Ch. Halbrock: Evangelische Pfarrer der Kirche Berlin-Brandenburg

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Titel
Evangelische Pfarrer der Kirche Berlin-Brandenburg 1945-1961. Amtsautonomie im vormundschaftlichen Staat?


Autor(en)
Halbrock, Christian
Anzahl Seiten
506 S.
Preis
€ 40,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Claudia Lepp, Forschungsstelle für Kirchliche Zeitgeschichte, Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte, München

Die evangelischen Kirchen in der DDR sind als Forschungsgebiet insbesondere seit den Jahren 1989/90 keine terra incognita mehr. Denn in der Zwischenzeit sind nahezu dreihundert Einzelpublikationen erschienen, sodass nur noch wenige weiße Flecken zurück bleiben. Der frühen Phase der großen Generaldebatten über Anpassung und Kumpanei, über Autonomiespielräume und Gratwanderungen, über historisches Verdienst und historische Schuld folgte seit Mitte der 1990er-Jahre die Zeit der Darstellungen und Quellensammlungen zu Einzelthemen. In diese letztere Forschungsphase gehört auch die umfangreiche Arbeit von Christian Halbrock.

Der methodische Ansatz der Dissertation ist vielversprechend: Ein regionalgeschichtlicher Ansatz wird durch einen komparatistischen Zugang erweitert, sozialgeschichtliche werden mit kirchengeschichtlichen Fragestellungen verknüpft. Der Berliner Historiker untersucht anhand von kirchlichen und staatlichen Quellen sowie Zeitzeugenbefragungen die berufsständische Autonomie der evangelischen Pfarrerschaft am Beispiel des Kirchengebietes Berlin-Brandenburg während der so genannten volksdemokratischen Phase. Die berlin-brandenburgische Kirche hatte allerdings aufgrund ihrer Größe, ihrer exponierten geografischen Lage und ihrer prominenten kirchenleitenden Persönlichkeiten eine gewisse Sonderrolle unter den evangelischen Landeskirchen in der DDR, so dass nicht alle Ergebnisse Halbrocks auch auf die übrigen Kirchengebiete übertragbar sind. Halbrocks Vergleichsgruppe sind jedoch auch nicht die Pfarrer anderer ostdeutscher Landeskirchen, sondern die katholische Priesterschaft in Polen, in der Tschechoslowakei und in Ungarn. Durch diese kontrastierende Analyse mit der Situation in anderen staatssozialistischen Ländern kann er das Besondere der Situation der Berlin-Brandenburgischen Pfarrer herausarbeiten und erhält einen Vergleichsmaßstab für den Grad ihrer berufständischen Autonomie.

Abweichend von anderen Studien, die sich mit dem Verhältnis von Kirche, Staat und Gesellschaft in der DDR beschäftigen, stehen in Halbrocks Arbeit die Pfarrer als Berufsstand im Mittelpunkt des Interesses. Der Autor kommt zu dem Ergebnis, dass im Unterschied zu den Rechtsanwälten oder Lehrern in der DDR, aber auch den Pfarrern aller Konfessionen in der Tschechoslowakei, die Grundlagen und Mechanismen der berufsständischen Konstitution die ostdeutschen Pfarrer in die Lage versetzten, sich den Anfeindungen und Anmaßungen des SED-Staates zu widersetzen. Versuche der SED, die wenigen, ihr öffentlich nahe stehenden Amtsträger zu fördern, schlugen fehl, weil die kirchlichen Dienstaufsichtsbehörden im Verbund mit den Pfarrkonventen solche Pfarrer erfolgreich auszugrenzen verstanden. Die Mechanismen der berufsständischen Selbstkontrolle funktionierten, die Pfarrkonvente wehrten mit interner Disziplinierung und Ausgrenzung die Fraktionierungsversuche in „fortschrittliche“ und „reaktionäre“ Pfarrer ab. Insbesondere die aus der Bekennenden Kirche kommenden Pfarrer trugen dazu bei, die Eigenständigkeit eines „an Schrift und Bekenntnis gebundenen Pfarrerstandes“ gegenüber Totalitätsansprüchen des Staates zu stärken. Hinsichtlich der kirchlich-institutionellen und bekenntnisgebundenen Begründung des Pfarramts herrschte in Berlin-Brandenburg eine weitgehende Interessensübereinstimmung zwischen Kirchenleitungen und Pfarrern. Diese gab es auch in der Beurteilung der aktuellen politischen, gesellschaftlichen und kirchlichen Situation. Auf diese Weise wurde selbst in den für die Kirchen schwierigen 1950er-Jahren die Berufsautonomie erfolgreich verteidigt.

Die Gründe, warum die berlin-brandenburgische Pfarrerschaft ihre Berufsautonomie und Handlungsspielräume weitgehend wahren konnte, lagen vor allem aber in der Politik der SED. Diese konnte aufgrund der deutschlandpolitischen Erwägungen Moskaus nicht so repressiv vorgehen, wie es in manchen anderen osteuropäischen Staaten der Fall war. Zudem verfügte die SED bei ihrem Vorgehen gegenüber den Pfarrern über keine in sich geschlossene Strategie. Im Unterschied zu den benachbarten Volksdemokratien im sowjetischen Machtbereich verschaffte sie sich keine umfassenden Aufsichts- und Eingriffsrechte zur Mitsprache bei der Gestaltung der kirchlichen Personalpolitik. Es blieb beim Fortbestand einer vom Staat unabhängigen kirchlichen Dienstaufsicht und Disziplinargewalt. Die SED bemühte sich hingegen, die Pfarrer durch den nachdrücklichen Verweis auf deren DDR-Staatsangehörigkeit politisch und gesellschaftlich in den Dienst zu nehmen und unliebsame Pfarrer durch den Druck der „öffentlichen Meinung“ einzuschüchtern. Zudem wurde die Handlungsfreiheit der Pfarrer durch An- und Verordnungen zumindest potentiell eingeschränkt.

Die Pfarrer nutzten, so Halbrock, ihre Autonomie aber nicht nur für ihren binnenkirchlichen Dienst, sondern versuchten auch, „als Moderatoren des gemeinschaftlichen Zusammenlebens in den Kommunen zu wirken“ (S. 464). Zumeist „im Stillen“ bemühten sich Pfarrer, an sie herangetragene Probleme gegenüber dem Staat anzusprechen. Sie engagierten sich im Auftrag der von ihnen vertretenen Gemeindemitglieder sowie im Dienste anderer politisch bedrängter Personen und versuchten darüber hinaus, „punktuell eine Linderung bestehender gesellschaftlicher Defizite anzumahnen“ (ebd.). Nach 1989 wurde ihnen dieses pragmatisch bestimmte Vorgehen als Indifferenz in wichtigen politisch-gesellschaftlichen Fragen ausgelegt.

Angesichts des oben skizzierten Forschungsstands ist es schwierig, noch zu grundsätzlich neuen Erkenntnissen zur Kirchengeschichte der DDR zu kommen. Das gelingt auch Halbrock nicht. Dennoch ist seine sorgfältige Beweisführung der Amtsautonomie der Pfarrerschaft der Kirche Berlin-Brandenburg lesenswert, auch wenn das Buch auf Grund des etwas spröden Stils und der manchmal allzu langen thematischen Seitenstränge nicht immer leicht lesbar ist.

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