Cover
Titel
Von links gegen Weimar. Linkes antiparlamentarisches Denken in der Weimarer Republik


Autor(en)
Bavaj, Riccardo
Reihe
Politik- und Gesellschaftsgeschichte 67
Erschienen
Anzahl Seiten
535 S.
Preis
€ 38,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rüdiger Graf, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Unter dem Titel „Von links gegen Weimar“ präsentiert Riccardo Bavaj auf über 500 Seiten die stark gekürzte Fassung seiner Doktorarbeit, die in Bonn bei Klaus Hildebrand entstanden ist. Mit der Publikation erhebt er den Anspruch, das Gegenstück zu Kurt Sontheimers viel gelesener Studie „Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik“ vorzulegen. Während Sontheimer sich in den 1960er-Jahren auf die rechten Antidemokraten konzentrierte, um den Beitrag konservativer Intellektueller zur Zerstörung der Weimarer Republik zu ermitteln, reklamiert Bavaj – wie vor ihm bereits andere Autoren –, dass die Republik nicht nur von rechts, sondern auch von links massiv angegriffen wurde. Da viele von Weimars linken Kritikern behaupteten, eine bessere Form der Demokratie anzustreben, fasst Bavaj ihre Ideenwelt unter dem Begriff des linken „Antiparlamentarismus“ zusammen. Nachdem bereits viele Spezialstudien zu einzelnen Intellektuellen und Gruppen vorliegen, bestimmt er als „zentrales Desiderat der Geschichtswissenschaft“ eine „systematisch-analytische Gesamtschau dieses Phänomens“ bzw. eine „übergreifende, um historiographische Objektivität bemühte Darstellung des linksextremen Denkens während der Weimarer Republik“ (S. 16). Als solche begreift Bavaj seine Arbeit, in der er das „neuronale Netzwerk des linksextremistischen Denkens in möglichst vielen seiner Stränge und Synapsen transparent“ machen will, um so einen Beitrag zur Erklärung der Instabilität der Demokratie in der Zwischenkriegszeit zu leisten (S. 33f.).

Nach der Einleitung, in der Bavaj eine große Menge alter und neuer Forschungspositionen zur Weimarer Republik und ihrem „Zeitgeist“ zustimmend referiert, untersucht er zunächst die Traditionen des antiparlamentarischen Denkens. In einem „Grundlagen“ überschriebenem Kapitel liefert er einen souveränen Überblick über Rousseaus radikaldemokratische Lehre der Volkssouveränität und die marxistischen Ideen einer Rätedemokratie. Darüber hinaus präsentiert er den gegenwärtigen Forschungsstand zu Funktionsweise und -defiziten des Weimarer Parlamentarismus in überzeugender Weise.

Den Hauptteil seiner Untersuchung gliedert Bavaj in zwei große Bereiche. Zunächst behandelt er den linken Antiparlamentarismus in der Weimarer Parteienlandschaft, um sich danach dem Weimarer Kulturleben zuzuwenden. Beide Felder unterteilt er in jeweils drei Unterströmungen: Kommunismus, Linksradikalismus und Linkssozialismus. In der Feingliederung orientiert sich die Untersuchung an den verschiedenen Gruppen und Akteuren. Im Bereich der Politik sind dies vor allem die KPD, der Leninbund, die KPO, die Bremer und Hamburger Linksradikalen, die Kommunistische Arbeiterpartei, die Allgemeine Arbeiter-Union, die Freie Arbeiter-Union, die USPD, die Linksopposition in der SPD und der Internationale Jugendbund bzw. der Internationale Sozialistische Kampfbund. In einzelnen Abschnitten stellt Bavaj jeweils die programmatische Ausrichtung der Verbände und die Positionen ihrer geistigen Führungsfiguren vor. Für das Kulturleben widmet er sich insbesondere der Berliner Dada-Gruppe, dem Agitprop-Theater, dem Münchener Anarchismus sowie den Zeitschriften „Die Aktion“ und „Die Weltbühne“. Auch hier präsentiert er in Unterkapiteln einzelne Linksintellektuelle wie zum Beispiel Erich Weinert, Oskar Kanehl, Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzky, Kurt Hiller und Ernst Toller.

All diese Darstellungen zeugen nicht nur von großer historischer Akkuratesse sowie einer beeindruckend breiten Texterschließung und -kenntnis, sondern sind auch im Detail zumeist überzeugend belegt. Neben der schlichten Präsentation der Verbreitung und der Dimensionen antiparlamentarischer Ressentiments auf der politischen Linken liegt eine Stärke von Bavajs Arbeit vor allem in der präzisen Nachzeichnung von intellektuellen Netzwerken und Verbindungslinien zwischen einzelnen Akteuren. Sein zentrales Verdienst besteht darin, die Unzahl antiparlamentarischer Aufsätze, Pamphlete, Flugblätter, Gedichte und Zeichnungen gesammelt und in einem zusammenhängenden Text kompiliert zu haben.

Diese Leistung kann jedoch über einige Defizite der Arbeit nicht hinwegtäuschen: Insgesamt fehlt der voluminösen, handbuchartigen Darstellung linksextremistischer Denker eine synthetisierende und die Befunde integrierende Perspektive. Der Begriff des Antiparlamentarismus kann diese nicht liefern. Er ist zu allgemein und wird nicht in systematische Unterbegriffe ausdifferenziert, so dass die Untersuchung über weite Strecken zu einer Aneinanderreihung verschiedener Autoren gerinnt, bei denen antiparlamentarisches Gedankengut festgestellt wird. Eine solche Begrifflichkeit lässt keine Schattierungen zu und erlaubt – anders als in Sontheimers klassischer Studie – keine topoi-Bildung, die über den schlichten Antiparlamentarismusbefund hinaus aufschlussreich wäre. Bavaj erwähnt interessante und weiterführende Elemente wie das Denken in Entweder-oder-Kategorien, die Beschreibung der Gegenwart als Zeitenwende, den Hang zu utopischen Ganzheitsentwürfen, lebensphilosophische Versatzstücke oder den antibürgerlichen Habitus nur en passant und in seiner Zusammenfassung, anstatt sie zu den tragenden Begriffen der Untersuchung zu machen. Damit nimmt er sich die Möglichkeit, nicht nur die Verbindungslinien ins rechte politische Lager, sondern auch in die republikanische Mitte genauer zu erfassen.

Darüber hinaus konturiert Bavaj den Stellenwert der untersuchten Texte in Bezug auf das übergeordnete Erkenntnisinteresse, den Beitrag des linken Antiparlamentarismus zur Zerstörung der Weimarer Republik zu bestimmen, oftmals nicht deutlich genug. Die von ihm in der Einleitung angekündigte Analyse von „Aktionsradius, Rezipientenkreis und Wirkungsradius“ wird nur unzureichend durchgeführt. Das liegt zum einen an den Grenzen, die jeder historischen Untersuchung diesbezüglich gesetzt sind, zum anderen verbirgt sich hier jedoch ein inhaltliches Problem. Bei einigen der von ihm untersuchten Autoren gesteht Bavaj selbst zu, sie seien weitgehend wirkungslos geblieben oder schließt sogar, gerade ihr Verbalradikalismus habe ihre politische Anschlussfähigkeit reduziert (S. 165, 182). Das wäre unproblematisch, wenn Bavaj sich auf die Analyse des Diskurses beschränken würde und nicht behauptete, die linken Antiparlamentarier seien für das Scheitern der Republik mitverantwortlich bzw. bisweilen gar eine Mitschuld an der Errichtung der NS-Diktatur insinuierte. So heißt es zum Beispiel über den pazifistischen Literaten Kurt Hiller, er habe geholfen „mit seinen demokratie- und parlamentarismuskritischen Attacken das Fundament zu zerstören, auf dessen Trümmern die nationalsozialistische Tyrannis errichtet werden konnte, jene Herrschaft, in deren Fänge er bald geriet“ (S. 460).

Insgesamt tendiert Bavaj dazu, jede parlamentarismuskritische Äußerung als ätzende Systemkritik zu lesen, die an den Grundfesten der Weimarer Demokratie genagt und den Nationalsozialisten in die Hände gespielt habe. In seiner Darstellung des kommunistischen Lyrikers Erich Weinert führt er allerdings noch eine weitere Interpretationsdimension ein: Dessen frühe linksliberale Satiren hätten zunächst „wegen ihrer Ventilfunktion potentiell herrschaftsstabilisierend“ gewirkt, während seine Kritik später immer schärfer und damit destabilisierend geworden sei (S. 318f.). Das Problem der Grenzziehung zwischen herrschaftsgefährdender und herrschaftsstabilisierender Kritik wird indes nicht weiter reflektiert: Wie viele der von ihm untersuchten verbalradikalen Attacken erfüllten letztlich die Funktion, kurzzeitig Dampf abzulassen, und trugen so vielleicht gar im Sinne des Theorems der repressiven Toleranz zur Stabilisierung der Republik bei?

Grundsätzlich ist es überaus schwierig, über ein politisch und emotional noch immer derart aufgeladenes Thema wie die Weimarer Republik ohne Zorn und Eifer zu schreiben. Es ist auch durchaus legitim, die Zerstörung der Weimarer Republik von einem politischen Standpunkt aus zu beurteilen, und es verstellt die Analyse nicht unbedingt, sofern die Werturteile nicht am Anfang stehen und der Standpunkt explizit gemacht wird. Im Unterschied dazu erhebt Bavaj jedoch in der Einleitung – gerade in Abgrenzung von anderen Studien – den Anspruch auf eine Darstellung, die um „historiographische Objektivität“ (S. 16) bemüht ist. Das hätte man nicht tun müssen und vielleicht auch nicht sollen, aber wenn man es tut, sollte man mit wertenden Begriffen deutlich vorsichtiger sein, als Bavaj es in seiner Darstellung ist. So meint er, schon der direktdemokratischen Unmittelbarkeitsforderung wohne ein „terroristisches Element“ inne (S. 54). Den Herausgeber der Aktion Franz Pfemfert charakterisiert Bavaj als „borniert“ (S. 381) und er belächelt spöttisch die „skurrile Selbstüberschätzung“ der Protagonisten der Münchener Räterepublik (S. 342). Bei Johannes R. Becher diagnostiziert er einen „martialischen Kampfmaschinen-Terrorismus“ (S. 345) und beschreibt die Arbeitsweise linker Künstler wie folgt: „Was George Grosz in blankem Hass auf die Leinwand brachte, goss Mühsam mit bitterem Sarkasmus in Versform.“ (S. 364) Es ist nicht die primäre Aufgabe der Geschichtswissenschaft, inhaltlich über derartige Werturteile zu streiten. Zumindest müssten sie aber als Werthaltungen in der Analyse bewusst und explizit gemacht werden, anstatt sie mit dem Begriff der historischen Objektivität zu verschleiern.

Was aber bleibt von Bavajs Großthese, dass die Weimarer Republik nicht nur von rechts, sondern auch von links zerstört wurde? Zwar gesteht er wiederholt zu, dass die primäre Zerstörungsenergie von der politischen Rechten entfaltet wurde (S. 9, 490), aber dennoch postuliert er zugleich, es sei „äußerst zweifelhaft, ja unwahrscheinlich, dass Hitler auch ohne die nicht intendierte Schützenhilfe der extremen Linken an die Macht gekommen wäre“ (S. 497). Die über ein kontrafaktisches Konditional vorgenommene Bestimmung des linken antiparlamentarischen Denkens als notwendige Bedingung für das Scheitern Weimars ist zweifelsohne zutreffend. Zugleich ist sie aber in dieser Allgemeinheit trivial, weil sich unzählige weitere notwendige Bedingungen hinzufügen ließen, ohne dass der Aufstieg der Nationalsozialisten damit erklärt würde. Um zu dessen Erklärung beizutragen, hätten deutlicher direkte Kausalverbindungen nachgewiesen werden müssen, die über die Feststellung von kontrafaktischen Konditionalen hinausgehen. Anders als Bavaj an vielen Stellen suggeriert, reichen letztere auch nicht zur Bestimmung von Schuld und Verantwortung.

Mit „Von links gegen Weimar“ präsentiert Bavaj also ein umfangreiches Handbuch des linksextremen Denkens in der Weimarer Republik, das präzise Auskunft über die verschiedenen antiparlamentarischen Denker sowie ihre intellektuellen Verbindungen und Netzwerke gibt. Sein hochgestecktes Ziel, das linke Pendant zu Sontheimers „Antidemokratischem Denken“ zu schreiben, erreicht er jedoch nicht, weil er die weiterführenden Perspektiven, die in Einleitung und Fazit anklingen, weder elaboriert noch zur Analyse fruchtbar macht.

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