dass private Ehekonflikte zu einem öffentlich verhandelten Fall – und für den einzelnen zur Einweisung in die so genannte Irrenanstalt führen konnten.

„Gegen Verbote lieben“ heißt das Kapitel, das Margareth Lanzinger mit Blick auf kirchliche Ehehindernisse und Möglichkeiten, diese zu umgehen, eröffnet. Michael Mitterauer beschäftigt sich mit der Verwandtenheirat als traditionelle Norm. Margarete Grandner und Ulrike Harmat stellen vor dem Hintergrund der Ehegesetze der Habsburger Monarchie, die im österreichischen Reichsteil ganz anders lauteten als im ungarischen, die verwirrend-absurden Verflechtungen im Beziehungsdrama des Wiener Schauspielerpaares Alexander Girardi und Helene Odilon dar.

Im Abschnitt „Liebe im / als Widerstand“ beschäftigt sich Birgitta Bader-Zaar mit der sozialen Situation von Sklavinnen in Nordamerika, die dem Eheverbot und der Willkür ihrer Besitzer ausgeliefert waren. Stefanie Schüler-Springorum untersucht in einem der besten Beiträge des Bandes einen wenig beachteten Aspekt des jüdischen Widerstands gegen die nationalsozialistische Verfolgung. Sie fragt nach Rolle und Status von Frauen in den Untergrundorganisationen der Ghettos und den improvisierten Gemeinschaften in den Wäldern Osteuropas. Liebe zeigt sie als konstitutiven Faktor jüdischen Durchhaltens und Überlebenswillens.

Unter den Stichwort „Fremde lieben“ geht Edith Saurer auf so genannte Rassenschandefälle im Dritten Reich ein. In den Gerichtsakten aus der NS-Zeit und Unterlagen der späteren Wiedergutmachungsbehörden sucht sie nach Spuren der Liebe. In Kriegszeiten konnte Liebe Vaterlandsverrat bedeuten – und war ein frauenspezifisches Delikt. Martina Gugglberger zeigt, wie das öffentlich inszenierte Haarescheren so genannter Kollaborateurinnen (femmes à boches) am Ende des Zweiten Weltkriegs in Frankreich als Akt der Bestrafung, aber auch als Ritual gesellschaftlicher Reinigung diente.

Die Nachkriegsjahrzehnte stehen im Mittelpunkt des Kapitels „Jugend, Sexualität, Rebellion“. Kristina Popova beleuchtet die Situation der bulgarischen Jugend in den fünfziger und sechziger Jahren und zeichnet überzeugend nach, dass Transparenz in vermeintlich privaten Liebesbeziehungen eine politisch-soziale Funktion hatte: zur Schaffung des sozialistischen Kollektivs. Franz X. Eder skizziert den Wandel sexualmoralischer Werte im Kontext der so genannten sexuellen Revolution der sechziger Jahre. Differenziert und aspektreich geht er der Frage nach, wie sich politisierter Studentenprotest und zunehmende Kommerzialisierung von Sexualität und Erotik zueinander verhielten.

Den Schlusspunkt bildet das Kapitel „Liebe und Ehe im Wandel der Moderne“. Ernst Hanisch wendet neurobiologische Erkenntnisse an, wenn er versucht, nach dem Wandel der Rolle des Liebhabers im 20. Jahrhundert zu fragen. Karin Hausen sucht in Zeitungen vom Kaiserreich bis zur Gegenwart nach Heiratsanzeigen und skizziert diese besondere Textgattung als jeweils zeittypischen Ausdruck geschlechtsspezifischer Sehnsüchte vom Leben zu zweit. Mit Ute Gerhards Beitrag über den Bedeutungswandel der Ehe endet der Band. Sie schlägt einen weiten Bogen vom eheherrlichen Patriarchalismus des 19. Jahrhunderts über die allmähliche rechtliche Gleichstellung der Frau bis zum gegenwärtigen Monopolverlust der Ehe.

Dass Liebe in übergeordnete soziale und politische Logiken eingegossen ist und das Denken über die jeweils zeitspezifische Ordnung widerspiegelt, erweisen die Beiträge dieses Bandes auf anregende Weise. Den vielfältigen Anstößen ist Aufmerksamkeit und ein breiter Forschungsstrom zu wünschen.

1 Frevert, Ute, Angst vor Gefühlen? Die Geschichtsmächtigkeit von Emotionen im 20. Jahrhundert, in: Nolte, Paul; Hettling, Manfred; Kuhlemann, Frank-Michael; Schmuhl, Hans-Walter (Hgg.), Perspektiven der Gesellschaftsgeschichte, München 2000, S. 95-111.
2 Saurer, Edith, Liebe, Geschlechterbeziehungen und Feminismus, in: L'Homme. Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft 8,1 (1997), S. 6-20.

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