Cover
Titel
Tacitus.


Autor(en)
Schmal, Stephan
Reihe
Studienbücher Antike 14
Anzahl Seiten
240 S.
Preis
€ 18,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Krieckhaus, Prosopographia Imperii Romani, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

In den Proseminaren zur griechischen und römischen Geschichte stellt im Rahmen einer fundierten und kritischen Quellenanalyse naturgemäß die Bewertung und Einordnung der antiken Autoren und ihrer Werke einen Schwerpunkt dar. Sehr lange mussten sich Lernende und Lehrende hierbei entweder mit zumeist viel zu knappen oder stark veralteten Artikeln in diversen altertumswissenschaftlichen Lexika oder einer der zahlreichen Literaturgeschichten behelfen. Einen neuen, an den aktuellen Erfordernissen orientierten Weg beschreitet nun schon seit einiger Zeit der Hildesheimer Olms Verlag mit seiner Reihe „Studienbücher Antike“, die sich der Vorstellung antiker Autoren auf ungefähr 200-300 Seiten verschrieben hat. Stephan Schmal, promovierter Althistoriker, Verlagsredakteur und Autor des hier anzuzeigenden Buches, hat in der Reihe bereits eine Abhandlung zum republikanischen Geschichtsschreiber Sallust vorgelegt.1 Mit Tacitus hat sich Schmal nun eines bekanntermaßen sehr schwierigen Schriftstellers angenommen. Um das Gesamturteil vorwegzunehmen: Seine Darstellung ist als gelungen zu bezeichnen und dem Leserkreis guten Gewissens zu empfehlen. Dank Schmal liegt nun erstmals eine kompakte deutschsprachige Einführung in das taciteische Oeuvre vor, die es ohne Zweifel schafft, die traditionsreiche Forschung zu Tacitus in ansprechender und gebündelter Form weitestgehend auf dem neuesten Stand zu präsentieren.2 Das als Paperback erschienene, hervorragend lektorierte und mit 18,00 Euro recht erschwingliche Buch erweist sich als ein nützlicher Begleiter, zumal für Studierende der Altertumswissenschaften. Schmal beweist, dass gute Lesbarkeit und moderner wissenschaftlicher Anspruch einander nicht widersprechen müssen. Der Schreibstil darf als flüssig und angenehm „locker“ bezeichnet werden.3

Schmals Studie verfügt über einen einfachen und klaren Aufbau, wobei sich vier Schwerpunkte ausmachen lassen: Auf 1. einen kurzen Abriss von Tacitus’ Leben und Zeit folgt 2. die Vorstellung und Interpretation der fünf zum Teil leider nicht vollständig auf uns gekommenen Werke des Autors in der chronologischen Reihenfolge ihres (vermutlichen) Erscheinens: Agricola, Germania, Dialogus de oratoribus, Historiae, Annales.4 Hier stellt Schmal jeweils knapp und konzis die spezifischen Probleme heraus, mit denen sich der Leser konfrontiert sieht, so etwa die Überlieferungs- und Datierungsproblematik, die großen lacunae in den beiden opera maiora oder die in Bezug auf den Dialogus de oratoribus lange diskutierte Verfasserfrage. Im Anschluss wird 3. der Schriftsteller Tacitus dann kapitelweise von verschiedenen Seiten systematisch beleuchtet: Der Dichter, der Historiker, der Geschichtsdenker, der Soziologe, der politische Analytiker. Man mag Schmal nicht in allen Punkten zustimmen und hier und da Ergänzungsbedarf sehen (etwa, was die Einarbeitung des epigrafischen Materials angeht, s.u.), doch ist es insbesondere dieser analytische Teil der Darstellung, der sich positiv abhebt; Grundfragen wie etwa Tacitus’ Selbstverständnis als Historiker (Stichwort: sine ira et studio), sein politischer Standpunkt (Stichwort: Verlust der republikanischen libertas in der Kaiserzeit) bzw. seine senatorische Sichtweise des Prinzipats, die gewisse Wertvorstellungen beinhaltet (Stichworte: virtus, gloria, amor rei publicae, obsequium usw.), werden verständlich aufbereitet.5 Es folgen schließlich (4.) ein Kapitel zur interessanten Rezeptionsgeschichte der taciteischen opera und ein Forschungsüberblick. Abgerundet wird das Buch durch ein ausführliches Literaturverzeichnis, ein Namens-, ein Sach- und ein Ortsregister sowie ein nützliches Verzeichnis aller behandelten Tacitus-Stellen.

Bei allem Lob kam der Rezensent jedoch nicht umhin, gewisse Unebenheiten in der Darstellung anzusprechen, die er allerdings nicht als Schmälerung der verdienstvollen Gesamtleistung des Autors verstanden wissen will, sondern vielmehr als eine Art addenda et corrigenda.6 So ist der Abschnitt über "Leben und Zeit" (S. 14ff.) ein wenig kurz geraten; zwar macht Tacitus hier seinem cognomen alle Ehre, indem er in seinen Schriften kaum etwas über seine Person preisgibt (anders als es der jüngere Plinius in bezug auf ihn tut), doch wäre es wichtig gewesen, die wenigen relevanten Zeugnisse eingehender zu behandeln, insbesondere die vermeintliche Grabinschrift CIL VI 1574 = 41106, die Schmal lediglich zweimal kurz erwähnt. Würden wir nämlich diese Inschrift - wie es ein Beitrag von Géza Alföldy aus dem Jahr 1995 nahelegt - auf den Schriftsteller Tacitus beziehen, so würden sich mannigfache Konsequenzen ergeben, nicht nur onomastischer Art, sondern auch für Tacitus' cursus honorum.7

Des Weiteren lässt Schmal in dem Kapitel über die Annalen die große Chance aus, den Wahrheitsgehalt eines literarischen Zeugnisses an epigrafischem Quellenmaterial abzuprüfen, so im Fall des in den 1990er Jahren publizierten, spektakulären senatus consultum de Cn. Pisone patre (S. 68f.); hier würde sich ein Vergleich mit den in den taciteischen Annalen geschilderten Ereignissen um das "Kompetenzgerangel" zwischen Germanicus und Cn. Calpurnius Piso im Osten des Reiches im Jahre 19 n.Chr., mit dem Tod des Germanicus in demselben Jahr und dem Prozess gegen den angeblichen Täter Piso im Jahr 20 n.Chr. geradezu aufdrängen.8 Auch im Fall der berühmten "Gallier-Rede" des Kaisers Claudius (Tac. ann. 11,23ff.) aus dem Jahr 48 n.Chr., die, wie Schmal richtig bemerkt, "im Kern historisch" ist (S. 76, Anm. 55), hätte man sich einen detaillierten Vergleich und eine dem aktuellen Forschungsstand angemessene Auseinandersetzung mit der auf uns gekommenen Bronzetafel aus Lyon (CIL XIII 1668 = ILS 212 = Smallwood Nr. 369), auf der die Rede ebenfalls bezeugt ist, gewünscht.9 Hinzu kommt, dass die stärkere Berücksichtigung beider Inschriften im Vergleich zu den entsprechenden taciteischen Texten sicherlich auch das, was Schmal über den Historiker Tacitus sagt, beeinflusst hätte.

Trotz der angeführten Kritikpunkte wird Schmals Buch als ein bisheriges Desiderat der Forschung mit Sicherheit einen festen Platz im Kanon der Einführungen in die antiken Autoren erobern.

Anmerkungen:
1 Schmal, Stephan, Sallust (Olms Studienbücher Antike 8), Hildesheim 2001. Seine Berliner Dissertation setzt sich mit dem Thema „Feindbilder bei den frühen Griechen: Untersuchungen zur Entwicklung von Fremdenbildern und Identitäten in der griechischen Literatur von Homer bis Aristophanes“ (Frankfurt am Main 1995) auseinander.
2 An Syme, Ronald, Tacitus, 2 Bände, Oxford 1958 gibt es bis heute für niemanden, der sich ernsthaft mit Tacitus auseinandersetzen möchte, ein Vorbeikommen, auch wenn das voluminöse Opus in weiten Teilen gar nicht von Tacitus selbst handelt. Die wichtigste Forschungsliteratur zu Tacitus hat Schmal – abgesehen von einigen epigrafischen Untersuchungen (dazu unten mehr) – zusammengetragen; allerdings sucht man etwa: Birley, Anthony R. (Hg.), Agricola and Germany, Oxford 1999 (englischsprachige Übersetzung mit Kommentaren) vergeblich.
3 Bisweilen verfällt Schmal jedoch in einen umständlichen wissenschaftlichen Sprachduktus, der Verständnisschwierigkeiten bereiten könnte, zumal für den intendierten Adressatenkreis des Buches. Auf S. 100 etwa schreibt er: „Bis zu einem gewissen Grade ist das Oszillieren der Figuren des Tacitus sicherlich auch seinem ,Agnostizismus‘ geschuldet."
4 Hierbei handelt es sich um die Bezeichnungen, unter denen man die taciteischen Publikationen gemeinhin kennt, nicht um die eigentlichen „Buchtitel“, die im Übrigen nicht in allen Fällen sicher überliefert sind.
5 Auf S. 155 bemerkt Schmal u.a. zur Stellung des Senats in der Prinzipatszeit: „Unter Hadrian kamen 42 Prozent der Senatorenschaft aus den Provinzen.“ Schmal erklärt leider nicht, wie sich diese Zahl zusammensetzt, was jedoch kaum verwundert: Da wir zum einen nur einen Teil der Senatoren kennen (zumal für das 2. Jahrhundert), zum anderen nur in verhältnismäßig wenigen Fällen die patria einer senatorischen Familie sicher bestimmen können, lassen sich hier lediglich Tendenzen ermitteln, keine genauen Zahlen; vgl. dazu jetzt auch: Krieckhaus, Andreas, Senatorische Familien und ihre patriae (1./2. Jahrhundert n.Chr.), Hamburg 2006, S. 1ff. und 169ff.
6 Einige kleinere addenda et corrigenda aus der ersten Hälfte des Buches seien hier aufgelistet: (1) S. 14: Man sollte nicht mehr von einer "Beamtenlaufbahn" sprechen; der Begriff „Beamter“ ist für römische Amtsträger unzutreffend. Außerdem wird Trajan hier als der erste „Nichtrömer“ auf dem Kaiserthron bezeichnet, was irritierend ist, denn er war natürlich römischer Bürger. Seine Familie stammte aus dem unter Hadrian zur römischen Kolonie gewordenen Italica, was aber in keinster Weise den Schluss zulässt, dass Trajan dort geboren wurde, zumal bereits sein Vater Senator war. (2) S. 14f.: Schmal bezieht die berühmte Plinius-Stelle „Italicus es an provincialis?“ se respondisse: „nosti me, et quidem ex studiis“; ad hoc illum: „Tacitus es an Plinius?“ (Plin. epist. 9,23,2) auf Plinius selbst, was so nicht korrekt ist; vielmehr hat Tacitus Plinius diese Episode von sich erzählt, der sie wiederum brieflich an einen Freund, einen (Novius?) Maximus, weitergibt: Narrabat (sc. Tacitus) sedisse secum circensibus proximis equitem Romanum; hunc post varios eruditosque sermones requisisse: „Tacitus es an Plinius?“ (Plin. epist. 9,23,2). (3) Auf S. 26 (mit Anm. 20) schreibt Schmal, Agricolas Statthalterschaft sei „inschriftlich bezeugt“, nennt aber keine entsprechenden Belege; diese findet man jetzt bei: Birley, Anthony R., The Roman Government of Britain, Oxford 2005, S. 71ff. (4) Auf S. 34, Anm. 28, schreibt Schmal: „Plinius hat 20 Bücher bella Germaniae verfasst“. Er verzichtet aber zum einen darauf, dem Leser zu erklären, welchen Plinius er meint, und zum anderen, wo dieses Werk belegt ist (in Plin. epist. 3,5,4) und dass es gar nicht mehr existiert. (5) S. 58: Der römische Senator Marcellus Eprius muss richtig heißen (T. Clodius) Eprius Marcellus. (6) S. 66: Hier vermittelt Schmal den Eindruck, dass die vor einigen Jahren in der Nähe von Bramsche entdeckten archäologischen Zeugnisse unzweifelhaft auf die „Schlacht im Teutoburger Wald“ hindeuten. Dem ist aber keineswegs so; man kann lediglich sagen, dass es im Jahr 9 n.Chr. dort zu einer größeren kriegerischen Auseinandersetzung gekommen ist, mehr nicht. (7) S. 75: Die Rivalin der dritten Ehefrau des Claudius, Valeria Messalina, wird als Poppaea Sabina angegeben; da dies aber beim interessierten Laien leicht zu Verwechslungen mit deren gleichnamiger Tochter, Neros zweiter Ehefrau, führen könnte, sollte man hier besser von Poppaea Sabina der Älteren sprechen. (8) S. 77: Schmal schreibt, Agrippina die Jüngere habe in ihre Ehe mit Claudius einen Sohn aus erster Ehe namens L. Domitus Ahenobarbus Nero mitgebracht, was sachlich so nicht richtig ist; Nero hieß zu diesem Zeitpunkt nur L. Domitius Ahenobarbus. Den Beinamen Nero erhielt er erst im Zuge der Adoption durch Claudius im Jahr 50 n. Chr.: Nero Claudius Caesar Drusus Germanicus. (9) S. 82: Über das berühmte und wichtige Kapitel Tac. ann. 15,44, in dem eine Verbindung der Christen mit dem Brand von Rom nahegelegt wird, verliert Schmal zu wenige Worte. Auch hätte man hier mehr weiterführende Literatur zu dem Thema „Der Brand Roms und die Christen“ nennen müssen, so etwa das wichtige und provozierende Buch von: Baudy, Gerhard J., Die Brände Roms. Ein apokalyptisches Motiv in der antiken Historiographie, Hildesheim 1991. (10) S. 83: Der nominelle Kopf der „Pisonischen Verschwörung“ hieß mit vollem Namen C. Calpurnius Piso und gehörte einer der ältesten Adelsfamilien Roms an. Dies sollte man für ein besseres Verständnis dieser Verschwörung betonen.
7 Schmal erwähnt die Inschrift auf S. 15 in Anm. 12 und auf S. 21 (mit Anm. 47). Der wichtige und wegweisende Beitrag von: Alföldy, Géza, Bricht der Schweigsame sein Schweigen?, MDAI (R) 102 (1995), S. 252ff., wird nur kurz in einer Fußnote zitiert.
8 Schmal zitiert auf S. 68, Anm. 22 lediglich Eck, Werner, Cheating the Public – or: Tacitus vindicated, SCI 21 (2002), S. 149ff., lässt aber die wichtigen Publikationen zum senatus consultum de Cn. Pisone patre gänzlich weg: Eck, Werner u.a. (Hgg.), Das senatus consultum de Cn. Pisone patre, München 1996 und Eck, Werner u.a. (Hgg.), El senatus consultum de Cn. Pisone patre, Sevilla 1996. Auf S. 117 wird dann – wiederum im Zusammenhang mit Germanicus’ Tod – noch nicht einmal Ecks erstgenannter Aufsatz zitiert, geschweige denn auf die tabula Hebana und die tabula Siarensis verwiesen, die beide Ehrenbeschlüsse für den verstorbenen Germanicus enthalten. Weitere wichtige Veröffentlichungen zum senatus consultum de Cn. Pisone patre wären: Eck, Werner, Die Täuschung der Öffentlichkeit. Der Prozeß gegen Cnaeus Calpurnius Piso im Jahr 20 n.Chr., in: Manthe, Ulrich u. a. (Hgg.), Große Prozesse der römischen Antike, München 1997, S. 129ff.; Barnes, Timothy D., Tacitus and the senatus consultum de Cn. Pisone patre, Phoenix 52 (1998), S. 125ff.; Talbert, Richard J. A., Tacitus and the senatus consultum de Cn. Pisone patre, AJPh 120 (1999), S. 89ff.; Damon, Cynthia, The Trial of Cn. Piso in Tacitus' Annales and the senatus consultum de Cn. Pisone patre. New Light on Narrative Technique, AJPh 120 (1999), S. 143ff.
9 Der taciteische Bericht und die Inschrift CIL XIII 1668 = ILS 212 = Smallwood Nr. 369 wurden jüngst erschöpfend behandelt von: Riess, Werner, Die Rede des Claudius über das ius honorum der gallischen Notablen. Forschungsstand und Perspektiven, REA 105 (2003), S. 211ff. Ronald Symes Sicht der Dinge lässt sich jetzt auch ausführlich nachlesen in: Birley, Anthony R. (Hg.), Ronald Syme. The Provincial at Rome and Rome and the Balkans 80 BC – AD 14, Exeter 1999. Beide Abhandlungen fanden in Schmals Buch leider keine Berücksichtigung.

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