L Koch: Der Erste Weltkrieg als Medium der Gegenmoderne

Cover
Titel
Der Erste Weltkrieg als Medium der Gegenmoderne. Zu den Werken von Walter Flex und Ernst Jünger


Autor(en)
Koch, Lars
Reihe
Epistemata - Würzburger wissenschaftliche Schriften 553
Erschienen
Anzahl Seiten
387 S.
Preis
€ 49,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jost Dülffer, BMW Center for German and European Studies (CGES), Georgetown University

Der Autor dieser in Groningen entstandenen, wohl aber vor allem in Siegen von Georg Bollenbeck betreuten Arbeit sucht einem viel behandelten Themengebiet neue Aspekte abzugewinnen. Er setzt ein mit einem grundlegenden Abriss der „Modernisierung“, abgesetzt von der wertgebundenen „Moderne“, gebraucht letzteren Begriff dann aber doch durchgehend. In deren Sinnlücken habe die Gegenmoderne Angebote der Deutung gefunden und ausgefüllt. Das meint mit Ulrich Beck den „zutiefst modernen Versuch integrierender Sinngehalte“, Heimatlosigkeit, Zweideutigkeit und Zweifel zu neuer literarischer Eindeutigkeit zu bringen (S. 189). Koch spannt sein Netz der Moderne zwischen den Faktoren Differenzierung (mit Émile Durckheim), Rationalisierung (mit Max Weber), Individualisierung (von Beck, Giddens aus zurückgebunden auf Georg Simmel) und Technisierung (in Anlehnung an Ludwig Klages).

Die Literaturwissenschaft und reine Diskursanalyse überschreitet Lars Koch glücklich mit der Orientierung an Reinhard Kossellecks Erfahrungsraum und Erwartungshorizont, somit auf die soziale und kulturelle Konstruktion in der Gesellschaft eingehend. Ob und wie dieser Rahmen nicht nur klug angelesen, sondern auch für die eigentlich Untersuchung erkenntnisfördernd ist, sei dahin gestellt. Seine beiden Protagonisten, die nacheinander abgehandelt werden, sind nur bedingt zu vergleichen. Der sehr viel ältere Walter Flex (1887-1917) behielt Teile seines vor dem Krieg im bürgerlichen Hause geformten Weltbildes in seinen literarischen Werken bei, während sich Ernst Jünger (1895-1998) sein Weltbild im Krieg ganz anders erarbeiten konnte und musste. Während Flex naturgemäß seinen „Wanderer zwischen zwei Welten“ im Krieg publizierte (nur wenige andere Texte kamen hinzu) fing Jünger erst 1920 an, seine Texte zu produzieren, im Wesentlichen etwa ab dem Jahr 1925 in einem Lernprozess den Krieg einzuordnen; dieser Vorgang wird bis 1932 weiter verfolgt. Die beiden Lebensbeschreibungen bei Koch, 36 bzw. 15 Seiten lang, beobachten scharf, ordnen mit großem Bogen ein.

Der Kern des Buches liegt jedoch auf einer Werk-Zeit-Analyse. Walter Flex war beseelt von der Idee einer Volksgemeinschaft, die sich gerade im Kriege herstellte. Das Individuum hatte sich dem ganz zu unterwerfen, seine Erfüllung im Aufgehen für diese Gemeinschaft zu finden und damit letztlich auch im Tod als sinngebendem Erlebnis. Tod wird zum vitalen Erlebnis – gerade bei dem im Buch geschilderten Freund Ernst Wurche. Führertum wird zur entscheidenden Größe, religiöse Überhöhung kommt hinzu. Besonders bemerkenswert sind die Deutungen zu Körperkult und Natur: Nacktheit der Männer in der Natur wird zum Kennzeichen von Reinheit, das Triebleben wird sublimiert und in den Krieg getragen und dort verwirklicht. Das war anschlussfähig gerade für die Jugendbewegung. „Von den schrecklichen Umständen des industrialisierten Massenkriegs, wie er sich seit dem September 1915 vor allem in den kahl geschossenen Schlachtfeldern Belgiens und Frankreichs in besonders drastischer Form manifestierte, ist in der anachronistischen Repräsentationsmatrix des gebildet-jugendbewegten Kriegsdiskurses à la Flex nichts zu vernehmen“. (S. 175)

Bei Ernst Jünger, der kurz vor dem Krieg, von Afrika begeistert, in der französischen Fremdenlegion gedient hatte – dies wurde schnell enttäuscht – wird die Materialschlacht und der tausendfach erlebte Tod zwar wahrgenommen, aber in einen wenig gesellschaftsbezogenen Kontext eingebettet. „Gegen den Einbruch des gänzlich unromantischen Realitätsprinzips um die Aufrechterhaltung der Fiktion eines heroischen Lebensplans kämpfen und zugleich um die unheldische Degradierung des Menschen zum bloßen Rohstoff der Kriegsmaschinerie fürchtend, entwickelte Jünger“ in seinem Frühwerk unterschiedliche Deutungskonstrukte, um „den erlebten Bedeutungsnotstand der Materialschlacht in einer entziffernden Annäherung an die ‚tieferen Rätsel’ des Krieges sinnhaft aufzuheben“ (S. 221). Das führte, wie der Autor im Einzelnen schlüssig entfaltet, zu den Leitbildern von Stoßtruppführer und Landsknecht. Das nationalrevolutionäre Ziel einer Mobilmachung mit Verwendung aller Mittel der Technik, die bei den Kriegsgegnern, nicht aber im Deutschen Reich vorhanden gewesen sei, deutete neue gesellschaftliche Orientierungen an. 1930-1932 streifte Jünger aber seine bürgerliche und nationale Gebundenheit ab zum (Leit-)Bild des Arbeiters, der ganz im Dienste der neuen industrialisierten Kriegführung stehen werde. Koch benennt dies als „planetarischen“ Anspruch, der naturgemäß 1933 in Deutschland nicht sehr populär sein konnte. Jüngers geschichtsphilosophische Spekulation aus dem Ersten Weltkrieg sei somit an ihr Ende gelangt. „Damit ist für Jünger die Suche nach dem Sinn nationalstaatlicher Konflikte unter den Bedingungen der Moderne in die Erkenntnis eingegangen, dass der Nationalismus eine überholte Fragestellung ist“. (S. 330)

Summierend (je in einem Zwischenergebnis zur Verortung der Autoren in der Gegenmoderne): Flex sei tief im Bildungsbürgertum verankert, der Krieg sei von ihm als eine Art Katharsis dieser Gesellschaftsformation gesehen worden und auch er sei auch so rezipiert worden. Jünger dagegen habe sich zur „Feldherrenhöhe“ des Arbeiters entwickelt (S.331). Modernisierung und Modernisierung der Barbarei müssten sich – so mit Ulrich Beck – nicht gegenseitig ausschließen (S. 333). Soweit wie hier referiert, leistet Koch eine kluge und nützliche, wohldurchdachte Analyse, die im historischen Kontext nicht ganz neu ist. Er selbst zitiert auch die Protagonisten bis zu Jeffrey Herf und Zygmunt Baumann.

Vielleicht hätte Lars Koch hier weniger vergleichen, sondern den diachronen Ablauf der unterschiedlichen Deutungen hervorheben sollen. Bei allen im Kern richtigen und nachvollziehbaren Beobachtungen: es macht einen fundamentalen Unterschied aus, wenn ein Autor wie Flex mitten im Krieg schreibt oder sich wie Jünger erst nach dem Krieg an die „Textproduktion“ macht und dabei seine Einschätzungen ständig erweitert und verlagert.

Ich habe weiter einige Schwierigkeiten bei dem Kriegsbild, das Koch entwirft. Er weiß, wie schrecklich Krieg, Materialschlachten etc. sind und misst seine Autoren doch daran, wieweit sie dieser – doch auch wohl – Konstruktion des dritten Jahrtausends nahe kommen und gerecht werden. Das ist gerade angesichts der doch sonst vorherrschenden Diskursanalyse zwar verständlich, aber nicht unproblematisch.

Schwierigkeiten als Historiker habe ich mit dem literaturwissenschaftlichen Ehrgeiz und wohl auch der Fachdisziplin des Autors. Gerade in den rahmenden Kapiteln muss er alles und jedes klug einordnen, Vorbilder der Geistesgesichte aufdecken und literarische Anspielungen anbringen. Die Anmerkungen strotzen von einer additiven Gelehrsamkeit, die alles und jenes noch einmal kommentiert. Er schreibt etwas Wissenschaftshistorisches: dazu die Anmerkung, man müssen eigentlich zu Bacon, Galilei und Newton zurückgehen (S. 193f.). Zumeist sind es aber Zitatschnipsel heutiger Autoren/innen oder deren Buchtitel, die zumal in den ersten Kapiteln und im Schluss auffallen, wo er – relativ beliebig – nochmals zwei politische Propagandabilder vorführt, die für seine beiden Autoren charakteristisch sein sollen. Warum dies?

„Dieses Buch ist das letztendliche Ergebnis...“ lautet die erste Zeile. Hätte es nicht einfach nur ein Ergebnis sein können? Das setzt sich fort: Kaum ein Substantiv steht für sich, fast immer steht ein einordnendes, zensierendes, weiterführendes Attribut dabei. Das führt zu durchgehend substantivischem Stil, oft mit Wortendungen auf -ung. Weniger wäre hier mehr gewesen. „Im Mittelpunkt der bildungsbürgerlichen Krisenwahrnehmungen standen in erster Linie normative Umwälzungen“ (S. 7) – damit umschreibt er Max Webers „Entzauberung der Welt“. Nutzte der Autor doch gelegentlich auch eine solche Sprache! Was Lars Koch an Walter Flex beobachtet, lässt sich leicht auf ihn in gewandelter Form anwenden: Wenn Flex von einem bildungsbürgerlichen Bestreben getragen war, seine Erlebnisse im Krieg in diesen Hintergrund und in dieser Sprache einzuordnen, gilt dies auch für den Wissenschaftsjargon des heutigen Germanisten: Er muss das Offenkundige auch noch allen klugen Vorgängern und heutigen Autoritäten nochmals verbal abringen und nachschreiben. Dabei hat er doch so viel Wichtiges und Neues zu berichten und zu beobachten.

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