U. Haselstein u.a. (Hgg.): Cultural Interactions

Cover
Titel
Cultural Interactions. Fifty Years of American Studies in Germany


Herausgeber
Haselstein, Ulla; Ostendorf, Berndt
Erschienen
Anzahl Seiten
274 S.
Preis
€ 58,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Schaefer, Jena

Anlässlich ihres fünfzigjährigen Bestehens beschäftigte sich die Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Amerikastudien (DGfA) im Juni 2003 mit der Vergangenheit und Gegenwart der Amerikawissenschaft in Deutschland. Die in Marburg 1953 gegründete Gesellschaft, der heute rund 750 Mitglieder und 22 Institute angehören, bietet auf ihren Konferenzen - und gemeinsam mit ihrer Zeitschrift „Amerikastudien - American Studies“ - ein Spiegelbild der Entwicklung, Leistungen und Probleme der Amerikawissenschaft. Die Jahrestagung von 2003, deren Beiträge in einer Auswahl in der vorliegenden Veröffentlichung zusammengestellt wurden, warf einen Blick auf den Ertrag der letzten fünfzig Jahre deutscher Amerikawissenschaft.

Die Herausgeber Ulla Haselstein (Berlin) und Berndt Ostendorf (München) heben im Vorwort die Rolle heimgekehrter Emigranten beim Aufbau der American Studies in der Bundesrepublik hervor und verweisen namentlich auf die Politikwissenschaftler Ernst Fraenkel und Arnold Bergstraesser, den Historiker Dietrich Gerhard und den Philosophen Theodor Adorno. Im Übrigen rekapitulieren sie einige der im Band gedruckten 18 Beiträge der Konferenz, von denen vier der Geschichte der Amerikawissenschaft in Deutschland seit 1945 gewidmet sind. Die restlichen Beiträge lassen sich Themen wie „ethnicity“, „hegemony“, „immigration“ und „popular culture“ zuordnen. Wie häufig bei Konferenzveröffentlichungen vermissen die LeserInnen ungeachtet der niveauvollen Einzelbeiträge eine verbindende Fragestellung, ein thematisches Leitmotiv oder einen durchgehenden Diskurs.

Zum Thema „50 Jahre Amerikastudien“ nehmen Ursula Brumm und Reinhard Doerries das Wort. Ursula Brumm (Berlin) kam von der Mediavistik zu den American Studies. Sie erinnert an die Anfänge der DGfA. Die Beschäftigung mit der amerikanischen Literatur, Kultur, Geschichte und dem politischen Denken stellt für sie eine signifikante Entwicklung der Geistesgeschichte im Nachkriegseuropa dar. Allerdings klammert sie bei dieser Feststellung die Rahmenbedingungen und Zwänge des Kalten Krieges aus.

Reinhard Doerries (Erlangen-Nürnberg) schließt mit seinen „Persönlichen Bemerkungen eines Historikers“ an die Ausführungen Brummes an. Er hebt hervor, die DGfA habe „ohne Zweifel seit 1945 mehr als irgendeine andere Organisation im Nach-Nazideutschland (post-Nazi Germany) geleistet, um Generationen von Universitätsstudenten ein Verständnis der kulturellen und politischen Gesellschaft der Vereinigten Staaten zu vermitteln“ (S. 7). Doerries geht auf die Vorzüge der interdisziplinären Prägung der Amerikastudien seit Gründung der Gesellschaft ein, verschweigt aber nicht die Spannungen, Probleme und Rivalitäten, die im Zusammenwirken der verschiedenen Disziplinen (Literatur, Geschichte, Landeskunde, Politikwissenschaft) auftraten. Der Austritt des Kölner Historikers Erich Angermann, dem die deutschen USA-Historiker viel zu verdanken haben, im Jahr 1980 aus der DGfA war ein Ausdruck dieser Spannungen.

Gegen Ende des Bandes kommen nochmals zwei Stimmen zur Geschichte der deutschen Nordamerikaforschung im 20. Jahrhundert zu Wort. Rainer Schnoor (Potsdam) bilanziert in seinem Beitrag „Linke Abweichungen: Szenen aus 40 Jahren Amerikanistik in Ostdeutschland/DDR“ die Bedingungen, Leistungen und Grenzen der Amerikanistik in der DDR. Er bestätigt die thematische Enge, den ideologisch geprägten Blickwinkel und die Wirkung der Selbstzensur. Andererseits sei trotz der ungünstigen Rahmenbedingungen über Jahre hinweg Interessantes entstanden. Der Rezensent kann dies bestätigen, er erinnert sich heute noch an den Gewinn, mit dem er seinerzeit die Veröffentlichungen von Brüning, Schönfelder oder Wirzberger gelesen hat.

Wie in seiner früheren ausführlicheren Studie zur Amerikanistik in der DDR zieht Schnoor die vereinzelten Früchte USA-geschichtlicher Forschung aus der Feder von K. Drechsler, G. Hass, R. Horn, J. Kuczynski, K. Obermann, P. Schäfer, die ebenfalls zum Amerikabild in der DDR beitrugen, in seine Betrachtung nicht ein.

Michael Dreyer (Jena, z.Zt. Evanston, Ill.) widmet sich der maßgeblichen Rolle der USA bei der Etablierung der deutschen Politikwissenschaft im Nachkriegsdeutschland. Einige seiner Thesen, die er mit knappen Ausführungen erläutert bzw. untersetzt, lauten: „Ohne die USA gäbe es keine Politikwissenschaft als akademische Disziplin, weder in Deutschland noch anderswo.“ (S. 241) Es sei kaum möglich, die Bedeutung der amerikanischen Demokratie für die Entwicklung des Faches Politikwissenschaft zu überschätzen. Besonders in der Phase seiner Etablierung in der Bundesrepublik war der organisatorische Einfluss der USA auf vielen Ebenen spürbar. Dreyer hebt die Bedeutung der Remigranten wie Carl J. Friedrich, Ferdinand Hermens, Franz L. Neumann, Karl Loewenstein und Arnold Bergstraesser bei der Begründung der Politologie im Nachkriegsdeutschland hervor. Damit war dieses Fach damals - anders als die traditionellen Sozialwissenschaften - personell überwiegend von Remigranten und Hitlergegnern dominiert. Dies trug dazu bei, dass die Politikwissenschaft unter den personell stärker mit der Nazivergangenheit verbundenen Nachbardisziplinen anfangs eher ein Fremdkörper blieb. Innerhalb des Faches habe am wenigsten die mit der Philosophie verbundene Ideengeschichte aus der amerikanischen Tradition übernommen, am meisten die Vergleichende Politikwissenschaft und die Theorie der Internationalen Beziehungen. Als Forschungsgegenstand dominiert die Untersuchung der politischen Prozesse im eigenen Land. Arbeiten, die sich den politischen und ideengeschichtlichen Strukturen in den Vereinigten Staaten widmen, sind zahlenmäßig überschaubar. Nur in der Teildisziplin Internationale Beziehungen rücken die USA infolge ihrer überragenden Stellung in der Welt stets in den Blickpunkt der Untersuchungen. Unter den herausragenden Einzelleistungen deutscher PolitikwissenschaftlerInnen der Vergangenheit hebt Dreyer aus der Gründungsgeneration Ernst Fraenkel und seine 1960 in erster Auflage erschienene unübertroffene Gesamterklärung des amerikanischen politischen Systems hervor. Aus der zweiten Generation deutscher Politikwissenschaftler nennt Dreyer Kurt Shells „Das politische System der USA“ (1975), dem er ebenfalls eine zeitlose Bedeutung in der strukturell-pluralistischen Analyse politischer Verhältnisse beimisst. Dreyers informativer, substanzträchtiger Überblick über Entstehung, Methoden, Personen und Gegenstände der deutschen Politikwissenschaft ist ein lesenswerter wissenschaftsgeschichtlicher Beitrag.

Die Haupt- bzw. Abendvorträge der Konferenz stammen von Seyla Benhabib (New Haven), Michael Kammen (Ithaka, N.Y.) und Erna Brodber (Jamaica). Benhabib sprach zum Thema „Between Hospitality and Sovereignty: Kant, Arendt and American Immigration Law”. Sie stellt die Rahmenbedingungen der heutigen Welt- und Einwanderungspolitik seit dem 11. September 2001 in das Licht der kritischen, kosmopolitischen Theorie von Immanuel Kant und Hanna Arendt. Von diesen aktuellen Rahmenbedingungen hebt sie drei besonders hervor: „Humanitäre Interventionen“ der USA und der NATO; „Verbrechen gegen die Menschheit“ durch Völkermord, ethnische Säuberungen, Massenexekutionen, Vergewaltigungen, die seit dem Nürnberger Prozess gerichtlich verfolgt werden können; schließlich „Transnationale Migration“, welche die Rechte des einzelnen Menschen betreffen. Ihre These lautet: „[W]e have moved to an era of multiple and nested sovereignties while citizenship itself has been fragmented or disaggregated.“(S. 21) Kant habe als Erster auf den Widerspruch zwischen dem Recht des Einzelnen auf Wahl seines Wohnsitzes und der Souveränität des Staates, aus der heraus die grenzüberschreitende Migration beschränkt werden kann und wird, aufmerksam gemacht. Hannah Arendt knüpfte hier an und unterstrich das Recht des Menschen auf das Recht der Wahl der Gemeinschaft, in welcher er leben wolle. Benhabib plädiert angesichts des Dilemmas der gegenwärtigen internationalen Verhältnisse für „a moral politics“ anstelle eines „political moralism“ (S. 35).

Michael Kammen bietet in seinem Vortrag „Clio and her colleages in the United States during the twentieth Century“ eine lesenswerte, dichte Analyse des Weges der amerikanischen Historiografie seit den Tagen von John W. Burgess, Herbert B. Adams und James H. Robinson. Kammen hebt die Bedeutung der sozialgeschichtlichen Veröffentlichung „A History of American Life“ hervor, deren 13 Bände zwischen 1927 und 1948 von Arthur M. Schlesinger Sr. und Dixon R. Fox herausgegeben wurden. Diese Bände bedeuteten insofern ein neues Herangehen an die Sozialgeschichte, als sie die materiellen Lebensverhältnisse der einfachen Amerikaner berücksichtigten. Hieran konnte später - seit den 1970er-Jahren - die „new social history“ anknüpfen, die allerdings eher auf Strukturen der Gesellschaft, soziale Mobilität und demografische Zusammenhänge abzielt. Abschließend fasst Kammen die wichtigsten Veränderungen innerhalb der amerikanischen Historiografie, besonders seit den späten 1960er-Jahren zusammen, dazu gehören u.a.: ein höherer Rang der Primärquellen; der Blick auf alle Sektoren der Gesellschaft und des Alltagslebens, nicht lediglich der Eliten; eine geringere Neigung, die Vergangenheit romantisch zu verklären; die Bereitschaft zu komparativem Herangehen. „And they are prepared to make moral judgments without being anachronistic or didactic.“(S. 56)

Die abschließende Abendvorlesung von Erna Brodber war dem Wirken von Marcus Garvey gewidmet. Diese schillernde Persönlichkeit, aus Jamaika stammend, mobilisierte in den 1920er-Jahren in den USA die größte Massenbewegung der Schwarzen Amerikaner, die es bis dahin gegeben hatte, mit der Losung der Rückkehr der Schwarzen aus Amerika nach Afrika. Brodbers kritische Studie über Garveys Universal Negro Improvement Association bietet neue Fragestellungen und weist auf Zusammenhänge hin, die eine weitere Beschäftigung mit dem Thema anregen.

Die kleineren Konferenzbeiträge, den unterschiedlichsten Themen gewidmet, können hier nicht vorgestellt werden. Wenigstens genannt werden sollen die beiden Texte von Knud Krakau (Berlin) „Strategies for Legitimizing the Use of Force in American Foreign Policy“ und von Andreas Paulus (München) „The United States and the War against Iraq: What Future for International Law?“.

Der Band erlaubt einen ersten Blick in die Seelenlage der heutigen Amerikaforschung diesseits und jenseits des Atlantiks. Schon deshalb lohnt sich die Lektüre. Ergänzend sei auf Bd. 50, Heft 1/2 (2005) der „Amerikastudien - American Studies“ verwiesen, der mehrere Artikel zur Geschichte der Zeitschrift und des Fachs Amerikastudien enthält.

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