T. Thomas u.a. (Hrsg.): Banal Militarism

Titel
Banal Militarism. Zur Veralltäglichung des Militärischen im Zivilen


Herausgeber
Thomas, Tanja; Virchow, Fabian
Reihe
Cultural Studies 13
Anzahl Seiten
432 S.
Preis
€ 28,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Corinna Tomberger, Berlin

Das Stichwort Militarismus lässt an eine Vormachtstellung des Militärischen innerhalb einer Gesellschaft denken, an Militärparaden, an einen Kult um Waffen, Uniformen und soldatische Helden sowie an den Vorrang militärischer Denkweisen in der Politik. Weniger offensichtliche Verschränkungen des militärischen Bereichs mit dem zivilen sind gemeint, wenn von „Banal Militarism“, einem banalen, will heißen, alltäglichen und gewöhnlichen Militarismus die Rede ist. Sei es ein Auftritt der Popgruppe „No Angels“ für Bundeswehrsoldaten in Prizren 2002, sei es Flecktarnmuster als modisches Design für Freizeitkleidung oder die herausragende Rolle der Bundeswehr in der bundesdeutschen Spitzensportförderung – solchen Phänomenen einer „Veralltäglichung und Banalisierung des militärischen Habitus“ (S. 20) galt 2004 eine internationale, interdisziplinäre Tagung, an die der vorliegende Sammelband anschließt. Verstanden als Forschung zur politischen Kultur (S. 10f.) versammelt er mit seinen 21 Beiträgen unterschiedliche disziplinäre Herangehensweisen und thematische Akzente, von denen hier nur eine Auswahl vorgestellt werden kann.

Mit dem titelgebenden Begriff schlagen die Herausgeberin Tanja Thomas und der Herausgeber Fabian Virchow zugleich ein theoretisches Konzept vor, angelehnt an Michael Billigs Begriff des „Banal Nationalism“ 1. Der britische Sozialwissenschaftler versteht darunter einen Komplex von Überzeugungen, Annahmen, Gewohnheiten, Repräsentationen und Praktiken, der etablierte Nationen reproduziert, indem eine nationale Gemeinschaft und nationale Zugehörigkeit aufgerufen und markiert werden. Analog dazu fassen Thomas und Virchow in ihrem theoretischen Beitrag unter „Banal Militarism“ jene „vielfältigen Prozeduren der Gewöhnung an und/oder Einübung in Denkmuster, Einstellungen und Verhaltensweisen, die [...] einem militärischen Habitus verbunden sein können“ (S. 34). Die vage Definition verweist auf Probleme in der theoretischen Konzeption, von denen noch zu sprechen sein wird. Ausgehend vom bundesdeutschen Kontext setzen Thomas und Virchow voraus, dass die Veralltäglichung des Militärischen voranschreitet. Eher implizit, denn systematisch entwickelt, zielt ihr Konzept auf die westlichen Länder und deren ausgeprägte Medienkultur ab.

Breiten Raum nehmen in dem Band der Irak-Krieg von 2003 und die nachfolgende Besatzung ein; vor allem die mediale Berichterstattung wird thematisiert. Diesbezügliche Beiträge finden sich in verschiedenen Kapiteln, die einer nicht durchgängig überzeugenden Unterteilung folgen. So befasst sich Frank Möller im Kapitel „Theoretische Perspektiven“ mit den Folterfotos von Abu Ghraib, die einer Trivialisierung des Militärischen seiner Argumentation nach nicht notwendigerweise entgegenstehen (S. 49-63). In den Kapiteln „Gesellschaftliche Einbettungen“ und „Mediale Deutungsangebote“ widmen sich James Derian (S. 151-170), Eugen Januschke (S. 171-185) und Robin Anderson (S. 225-248) aus unterschiedlichen Perspektiven dem Infowar beziehungsweise dem Militainement. Sie legen dar, wie die Anforderungen der Medien beziehungsweise der Unterhaltungsindustrie ihrerseits auf die Kriegführung einwirken, wie etwa die spielerische Simulation zu strategischen Zwecken die Sichtweise kriegführender Akteure beeinflusst oder Kriegshandeln im Falle der inszenierten Befreiung der US-Soldatin Jessica Lynch den Regeln medialer Berichterstattung angepasst wurde. „Banal Militarism“ wird in diesem Zusammenhang also insbesondere im Sinne einer folgenreichen Verknüpfung von Militär, Medienkultur und Unterhaltungsindustrie sichtbar.

Wenig eingebettet in das Gesamtkonzept erscheinen hingegen die Beiträge in dem Kapitel „Historische Perspektiven“. Obgleich sie anregende Einblicke bieten – etwa in die Darstellung von Krieg und Militär in britischen Kinder- und Jugendromanen von 1870-1914 (Dorothea Flothow, S. 85-100) oder in die Kriegsberichterstattung der österreichisch-ungarischen Monarchie im Ersten Weltkrieg (Thomas Ballhausen/Günter Krenn, S. 115-128) –, bildet ihre Zusammenstellung allein aufgrund einer größeren historischen Distanz zur Gegenwart ein eher kurios anmutendes Sammelsurium. Auch weisen diese Beiträge die geringste Verbindung zum Konzept des „Banal Militarism“ auf – ein Aspekt, der weniger den jeweiligen Autor/innen anzulasten ist, sondern vielmehr die mangelnde historische Verortung der theoretischen Konzeption zutage treten lässt. 2 Wäre sie ausdrücklicher auf demokratische Mediengesellschaften der Gegenwart bezogen worden – wohl nicht von ungefähr beziehen die Beiträge sich ausschließlich auf Europa und die USA, überwiegend nach 1945 –, so hätte dies Fragen nach den Rahmenbedingungen eines „Banal Militarism“ aufwerfen und auf diese Weise produktivere Bezugnahmen ermöglichen können.

Weiterhin enthält der Band mehrere Beiträge, die Phänomene eines „Banal Militarism“ innerhalb der bundesdeutschen Gesellschaft aufzeigen. Markus Euskirchen argumentiert, dass Militärrituale, konkret: öffentliche Gelöbniszeremonien, durch die Veralltäglichung des militärischen Habitus gesellschaftliche Akzeptanz befördern (S. 187-202). Diese Anerkennung gelte sowohl der Existenz des Militärs an sich als auch dessen Anspruch, legitime Instanz für Sicherheit und Schutz der Menschenrechte zu sein. Mechanismen der Normalisierung des Militärischen, die der Wiederbewaffnung in der frühen Bundesrepublik zu mehr Akzeptanz verhalfen, beleuchtet Katja Scherl in ihrem Beitrag über den Militärdienst leistenden „King of Rock“ Elvis im Spiegel der Presse (S. 307-332). Thomas stellt unterschiedliche Komponenten eines militärischen Gendermanagements vor, das bestehende Geschlechterverhältnisse keineswegs aufbricht, sondern affirmiert (S. 333-354). Ein Bespiel dafür sind TV-Dokuserien über Soldatinnen, die als Teil der massenmedialen Unterhaltungskultur auf die zivile Gesellschaft abzielen. Auch Christiane Leidinger referiert auf die Kategorie Geschlecht, wenn sie ausgehend von systematisch protokollierten Berliner Alltagsbeobachtungen „Military Look“ als vergeschlechtlichte Selbstinszenierung und neoliberale Selbsttechnologie analysiert (S. 391-408). Sie sieht in dieser Form der Einkleidung eine Maskulinisierungsstrategie, derer sich unter anderem sozial Deklassierte bedienen, um neoliberalen Anforderungen an Stärke und Durchsetzungskraft zumindest oberflächlich zu genügen.

Insgesamt präsentiert der voluminöse Band eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Perspektiven auf Überschneidungen und Berührungspunkte des Militärischen mit dem zivilen Bereich. Bei der Lektüre erzeugt diese Vielfalt zuweilen eine Orientierungslosigkeit ob der Frage, wie die aufgefächerten Phänomene miteinander korrespondieren und einander wechselseitig beeinflussen. Bedauerlich ist, dass Herausgeberin und Herausgeber einen nahe liegenden Forschungsstrang nicht in die theoretische Konzeption von „Banal Militarism“ einbezogen haben, der erlaubt hätte, diesen Zusammenhang stärker zu erschließen: die Forschung zu Militär und Geschlechterverhältnis 3. Zwar führen gleich mehrere Beiträge des Sammelbandes eindrücklich vor Augen, dass das Militärische vergeschlechtlicht, gendered, und zugleich an der Reproduktion von Geschlechterverhältnissen beteiligt ist. Gleichwohl konzipieren Thomas und Virchow „Banal Militarism“ weder als vergeschlechtlichtes System, noch ziehen sie Geschlecht als Kategorie heran, die das Verhältnis zwischen militärischem und zivilem Bereich grundlegend strukturiert. Dies erstaunt umso mehr, als Thomas sich in ihrem eigenen Beitrag durchaus auf einschlägige Literatur bezieht.

Entsprechende Erkenntnisse systematisch in die Konzeption eines „Banal Militarism“ zu integrieren hieße, das Militär grundsätzlich als sozialen Ort zu begreifen, der Männlichkeit normiert und Machthierarchien zwischen den Geschlechtern herstellt. 4 Davon ausgehend wären Fragen nach der Veralltäglichung des Militärischen im Zivilen immer auch Fragen nach der Wirkungsweise geschlechtlicher Zuschreibungen und der Reproduktion von Geschlechterverhältnissen. Vor diesem Hintergrund ließe sich spekulieren, inwieweit Kriegsfilme oder Ego-Shooter-Spiele jene militärisch-männliche Normierung übernehmen, die immer weniger junge Männer in der Bundesrepublik am eigenen Leib erfahren, indem sie Wehrdienst leisten. Oder es wäre zu fragen, inwiefern die Einbettung von Journalisten im Irak-Krieg geeignet war, die Berichterstatter selbst im Sinne soldatischer Männlichkeit zu normieren. Da Thomas und Virchow beabsichtigen, „Banal Militarism“ mit ihrem Band als eigenständiges Forschungsfeld zu erschließen, ist auf eine entsprechende Überarbeitung des theoretischen Konzepts zu hoffen. Auf weitere Forschungsergebnisse dürfte man dann umso gespannter sein.

Anmerkungen
1 Billig, Michael, Banal Nationalism, London 1995.
2 Ein Tagungsbericht nennt die Notwendigkeit einer historischen Kontextualisierung ausdrücklich als ein Diskussionsergebnis (<http://www.rosalux.de/cms/index.php?id=4682>); umso bedauerlicher, dass der Beitrag von Thomas und Virchow dem nicht nachkommt.
3 Vgl. etwa: Eifler, Christine; Seifert, Ruth (Hgg.), Soziale Konstruktionen. Militär und Geschlechterverhältnis, Münster 1999; Hagemann, Karen; Schüler-Springorum, Stefanie (Hgg.), Heimat – Front. Militär und Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Weltkriege, Frankfurt am Main 2002.
4 Vgl. Seifert, Ruth, Identität, Militär und Geschlecht. Zur identitätspolitischen Bedeutung einer kulturellen Konstruktion, in: Hagemann/Schüler-Springorum (wie Anm. 3), S. 53-66.