A. Schmidt: Kommunikationspolitik 1914-1918

Titel
Belehrung - Propaganda - Vertrauensarbeit. Zum Wandel amtlicher Kommunikationspolitik in Deutschland 1914-1918


Autor(en)
Schmidt, Anne
Erschienen
Anzahl Seiten
276 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang Kruse, Historisches Institut, LG Neuere Deutsche und Europäische Geschichte, Fernuniversität Hagen

Wer den Ersten Weltkrieg als historische Zäsur im Übergang vom bürgerlich-liberal geprägten, ‚langen’ 19. Jahrhundert zum ‚kurzen’ 20. Jahrhundert der Massendemokratie und des Totalen Krieges begreifen will, der tut gut daran, auch die Entwicklungen der Jahre 1914-1918 selbst unter dieser Perspektive zu betrachten. Wie dies mit Gewinn geschehen kann, das demonstriert die Bielefelder Dissertation von Anne Schmidt über den Wandel der amtlichen Kommunikationspolitik in Deutschland auf überzeugende Weise. Verantwortlich dafür ist vor allem die methodische Klarheit des konzeptionellen Ansatzes, durch die es gelingt, sowohl den Gegenstand präzise zu fassen als auch unterschiedliche Ausprägungen und Entwicklungsphasen zu unterscheiden.

Schmidt konstituiert ihren Gegenstand nicht mit ebenso unscharfen wie wertenden zeitgenössischen Begriffen, sondern sie arbeitet mit einer wissenschaftlichen Begrifflichkeit, die ein höheres Maß an ordnender Distanz und analytischer Qualität verbürgt: „Kommunikationspolitik“ fungiert dabei in kommunikationswissenschaftlicher Perspektive als allgemeiner Sammelbegriff für alle Formen der staatlichen Einflussnahme auf die Zirkulation von Informationen, während „Öffentlichkeitsarbeit“ in spezifischerer Weise aktive Formen der Imagepflege und der Mobilisierung von öffentlicher Zustimmung, Loyalität und Konsensbildung zusammenfasst. Mit Hilfe von drei aus der allgemeineren sozialhistorischen Forschung zum Ersten Weltkrieg übernommenen, inhaltlich profilierten Konzeptbegriffen gelingt es darüber hinaus, die amtliche Kommunikationspolitik nicht nur differenziert zu erfassen, sondern zugleich auch ihre innere Entwicklungsdynamik in den Blick zu bekommen. Die Arbeit unterscheidet dabei zwischen einer die ersten zwei Kriegsjahre prägenden, traditionalistischen Form der Kommunikationspolitik, ihrer 1916 mit dem Machtantritt der 3. OHL eingeleiteten Ablösung durch eine modernistische, auf aktive Propaganda und Massenmobilisierung setzende Neuorientierung sowie einer sich bei Kriegsende abzeichnenden, letztlich aber doch ohne große Durchschlagskraft bleibenden reformistischen Alternative.

Die drei Hauptteile folgen jeweils einem weitgehend gleichförmigen, stringent durchgeführten Aufbau. Ausgehend von einer akteurszentrierten Perspektive stellt Schmidt einleitend die jeweils dominierenden Trägergruppen der staatlichen Kommunikationspolitik vor, um anschließend ihre konzeptionellen Leitbegriffe und die damit verbundenen Gesellschaftsvorstellungen herauszuarbeiten. Erst vor diesem Hintergrund werden dann die zentralen Institutionen, Praxisfelder und Medien der einzelnen Phasen und Konzepte der amtlichen Kommunikationspolitik dargestellt, bevor am Ende jeweils eine kritische Abwägung der Handlungsspielräume, Erfolge und Grenzen vorgenommen wird.

Die Jahre 1914-1916 standen demnach im Zeichen einer Kommunikationspolitik, die von überwiegend konservativ eingestellten, militärisch bzw. bürokratisch geprägten, traditionellen Methoden verpflichteten Akteuren getragen wurde. Inhaltlich fühlte man sich hier vor allem der nationalen Einheit verpflichtet, die bei Kriegsbeginn im Zeichen des Burgfriedens so eindrücklich hervorgetreten zu sein schien und der es nun durch die Bewahrung der nationalen Begeisterung als Palliativ gegen alle inneren Probleme und Konflikte Dauer zu verleihen galt. Als geeignetes Mittel dafür sah man vor allem die Kontrolle und Belehrung der öffentlichen Meinung an, konkret die Unterdrückung inopportuner Nachrichten durch die Zensur und die Verbreitung positiver Meldungen durch offizielle Pressekonferenzen. Hinzu trat die Unterstützung und Steuerung privater Initiativen, die sich selbständig um die Propagierung der „deutschen Sache“ bemühten. Angesichts der sich zuspitzenden Herausforderungen und Probleme der Kriegsgesellschaft kam es zwar zu einigen Modernisierungsschritten, die sich vor allem auf die Werbung zur Zeichnung von Kriegsanleihen konzentrierten. Doch waren dem enge Grenzen gezogen, solange die Kommunikationspolitik unter der Führung von Traditionalisten stand, die in moderneren Formen der Öffentlichkeitsarbeit wie etwa der Nutzung populärer Massenmedien eine Untergrabung der traditionellen Grundlagen deutscher Kultur und nationaler Gemeinschaft durch die oberflächlichen Vermassungs- und Entwertungstendenzen der westlich-demokratischen Zivilisation sahen.

Dies änderte sich mit der Übernahme der Obersten Heeresleitung durch die Generäle Paul v. Hindenburg und Erich Ludendorff im August 1916. Ludendorff war schon lange für eine Modernisierung der Öffentlichkeitsarbeit nach westlichem Vorbild eingetreten, und er brachte nun ihm nahe stehende, im Vergleich zu den Traditionalisten überwiegend jüngere Protagonisten dieser Konzeption wie Max Bauer, Hans v. Heften und Walter Nicolai an die Schaltstellen der Kommunikationspolitik. Modernisierung bedeutete dabei keineswegs Demokratisierung, sondern im Gegenteil aktive Propaganda und Massenmobilisierung von oben. In ihren Leitbegriffen unterschieden sich die Modernisten zwar nicht grundlegend von den Traditionalisten, doch der Ton wurde entschiedener, die Begrifflichkeit nahm eine voluntaristischere und vitalistischere Qualität an: „Geschlossenheit“ trat nun neben „Einheit“, die „Stimmung“ wurde durch Begriffe wie „Wille“, „Geist“ oder „Kraft“ ergänzt. Und die Bedeutungszusammenhänge wandelten sich, wie Schmidt überzeugend darlegen kann, noch weit grundlegender. Nun sollte es vor allem darum gehen, die Heimat hinter der Front zu einen, um im nationalen Schicksalskampf bestehen zu können, und der integrative „Burgfrieden“ wurde abgelöst vom Kampf gegen „innere Feinde“, die die nationale Einheit zu zersetzen schienen. „Führung“ wurde nun zum Zauberwort einer primär nach innen zielenden Propaganda, die den Kriegswillen des deutschen Volkes, verstanden als eine „psychische, emotionale und spirituelle Energie“ (S. 121), bis zur äußersten Kraftanstrengung steigern sollte.

Der Orientierung am autoritären Staat und dem Versuch einer totalen Mobilmachung der Gesellschaft entsprach nicht nur die Verschärfung der Zensur, sondern auch das Bemühen um aktivistischere Formen von Propaganda und Massenmobilisierung. Um diese Ziele erreichen zu können, strebten die Modernisten eine Zentralisierung der amtlichen Kommunikationspolitik an, und sie riefen neuartige Medienanstalten wie insbesondere das „Bild- und Filmamt“ ins Leben, um ihrer Propaganda eine größere Wirksamkeit zu verschafften. Massenwirksamkeit war nun das Ziel, populäre Bilder und Filme erschienen als die adäquaten Mittel, eingesetzt vor allem im „Vaterländische Unterricht“, durch den die Bevölkerung, vor allem auch die ebenso unsichere wie kriegswichtige Industriearbeiterschaft, in ihrem Kriegswillen gestärkt werden sollte. Ebenso wie für die allgemeinen diktatorischen Tendenzen der OHL gilt allerdings, wie Schmidt zeigen kann, auch für die entsprechenden kommunikationspolitischen Initiativen, dass ihnen durch die Eigenständigkeit verschiedener anderer Verfassungsinstitutionen, insbesondere der Reichsregierung, der Regierungen der Einzelstaaten und auf militärischer Ebene der Stellvertretenden Generalkommandeure, Grenzen gesetzt blieben.

Einen eigenen Hauptteil widmet Schmidt schließlich einer kleinen Gruppe reformistischer Kommunikationspolitiker, die im letzten Kriegsjahr Alternativen zu den obrigkeitsstaatlich-autoritären Konzepten von Traditionalisten und Modernisten entwarfen. Diese vom Pressechef des Reichskanzlers Eduard E. Deutlemoser angeführte, vom liberalen Vizekanzler Friedrich v. Payer unterstützte Gruppe konnte sich politisch zwar kaum durchsetzen. Doch Schmidt will nicht nur den zukunftsweisenden Charakter der hier formulierten Konzepte aufzeigen, sondern auch erinnern an „die Leistungen derjenigen, die sich gegen eine Vielzahl von Gegnern für eine Reformierung des Obrigkeitsstaates einsetzten und inmitten einer krisenhaften Zeit den Streit um politische Alternativen wagten.“ (S. 188)

In diesem Zitat wird nicht zuletzt deutlich, worin das Dilemma der kommunikationspolitischen Reformisten – und ein wenig auch ihrer Beurteilung – lag: Reformistische Alternativen, die diesen Namen wirklich verdienen, waren nur im Zusammenhang einer allgemeinen Reform von Staat und Gesellschaft zu realisieren. Als Leitbegriff für diesen Versuch macht Schmidt nun „Vertrauen“ aus, genauer die Werbung um das kriegspolitische Vertrauen der Bevölkerung durch größere kommunikationspolitische Transparenz, Klarheit und Zielgruppenorientierung, insbesondere auch in der Zusammenarbeit mit den gemäßigten Teilen der Arbeiterbewegung. Die Frage, ob es sich dabei tatsächlich um einen zentralen zeitgenössischen Begriff oder doch eher um einen aktuellen geschichtswissenschaftlichen Konzeptbegriff handelt, soll hier nicht weiter verfolgt werden. Doch dass das Werben der Reformer um Vertrauen schnell einen ideologischen Charakter gewinnen konnte, angesichts der realen Machtverhältnisse vielleicht sogar gewinnen musste, dieser Problematik geht Schmidt leider kaum nach. Sie arbeitet stattdessen mit großer Überzeugungskraft die engen Grenzen heraus, die den kommunikationspolitischen Reformkonzepten durch ihre mächtigen Gegenspieler, insbesondere durch die OHL gesetzt wurden.

Die insgesamt überzeugende Arbeit fährt mit einem Exkurs zur politischen Bildsprache fort, dem es am Beispiel von überwiegend bekannten Bildern mit großer Klarheit gelingt, die unterschiedlichen kommunikationspolitischen Konzepte von Traditionalisten, Modernisten und Reformisten auch in der visuellen Umsetzung zu verdeutlichen. Sie schließt mit einer zusammenfassenden Schlussbetrachtung, in der Schmidt knapp, aber präzise auch die Wirkungsgeschichte ihres Gegenstandes im Spannungsfeld von republikanisch-demokratischer Fortsetzung reformistischer Ansätze amtlicher Kommunikationspolitik auf der einen, Wiederaufnahme modernistischer Konzepte von Propaganda und Massenmobilisierung durch die Nationalsozialisten auf der anderen Seite aufzeigt.