J. M. Landau: Exploring Ottoman and Turkish History

Cover
Titel
Exploring Ottoman and Turkish History.


Autor(en)
Landau, Jacob M.
Erschienen
London 2004: Hurst & Co.
Anzahl Seiten
433 S.
Preis
€ 46,26
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wolfgang G. Schwanitz, Deutsches Orient-Institut Hamburg

Dieser Band eines Meisters seiner Fächer vereint Schriften aus vier Jahrzehnten. Eine Hälfte widmet Jacob M. Landau der späten osmanischen Geschichte, die andere der Türkischen Republik und den von ihr geprägten Räumen im Kaukasus und in Mittelasien. Der emeritierte Professor für Politikwissenschaft an der Hebräischen Universität von Jerusalem hat den Band so geordnet, das er beispielhaft die Spannbreite seiner Interessen aufhellt. Neun Abschnitte umfassen Ideologien, die späte Geschichte des Osmanischen Reiches sowie Institutionen und Parteien in der Türkischen Republik. Sodann kommen Essays über Biografien und Reisende sowie Aufsätze über Kultur und Erziehung. Die letzten drei Abschnitte bergen Ausführungen zur Sprache und Politik, zur jüdischen Gemeinschaft sowie drei Rezensionen. In jedem Beitrag ist die Quelle der Erstpublikation vermerkt.

Abschließend folgt eine Bibliografie der Werke Landaus, dem im Frühjahr 2005 der Israel-Preis für orientalische Studien verliehen wurde. Jahresweise umfasst diese Übersicht für sechs Jahrzehnte 644 Publikationen, die meist auf Englisch, Arabisch, Hebräisch, Französisch, Italienisch, Deutsch, Türkisch oder auf Russisch erschienen sind. Dazu zählen zwei Dutzend Bücher, die von „Parliaments and Parties in Egypt“ 1953 über „Jews, Arabs, Turks“ 1993 bis zu „The Politics of Language in the Ex-Soviet Muslim States“ 2001 reichen. So darf das vorliegende Buch als Zwischenbilanz des höchst schöpferischen Forscherlebens gelten. Bevor Inhaltliches berührt wird, soll Landaus akademischer Start erhellt werden.

Jacob M. Landau wurde am 20. März 1924 in Kishinev geboren, einst Hauptstadt der Provinz Bessarabien. Seine Eltern wanderten mit ihm 1935 nach Palästina aus. Da ihn eine Neugier für Nahost plagte, lernte er in der Oberschule Arabisch. An der Hebräischen Universität von Jerusalem prägten ihn vor allem die emigrierten deutsch-jüdischen Professoren, etwa Richard Koebner in moderner Geschichte und Shelomo Dov Goitein in islamischen und arabischen Studien. Bernard Lewis war sein Mentor an der School of Oriental and African Studies. Dort, an der Londoner Universität, beendete er seine Diplomarbeit ein Jahr nach Weltkriegsende zu Ägyptens Nationalbewegung. Bei ihm wurde er mit der erwähnten Dissertation über Parteien und Parlamente promoviert.

Mit 25 hatte er also sein Eintrittsbillet in die Wissenschaft erworben. So begann Landaus Weg, auf dem er, einmal abgesehen von seiner rumänischen Muttersprache, in ein Dutzend Sprachen arbeitet und dessen Resultate nunmehr die Bibliografie eindrucksvoll anzeigt. Er eignete sich das Profil eines modernen Orientalisten an, als diese ehrwürdige Standesbezeichnung noch ein Synonym für die mutterwissenschaftliche und philologische Tüchtigkeit und noch nicht durch ideologische Anwürfe des Kalten Krieges befleckt war. Wer fragt, warum Landau die osmanische und türkische (und ägyptische wie islamische) Geschichte bevorzugte, bedenke, dass ihm als Israeli der direkte Zugang zu arabischen Quellen, Ländern und Archiven angesichts der Nahostkonflikte oft verwehrt blieb.

Dass Landau ein moderner Forscher ist, offenbart der Band in mancher Hinsicht. Zeitlich gesehen fällt bei ihm die produktive Wechselbeziehung zwischen den historischen und aktuellen Themen auf. Der Gegenwartsbezug war bei Orientalisten nicht üblich und ist ein Resultat der Ära kurz vor 1900, die im deutschen Raum Carl Heinrich Becker anführte. Landau ist in der Politikwissenschaft beheimatet, doch ist ihm die kreative Synthese orientalistischer und historischer Methoden eigen. Das weist sein Artikel über Gotthold Eljakim Weil aus, bei dem er in Jerusalem bis 1947 studiert hat. Dieser Gelehrte für jüdische Philologie erfuhr seine Ausbildung bis 1905 an der Berliner Universität und wurde 1931 Nachfolger von Josef Horovitz an der Universität Frankfurt am Main.

Weil übernahm auch dessen Stelle als Visiting Professor am Institut für Orientalische Studien in Jerusalem, womit er einen Zielpunkt hatte, als die Nazis ihn und seine jüdischen Kollegen 1934 zum Rücktritt gezwungen haben. In Jerusalem wurde Weil zum Professor für Arabisch und Türkisch ernannt. Er leitete dort auch die Jüdische National- und Universitätsbibliothek, in die er, so betont Landau, sein Wissen aus der Berliner Preußischen Königlichen Bibliothek eingebracht hat. Dort war Weil bei Adolf von Harnack anderthalb Jahrzehnte Direktor der Orientalischen Abteilung. All dies stellt Landau vor und versieht es mit seinen bibliografischen Anmerkungen zu Weils Werken als Leiter in die Geschichte.

Der Leser findet in dem Band viele interessante Beiträge, die heutige Konflikte aufhellen. In seiner Untersuchung über die Identitäten in sechs postsowjetischen Republiken Mittelasiens stellt Landau fest, dass auch nach ihrer Unabhängigkeit der Homo sovieticus fortlebe: 70 Jahre der sowjetrussischen Macht vergehen nicht spurlos. Sie erzeugen eigene Identitäten. Das historische Mittelost (oder Greater Middle East) erwächst erneut. Die Frage steht, wie Landau meint, ob diese Republiken auf ihrem Wege in die Moderne zum moderaten Islam wie in den Ländern am Persischen Golf finden oder militanten Extremisten verfallen. Das würde den Charakter des dortigen Islam bestimmen. Landau hält es dabei für wahrscheinlich, dass eine national-religiöse Symbiose aufkommt und dass der islamische Nationalismus in der einen oder anderen Form eine relativ neue Identität ausprägen wird. Er hat dies in seinem Beitrag „Language and Ethnopolitics“ vertieft, der ebenso in diesem Band enthalten ist und Länderfälle erhellt. Die Sprengkraft dessen hatte ihn früh gefesselt, wobei er in seinem Buch „Politics of Pan-Islam“ 1990 und 1994 eine tour d'horizon vorlegte.

Nicht minder gehaltvoll sind Landaus Ideen zur Relation von Sprache und Diaspora bei Arabern, Türken und Griechen. Was aber auf Gruppen aus Mittelost gemünzt ist, mag nun ebenso in Europa vertraut klingen. Das sollen hier fünf Muster illustrieren, die er über die Sprache in der Diaspora ausgemacht hat. Erstens ist das Wachstumstempo von Gemeinschaften an Immigranten auf der Suche nach Arbeit in der globalen Süd-Nordrichtung bestimmt. Mit der Zeit werden daraus Diasporas. Der Fakt, dass darunter zweitens illegale Einwanderer sind, trifft ihre Sprachrechte oft negativ. Sie bilden drittens kompaktere Gemeinschaften in Städten oder in Stadtnähe. Das war der traditionelle Fall in Europa, während sich die Gemeinschaften in Amerika rasch assimiliert haben. Letzteres ändert sich aber mit der starken Einwanderung aus Lateinamerika. Rasch wachse viertens die Zahl von Vertretern kleiner Sprachen unter Immigranten an. Fünftens befinden sich in einigen Gruppen Menschen, die mehrere Sprachen beherrschen, etwa Kurden unter Türken oder Berber unter Marokkanern und Algeriern. Landau leitet dann aus diesen Beobachtungen Schlüsse für die Sprachpolitik in einigen Ländern ab.

Mit den Unruhen in Europa und speziell Frankreich erhält dies neue Aktualität. Die arabische Diaspora entstand dort vor und nach dem Zweiten Weltkrieg. Anfang der 1970er-Jahre hatte sie so zugenommen, dass Paris einen Einwanderungsstopp verfügte. Dies, so Landau weiter, wurde freilich umgangen. Während Libanesen oft zwischen Heimat und Gastland pendelten, sei die Integration der Kinder von Nordafrikanern nicht nur in Südfrankreich schwierig. Viele wären arm, arbeitslos und ohne Ausbildung. Da es in ihrer Heimat Arabisierungswellen gab, sprechen sie kein Französisch. In Frankreich durften sie seit 1973 Arabisch als Prüfungsfach wählen. Viele fühlen sich nicht besonders verbunden mit ihrer Wahlheimat.

Jakob M. Landau steht mit diesem Band in der besten Art einer weitgehend ideologiefreien, sehr schöpferischen Aufbereitung und wissenschaftlichen Durchdringung neuer Themen in verschiedenen Disziplinen. Die so viel gefragte Multidisziplinarität liegt in ihm selbst begründet, also in seiner grundsoliden Ausbildung mit ihren philologischen Voraussetzungen und mit Methoden aus der orientalistischen, historischen und politischen Wissenschaft. Er weist hier einen beispielhaften Standard aus. Durch seine Lehrer hat er auch humanistische Traditionen Deutschlands aus der Zeit vor 1933 zur Blüte gebracht. Neugierige nehmen all dies dankbar auf und sie ahnen, dass die beigefügte Bibliografie durch seine enorme Schaffenskraft bereits schon wieder als überholt gelten darf.

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