C. Dammann: Stimme aus dem Äther – Fenster zur Welt

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Titel
Stimme aus dem Äther – Fenster zur Welt. Die Anfänge von Radio und Fernsehen in Deutschland


Autor(en)
Dammann, Clas
Erschienen
Köln 2005: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
283 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christina Bartz, SFB/FK 427 - Kulturwissenschaftliches Forschungskolleg "Medien und kulturelle Kommunikation", Universtität zu Köln

Clas Dammann wendet sich in seiner Studie dem Programmstart des Weimarer Rundfunks und des bundesdeutschen Fernsehens zu. Als Zielsetzung formuliert der Autor die Rekonstruktion und den Vergleich der gesellschaftlichen Meinungsbildung zu den medialen Qualitäten von Hörfunk und Fernsehen. Dabei sind die „Ankunfts-Szenarien“ (S. 11) für die Studie von besonderem Interesse, weil zu diesem Zeitpunkt ein gesellschaftlicher Verständigungsprozess über die grundlegenden Eigenschaften der beiden Funkmedien stattfindet. Anhand der Aufarbeitung eines umfassenden Textkorpus, bestehend aus zeitgenössischen Äußerungen von Schriftstellern, Publizisten und Programmverantwortlichen, untersucht Dammann die ‚diskursiven Formationen’ der Medienbeschreibung, „die in einem größeren Zusammenhang anderer (Medien-)Diskurse zu betrachten und einzuordnen sind“ (S.13). Diese Einordnung in unterschiedliche Kontexte fällt zwar häufig sehr knapp aus, aber in Anbetracht der vielfältigen Bezüge innerhalb des Mediendiskurses ist dies im Rahmen einer Einzelstudie kaum anders zu leisten. Dafür bietet die Arbeit einen konsistenten Überblick über die frühen Debatten um Hörfunk (1923-1932) und Fernsehen (1952-1963), die Dammann den Lesern/innen anhand einer Fülle interessanter und prägnanter Zitate nahe bringt und vergleichend gegenüberstellt.

Im ersten Teil der Arbeit entwickelt er für diesen Vergleich eine plausible Systematik, innerhalb derer die Argumentationsmuster der Debatten und die Formierung ihres jeweiligen Gegenstandes deutlich werden. Im Rahmen der Gegenüberstellung des Hörfunk- und Fernsehdiskurses überwiegen die thematischen und argumentativen Ähnlichkeiten der Diskussionen um die jeweiligen Einzelmedien. Infolge dessen erscheinen die Äußerungen zum Fernsehen meist als eine Aktualisierung der Radio-Debatte (z.B. S. 63ff.). Auch die herausgearbeiteten Differenzen (z.B. S. 78ff.) zwischen den Meinungsbildungsprozessen werden so erklärt, denn laut Dammann dienen „die diskursiven Formationen der Radio-Debatte [...] als Subtext für das nachfolgende Medium“ (S. 51). Die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Fernsehen ist demnach eine Fortsetzung des frühen Radiodiskurses und stellt lediglich eine Variation dessen dar (S. 153).

Damit erscheint es nur folgerichtig, dass in den 1950er-Jahren „die erste Begegnung mit dem Fernsehen weniger schockhaft als die mit dem Radio erlebt wird“ (S. 150). Diese Überlegung bietet eine Erklärung für die heftige Kritik, der das Fernsehen seit seinen Anfängen ausgesetzt ist, denn so „bleiben hier noch diskursive Kapazitäten“ (S. 150). Arbeiten aus dem ehemaligen DFG-Sonderforschungsbereich „Ästhetik, Pragmatik und Geschichte der Bildschirmmedien“ argumentieren jedoch anders: Monika Elsner und Thomas Müller, deren Arbeit Dammann an anderer Stelle auch heranzieht, heben gerade auf den „mentalen Schock“ ab, den das Fernseherlebnis in den 1950er Jahren darstelle und den es durch entsprechende Fernsehbeschreibungen zu verarbeiten gelte.1 Ähnlich wie Elsner und Müller versteht jedoch auch Dammann die publizistischen Äußerungen der jeweiligen Zeit als Bewältigungsstrategien gegenüber den neuen medialen Merkmalen.

Doch für ihn ist nicht allein der publizistische Bereich ausschlaggebend für die Rekonstruktion der diskursiven Formierung von Hörfunk und Fernsehen. Im zweiten Teil seiner Studie setzt er sich auf der Basis der in Teil I herausgearbeiteten Argumentationsmuster mit der Programmgestaltung auseinander, indem er je sechs Hör- und Fernsehspiele der Reihe nach analysiert. Diese dienen ihm, ähnlich der publizistischen Debatte um die beiden Funkmedien, als Dokumente der Medienreflexion der Zeit. Die spezifische Gestaltung eines Stückes beobachtet er als Auseinandersetzung mit der Frage nach den medialen Eigenschaften und Funktionen. Die Antworten fallen besonders prägnant aus, wenn es um die Umsetzung einer literarischen Vorlage geht, weil hier die Vorlage und die an das Medium angepasste Bearbeitung gegenübergestellt werden können (z.B. S. 161ff.).

Für Dammann gibt es aber einen entscheidenden Unterschied zwischen der Medienreflexion, wie sie sich in den Debatten einerseits und in der Programmumsetzung andererseits zeigt. Während die publizistische Auseinandersetzung frei über Potentiale und Probleme der neuen Medien spekulieren könne, sei die Produktion an die „technischen Möglichkeiten und die konkreten Produktionsverhältnisse“ gebunden (S. 207). Infolge der produktionstechnischen Beschränkungen stelle sich anhand der Hör- und Fernsehspiele der Mediendiskurs anders dar, insofern die Einschätzungen der jeweiligen Möglichkeiten zurückhaltend ausfielen. Die angestrengte Bemühtheit der Produktion stehe im Kontrast zu der Lebendigkeit und Heftigkeit der Debatten. Die Utopien und Ängste, die im publizistischen Bereich ihren Ausdruck fänden, beeinflussten zwar die Ideenentwicklung der Programmproduktion, schienen jedoch weit entfernt von der Realität der Sendungsgestaltung (S. 153ff., 261). Diese These vom schwierigen Produktionsalltag ist aber insofern nicht leicht nachvollziehbar, als Dammann zumeist solche Inszenierungen heranzieht, die als gelungen gelten – schließlich kann er gerade an ihnen die Zuschreibungen an Hörfunk und Fernsehen prägnant darstellen.

Das Besondere an Dammanns Studie ist die Zusammenführung der Rekonstruktion der publizistischen Mediendebatte mit der Analyse der Stücke (bei gleichzeitiger Gegenüberstellung zweier Funkmedien). Die Hör- und Fernsehspiele werden mit Rekurs auf die Debatte betrachtet, aber es wird darauf abgehoben, dass die Umsetzung der dort formulierten Überlegungen aufgrund des Produktionsalltags eine eigene Vorstellung von den jeweiligen medialen Eigenschaften hervorbringt. Das heißt: Dammann betrachtet die Sendungen gerade nicht als eine simple Übersetzung der Forderungen, die an das Medium gerichtet werden, in die Sendepraxis. Stattdessen geht es ihm um die eigene Produktivität der Hör- und Fernsehspiele im Mediendiskurs. Die konkreten Sendungsprodukte seien maßgeblich für die Vorstellungen, die sich von dem Medium gemacht würden, insofern sie auf die Debatten z.B. in Form von Sendungskritiken zurückwirkten. Auf diese Weise schafft Dammann einen neuartigen Einblick in die Mediendebatten der 1920er- und 1950er-Jahre, der sich durch seine Materialfülle und Strukturiertheit auszeichnet.

Dabei berücksichtigt er allerdings kaum die vorhandene Forschungsliteratur, bzw. seine Beachtung erschöpft sich in der vereinzelten Nennung von Titeln. Eine systematische Einarbeitung oder gar eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit einem der zahlreichen Forschungsfelder, die er berührt, fehlt. Weder schließt er an Arbeiten zum Thema Hör- oder Fernsehspiel an, noch beachtet er Studien zu den Mediendiskursen der 1920er- oder der 1950er-Jahre. Wie das genannte Beispiel des Sonderforschungsbereichs „Ästhetik, Pragmatik und Geschichte der Bildschirmmedien“ zeigt, interessiert sich Damman nicht dafür, dass es bereits Thesen zum Gegenstand gibt, die zum Teil gegenläufig zu seinen Überlegungen sind. Diese geringe Berücksichtigung der Forschung wird dann als Mangel sichtbar, wenn es um die von Dammann angekündigte Einordnung des Mediendiskurses in weitere Zusammenhänge geht, die er vor allem abschließend auf fünf Seiten vornimmt. So ist die Studie in Bezug auf ihr Forschungsumfeld wenig informativ, gewinnt dadurch aber an Klarheit und Strukturiertheit hinsichtlich der Darstellung des komplexen Mediendiskurses der beiden behandelten Einzelmedien.

1 Elsner, Monika; Müller, Thomas, "Der angewachsene Fernseher", in: Gumbrecht, Hans Ulrich; Pfeiffer, K. Ludwig (Hgg.), Materialität der Kommunikation, Frankfurt am Main 1995, S. 392–415, hier S. 394.

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