S. Pfisterer: Maschinenbau im Ruhrgebiet

Titel
Maschinenbau im Ruhrgebiet. Wagner & Co., 1865-1913


Autor(en)
Pfisterer, Stephan
Reihe
Beiträge zur Unternehmensgeschichte 21
Erschienen
Stuttgart 2005: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
372 S.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Kleinschmidt, Neuere und Neueste Geschichte und Didaktik der Geschichte, Universität Dortmund

Bei der vorliegenden Untersuchung handelt es sich um ein Fallbeispiel eines Dortmunder Werkzeugmaschinenherstellers, das laut Einleitung „vorrangig wirtschafts- und technikhistorische Aspekte“ beleuchtet (S. 12). Wenige Sätze später macht der Verfasser deutlich, dass er von einem wirtschaftshistorischen Ansatz ausgeht und dabei die „Interdependenz mit sozialhistorischen Entwicklungen“ untersucht (S. 12), was sich vor allem auf Aspekte von Konjunktur und Wachstum, die Geschäftsbeziehungen, Produktion und Absatz, die Entwicklung der Belegschaft und die betriebliche Sozialpolitik sowie eben auch auf die technische Entwicklung bezieht. Die zentrale Frage ist schließlich, „welche unternehmensspezifischen Bedingungen für Erfolg und Krise – jenseits der allgemeinen konjunkturellen Entwicklung – konstitutiv waren“ (S. 13). Weitere methodische und theoretische Reflexionen werden in der Einleitung nicht angestellt, was schließlich auch bedeutet, dass der Verfasser sich weder zum Stand neuerer unternehmenshistorischer Forschungen 1 äußert, noch diese im weiteren Verlauf seiner Untersuchungen berücksichtigt. Bemerkungen zum Forschungsstand beziehen sich allein auf den deutschen Werkzeugmaschinenbau, wobei dann auch neuere Untersuchungen zu eng benachbarten Themenbereichen wie dem Maschinen- und Anlagenbau des Ruhrgebiets 2 außen vor bleiben. Stattdessen verfasst der Autor eine sozial- und wirtschaftshistorische Unternehmensgeschichte, die sehr stark an die Untersuchungen von Kocka, Vetterli oder Schomerus und anderen 3 aus den 1970er und 1980er-Jahren erinnert. Pfisterer untersucht in seiner empirisch angelegten Studie die Entwicklung von Wagner & Co. entlang von drei Zeitphasen zwischen 1865 und dem Ersten Weltkrieg jeweils untergliedert nach den o.g. wirtschaftlichen, technischen und sozialen Schwerpunkten.

Nach einem knappen Überblick über die wirtschaftliche Entwicklung des Ruhrgebiets und des Dortmunder Raums in der Mitte des 19. Jahrhunderts widmet sich der Autor in den folgenden Kapiteln der Aufbauphase des Unternehmens Wagner & Co. (1865-1873), der Zeit der „Gründerkrise“ und der nachfolgenden Stabilisierung (1873-1895) und schließlich der Aufschwungphase ab 1895. In diesen durchaus informativen, jedoch weitgehend empirisch-deskriptiven Abschnitten geht es vor allem um Fragen der Unternehmensorganisation, der Produktionsentwicklung, der Löhne und der Qualifikation der Belegschaften, der Ein- und Ausfuhr, die sehr stark auf quantitativen Darstellungen beruhen. Zusammenfassend wird schließlich deutlich, dass die ökonomische Entwicklung des Unternehmens suboptimal verlief, nicht zuletzt weil das Management über keine klare Zielgruppenorientierung und Marktstrategie verfügte und stattdessen eine wenig flexible und eher traditionale Unternehmenspolitik verfolgte (S. 302f.). Auf dem Gebiet der Belegschaftsentwicklung und der betrieblichen Sozialpolitik entspricht die Entwicklung bei Wagner & Co., wie der Autor selbst sagt, „in großen Zügen dem Bild, das die grundlegenden Spezialstudien der späten 1960er bis in die 1980er Jahre erarbeitet haben“ (S. 305).

Pfisterer kann sich auf einen sehr gut aufgearbeiteten Quellenbestand des Westfälischen Wirtschaftsarchivs sowie auf zahlreiche Untersuchungen zum Werkzeugmaschinenbau aus der Zeit der 1970er bis 1990er-Jahre stützen. Es hätte also nahe gelegen, das Fallbeispiel Wagner & Co. mit den bisherigen Forschungen zu konfrontieren bzw. zu vergleichen. Aber dieser Aufgabe entzieht sich Pfisterer weitgehend (bis auf wenige Bemerkungen am Schluss der Arbeit). Dabei stellt sich doch gerade bei einem Fallbeispiel die zentrale Frage nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden zu vergleichbaren Unternehmen und den jeweiligen Umweltbedingungen. Abgesehen von der Bemerkung, dass Wagner & Co. ein Pionier im Bereich des Werkzeugmaschinenbaus des Ruhrgebiets war, sind die vergleichenden Aussagen bei Pfisterer jedoch spärlich, selten kommt ein Vergleich, etwa zu anderen Branchen der Region (S. 130 zur Schwerindustrie), noch seltener, und das ist erstaunlich, zu anderen Werkzeugmaschinenherstellern. Häufiger dagegen sind Aussagen, die den bisherigen Forschungsstand bestätigen oder Bemerkungen wie „war ein zentrales Thema“ oder „spielte eine wichtige Rolle“, die in ihrem Aussagegehalt beschränkt sind.

Für die zentrale Fragestellung nach Erfolg und Krise wichtige und nahe liegende Überlegungen wie etwa die nach dem Zusammenhang von Lohnhöhe, betrieblicher Sozialpolitik und wirtschaftlicher Entwicklung, die spätestens seit der Borchardt-Kontroverse von wirtschaftshistorischem Interesse sind, werden nicht gestellt bzw. beantwortet. Dies wiederum hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass der Autor Methoden und Fragestellungen der neueren Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte nicht berücksichtigt. Ansonsten hätte sich in dem von ihm selbst untersuchten Themenspektrum die Frage nach der Unternehmenskultur und Unternehmenskommunikation bei Wagner & Co., etwa in Anlehnung an die Arbeiten von Wischermann und Nieberding 4, geradezu aufgedrängt. Ähnliches gilt für Fragen der Entscheidungstheorie, die mit Blick auf die Unternehmensstrategien bei Wagner & Co. sicherlich zu fruchtbaren Ergebnissen geführt hätten bzw. die Berücksichtigung von Ergebnissen der jüngeren Marketinggeschichte, die für die Darstellung der Absatzstrategien von Wagner & Co. von Interesse gewesen wären.

Einige dieser Aspekte tauchen schließlich in den Schlussbemerkungen der Arbeit auf, ebenso wie vergleichende Hinweise auf andere Unternehmen wie etwa Ludw. Loewe in Berlin oder die Hille-Werke in Dresden. Hier blitzt teilweise ein Potential auf, welches der Untersuchungsgegenstand unter Berücksichtigung vergleichender Methoden und weitergehender Fragestellungen der neueren Unternehmensgesichte geboten hätte, wenn der Verfasser sich nur im Hauptteil damit auseinandergesetzt hätte.

So bleibt der Eindruck einer zwar empirisch gesättigten, vornehmlich aber deskriptiven Unternehmensgeschichte, die im Stile einer sozial- und wirtschaftshistorischen Untersuchung der 1970er-Jahre verfasst ist, da sie die Methoden und Fragestellungen der neueren Unternehmensgeschichte weitgehend ignoriert.

Anmerkungen
1 Berghoff, Hartmut, Moderne Unternehmensgeschichte, Paderborn 2004; Pierenkemper, Toni, Unternehmensgeschichte, Stuttgart 2000.
2 Wessel, Horst A. (Hg.), Thyssen & Co. Mülheim a.d. Ruhr. Die Geschichte ihrer Familie und ihrer Unternehmung, Stuttgart 1991 ; Fischer, Manfred; Kleinschmidt, Christian (Hgg.), Stahlbau in Dortmund. Unternehmen, Technik und Industriekultur im 19. und 20. Jahrhundert, Essen 2001.
3 Kocka, Jürgen, Unternehmensverwaltung und Angestelltenschaft am Beispiel Siemens 1847-1914. Zum Verhältnis von Kapitalismus und Bürokratie in der deutschen Industrialisierung, Stuttgart 1969; Schomerus, Hellwig, Die Arbeiter der Maschinenfabrik Esslingen. Forschungen zur Lage der Arebiterschaft im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1977; Vetterli, Rudolf, Industriearbeit, Arbeiterbewusstsein und gewerkschaftliche Organisation. Dargestellt am Beispiel der Georg Fischer AG (1890-1930), Göttingen 1978.
4 Nieberding, Anne, Unternehmenskultur im Kaiserreich. J. M. Voith und die Farbenfabriken Bayer & Co., München 2003; Wischermann, Clemens; Borscheid, Peter; Ellerbrock, Karl-Peter (Hgg.), Unternehmenskommunikation im 19. und 20. Jahrhundert, Dortmund 2000.

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