A. Coskun: Die _gens Ausoniana_ an der Macht

Cover
Titel
Die gens Ausoniana an der Macht. Untersuchungen zu Decimius Magnus Ausonius und seiner Familie


Autor(en)
Coş kun, Altay
Reihe
Prosopographica et genealogica 8
Anzahl Seiten
XVI, 266 S., Stemma
Preis
£24.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Tassilo Schmitt, Institut für Geschichte, Universität Bremen

Im Zentrum dieser Teilpublikation einer 1999 an der Universität Trier angenommenen Dissertation steht die Person des Decimius Magnus Ausonius. Die Untersuchungen basieren aus einer profunden Kenntnis der Text- und Interpretationsgeschichte der Werke dieses spätantiken Literaten und erfolgreichen Höflings sowie auf der umsichtigen Berücksichtigung sozial- und institutionengeschichtlicher Bedingungen und Umstände. In kritischer Anknüpfung an Hagith Sivans Studie von 1993 (Ausonius of Bordeaux. Genesis of a Gallic aristocracy), die die Zeugnisse bei weitem nicht ausgeschöpft habe, soll Ausonius angemessen gewürdigt werden. Coskun bekennt sich von Anfang an zu der Sympathie, die er für Ausonius hegt, verkennt nicht, dass seine Darstellung "einige apologetische Züge" aufweise (S. X), versucht aber Einseitigkeiten zu vermeiden, indem er "die jeweiligen Grundlagen eines fremden oder eigenen Werturteils" offen legt.

Der erste Hauptabschnitt "Decimius Magnus Ausonius, aquitanischer nobilis und Trierer Hofmann" (S. 1-11) skizziert "als Einführung in Ausonius' bewegte Biographie und seine literarischen Hauptwerke sowie gleichermaßen als Zusammenfassung der neuen [sc. eigenen] Forschungsergebnisse" Lebensweg und Persönlichkeit des Ausonius (311-394/95): Als Sohn eines Freigelassenen und erfolgreichen Arztes und einer Mutter aus altem gallischen Adel habe Ausonius entscheidende Prägung und Förderung durch seinen Onkel Aemilius Magnus Arborius erfahren, der als Rhetor 335-337 zum Tutor des Caesar Dalmatius berufen worden sei. Ausonius selbst habe seinen Aufstieg als grammaticus und rhetor in Bordeaux begonnen, wo er eine Frau aus dem gallischen Provinzialadel geheiratet habe. 368-374 habe er am Trierer Hof als Erzieher des Augustus Gratian gewirkt. Danach sei er zum quaestor avanciert, habe nach Valentinians Tod entscheidenden Einfluss auf die Politik seines ehemaligen Schützlings gehabt und seinen Verwandten und sich höchste Reichsämter geöffnet: Exzeptionell sei die mit seinem Sohn Hesperius gemeinsam bekleidete praefectura praetorio erst Galliarum und dann einer um Italien, Afrika und Pannonien erweiterten "Großpraefectur" gewesen. 379 schließlich habe Ausonius den ordentlichen Konsulat erreicht, habe anlässlich seines Ausscheidens aus diesem Amt als gratiarum actio pro consulatu einen Panegyricus gehalten und sich kurz darauf nach Bordeaux zurückgezogen, wo ihm noch anderthalb Jahrzehnte eines Lebensabends als Literat vergönnt gewesen seien, auf dessen heitere Grundstimmung nur die Auseinandersetzung mit seinem Schüler Paulinus von Nola um dessen Weltentsagung einen Schatten geworfen hätten. Nach seinem Tod habe die Familie - anders als man in der Forschung bislang glaubte - "ihre führende Rolle in der Gesellschaft […] noch weit über ein Jahrhundert zu verteidigen" gewusst (S. 6). Ausonius' Qualitäten als Autor seien neuerdings anerkannt, gegen den Vorwurf der politischen Unfähigkeit sei auf die ungewöhnliche Karriere und gegen den der Weltfremdheit darauf zu verweisen, dass die Werke formal zeitgenössisch übliche und inhaltlich durchaus angemessene Stellungnahmen enthielten. Auch die von Tony Honoré und Jill Harries formulierte Kritik an seiner Amtsführung als quaestor lasse sich entkräften. Standesdenken und Hauspolitik erweisen Ausonius als "Kind seiner Zeit" (S. 9) und werden überdies durch Leistungen für den Bestand des Reiches relativiert: "Er bleibt trotz zugestandener menschlicher Schwächen ein energischer und mutiger Politiker, liebevoller Familienvater, sensibler Dichter und, indem er die Seelen seiner Mitmenschen zu formen sucht, ein heiterer und lebensfroher Humanist." (S. 11)

Die dieser Zusammenfassung (A) folgenden drei Großabschnitte bestehen aus Detailuntersuchungen der Vita des Ausonius (B: S. 12-111), prosopografischen Studien zur gens Ausoniana (C: S. 112-185) und einer Betrachtung von Ausonius in Politik und Gesellschaft (D: S. 186-237). Quellen-, Literatur- und Abkürzungsverzeichnis, ein knappes kombiniertes Personen- und Sachregister sowie eine Stammtafel der gens Ausoniana beschließen den Band. Die dem Dichter und seiner Familie gewidmeten Hauptabschnitte folgen im Wesentlichen der Chronologie, sind aber häufig durch allgemeine Erläuterungen und durch eine große Zahl von Exkursen unterbrochen. Der letzte Hauptabschnitt konzentriert sich auf die Tätigkeit des Dichters unter Gratian und auf die Frage nach seinem Christentum. Schon diese Übersicht verweist auf die Stärken des Buches, macht aber auch die Grenzen deutlich. Es handelt sich um eine ungeheure Fülle von manchmal weit ausgreifenden Detailuntersuchungen, die nicht nur im Text, sondern auch im abundanten Anmerkungsapparat geführt werden und vielfach zu überzeugenden, zumindest aber zu bedenkenswerten Ergebnissen führen. Eine Einheit bildet das Buch jedoch nicht. Man könnte sich leicht auch einzelne Abschnitte wegdenken oder andere hinzufügen, ohne dass sich am Gesamtcharakter wesentliches ändern würde. Die einheitsstiftende Klammer scheint die Bewunderung Coskuns für Ausonius zu sein, die im Durchgang durch die Biografie begründet, vor dem Hintergrund seiner Familie schärfer profiliert und in der Politik und der Humanität seines Christentums exemplifiziert wird. Diese eigenwillige Konzeption schlägt sich auch in Vokabeln wie "liebenswürdig" oder "charmant" nieder, die sich sonst in geschichtswissenschaftlichen Arbeiten kaum finden: Hier waren nicht nur scharfsinnige Forschung, hier war auch Passion am Werk. Dieses Engagement bringt es wohl auch mit sich, dass Coskun oft negative Urteile der bisherigen Forschung - meist mit guten Gründen - umkehren kann, dabei aber den Zuschnitt der Fragen und Problemstellungen zu oft nicht verlässt.

Im biografischen Hauptabschnitt (B) wendet sich Coskun zunächst den organisatorischen Bedingungen intellektueller Lehrtätigkeit im 4. Jahrhundert zu. Er kommt nach einem kritischen Resümee der einschlägigen Forschung zu dem Ergebnis, dass die bisherigen Rekonstruktionen der Verhältnisse Burdigalenser professores auf anachronistischen Annahmen von Regelmäßigkeiten beruhten und auch zu wenig berücksichtigten, nach welchen Kriterien und mit welcher Begrifflichkeit die genannten Personen in Ausonius' commemoratio beschrieben seien. Diese Überlegungen schaffen Spielraum für Neuinterpretationen. Hier kann Coskun für die Karriere des Ausonius selbst plausibel machen, dass dieser 338 die Position eines grammaticus übernahm und um 360 den Aufstieg zum rhetor schaffte. Um diesen durch weitere Beobachtungen ergänzten biografisch-chronologischen Befund werden die übrigen Burdigalenser Lehrer gruppiert (Liste: S. 36-37). Neben solchen mit großer Sorgfalt gewonnenen Ergebnissen stehen Überlegungen zur "Heimatverbundenheit" und weiteren Beweggründen des Ausonius, die nicht nur wegen "fehlender Zeugnisse" zugegebenermaßen als "ungewiß" gelten müssen (S. 35), sondern auch deswegen, weil sie selbst nicht hinreichend bestimmt sind: In welchem Verhältnis stehen bei der "Verbundenheit" eigentlich Sentimentalität, statusbewahrender Traditionalismus und (emotionale?, auf Verpflichtungen beruhende?) Abhängigkeit? Anders formuliert: die "Heimat" hätte es verdient, als sozialer Kosmos schärfer konturiert zu werden. Ausonius' Berufung zum Erzieher Gratians erfolgte wohl im Jahre 368: Für einen früheren Beginn seines Aufenthaltes am Hof fehlen alle Zeugnisse, ab 369 sind sie zahlreich (S. 37-44). Der Burdigalenser Rhetor könnte Valentinian als Überbringer des aurum coronarium oder durch die Vermittlung einflussreicher gallischer Förderer (und Verwandter) aufgefallen sein. Diese Vermutungen sind ansprechend, bleiben aber notwendig hypothetisch; daneben sollte - trotz des zeitlichen Abstandes und trotz der Verschiedenheit der Höfe (S. 40f.) - die Tatsache nicht unterbewertet werden, dass schon der Onkel die Position eines Prinzenerziehers innegehabt hatte.

Die Darstellung in der gratiarum actio macht deutlich, welch große Bedeutung das Hoflehreramt (Coskun spricht nicht ganz glücklich vom "Hoflehramt") für Ausonius gehabt hat (S. 44ff.). Dabei muss aber zumindest offen bleiben, ob der zeremonielle Anlass viel Raum dafür ließ, persönliche affektive Verbundenheit auszudrücken. Zog der Redner nicht vielleicht deswegen alle rhetorischen Register, weil er dabei war, sich vom Hof zu verabschieden? Deswegen vielleicht rangierten in diesem Text Literatur und Bildung höher als Politik. Ausonius' comitiva - warum Coskun es vorzieht, vom "Comitat" zu sprechen, ist nicht deutlich - kann man nur schwer fassen (S. 46-52): Weder führt die sehr summarische allgemeine Skizze der Entwicklung der comitiva weiter, noch trägt, wie Coskun überzeugend zeigt, eine Notiz in Auson. ep. 12,21-27 zum Verständnis bei. Entscheidend sei eine Bemerkung in der gratiarum actio 10-11: tot gradus nomine comitis [...] congesti, ex tuo merito te ac patre principibus quaestura communis, et tui tantum praefectura beneficii, denn sie "beweist [...] eine frühere von der Quaestur unabhängige Zeit als comes" (S. 51). Keineswegs! Ausonius geht es in direkter Ansprache an Gratian um mehreregradus [sc. dignitatum], in Verbindung mit denen er das nomen comitis erworben habe. Deren erster ist dann explizit die Quästur. Mit diesem Amt hat der bisherige Erzieher das Prädikat comes erhalten.

Der Rehabilitation des Ausonius als Quästor (S. 52-62) dient zunächst eine kurze Vorstellung des Amtes, wobei Coskun die rhetorisch-literarischen Qualifikationsanforderungen für die Aufgaben unterstreicht und Ausonius wie jedem gebildeten Römer "gewisse Rechtskenntnisse" bescheinigt (S. 56; vgl. auch S. 59, Anm. 135). Der Beginn der Amtszeit ist durch direkte Hinweise des Ausonius für die Zeit Valentinians gesichert. Coskun führt stilkritische Gesichtspunkte - die Bevorzugung drastischer und ungewöhnlicher Ausdrücke in den Gesetzen - an, um sie "mit nicht geringer Wahrscheinlichkeit in den Zeitraum zwischen März/Juni 374 und Oktober/November 377" zu datieren (S. 56ff.). Damit schafft er eine solide Basis für ein Urteil über die Amtsführung (Liste der Gesetze: S. 62). Drastik und Extravaganzen in der Sprache ergäben sich aus erzieherischen Absichten (Abschreckung) und entsprächen den Erwartungen der Zeit, die Kenntnis auch entlegener Gesetze lasse sich nachweisen. Coskun will Ausonius als wirkungsvolles armarium legum vorstellen (S. 62). Die modernen Urteile, die ihn an der Elle fachjuristischer Versiertheit messen, hätten aus dieser Perspektive als anachronistisch zu gelten. Umgekehrt ist allerdings nicht zu verkennen, dass Coskun seine Kriterien für zeitgenössische Erwartungen nicht zuletzt aus der Praxis des Ausonius gewinnt; die Argumentation ist also zumindest teilweise zirkulär. Überdies wäre allgemein zu prüfen, ob die Quästur, wie sie Ausonius führte, Lösungen für die juristisch zu bearbeitenden Probleme der Zeit bereithielt oder nicht. Die von Coskun gewählte Nahperspektive und der Verzicht auf die Klärung theoretischer Vorannahmen behindern hier ein tieferes Verständnis: Wer las die Texte und konnte von ihnen beeindruckt werden? Führen drastisch verschärfte Todesstrafen wirklich zu "wirkungsvoller Abschreckung" (S. 60)? Gilt das immer? Oder unter welchen Bedingungen?

Ausonius tritt kurz nach dem Ende der Quästur als Kollege seines Sohnes Hesperius die erste Prätorianerpräfektur (S. 62-77) für Gallien an. Im Sommer 378 dehnen beide ihren Amtssprengel auf Italien aus. 379 kommt noch Pannonien hinzu. Die Samtverwaltung einer Präfektur durch ein Beamtenpaar - zudem Vater und Sohn - wie auch die außergewöhnliche Ausdehnung am Ende auf das gesamte westliche Reichsgebiet sind verwaltungsgeschichtliche Abnormitäten. Sie dokumentieren den Ehrgeiz und den Erfolg des Ausonius, dem sein früherer Zögling Gratian diese Wünsche erfüllte und überdies erlaubte, schon vorher Vater und Sohn und dann auch weitere Freunde in höchsten Ämtern zu positionieren. Coskuns Rekonstruktion der Ämterfolgen aus einer komplizierten Überlieferung und vor dem Hintergrund jahrhundertealter Kontroversen und Unsicherheiten ist bestechend, seine Erklärung überzeugend. Leider untersucht er dann nicht mehr weiter, inwiefern diese Vergabepraxis des Kaisers - der nicht nur Ausonius, sondern auch mit dem steinalten Olybrius eher für vergangene Dienste belohnte, als für aktuelle und künftige Aufgaben berief - Indikator dafür sein könnte, dass sachliche Kriterien der Amtsführung hintan stehen mussten. Wenn das aber so war, kann es ebenfalls für andere Personalentscheidungen gelten - auch für die frühere für Ausonius, sodass dessen Berufung jeweils kein Beleg für fachliche Qualifikation sein muss.

Der Abschnitt über Ausonius als Consul (S. 77-91) wird mit einem sehr knappen und weit ausholenden Blick auf die Entwicklung des Amtes seit Augustus eingeleitet (S. 77ff.), in dem eigenartigerweise Überlegungen über die spezielle Praxis in den 370er-Jahren fehlen, obwohl für die Umstände der Designation des Burdigalensers dann die "Annahme einer alternierenden Kompetenz beider principes" für die Bestimmung der Amtsinhaber (S. 81) die Argumentation stützen muss. Insgesamt gelingt Coskun allerdings der Nachweis, dass Ausonius schon im Sommer 378 über die Ehre des Consulates im folgenden Jahr informiert worden ist. 379 musste er sein Amt in Abwesenheit des Kaisers antreten. Plausibel deutet Coskun die Paragrafen 34-35 des überlieferten Textes der gratiarum actio als Auszüge der dabei gehaltenen Rede, während die Danksagung im Übrigen erst nach Rückkehr Gratians nach Trier im Spätsommer 379 erfolgt sei. Coskun schließt das Kapitel über den Consulat mit einer Interpretation einiger Verse des Protrepticus ab (S. 82-83), obwohl diese doch den gesamten Cursus in den Blick nehmen. Ab Vers 89 werden Quästur, Präfektur und Konsulat genannt. Coskun möchte aber in den vorherigen Versen im Hinweis auf einen varius honor ein Zeugnis für die "verschiedenen Ränge der comitiva des Hoflehrers" erkennen (S. 88). Warum aber sollte Ausonius, der im genannten Abschnitt nicht mit der Nennung seiner Ehrenstellungen geizt, die Konkretion dessen verschwiegen haben, was doch seinen Einstieg in den Aufstieg bedeutete? Überdies gesteht Coskun zu, dass der Dichter gerade in diesen Abschnitten mit praetextatus eine Metonymie verwendet habe und auch sonst "selbstverständlich nicht wörtlich genommen werden" dürfe (S. 90). In einem solchen Kontext bedeutet varius honor kaum mehr als die Ehre, Lehrer des Kaisers zu sein, ein Zeugnis für die comitiva ist die Formulierung nicht!

Noch in seinem Konsulatsjahr zog sich Ausonius sich - wie Coskun in Auseinandersetzung mit der Forschung wahrscheinlich machen kann - nach Aquitanien zurück und verbrachte fortan seinen Lebensabend als Literat (S. 91-111). Das Rampenlicht der großen Politik fiel nur noch einmal auf ihn, als der Kaiser Theodosius ihn um Zusendung seiner Schriften bat. Coskun unterstreicht mit Recht, dass Theodosius sich damit "Loyalitäten in den rückeroberten Gebieten" verschaffen wollte (S. 97), verzichtet aber auch hier darauf, das dafür verwendete Instrumentarium - Konversation über Literatur - und die konkreten Adressaten, also Freunde und Klienten des Ausonius, systematisch zu behandeln. Die Rekonstruktion der Biografie endet mit einer ausführlichen Erörterung und Korrektur der Chronologie der Korrespondenz mit Paulinus von Nola, dessen Weltentsagung Ausonius scharf kritisiert hat.

Der nächste Hauptabschnitt nimmt die gens Ausoniana vom 3. bis ins 8. Jahrhundert über acht Generationen in den Blick (C). Coskun rechtfertigt seine Untersuchungen vor dem Hintergrund einer reichen Forschung damit, dass "aufmerksames Hineinhorchen in die Verse" vor allem der Parentalia, namenkundliche Studien und die kritische Überprüfung von Textemendationen Gewinn versprächen. Während die Rekonstruktion der Vorfahren mütterlicherseits im Wesentlichen aus chronologischen Präzisierungen bestehen (S. 112-121), kommt eine Analyse der über den Vater und seine Familie erhaltenen Nachrichten (S. 121-128) zu dem bemerkenswerten Ergebnis, dass es sich um ehemalige Sklaven gehandelt habe: Der Freilasser habe dem Vater Iulius Ausonius und seinen Geschwistern überdies ein Landgut vermacht und diesem eine Karriere als Arzt ermöglicht. In der Familie des Dichters ließe sich also ein geradezu sensationeller sozialer Aufstieg beobachten: Der Sohn eines ehemaligen Sklaven wird Konsul und ermöglicht seinen Angehörigen und Freunden den Zugang zu allerhöchsten Positionen. Coskuns Deutung erklärt gut, warum Ausonius über die Vorfahren väterlicherseits so wenig informiert. Aber konnte dieser (Herod. 1-2) wirklich von seinem "Erbgütlein" (herediolum) bei Bazas sprechen und es als "Königreich meiner Vorfahren" (maiorum regna meorum) bezeichnen, wenn diese dort als Unfreie gearbeitet haben, bestenfalls als Aufseher? Durfte der Vater angesichts seiner Sklavengeburt wirklich als der "Erste unter seinen Zeitgenossen" apostrophiert werden (Epicedion 1-2)? Hätte Ausonius unter diesen Umständen nicht besser gar nichts gesagt, als zu riskieren, sich in einer extrem die sozialen Unterschiede betonenden Umgebung dem Gespött auszusetzen? Auch ein arrivierter Höfling hat Feinde, nach der Ermordung seines Schülers Gratian allemal! Coskun verkennt diese Schwierigkeiten nicht und betont deswegen, dass Ausonius nur in einem "rein privaten Gedicht" so "liebevoll" über die Vorfahren väterlicherseits spricht. Abgesehen davon, dass dieser "private" Charakter nicht erwiesen ist, erfolgte die Publikation doch zumindest mit der Zustimmung der Erben, für die solche Familienromantik nicht minder peinlich gewesen sein dürfte. Diese Fragen bedürfen gewiss noch weiterer Überlegungen.

Überzeugend skizziert Coskun hingegen die Vita von Ausonius' Onkel mütterlicherseits, der als Redner und Advokat solches Ansehen errungen habe, dass er schließlich zum Erzieher des Caesar Dalmatius berufen wurde, den er nach Constantinopel begleitet hat (S. 128-130). Solche Resultate können künftig als Ausgangspunkt für weitere Analysen über soziale und regionale Mobilität einerseits sowie über die Beziehungen zwischen den Zentren im Westen und Osten des Reiches fruchtbar gemacht werden. Weitere Exkurse beharren auf der Datierung der Parentalia in die Jahre 389/90 (S. 131-134) und begründen eine Neuinterpretation einer Aussage in diesem Gedichtzyklus zu Ausonius Schwager Pomponius Maximus (S. 134-136 zu Parentalia 15,9-10). Ein sehr detailliertes Unterkapitel korrigiert irrige Auffassungen der Forschung über die Karriere von Ausonius' Sohn Hesperius (S. 136-147). Methodisch überzeugend - auch wenn man sich eine ausführlichere allgemeine Begründung gewünscht hätte - bestimmt Coskun zunächst einige Fixpunkte der Laufbahn, indem er die Datumsangaben der an Hesperius gerichteten Gesetze in den Codices nur dort zu emendieren bereit ist, wo offenkundig Fehler vorliegen. Inschriften und Hinweise in Symmachus' und Ausonius' Schriften sollen diese Ansätze bestätigen. Die Datierung dieser Quellen ist aber ihrerseits oft voraussetzungsreich. Immerhin zeigt die Argumentation, dass die Stellen den Neuansätzen nicht widersprechen. Dasselbe ergibt sich aus der Analyse der Nachrichten über Vorgänger und Nachfolger in verschiedenen Ämtern. Insgesamt gewinnt eine "double career" von Vater und Sohn Profil, die noch unter Valentinian begann, aber unter Gratian einen ungeheuren Schub erfuhr. Mit Recht spricht Coskun von einer Mischung aus Familienehrgeiz und dem Bemühen Gratians um verlässliche Mitstreiter für seine Politik. Inwiefern dafür aber wirklich die Talente des Ausonius und seines Sohnes ausschlaggebend waren (so S. 147), kann man allerdings nur dann sicher behaupten, wenn man die Fähigkeiten potentieller Konkurrenten vergliche. Immerhin hat derselbe Valentinian auch einen Maximinus protegiert und in entscheidende Stellen befördert, der weder bei Zeitgenossen noch bei Coskun (vgl. S.186-189) Gnade findet!

Der dem Schicksal der Schwiegersöhne und Enkel des Ausonius gewidmete Abschnitt schlägt wiederum eine Reihe von Neudatierungen und Neuinterpretationen vor, belegt insgesamt aber eindrucksvoll den Erfolg von Ausonius' Nachkommen, Status und erheblichen Besitz durch das für Gallien schwierige 5. Jahrhundert zu retten (S. 147-161): Große und weit verstreute Güter, geschickte Heiratspolitik und ein tragfähiges Netzwerk haben das ermöglicht; Ausonius selbst hat dafür wesentliche Grundlagen gelegt. Diese Prosperität dokumentiert Coskun weiterhin unter Heranziehung aller Zeugnisse, die die Namen Ausonius oder die anderer Familienangehöriger des Dichters aufweisen (S. 162-185). Er ist sich dessen bewusst, dass meist keine letzte Sicherheit zu erreichen sein wird, vermag aber doch in vielen Fällen durch die umsichtige Kombination verschiedener Indizien neue Perspektiven zu eröffnen. Im Ergebnis muss die bisherige Vorstellung in der Forschung, wonach sich nach Ausonius' Enkel Paulinus von Pella die Spuren der Familie verlieren, sicherlich aufgegeben werden: Nachkommen - nicht zuletzt in einflussreichen Positionen - finden sich in Gallien, in Italien und in Illyrien. Inmitten dieser Betrachtungen plaziert Coskun einen Einschub zur Bedeutung des Namens Ausonius, den er als "Decknamen", d.h. als lateinische Umformung einer ursprünglich keltischen Bezeichnung deutet; ähnliche Vermutungen ließen sich auch für den Namensbestandteil Decimius anstellen (S. 170ff., 183; vgl. auch S. 112f. zu Arborius).

Im dritten Hauptteil (D) verknüpft Coskun Ausonius' Durchbruch als Höfling mit dem Erfolg, den Prätorianerpräfekten Maximinus, der nach Valentinians Tod für wenige Wochen neben dem jungen Gratian die Politik bestimmte, schrittweise zu entmachten. Das sei ihm in Kooperation mit Antonius und Eucherius gelungen, nachdem er vom Hof des verstorbenen Valentinian nach Trier zurückgekehrt war: Maximinus wurde 376 hingerichtet. Die Rekonstruktion beruht hier neben der Besprechung von Gesetzestexten und einzelnen Äußerungen der direkt oder indirekt Beteiligten wieder ganz wesentlich auf chronologischen Überlegungen, die mit allgemeinen Betrachtungen zur Schnelligkeit der Informations- und Reisewege untermauert werden. Daneben vermisst man aber eine allgemeine Konturierung der Akteure, ihrer Netzwerke und ihrer Handlungschancen. Ausführlich besprochen werden die Entlastung und Privilegierung der Senatoren, die Erleichterung des Steuerdrucks auf Dekurionen, eine Amnestie und die Förderung von Lehrstühlen durch ein Schulgesetz. Maximinus' Sturz eröffnete für die neuen starken Männer um Ausonius die Chance, ihre Familienangehörigen und Freunde in führende Positionen zu befördern. Coskun präsentiert einen stattlichen Katalog, weist aber den Vorwurf ungebührlicher Günstlingswirtschaft energisch zurück. Die neue politische Linie sei auf Unterstützung angewiesen gewesen, die sich nicht anders habe gewinnen lassen. Gründete die künftige Vorrangstellung der Familie also zwar "zu einem nicht geringen Teil (auf) dem Geschick und Ehrgeiz des Burdigalenser Professors", so habe dieser aber "durch Sachverstand und Liebenswürdigkeit die Achtung Valentinians und die innige Zuneigung Gratians gewonnen" (S. 210).

Neben der Versorgung von Männern der eigenen Umgebung wurden auch Angehörigen der alten stadtrömischen Aristokratie neue Möglichkeiten geboten, prestigeträchtige Ämter zu bekleiden: Dem dienten eine Verdoppelung der prokonsularischen Statthalterschaften, die Verkürzung der Amtszeit für spectable und illustre Ämter, die so - wenn auch auf Kosten der Effizienz - von mehreren bekleidetet werden konnten. Denselben Zweck erfüllte auch die kollegiale Besetzung der Präfektur. So sei es gelungen, die alte Elite wieder stärker an das Reich zu binden. Historisch ebenso wichtig sei die Etablierung einer gallischen Aristokratie gewesen, die in den folgenden Zeiten "einen bedeutenden Faktor kultureller Kontinuität und regionaler Stabilität darstellte" (S. 216). Nicht all das, was langfristig erreicht wurde, dürfte auch den Handlungsintentionen der Akteure entsprochen haben. Undeutlich bleibt zudem, was Coskun genau mit Sachverstand meint. Aus einiger Distanz gewinnt man den Eindruck, dass eine Hofclique (die des Ausonius und seiner Verbündeten) eine andere (die des Maximinus) abgelöst hat. Inwiefern Sachfragen dabei eine Rolle spielten, müsste ausführlicher dargetan und dagegen abgewogen werden, welche weiteren Motive den jungen Kaiser bewegt haben mögen. Dabei wäre zu berücksichtigen, dass die Neuen und Sieger mit Symmachus und Ausonius als wortmächtigen Vertretern natürlich auch die Überlieferung tief geprägt haben.

Im Bemühen, Ausonius' Religiosität deutlich zu erfassen (S. 216-237), gibt Coskun zunächst einen Überblick über die verschiedenen Forschungspositionen. Einer Interpretation der Parentalia entnimmt er dann, dass die "neue Religion für die Ende des 3. Jahrhunderts geborenen Eltern offenbar zu keiner Zeit" ein "Kraftquelle" war (S. 221); überhaupt sei die Umgebung, in der der Dichter aufwuchs, von einer "eklektizistischen und toleranten Gesinnung" geprägt gewesen. Die nicht eindeutig zu interpretierenden Aussagen in verschiedenen Werken finden ihre Erklärung darin, dass zwischen dem persönlichen Bekenntnis und einer religionspolitischen Konzeption unterschieden werden müsse: Religionspolitisch habe Ausonius den "liberalen" Kurs Gratians als "Bedingung gesellschaftlicher Stabilität und Prosperität" mitgetragen, persönlich aber vertraute er auf Christus. Mit seinem Widerspruch gegen die Entscheidung des Paulinus, der Welt zu entsagen, stehe der Dichter auch unter Christen nicht allein: Der Unterschied liege nicht im christlichen Bekenntnis, sondern in der Radikalität der Schlussfolgerung. An verschiedenen Akteuren wird hier ein breites Spektrum der Möglichkeiten christlichen Verhaltens zur und in der Welt deutlich. Wie viel davon jeweils tiefen Überzeugungen entspringt oder aus anderen Erwägungen resultiert, ist selbst bei Personen, über die man sehr viel mehr weiß als über Ausonius und seine Zeitgenossen, oft nicht zu enträtseln. Und welche Haltung dann besser geeignet ist, "gesellschaftliche Stabilität und Prosperität" zu befördern, hängt nicht zuletzt davon ab, welche Maßstäbe man anlegt.

Coskuns Untersuchungen sind ein gewichtiger Beitrag zum besseren Verständnis von zahlreichen mit der Biografie und dem Werk des Ausonius verbundenen Problemen. Vielfach finden sich überraschende methodische Neuansätze für die Lösung alter Probleme, die zu bedenken sich lohnt, auch wo man den Konsequenzen und Schlussfolgerungen nicht bis zum letzten mitzumachen bereit ist. Es ist im vorigen aber wohl offenkundig geworden, dass dem Rezensenten das sehr auf die Person des Dichters gerichtete Interesse etwas fremd geblieben ist und er sich stattdessen häufiger strukturelle Ausweitungen und Vertiefungen gewünscht hätte. Man darf auf die angekündigten weiteren Veröffentlichungen zum Thema gespannt sein.