F. Becker u.a. (Hgg.): Der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika

Cover
Titel
Der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika. 1905-1907


Herausgeber
Becker, Felicitas; Beez, Jigal
Erschienen
Anzahl Seiten
240 S.
Preis
€ 22,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christiane Reichart-Burikukiye, Historisches Institut, Justus-Liebig-Universität Gießen

Maji-Maji gehört nicht in die Reihe der Kriege, die das deutsche Gedächtnis erinnert. Seine fast vollständige Abwesenheit in öffentlichen wie in wissenschaftlichen Diskursen hat bis heute verhindert, dass der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika von 1905-1907 in das historische Bewusstsein hierzulande Eingang gefunden hätte. Das ist an sich nicht überraschend, entspricht diese Abwesenheit doch der Stellung, den die gesamte koloniale Vergangenheit in der deutschen Geschichtsschreibung bis in die jüngste Zeit hinein eingenommen hat.

Das in den letzten Jahren deutlich gestiegene Interesse am transnationalen Geschichtsverstehen hat auch die koloniale Geschichte Deutschlands in eine neue Perspektive gesetzt. Das zeigte sich bereits im Umgang mit der Erinnerung an den Völkermord 1904 in Südwestafrika. Hundert Jahre danach haben sich deutsche Politiker für die damals begangenen Verbrechen entschuldigt: ein deutliches Signal dafür, dass die Ereignisse in Deutsch-Südwest-Afrika in einem öffentlichen Bewusstsein angekommen sind. Der Maji-Maji-Krieg hingegen fand schon in der Zeit seines Geschehens – vermutlich wegen der wenigen deutschen Opfer - vergleichsweise geringe Beachtung in Deutschland.

Der jetzt von Felicitas Becker und Jigal Beez herausgegebene Sammelband „Der Maji-Maji-Krieg in Deutsch-Ostafrika“ ist sicher geeignet, dies zu ändern. Er versammelt AutorInnen, die nicht nur fast ausnahmslos Spezialisten ihres Faches sind, sondern zudem in ihrer Gesamtheit als gelungenes Beispiel für die transnationale Aufarbeitung kolonialer Geschichte stehen könnten. Die Beiträge sind in vier Abschnitte gegliedert, die sich um die Themenfelder „Vorgeschichte“, „Verlauf, Strategien und Akteure“, „Repräsentationen“ und schließlich „Folgen“ des Krieges gruppieren. In allen Teilen ist es gelungen, Blickwinkel verschiedener Kriegsteilnehmer und -betroffener zu einem facettenreichen Gesamtbild zusammenzuführen, trotz des stets klaren Bezugs zum Thema gibt es kaum Wiederholungen.

So zeichnet der erste Abschnitt die Entwicklungen im südlichen Tansania, dem späteren Kriegsgebiet, vom 19. Jahrhundert bis zum Kriegsbeginn nach. Jigal Beez skizziert die Geschichte des Binnenlandes im 19. Jahrhundert, die durch die Einwanderung der Ngoni aus dem südlichen Afrika und den sich intensivierenden Karawanenhandel geprägt ist. Reinhard Klein-Arendt zeigt, wie stark sich die deutsche Besitzergreifung der Kolonie durch Habgier, Gewalt, Unkenntnis der lokalen Verhältnisse und einer kaum zu übertreffenden Arroganz gegenüber den afrikanischen Bewohnern auszeichnete. Patrick Krajewski konzentriert sich auf die Wirtschaft- und Handelsstruktur unter dem wachsenden kolonialen Einfluss, von dem die einheimische Wirtschaft im Süden der Kolonie anfangs profitierte, später jedoch starke Einbrüche erlebte. Hier bahnen sich die Entwicklungen an, die im August 1905 zum Ausbruch des Krieges führten.

Die kolonialen Eroberer wurden durch ihn vollständig überrascht. In den Maji-Maji-Armeen sahen sie in erster Linie religiös fanatisierte Barbaren, die sich der Moderne verweigerten. In der Maji-Maji-Religion, so dagegen Jigal Beez, erwiesen sich die afrikanischen Glaubensvorstellungen als dynamisches gesellschaftliches Element, das sich mit der sozialen Situation wandeln und sich ihr anpassen konnte. Maji-Maji verlieh den Kriegern neben dem Glauben an ihre Unverletzbarkeit eine göttliche Legitimation, die eine gemeinsame Identität schuf und über sprachliche, regionale und gesellschaftliche Grenzen hinweg gegen die koloniale Herrschaft mobilisierte.

Dabei waren die Kriegsparteien nicht in dem engen Schema von kolonial Unterdrückten einerseits und kolonialen Unterdrückern andrerseits zu fassen. In ihrer Analyse des Kriegsverlaufes von einem offenen Schlachtenkrieg hin zu einer Guerillataktik zeigt Felicitas Becker, dass durch den Krieg viele soziale Grenzen einer komplexen Gesellschaft in Bewegung gerieten. Er wurde zu einer Gelegenheit, sich gegen „einheimische Profiteure des bestehenden Handelssystem“ zu wehren, und für lokale Oberhäupter, die durch die Kolonialmacht an Einfluss verloren hatten, zu einem „Befreiungsschlag “ (S. 76). Alte Rivalitäten, die Beziehung zwischen europäischen und afrikanischen Autoritäten auf lokaler Ebene sowie die Persönlichkeiten der jeweiligen afrikanischen Würdenträger beeinflussten den Kriegsverlauf je nach Region entscheidend mit. 15 Europäer starben in diesem Krieg, die meisten von ihnen Missionare. Deren besondere Rolle als Repräsentanten der deutschen Herrschaft, die in ihrem kulturellen und christlichen Sendungsbewusstsein oft mit den lokalen Autoritäten um Einfluss konkurrierten, beleuchtet Hans-Joachim Niesel.

Neben den Europäern starben auf Seiten der Kolonialmacht vermutlich mehr als tausend Afrikaner (S. 86). Die meisten Opfer jedoch forderte die deutsche Strategie, den Maji-Maji-Kämpfern den Rückhalt zu nehmen, die Nahrungsgrundlagen der Bevölkerung zu zerstören, Ernten zu vernichten und Felder zu verwüsten. Die Zahl der Toten, so Ludger Wimmelbücker, sei weit höher anzusetzen als bei den oft angenommenen 100.000, er schätzt etwa 180.000 Opfer. Hunger, Seuchen und Fluchtmigration entvölkerten ganze Landstriche, über Jahrzehnte erholte sich die Bevölkerung von dieser Dezimierung nicht.

So verschieden der Krieg erlebt wurde, so unterschiedlich wurde er auch erzählt und verarbeitet. Das zeigt sich im dritten Teil des Bandes. In Deutschland blieb der Maji-Maji-Krieg unter dem Eindruck der Ereignisse in Südwest-Afrika Nebenkriegsschauplatz, so Inka Schall und Sonja Metzger. In der Kolonie wurde er als „unausweichlicher Kampf der ‚Kultur’ gegen die ‚Natur’“ (S. 146) zu einer Notwendigkeit stilisiert. In Ingrid Lauriens Vorstellung des Maji-Maji Research Projects der Universität von Dar-es-Salaam, mit dem 1968 versucht wurde, die verschwindenden Stimmen der Zeitzeugen einzufangen, wird deutlich, dass die Erinnerung an die brutale Niederschlagung des Aufstandes bei der einheimischen Bevölkerung von Angst, Verunsicherung und Resignation geprägt war.

Ludger Wimmelbücker und Jose Arturo Saavedra Casco würdigen Autoren der wenigen afrikanische Quellen dieses Krieges: Zum einen den Dichter Abdul Karim Jamaliddini, der 1906 ein Gedicht in der traditionellen Swahili-Dichtkunst über den Krieg verfasste, dessen Ambivalenz in Loyalität zur und Kritik an der Kolonialmacht die schwierige Stellung des Autors zeigt. Zum anderen den Bürgermeister von Lindi, Mzee bin Ramazini, der sich durch die Parteinahme für die Kolonialmacht eine persönliche Vorteilsstellung zu sichern suchte. Beeindruckend ist der Beitrag von P. Werner Lange über den deutschen Kriegsteilnehmer und späteren Pazifisten Hans Paasche. Paasches Erlebnisse als junger Offizier im Maji-Maji-Krieg haben ihn zu seiner späteren antimilitaristischen Einstellung bewogen und zeigen, wie die Ereignisse in Deutsch-Ostafrika auch in Deutschland nachwirkten.

In den Schlussteil des Bandes leitet ein Artikel von Felicitas Becker über die Geschichte der Erinnerung an den Krieg in Tansania ein. Die Diskussionen um koloniale Unabhängigkeit und nationale Einheit verdeutlichen, wie die Interpretation und Erinnerung des Krieges von der jeweils aktuellen Situation bestimmt wurden. Alfred Fuko erzählt in einem Beitrag über sein persönliches Erleben der Erinnerung als Nachgeborener in der Kriegsregion. In einem weiteren Beitrag geht Becker auf die Langfolgen des Krieges ein. Durch die Bevölkerungsverluste gingen große Landgebiete für die Landwirtschaft verloren, was zur Ausbreitung von Großwild führte und bis heute ein Grund für die anhaltende ökonomische Marginalität des damaligen Kriegsgebietes ist.

Abwegig mutet auf den ersten Blick Jean Mutombos Beitrag über die Geschichte der Maï-Maï-Milizen im postkolonialen Kongo an. Mutombo schließt Zusammenhänge zwischen den kongolesischen Maï-Maï-Milizen und den Maji-Maji-Kämpfern aus, geht aber nicht konkreter auf mögliche gemeinsame historische Wurzeln der zugrunde liegenden Glaubensvorstellungen ein.

Das Schlusswort des Bandes bildet ein Beitrag des tansanischen Historikers Isack Majura. Er wirft einen kritischen Blick auf das deutsch-tansanische Verhältnis 100 Jahre nach dem Krieg. Majura fordert eine Auseinandersetzung in Deutschland mit der kolonialen Vergangenheit und bietet auf dieser Grundlage die Versöhnung an.

WissenschaftlerInnen und allen Interessierten ist der Band gleichermaßen zu empfehlen. Er bietet eine umfangreiche Übersicht, die kolonialen und postkolonialen Nachwirkungen bis in die Gegenwart hinein nachspürt und miteinander in Beziehung setzt. Historische Fotos illustrieren und lockern die Texte auf, wobei allerdings Bildinterpretationen fast vollständig fehlen. Gelegentlich wurde mit Referenzen etwas zu sparsam umgegangen, was den wissenschaftlichen LeserInnen den Zugang zu weiterer Sekundärliteratur erschweren wird. Zu kurz kommen die Erfahrungen der asiatischen Bewohner der Kolonie, auch die Rolle der Askaris bleibt weitgehend unberücksichtigt.

Nichtsdestotrotz bietet sich hier ein perspektivreich gestalteter Band, der eine große Lücke zu einem fast vergessenen Kapitel deutsch-tansanischer Geschichte im deutschsprachigen Raum füllt.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension