J. Laudage u.a.: Die Zeit der Karolinger

Cover
Titel
Die Zeit der Karolinger.


Autor(en)
Laudage, Johannes; Hageneier, Lars; Leiverkus, Yvonne
Erschienen
Darmstadt 2006: Primus Verlag
Anzahl Seiten
208 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andrea Stieldorf, Historisches Seminar der Universität Bonn

Der von Johannes Laudage und seinen beiden Düsseldorfer Mitarbeitern vorgelegte Band gliedert sich in drei Teile. Der erste und umfangreichste wurde von Lars Hageneier verfasst und schildert die politische Geschichte des Frankenreiches von 613-987 (S. 9-90). Johannes Laudage handelt über kulturelle Aspekte der Karolingerzeit (S. 91-145) und Yvonne Leiverkus über Alltag und soziale Wirklichkeit (S. 146-197). Beschlossen wird der Band durch eine genealogische Tafel, eine Zeittafel, eine knapp gehaltene Auswahlbibliografie sowie ein Register der Personen- und Ortsnamen. Ziel des Bandes ist es nach dem Vorwort, „ein Lesebuch“ zu sein, „das in der Verbindung von Bild und Text eine vergangene Wirklichkeit imaginiert, ohne den Anspruch auf erschöpfende Auswertung des Quellenmaterials zu stellen“. Im Vordergrund soll zum einen das Fremdartige an der Welt der Karolinger stehen, zum anderen der Wandlungsprozess seit den Merowingern.

Lars Hageneier hatte mit seiner Darstellung der politischen Geschichte von 613-987 die sicherlich schwierigste Aufgabe zu meistern: Durch die Orientierung an den Geschicken der Familie der Karolinger reicht der Zeitrahmen in das merowingische Frankenreich zurück, umfasst aber auch die Zeit des karolingischen Großreiches, des Ostfrankenreiches bis 888 und des Westfrankenreiches bis zum endgültigen Herrschaftsantritt der Kapetinger. Er gibt einen knappen Überblick über die Fakten, die immer auf die Mittelpunktrolle der Karolinger in diesem Band zugeschnitten sind. Diese Schwerpunktsetzung führt dazu, dass die unterliegenden Strukturen oft nicht genügend ausgearbeitet werden konnten. Als ein Beispiel wären die verschiedenen Expansionsbestrebungen Karl Martells zu nennen (S. 15). Kürzungen wird es auch zuzuschreiben sein, dass gelegentlich der Zusammenhang zwischen einzelnen Geschehnissen unklar bleibt. So wird zwar auf die nicht erfolgte Einsetzung eines Merowingers nach dem Tode Theuderichs IV. (737) durch Karl Martell hingewiesen (S. 16), nicht aber auf die (Wieder-)einsetzung Childerichs III. 743, was dessen endgültige Absetzung durch Pippin 750 (S. 18f.) eigentlich unverständlich macht. Sehr gelungen ist freilich die enge Anlehnung der Darstellung an die Quellen und die Einarbeitung neuerer Forschungsergebnisse und -diskussionen, wie etwa zu Grifo (S. 26), zur Bewertung Ludwigs des Frommen (S. 55f.) oder zur Entstehung des „deutschen“ Reiches (S. 66f.).

Laudage beginnt seinen Überblick über die Kultur der Karolingerzeit mit den Bildern der Herrscher auf Münzen, in Buchmalereien und der Historiografie, denen es weder um porträthafte Abbildungen noch um topoihafte Stilisierungen ging, sondern um ikonistische Darstellungen, die neben dem Aussehen vor allem Charakter, Verhalten und Gewohnheiten zum Ausdruck bringen sollten. Im Folgenden geht es um die Verchristlichung von Herrscherbild und Herrschaftsverständnis, einen weiteren Wesenzug der Karolingerzeit, die stärker wirksam ist als die gelegentlich anzutreffende Rezeption antiker Elemente.

In einem zweiten Abschnitt widmet sich Laudage den Veränderungen im Bildungswesen, deren ganz unterschiedlichen Aspekten er sich über eine Diskussion von Begriffen wie Reform, correctio und Renaissance zu nähern sucht. Einem Überblick über die Ziele der einzelnen Reformkapitularien stellt er die Diskussion über die Umsetzung dieser Vorgaben gegenüber. Als Beispiele führt er zudem die septem artes liberales und das sich wandelnde, in Kunst und Literatur greifbare Menschenbild an. In einem weiteren Abschnitt geht es um Veränderungen im kirchlichen Leben wie die zunehmende Reliquienverehrung, den Wandel der Liturgie, den Ordnungswillen hinsichtlich der geistlichen Kommunitäten und die steigende Bedeutung des Kirchenrechts. Andere konkrete Ausformungen der kulturellen Veränderungen der Karolingerzeit wie die Ausbildung der karolingischen Minuskel, die Sorge um den rechten Text (insbesondere der Bibel), die Literatur treten demgegenüber in den Hintergrund. Die verbliebene Auswahl ist freilich in sich schlüssig und bietet die Möglichkeit, die einzelnen Aspekte genauer und wieder eng an den Quellen zu beleuchten.

Yvonne Leiverkus beschäftigt sich in „Alltag und Kultur“ zunächst ausführlich mit einem weiteren Aspekt der politischen Geschichte, nämlich mit dem Hof des Königs, wobei in Ansätzen auch dessen Verschmelzung mit der Verwaltung des Reiches behandelt wird. Behandelt werden auch die einzelnen Aufgaben des Herrschers; hier wird also konkretisiert, was im vorangegangenen Abschnitt auf der Ebene der Herrschaftsvorstellungen abgehandelt worden war. Zudem werden die Anfänge des Lehnswesens als Strukturmerkmal des karolingischen Reiches vorgestellt, auch mit Blick auf die Konsequenzen für das Heeresaufgebot. Die Probleme, die es in der Praxis immer wieder gab, sei es das Erreichen ausreichender Heeresstärken oder die mangelnde Heeresfolge, werden nicht diskutiert. Insgesamt ist zu beobachten, dass, sicherlich auch durch die besondere Anlehnung an Hinkmars ‚De ordine palatii’ und die Herrscherviten Einhards und des Astronomus ein eher idealtypisches Bild des karolingischen Hofes und seiner Bedeutung für die Reichsverwaltung gezeichnet wird.

Erst in der zweiten Hälfte dieses Abschnittes geht es um Themen, die gemeinhin unter Alltagsgeschichte subsumiert werden, wie die Ausgestaltung von Grundherrschaft und Landwirtschaft, um allgemeine Lebensgrundlagen wie Wohnsituationen, Nahrungsmittel, Kleidung und Krankheit, aber auch kurz zu Handel und Handwerk. Aufgrund des breiten Raumes, den die Behandlung des Alltags des Herrschers und seines Hofes einnimmt, werden die einzelnen Aspekte nun sehr knapp abgehandelt. Wiederum erfolgt die Darstellung eng an den Quellen entlang, was die Schilderungen plastisch und gut lesbar macht.

Der Titel des Bandes „Die Zeit der Karolinger“ ist in weiten Teilen eng auf die Herrscherfamilie der Karolinger bezogen, nur wenige Eindrücke werden darüber hinaus vermittelt. Der Bezug auf die Karolinger als Klammer ist so stark, dass regionale Differenzierungen kaum vorgenommen werden. Mag dies aus der Anlage des Bandes heraus auch verständlich sein, so ist doch gerade mit Blick auf das Handeln der Karolinger bedauerlich, dass Italien so gut wie keine Rolle spielt, obwohl ihm politisch wie ideell eine fast schon konstitutive Bedeutung für die Karolinger seit Karl dem Großen zukommt; gleiches gilt im Übrigen für die Bedeutung der Kaiserwürde. Auch jener der Struktur des karolingischen Großreichs innewohnende Antagonismus zwischen zentralistischen Komponenten und seiner dezentralen Strukturvielfalt bleibt neben der Rolle der Reichsaristokratie weitgehend unberücksichtigt, was viele Entwicklungen, insbesondere aber die Auflösung des Reiches in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts, weniger verständlich werden lässt.

Der Band ist reich mit durchweg guten Abbildungen versehen, die zwar häufig rein illustrativen Charakter haben, insbesondere im Abschnitt über die Kultur aber auch direkt auf den Text bezogen sind. Zudem sind alle Beiträge meist gut, bisweilen sogar mit Spannung zu lesen. Trotz einiger Wünsche hinsichtlich einzelner Gesichtspunkte, die gerade mit Blick auf ein breiteres Publikum noch hätten erörtert werden können – aber dieses Problems waren sich die Autoren durchaus bewusst – ist hier ein Band entstanden, den man gerne zur Hand nehmen wird.

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