A. Czelk: 'Privilegierung' und Vorurteil

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Titel
'Privilegierung' und Vorurteil. Positionen der Bürgerlichen Frauenbewegung zum Unehelichenrecht und zur Kindstötung im Kaiserreich


Autor(en)
Czelk, Andrea
Reihe
Rechtsgeschichte und Geschlechterforschung 3
Erschienen
Köln 2005: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
XIV, 260 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kerstin R. Wolff, Bibliothek und Studienzentrum, Stiftung Archiv der deutschen Frauenbewegung

Die Forschungen zur Geschichte der Frauenbewegungen 1 im deutschen Reich zwischen 1860 bis in die Nachkriegszeit nach 1945 hinein füllen heute ganze Regale. Immer mehr Zugänge zu dieser großen sozialen Bewegung werden erkannt und genutzt und die Sicht auf diese Bewegungen wird zunehmend erweitert.

Einen bisher eher selten gewählten Zugang hat Andrea Czelk in ihrer Arbeit über die Positionen der bürgerlichen Frauenbewegung zum Unehelichenrecht und zur Kindstötung gewählt. Sie wendet sich in ihrer Untersuchung der bürgerlichen Frauenbewegung als Rechtsbewegung zu und fragt nach den Positionen zum § 217 StGB. Dieser Paragraf stellte eine einmalige Erscheinung dar, da er die „Tötung eines neugeborenen Kindes durch die uneheliche Mutter privilegierte, also die Strafe im Vergleich zu Mord oder Totschlag niedriger ansetzte“. In diesem Paragrafen wurde „nicht nur das Urteil über die Verwerflichkeit eines Handelns (nämlich der Tötung) zum Ausdruck gebracht [...], sondern zugleich Ungerechtigkeiten auf einem anderen Rechtsgebiet [...] und gesellschaftliche Härten im Wege einer Strafmilderung ausgeglichen“ (S. 2). Aufgrund der Untersuchung von Petitionen, die die bürgerliche Frauenbewegung zwischen 1909 und 1923 veröffentlichte, möchte die Autorin „die Einstellung der bürgerlichen Frauenbewegung zu unehelicher Mutterschaft auf ein mögliches Werturteil hin“ überprüfen (S. 4).

Die Untersuchung ist in neun Kapitel eingeteilt. Nach einem einführenden ersten Teil, folgt in Kapitel 2 eine kurze Skizzierung der bürgerlichen Frauenbewegung als Rechtsbewegung. Die Kapitel 3 und 4 beleuchten dann den Paragrafen 217 in seiner Entstehung und die Forderungen der Frauenbewegung zu diesem Paragrafen. In Kapitel 5 bis 8 folgen Darstellungen der Positionen der bürgerlichen Frauenbewegung zur rechtlichen Stellung unehelicher Mütter und Kinder im BGB (Kapitel 5), Deutungen der Forderungen zu § 217 (Kapitel 6) und zur Unehelichkeit (unter einer Schutzperspektive, Kapitel 7; unter einer Schuldperspektive, Kapitel 8). Kapitel 9 zieht ein Fazit.

Als Quellen zieht die Autorin vor allem Petitionen des BDF zum betreffenden Paragrafen heran sowie Texte der bürgerlichen Frauenbewegung, in denen sich die Bewegung zu Fragen von ‚Kindsmörderinnen’ oder zur familienrechtlichen Stellung unehelicher Kinder bzw. deren Mütter äußerte. Neben diese beiden Quellengattungen tritt eine Auswertung von Zeitschriftenartikeln, die die Autorin vor allem aus drei Frauenbewegungszeitschriften gewonnen hat. Vorrangig ausgewertet hat die Autorin die Zeitschriften ‚Die Frau’, ‚Die Frauenbewegung’ und die ‚Neuen Bahnen’.2 Diese Auswahl erstaunt, betont die Autorin doch, dass es ihr um die Positionen vor allem des BDF geht. Warum aber dann das Blatt des BDF, nämlich das ‚Centralblatt’ nicht mit in die Analyse aufgenommen wurde, erschließt sich nicht.3 Statt dessen wird schwerpunktmäßig die Zeitschrift ‚Die Frau’ ausgewertet, die zwar zentrale ‚Basistexte’ von wichtigen Protagonistinnen der Bewegung enthielt, aber eine vom BDF unabhängige Meinungspolitik verfolgte.4 Angelika Schaser konnte in ihrer Arbeit zeigen, dass ‚Die Frau’ von einem „exklusiven Autorinnen- und Rezensentinnenkartell“ getragen wurde und das dieses dazu beitrug, „das Bild einer monolithischen Frauenbewegung zu konstruieren“.5

Und genau das passiert dann auch in der Arbeit von Czelk. Hier wird die bürgerliche Frauenbewegung als eine monolithische Rechtsbewegung dargestellt. Alle Schattierungen, Flügelkämpfe und Meinungsverschiedenheiten verschwinden und übrig bleibt eine klar strukturierte, juristisch argumentierende Bewegung. Diese Sicht der bürgerlichen Frauenbewegung zieht sich wie ein roter Faden durch die Untersuchung und verweist auf die Grundannahme der Autorin, dass es „die Gesetze und die Forderungen zu den Gesetzen [sind], die zunächst die bürgerliche Frauenbewegung auf ein einheitliches und manifestes Ziel hin vereinten, und die später zu den Werkzeugen wurden, die greifbar in die Gleichgültigkeit der ‚patriarchalischen’ Politik eindrangen und die zunächst recht unbewegt vor sich hindämmernde Frauenwelt mobilisierten“ (S. 26).

So verdienstvoll es ist, die Frauenbewegung als Rechtsbewegung zu analysieren, so wichtig ist es dabei auch, diesen Zugang als einen unter vielen zu verstehen. Denn die bürgerliche Frauenbewegung war AUCH eine Rechtsbewegung, aber nicht nur. Dies aber nimmt die Autorin der Studie viel zu wenig wahr. Stattdessen werden alle Äußerungen dieser vielfältigen Bewegung auf den Rechtskampf hingeschrieben und die historischen Etappen der Bewegung selber auch als ein Zugehen auf eine Rechtsbewegung dargestellt. Zwar gibt es in jeder Frage, die die Frauenbewegung aufgeworfen hat, auch einen rechtlichen Kern, trotzdem aber engagierte sich die bürgerliche Frauenbewegung nicht nur auf rechtspolitischem Gebiet. Vielmehr waren es eben auch Fragen nach dem Zugang zu höherer Bildung, weibliche Berufstätigkeit und deren Professionalisierung, soziale und wohlfahrtspflegerische Probleme die im Zentrum standen. Alle diese Probleme wollten die verschiedenen Flügel der bürgerlichen Frauenbewegung nicht durch Gesetzesänderungen ausräumen, sondern vielmehr durch eine Veränderung der gesellschaftlichen Kultur. Oder um es mit Helene Lange zu sagen: „Es wird manchmal so hingestellt, als ob die Erlangung der Bürgerrechte das letzte Ziel der Frauenbewegung sei, als ob es nur gelte, gleichviel wie, so schnell wie möglich dahin zu kommen. In Wirklichkeit wird die Frauenbewegung damit doch erst ihren rechten Anfang nehmen, da erst dann sich zeigen wird, inwieweit die Frau ihre Eigenart in der Kulturwelt geltend machen kann.“ 6

So zieht sich eine schiefe Einschätzung der Frauenbewegung durch die Arbeit und führt zu Fehleinschätzungen der historischen Bewegung. Das ist überaus schade, denn die Analyse der Schriften der bürgerlichen Frauenbewegung zum Unehelichenrecht und zur Kindstötung kommt zu interessanten Ergebnissen. Allerdings ist auch hier eine Überbewertung der juristischen Quellen und eine Glättung der Frauenbewegungspositionen zu spüren. Hintergrund dieser Fehleinschätzungen ist wohl die unzureichende Rezeption der breiten Forschungsliteratur zur bürgerlichen Frauenbewegung. Es scheint so, als wenn alle Ansätze fehlen würden, die die Frauenbewegung als Kulturbewegung schildern und die die Dynamik der Willensbildung in den Focus genommen haben. Auch Arbeiten zur Bewegungskultur fehlen, obwohl hierin das Agieren und Aushandeln innerhalb der Bewegung gut hätte nachvollzogen werden können. 7

Diese Nachlässigkeiten sind ärgerlich, denn die Arbeit kann durchaus Interessantes erzählen, allerdings nur dann, wenn sich die Autorin auf das konzentriert, was sie ins Zentrum ihrer Arbeit gestellt hat, die juristischen Positionen des BDF zum § 217.

Anmerkungen:
1 Aufgrund der Vielgestaltigkeit dieser Bewegung, und um die verschiedenen Flügel und Richtungen zu kennzeichnen, setzt es sich immer mehr durch von Frauenbewegungen im Plural zu sprechen.
2 Zu den Zeitschriften der Frauenbewegung vgl.: Wischermann, Ulla, Bewegungs(gegen)öffentlichkeiten. Zur Geschichte der politischen Presse von Frauen für Frauen, in: Ariadne – Forum für Frauen- und Geschlechtergeschichte 44 (2003), S. 6-13.
3 Das „Centralblatt des Bundes Deutscher Frauenvereine“ wurde 1899 gegründet, um dem BDF ein gemeinsames Publikationsorgan zu geben. Hier findet dann genau das statt, was die Autorin analysieren möchte, nämlich die Positionierung und die Kämpfe innerhalb der Frauenbewegung um diese Positionen.
4 Erst in der Inflation seit November 1921 war „Die Frau“ das offizielle Organ des BDF, was aber am Alleinvertretungsanspruch der Herausgeberinnen nichts änderte.
5 Vgl. hierzu: Schaser, Angelika, Helene Lange und Gertrud Bäumer. Eine politische Lebensgemeinschaft, Köln 2000, S. 95.
6 Lange, Helene, Die Frau als Bürgerin, in: Die Frau, 11. Jg. (1903/04), S. 534.
7 Zu denken ist hierbei an die Arbeit von: Wischermann, Ulla, Frauenbewegungen und Öffentlichkeit um 1900. Netzwerke – Gegenöffentlichkeiten – Protestinszenierungen, Königstein im Taunus 2003.

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