J. Luh: Kriegskunst in Europa 1650-1800

Cover
Titel
Kriegskunst in Europa 1650-1800.


Autor(en)
Luh, Jürgen
Erschienen
Köln 2004: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
298 S.
Preis
€ 44,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stephan Huck, Militärgeschichtliches Forschungsamt

Der erste Blick ins Inhaltsverzeichnis von Jürgen Luhs Monografie „Kriegskunst in Europa 1650-1800" verspricht dem Leser ein kompaktes Handbuch zur Kriegführung in der Frühen Neuzeit. Vier etwa gleich gewichtete Abschnitte von jeweils ca. 50 Seiten sind den Themen Versorgung und Unterhalt, Festungskrieg, Bewaffnung und Taktik sowie Ästhetik und Selbstgefühl gewidmet. Ein 28-seitiger Dokumentenanhang und ein umfangreiches Orts- und Personenregister runden das Bild einer handhabbaren Überblicksdarstellung ab. Und tatsächlich lässt sich das Werk aufgrund der klaren Gliederung, Übersichtlichkeit und Detailkenntnis als kompaktes Nachschlagewerk verwenden und nicht zuletzt wegen der guten Lesbarkeit empfehlen. Lediglich der Untertitel des vierten und letzten Abschnitts „Ästhetik und Selbstgefühl. Zu Spielraum und Grenzen militärischer Innovation" deutet bereits in der Gliederung an, dass der Anspruch des Werkes über den eines Handbuchs weit hinaus weist.

Mit der von Clifford Geertz begründeten Methode der „dichten Beschreibung" möchte Jürgen Luh in seinem Buch die Praxis der europäischen Kriegskunst im Ancien Régime untersuchen. Sein besonderes Augenmerk gilt dabei der Frage nach den Innovationshemmnissen. Denn bisher habe die Mehrzahl der Arbeiten zur Kriegskunst des 18. Jahrhunderts die zeitgenössischen kriegstheoretischer Arbeiten rezipiert und daraus die Kriegspraxis rekonstruiert. Aufgrund des diesen Arbeiten innewohnenden modernistischen Ansatzes kämen sie zu dem Schluss einer intendierten Verbesserung der Kriegführung nach heutigen Maßstäben. Diese Annahme, die etwa die Debatte um eine in der Frühen Neuzeit anzusiedelnde „Military Revolution" leitet, teilt Jürgen Luh jedoch nicht. Vielmehr stellt er fest, „daß in verschiedenen militärischen Bereichen Veränderungen unterblieben, die für den Dienst im Feld sehr sinnvoll und leicht ausführbar gewesen wären. Es hat außerdem den Anschein, als ob diese Unterlassung sehr bewußt geschah und daß dafür gesellschaftliche Phänomene der Zeit verantwortlich waren“ (S. 8). Luh kommt zu dem Schluss, dass die Kriegskunst der Epoche durch zwei extreme, einander diametral entgegenstehende Ansprüche gehemmt worden sei: Die „Bemühung, den Einsatz der Truppen (auch nach modernen Maßstäben) effizient zu gestalten, und das Bestreben, dabei nach den Werten der fürstlichen Gesellschaft zu handeln" (S. 219). Um diese These zu stützen, rezipiert er in umfangreichem Maße die zeitgenössische und wissenschaftliche Literatur zum Militär in der Frühen Neuzeit und ergänzt diese durch eigene Quellenstudien braunschweiger, britischer, sächsischer, preußischer und thüringischer Akten. Hieran wird allerdings deutlich, dass der Schwerpunkt der Studie nicht auf Gesamteuropa, sondern dem deutschsprachigen Raum liegt.

Konsequent, so spitzt Jürgen Luh seine Darstellung zu, sei das Militärwesen des Ancien Régime den Aspekten der Ästhetik und der fürstlichen Repräsentation untergeordnet worden. Aus diesem Grunde habe man wider besseren Wissens den Versorgungsbedarf der Heere nicht hinreichend gedeckt, an bunten, reichbetressten Uniformen festgehalten, die starre Form der Linie beibehalten und die Flinte, die aufgrund ihrer Länge die Körpergröße der Soldaten bei Paraden besonders betonte, nicht durch die treffsicherere, aber kürzere Büchse ersetzt.

Die Feststellung Luhs, dass das geometrische und auf Repräsentation bedachte Denken im Absolutismus auch das Militärwesen beeinflusste, kann zunächst einmal kaum bestritten werden.1 Sieht man in der fürstlichen Repräsentationssucht das wesentliche Innovationshemmniss für die Entwicklung des Militärs, impliziert dies, den absoluten Fürsten eine Macht zuzuerkennen, die durch den Epochenbegriff zwar suggeriert, aber von der Absolutismusforschung bereits seit geraumer Zeit in Frage gestellt wird. 2 Insbesondere die von Luh angemahnte Sicherstellung der langfristigen Versorgung der stehenden Heere hätte einer staatlichen Lenkungsmacht der Wirtschaft bedurft, die mit dem Merkantilismus zwar angestrebt, jedoch nie erreicht wurde. Merkantilistische Erwägungen prägten auch die Gestaltung der Uniformen und Waffen, deren Fertigung der eigenen Wirtschaft zur Prosperität verhelfen sollte, zugleich aber auch Aspekte wie den der Sozialdisziplinierung. Die höfischer Kleidung nachempfundene Uniform diente zweifelsohne der Repräsentation, hob aber auch seinen Träger aus seiner ständischen Herkunft heraus und unterstrich das enge Band, das zwischen dem Soldatenstand und den Herrscherhaus herrschte. 3 Luh führt als Argument für die Irrationalität der Uniformierung an, dass die negativen Erfahrungen aus dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, in dem die bunten Uniformen der Briten und ihrer Verbündeten den Scharfschützen der Rebellen ein gutes Ziel geboten hatten, nicht zu einer Änderung der Uniformierung geführt hätten (S. 191). Dies Argument ist insofern nur bedingt stichhaltig, als hierfür auch keine Notwendigkeit gesehen wurde, weil die von den Amerikanern angewandte Taktik zunächst kaum Auswirkungen auf das europäische Militärwesen hatte. Zwar war die Notwendigkeit zur Adaption dieser Taktik erkannt worden und hatte etwa zur Intensivierung der Ausbildung im Scheibenschießen geführt. 4 Doch hatten insgesamt gegen die von den Amerikanern praktizierte Taktik des gezielten Schusses aus dem Hinterhalt jene Bedenken bestanden, die Luh als alleinigen Grund für das Ausbleiben der flächendeckenden Einführung der Büchse anführt: die Unvereinbarkeit mit den ethischen Grundsätzen der Kriegführung in den vom ständischen Denken geprägten Armeen des Ancien Régime (S. 147ff.). Besonders deutlich werden diese Bedenken gut dreißig Jahre später in der Diskussion um Gneisenaus radikale Überlegungen zum Volkskrieg 1808. 5 Da also der Unabhängigkeitskrieg weitgehend wirkungslos für die Entwicklung der Taktik in Europa blieb, gab es auch nicht die von Luh unterstellte Notwendigkeit, in Fragen der Uniformierung darauf zu reagieren.

Dass die Büchse nicht flächendeckend eingeführt wurde, hing möglicherweise mit ähnlichen Problemen zusammen. Doch stellten die von Luh angeführten ethischen Bedenken kaum das alleinige Hemmnis dar. Auch gegenüber der Flinte längere Ladezeiten und höhere Anschaffungskosten standen der Verbreitung der Büchse entgegen. So lange aber die Büchse nicht durchgängig eingeführt werden konnte, lag es nahe, an der Lineartaktik festzuhalten, die die mangelnde Treffsicherheit der Flinte durch das massierte Feuer auszugleichen suchte.

Nach der Lektüre von Jürgen Luhs Arbeit bleibt ein gemischter Eindruck zurück. Es handelt sich um eine gut recherchierte und detailreiche Studie zur Kriegskunst im 18. Jahrhundert, die durchaus geeignet ist, Überblickswissen zu vermitteln. Auch ist es ihr Verdienst herauszustellen, dass das militärische Denken auch im Zeitalter der Vernunft nicht allein rationalen und merkantilistischen Erwägungen folgte, sondern auch von ästhetischen und ethischen Erwägungen geprägt wurden, die oftmals in unauflösbarem Spannungsverhältnis dazu standen. Manchmal jedoch scheint der Autor der Versuchung zu erliegen, dieses Spannungsverhältnis zu negieren und das fürstliche Repräsentationsbedürfnis allzu stark als Innovationshemmnis in den Vordergrund zu stellen.

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa: Kleinschmidt, Harald, Mechanismus und Biologismus im Militärwesen des 17. und 18. Jahrhunderts. Bewegungen – Ordnungen – Wahrnehmungen, in: Die Kriegskunst im Lichte der Vernunft. Militär und Aufklärung im 18. Jahrhundert, Teil I, hg. von Daniel Hohrath u. Klaus Gerteis, Hamburg 1999, S. 51-73.
2 Vgl. Asch, Ronald G.; Duchhardt, Heinz (Hgg.), Der Absolutismus – ein Mythos? Strukturwandel monarchischer Herrschaft in Mitteleuropa (ca. 1550-1700), Köln 1996.
3 Vgl. Kunisch, Johannes, Absolutismus. Europäische Geschichte vom Westfälischen Frieden bis zur Krise des Ancien Régime, Göttingen 1986, S. 86.
4 Vgl. Eelking, Max v., Die deutschen Hülfstruppen im nordamerikanischen Befreiungskriege 1776-1783, Tle. I und II, Nachdruck Kassel 1976, Hannover 1863, S. 157.
5 Vgl. Rink, Martin, Vom "Partheygänger" zum Partisanen. Die Konzeption des kleinen Krieges in Preußen 1740-1813, Frankfurt am Main 1999, S. 279ff.

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