C. Pflüger, Kommissare und Korrespondenzen

Cover
Titel
Kommissare und Korrespondenzen. Politische Kommunikation im Alten Reich (1552-1558)


Autor(en)
Pflüger, Christine
Reihe
Norm und Struktur 24
Erschienen
Köln 2005: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
365 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Markus Friedrich, Historisches Seminar, Johann Wolfgang Goethe-Universität

„Politische Kommunikation“ ist ein Konzept, das in letzter Zeit vielfältig Anwendung findet. Pflügers Buch zeichnet sich zunächst dadurch aus, dass das Thema hier angenehm konkret und materialbezogen angegangen wird: als Untersuchungsgegenstand dienen die Kommissare König Ferdinands II. während der politisch prekären Situation im Reich zwischen 1552 und 1558. Nach der Einleitung folgt eine sehr ausführliche Schilderung der politischen Lage im Reich, dann eine Analyse der Kommunikation als politisches Strukturelement. Anschließend wird die Rolle und Tätigkeit der Kommissare detailliert vorgestellt und an zwei Fallbeispielen veranschaulicht (Dr. Ulrich Zasius, Heinrich Reuß (IV.) von Plauen). Es folgen Bemerkungen zu Gesandtschaften und zur Kommunikation außerhalb der Reichsgremien. Man merkt der Arbeit an, dass sie in den quellengesättigten Traditionen der Reichsgeschichte verwurzelt ist. Das Wirken der Kommissare wird in seinen Strukturbedingungen und Umständen sehr anschaulich erkennbar. Am Thema Kommunikation interessierte Leser werden deshalb zukünftig immer wieder auf diesen Band zurückgreifen.

Obwohl kaum theoretische Formulierungen und kulturwissenschaftliche Ausdeutungen erfolgen, liegt der Arbeit doch ein einheitliches Erklärungsmodell zu Grunde (deutlich formuliert z.B. auf S. 77f. u.ö.): Anfang der 1550er Jahre entstand im Reich eine prekäre politische Situation, bedingt durch verschiedene religiöse und militärische Ereignisse (Verhandlungen mit Protestanten, Markgräfler Krieg) sowie durch die internen Probleme des Hauses Habsburg (Rückzug Karls V. aus der deutschen Politik) (Kap. 2). Dieser Problemlage wirkte eine „Intensivierung der politischen Kommunikation“ (S. 77) zwischen König und Ständen entgegen. Deren wesentliche Träger waren die Kommissare und ihre Präsenz bei allen entscheidenden Ereignissen. Folge dieser Anstrengungen wiederum war eine „Konsolidierung und Stabilisierung“ der habsburgischen Herrschaft, an deren Ende die Autorität Ferdinands I. gefestigt gewesen sei (Kap 3.1.1). Dieses Modell mag plausibel erscheinen, doch die Kardinalfragen bleiben im Text ausgeblendet: Darf davon ausgegangen werden, dass die „Kommunikationsverdichtung“ absichtsvoll erfolgte, also politisches Programm war? Gab es also eine Umstellung der Politik? Wenn ja, auf welchen systematischen Einsichten basierte diese Innovation? Gab es explizite Reflexionen der Kommunikationsorganisatoren? Wie und warum funktionierte die „Stabilisierung der Autorität“ und welche Aspekte der Kommunikation trugen dazu bei? Verschiedene Möglichkeiten, die Rolle der Kommunikation genauer zu erklären, böten sich hier an, werden gelegentlich auch erwähnt, aber nicht systematisch unterschieden und gegeneinander abgewogen: Lag der Grund der Autoritätsstabiliserung im rein symbolischen Akt der Entsendung von Kommissaren - Kommunikation als performativer Akt? Oder ging es um Kommunikation als Intensivierung von Klientelbindungen (S. 226) – Kommunikation als ‚networking‘? Begründete die neuartige Informiertheit der Kommissare den Erfolg der Kommissare – Kommunikation als soziale Profilbildung? Oder stand die intensivere Sachkenntnis des Königs im Zentrum der Bemühungen – Kommunikation als Informationsgewinnung?

Auf jeden Fall gilt, dass der angenommene positive Effekt in seinem Zustandekommen erläutert werden müsste, denn schließlich ist nicht ohne weiteres evident, dass intensivierte Kommunikation generell systemstabilisierend wirkt. Die Entwicklung eines Reichsbewusstseins wird in diesem Zusammenhang zwar angesprochen (z.B. S. 278); offen bleibt aber die ebenso wichtige Frage, ob darüber hinaus in der Kommunikationsverdichtung auch ein verändertes Politikverständnis greifbar wird. Kurzum, die Arbeit wird sich vorhalten lassen müssen, die politischen, intellektuellen und kulturellen Bedingungen dafür, dass Kommunikation für die Zeitgenossen (in veränderter Weise) als nützliches politisches Mittel gelten konnte, gänzlich außer acht zu lassen.

„Kommunikation“ wird von der Autorin in erster Linie als persönliche Anwesenheit verstanden: Es sei die gesteigerte Präsenz des Königs mittels seiner Kommissare gewesen („Omnipräsenz“, S. 82, 226), die den wesentlichsten Aspekt der Kommunikationsverdichtung ausmachte. Wenn man so will, waren die Kommissare also ein Medium der Kommunikation des Königs mit den Ständen, das neben anderen Formen zum Einsatz kam (S. 78-81, S. 81f., S. 285-296). Diesem personenbezogenen Ansatz entsprechend, rückt die konkrete Verhandlungsführung durch die Kommissare stark ins Zentrum der Arbeit, eine systematische Betrachtung der Kommunikation fällt oft einer schlichten inhaltlichen Rekapitulation der Verhandlungen vor Ort zum Opfer (z.B. S. 94-188). Die Geschichte der Kommissare wird so phasenweise zur Geschichte einzelner Tagungen und ständischer Treffen, zur Geschichte des Gemeinen Pfennigs und des Markgräfler Konflikts.

Die bereits im Titel genannte „Korrespondenz“ bleibt bei diesem stark personenzentrierten Ansatz entschieden zu wenig berücksichtigt. Die Beobachtungen in dem hierzu einschlägigen Kapitel (S. 188-205) werden kaum weiterverfolgt. Die quantitative Analyse des königlichen Korrespondenzwesens bleibt auf gerade drei Seiten beschränkt (S. 75-78), die Mechanismen einer systematischen Verbreitung von Nachrichten finden allenfalls nebenbei Erwähnung (S. 190, S. 256-261). Die briefliche Kommunikation wird damit lediglich als inhaltliche Quelle für die königlich-kommissarische Politik ausgewertet, nicht aber selbst als entscheidender Bestandteil der Kommunikationsprozesse gewürdigt. Der König sandte zwar Kommissare aus, war aber selbst in hohem Maße von deren Briefen abhängig. Welchen Platz hatten die Kommissare und ihre Briefe im allgemeinen Netz der königlichen Kommunikation über Politik? Die Kommissare dürften sicherlich nicht nur als ‚verlängerte Arme’ des Königs vor Ort gedient haben, sondern umgekehrt auch als zentrale Vermittler von Nachrichten aus dem Reich, die die politische Wahrnehmung des Reiches in Wien entscheidend prägten. Entsprechend wünschte man sich ausführliche Würdigungen der „Berichte aus dem Reich“ und die Untersuchung ihres Stils, ihrer Darstellungspraxis, ihrer Beurteilungskriterien und ihres Wissenshorizontes. Daraus ließen sich womöglich zentrale Koordinaten des Politik- und Kommunikationsverständnisses ermitteln. Der Rolle der Kommissare als kommunikative Scharniere, die einerseits mündlich-personal agierende Repräsentanten des Kaisers, andererseits Verfasser zentraler schriftlicherNachrichtenquellen waren, wird nicht die gebührende systematische Relevanz zuerkannt.

Merkwürdig blass bleibt überhaupt der Hof in Wien, der doch Ausgangspunkt und Profiteur der Kommunikation war, offen bleibt auch die Frage, wie man in Regierung und Rat über die Tätigkeit der Kommissare dachte. Der Prozess der „Rückkoppelung“ zwischen Hof und Kommissaren wird erwähnt (S. 188-205; der Unterschied zur „kreisförmigen Kommunikation“ S. 189 bleibt mir unklar), doch man wüsste gerne mehr: Wägte man die Entsendung von Kommissaren gegen alternative Optionen ab? Wie ging man mit den eingegangenen Nachrichten um, wie wurden sie archiviert, rezipiert, weiterverarbeitet? Inwieweit flossen sie in die königliche Entscheidungsfindung ein? Wie verstand man am Hof den Rückkopplungsmechanismus selbst, forderte und begrüßte man ihn um der ständigen Kontrolle der Akteure willen, sah man ihn als notwendiges Übel, als lästige Pflicht an? Antworten auf diese Fragen würden dazu beitragen, die systematische Delegierung königlicher Politik an die Tätigkeit der Kommissare in einen breiteren Horizont des Politik- und Reichsverständnisses einzubetten.

Am Ende bleibt für den Leser, der sich in erster Linie Aufschluss über den Zusammenhang von Kommunikationsprozessen und Politik erhoffte, manche Hoffnung unbefriedigt. Der Hinweis darauf, dass personale Formen der Kommunikation, etwa in Gestalt der bevollmächtigten Kommissare, trotz spezifischer Strukturprobleme eine zentrale Rolle spielten, ist wichtig und kann die oftmals herrschende Fokussierung auf briefliche Kommunikation ergänzen. Auch der Zusammenhang von Kommunikationsverdichtung und Autoritätsstabilisierung ist ein wichtiges Thema, wenngleich die Frage nach dem „wie“ dieses Zusammenhangs kaum Antworten findet. Doch so wahr es ist, dass die Gegenwart der Kommissare vor Ort selbst bereits Teil des Kommunikationsprozesses ist, so bleiben doch entscheidende Komponenten der politischen Kommunikation unberücksichtigt: „Politische Kommunikation“ als sprachliche Fixierung von politischen Konflikten, „politische Kommunikation“ als Informationsbeschaffung, „politische Kommunikation“ als Bestandteil eines (neuen?) Politikverständnisses.

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