E. Conze (Hg.): Kleines Lexikon des Adels

Cover
Titel
Kleines Lexikon des Adels. Titel, Throne, Traditionen


Herausgeber
Conze, Eckart
Reihe
Beck'sche Reihe 1568
Erschienen
München 2005: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
260 S.
Preis
€ 14,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Clemens Heitmann, Archivschule Marburg

Wer den Buchmarkt der letzten Jahre aufmerksam beobachtet hat, der wird eine Vielzahl von Neuerscheinungen zum Thema Adel, Dynastien und Herrscher bemerkt haben. Insbesondere Sammelbände mit Herrscherbiografien 1 oder auch Gesamtdarstellungen des sozialgeschichtlichen Phänomens Adel 2 scheinen regelmäßig Interesse vor allem des breiten Publikums zu finden. Aber auch die universitäre Adelsforschung hat Konjunktur; allein die renommierte Enzyklopädie Deutscher Geschichte des Oldenbourg-Verlages weist mehrere Titel zum Thema Adel auf.3 Allerdings beschränkt sich das Interesse am Adel weit überwiegend auf das Mittelalter sowie insbesondere die Frühe Neuzeit, die Rolle des Adels im Deutschland des 19. und 20. Jahrhundert oder gar in der Zeitgeschichte findet deutlich weniger Beachtung.

Doch dass die Welt des Adels auch für den mehr an neuerer Geschichte Interessierten von Relevanz ist, verdeutlicht ein Blick in die jüngere Forschungsliteratur und einschlägige Überblicksdarstellungen. So hebt Jürgen Kocka in Gebhardts Handbuch der deutschen Geschichte hervor, dass in Deutschland auch im 19. Jahrhundert zuerst der Spätabsolutismus und anschließend das System der konstitutionellen Monarchie adlige Machtpositionen am Hof, in der Armee, auf den höchsten Regierungsrängen, in der Diplomatie und in der ländlichen Selbstverwaltung unangefochten weiter bestehen ließen 4; wer dies etwas genauer wissen möchte, kann in der selben Reihe bei Friedrich Lenger näheres erfahren, muss aber ein beachtliches Maß an Vorkenntnissen über die Adelswelt mitbringen. Die deutsche Agrarverfassung mit Guts- und Grundherrschaft mag noch aus Schule oder Studium bekannt sein, doch die Hierarchie der Adelstitel zählt sicherlich nicht mehr zum Kanon historischer Grundkenntnisse, weswegen Lengers Feststellung über die innere Differenzierung des Adels, nämlich dass die ehemals reichsunmittelbaren Standesherren weiterhin auf ihre Ebenbürtigkeit mit den regierenden Landesherren pochten und sich so vom niederen Adel abgrenzten, zwar richtig ist, jedoch den Lesern/innen eines Handbuches, d.h. vor allem Studierenden, ohne weitere Erklärung letztlich unverständlich bleibt.5

Nun kann eine universalgeschichtlich angelegte Überblickdarstellung naturgemäß nicht jeden Fachbegriff erläutern, doch eine speziellere Darstellung und zumal ein populäre sollte zumindest ein entsprechendes Glossar enthalten. Um so bedauerlicher ist es, dass selbst solche Titel, die für ein breites Lesepublikum bestimmt sind, weder ein Sachregister noch ein Glossar der wichtigsten Begriffe aus der Adelswelt enthalten.6 Denn wer weiß z.B. schon um die genaue Bedeutung des oft benutzten doch wohl selten hinterfragten Begriffes „Graf“ und ob dieser nun „Durchlaucht“ oder bloß „Erlaucht“ war? Solcherlei Details konnten für die Menschen vergangener Zeiten von herausragender Bedeutung sein und Historiker/innen begegnen Ihnen regelmäßig beim Umgang mit Quellen, wie z.B. in der Intitulatio oder Inscriptio mittelalterlicher Urkunden oder Aktenschriftgut alten Stils. Und nachdem der von manchem längst tot geglaubte Adel nach den politischen Umbrüchen von 1989/90 zwar nicht als soziale Gruppe seine Bedeutung zurück gewonnen, aber in der Mehrzahl der mittelosteuropäischen Transformationsgesellschaften eine Auseinandersetzung mit der historischen und der künftigen Rolle des Adels eingesetzt hat, steht auch der zeitgeschichtlich Interessierte vor der Notwendigkeit, die Strukturen des europäischen Adels kennen zu müssen – immerhin gelang es im Jahr 2001 dem ehemaligen Zaren Simeon II. von Sachsen-Coburg-Gotha sich zum Ministerpräsidenten Bulgariens wählen zu lassen.

Für eine einfache, d.h. schnelle und zuverlässige Recherche insbesondere der grundlegenden Begriffe der Welt des Adels und ihrer Auflösung standen bis dato außer unhandlichen allgemeinen Enzyklopädien vor allem die einschlägigen historischen Wörterbücher zur Verfügung. Doch der entsprechende Beitrag von Werner Conze in der Reihe Geschichtliche Grundbegriffe geht nicht über das Jahr 1848 hinaus 7 und in dem vielen Studienanfängern anempfohlenen Lexikon von Imanuel Geiss ist bis auf die französische Adelsemigration nach 1789 gar überhaupt kein Eintrag zum europäischen Adel verzeichnet.8 Lediglich in dem bewährten Hilfswörterbuch für Historiker 9 sind die entsprechenden Begriffe annähernd abschließend aufgenommen, wenngleich auf zeitgeschichtliche Besonderheiten kaum eingegangen wird.

Eckart Conze, Inhaber der Lehrstuhles für Neuere Geschichte an der Universität Marburg, hat mit dem zu besprechenden Band ein Nachschlagewerk vorgelegt, das sich vor allem an diejenigen richtet, denen grundlegende Begriffe des Adels wenig vertraut sind und sich insbesondere für Neuere und Neueste Geschichte interessieren. Das lexikalisch aufgebaute Kompendium ist ebenso lehrreich wie unterhaltsam und verzeichnet auf 260 Seiten etwa 200 Artikel unterschiedlicher Länge, denen jeweils einige Literaturhinweise sowie gegebenenfalls auch kurze Erläuterungen zum Stand der Forschung nachgestellt sind, wie z.B. der Hinweis, dass die Bauernbefreiung in Preußen eben keine zweite Phase des Bauernlegens gewesen sei (S. 54). Es erklärt Adelstitel wie Baron, Fürst, Graf oder Herzog, erläutert wesentliche Bestimmungen des Adelsrechts und nennt die bedeutendsten deutschen Adelsdynastien (keine Einzelpersönlichkeiten). Auch wenn die grundlegenden mittelalterlichen Begriffe der Adelsherrschaft mit aufgenommen sind (z.B. Lehen), bilden doch die deutschen Verhältnisse des 19. und 20. Jahrhunderts den Schwerpunkt des Bandes. Dies ist laut Conze insbesondere deswegen gerechtfertigt, da der Adel dieser Zeit von der Forschung bisher vernachlässigt worden sei, seine historische Bedeutung jedoch bis in die Zeitgeschichte reicht (S. 7f.). Und tatsächlich hat auch in Deutschland die Frage der Restitution des Adels eine gewisse tagespolitische Aktualität, wenngleich es nicht um die Wiederherstellung politischer Macht, sondern um Entschädigung von Vermögensverlusten oder gar Rückgabe von enteigneten Besitztümern (darunter auch Kulturgüter wie Bibliotheken, Archive oder Realien aller Art) in den neuen Bundesländern geht, mit denen sich deutsche Gerichte in Aufsehen erregenden Verfahren beschäftigen mussten. Dass diese Prozesse keine gewöhnlichen zivilrechtlichen Streitigkeiten um materielle Werte waren, sondern auf Grundlage teilweise vorkonstitutionellen („Fideikommisse“) oder Besatzungsrechts („Bodenreform“ in der sowjetischen Besatzungszone) um nationales Kulturgut geführt wurden, zeigen z.B. die Auseinandersetzungen um die Rückgabe so genannter Gutsarchive in ostdeutschen Archiven.10 Bei diesen Stichworten zu zeitgeschichtlichen Fragen zeigt sich die Stärke von Conzes Lexikon; hier finden sich weder bei Haberkern/Wallach noch in einer der angeführten Darstellungen ausreichende Erklärungen. Ebenso wertvoll ist die konsequente Aufnahme zeitgenössischer („Paparazzi“) oder umgangssprachlicher („blaues Blut“) Begriffe der jüngeren Literatur und Publizistik, die heute für die Rezeption des Adels Bedeutung haben. Hier liegt der Wert des Bändchens, das keines der genannten allgemeinen Lexika oder einschlägigen historischen Wörterbücher ersetzen, aber um gegebenenfalls wertvolle Angaben ergänzen kann. Und so seien allen denjenigen, die Informationen über den „Hoch-“, „Etagen-„ oder „Briefadel“ nicht nur aus der „Yellow Press“, sondern aus fundierter Quelle erfahren möchten, die entsprechenden Einträge in dem besprochenen Band empfohlen.

Anmerkungen:
1 Jüngst z.B.: Kroll, Frank-Lothar (Hg.), Die Herrscher Sachsens. Markgrafen, Kurfürsten, Könige 1089-1918, München 2004.
2 Demel, Walter, Der europäische Adel. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, München 2005.
3 Hechberger, Werner, Adel, Ministerialität und Rittertum im Mittelalter, München 2004; Reif, Heinz, Adel im 19. und 20. Jahrhundert, München 1999.
4 Kocka, Jürgen, Das lange 19. Jahrhundert (Gebhardt Handbuch der deutschen Geschichte 13), Stuttgart 2001, S. 122f.
5 Lenger, Friedrich, Industrielle Revolution und Nationalstaatsgründung (Gebhardt Handbuch der deutschen Geschichte 15), Stuttgart 2003, S. 142-154, hier S. 144.
6 Vgl. Anm. 2.
7 Conze, Werner, Art. „Adel“, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland, Bd. 1, Stuttgart 1971.
8 Geiss, Imanuel, Geschichte griffbereit, Bd. 5, Dortmund 1993, S. 416.
9 Haberkern, Eugen; Wallach, Joseph Friedrich, Hilfswörterbuch für Historiker, Tübingen 1987.
10 Vgl. Heegewaldt, Werner, Vom Volkseigentum zum Depositum – Zur Situation der Gutsarchive im Brandenburgischen Landeshauptarchiv, in: Der Archivar 57,2 (2004), S. 119-123.

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