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Titel
Hofdamen. Amtsträgerinnen im Wiener Hofstaat des 17. Jahrhunderts


Autor(en)
Keller, Katrin
Erschienen
Anzahl Seiten
389 S.
Preis
€ 35,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christiane Coester, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Wer über Damen an den europäischen Höfen der Frühen Neuzeit forscht, weiß, wie schwierig sich die Quellen- und Literaturlage darstellt. In schriftlichen Zeugnissen sind adlige Frauen weitaus seltener verzeichnet als adlige Männer, in den Genealogien der Familien fehlen ihre Namen oft, und ihre Korrespondenzen wurden mit geringerer Sorgfalt archiviert als die ihrer Brüder oder Ehemänner. Vernachlässigt wurden die weiblichen Mitglieder der Aristokratie auch von der Geschichtswissenschaft späterer Zeiten, etwa von der deutschsprachigen des 20. Jahrhunderts, die sich zunächst für Frauen der unteren Gesellschaftsschichten interessierte, während sich die spätere Adelsforschung vor allem auf Eheschließungen und die damit verbundenen Hochzeitsfeierlichkeiten konzentrierte. Über das Leben dieser Frauen, über ihren Alltag und ihr Handeln ist folglich kaum etwas bekannt, und so stellt das Buch von Katrin Keller einen wichtigen Beitrag zur Erforschung adligen Frauenlebens in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts dar.

Anhand von 190 Frauen, die von der Autorin in mühsamer Kleinstarbeit in Wiener und anderen Archiven identifiziert werden konnten, wird den Lesern vor Augen geführt, was es bedeutete, einer Kaiserin als Hofdame zu dienen. Dabei beleuchtet die Autorin die Herkunft der Damen und ihre Gründe für den Eintritt in den Hofdienst, die Möglichkeiten, welche sich ihnen und ihren Familien durch ihre Nähe zur Fürstin boten sowie gewöhnliche und außergewöhnliche Ereignisse, Alltag und Fest. Die zweite Hälfte des Buches enthält Abbildungen und Quellentexte, bei denen es sich teils um Archivalien, teils um Drucke des 17. und 18. Jahrhunderts handelt, sowie eine Sammlung von Kurzbiografien der Frauen. In ihrer knappen Einleitung stellt die Autorin allgemeine Überlegungen zu Herrschaftsrechten und Handlungsbefugnissen adliger Frauen an, und sie skizziert die Fragestellung ihrer Arbeit sowie die schwierige Quellenlage. Größtenteils unerwähnt bleiben die verfügbaren Forschungen zum Hofstaat des Kaisers sowie die zu den Höfen anderer europäischer Fürstinnen, obwohl diese im Laufe der Untersuchung durchaus zum Vergleich herangezogen werden. So ist etwa über die Haushalte französischer Königinnen und die Rolle von Frauen in den Familiennetzwerken des französischen Adels geforscht worden1; eine Skizzierung der Ergebnisse dieser Untersuchungen wäre aufschlussreich auch für die vorliegende Arbeit. Man wünschte sich zudem eine Kommentierung der herangezogenen Archivbestände und eine Erläuterung des Aufbaus der Studie. Offen lässt die Autorin etwa, warum der zentrale Begriff des Netzwerks erst am Schluss geklärt wird und warum das Kapitel über „Leben am Hof“ zwischen zwei Abschnitte über den Verlauf des Hofdienstes geschoben wurde. Das größte Manko besteht jedoch im Fehlen theoretischer Überlegungen zum Vorgehen. So wäre es interessant zu erfahren, welche anderen Studien den auch von Keller gewählten Ansatz verfolgen – nämlich aus vielen Einzeldaten zu verschiedenen Mitgliedern einer sozialen Gruppe ein Bild „des“ Mitgliedes schlechthin zu zeichnen.

Diese Nachteile werden durch die in den folgenden Kapiteln gewonnenen Erkenntnisse jedoch ausgeglichen. In einem ersten Schritt vergleicht Keller die Zusammensetzung der Hofstaaten männlicher Herrscher mit denen ihrer Mütter, Gemahlinnen und Töchter, wobei sie über die Grenzen des Habsburgerreichs hinausblickt. In einem zweiten Schritt wird der Fokus auf das ‚Frauenzimmer‘ des Wiener Hofs im 17. Jahrhundert gerichtet. Warum traten junge weibliche Angehörige des mittleren Adels in die Dienste der Kaiserin? Zum einen war der Hofdienst ein wichtiger Faktor für die Erziehung dieser Frauen, zum anderen bot ein Aufenthalt bei Hofe die Möglichkeit einer vorteilhaften Heirat. Schließlich muss das adlige Fräulein als Teil des Netzwerks ihrer Familie gesehen werden, denn sie stellte eine Verbindung zum Herrscherpaar dar und erhöhte durch ihre Anwesenheit bei Hofe das Ansehen und die Karrieremöglichkeiten ihrer Väter und Brüder.

Das dritte Kapitel fragt nach der Herkunft der Hofdamen und nach den Gründen, warum die Dienstzeit meist nach wenigen Jahren endete. Zwar verließen einige der Frauen den Hof wegen Krankheit oder weil sie in ein Kloster eintraten, doch der häufigste Grund war eine Eheschließung. Das vierte Kapitel ist dem alltäglichen und außeralltäglichen Leben der Hofdamen gewidmet. Die Fräulein hielten sich ständig in der Nähe der Kaiserin auf, begleiteten sie inner- und außerhalb der Hofburg, vor allem zu Gottesdiensten, aber auch auf Reisen. Freie Zeit gab es kaum, und wenn, so wurde sie mit Handarbeiten und Lesen, seltener mit Besuchen in die Stadt verbracht. Auch bei außergewöhnlichen Ereignissen hatte jede Dame ihren Platz, so dass selbst ein großes Fest die alltäglichen Regeln des Zeremoniells nicht außer Kraft setzte. Im abschließenden Kapitel wird gezeigt, dass ein Hofamt für seine Inhaberin wie für ihre Familie ein erhebliches Kapital darstellte, da die Hofdame ihre Angehörigen mit Informationen vom Hof versorgen und den Zugang von Brüdern und Ehegatten zum Kaiser fördern konnten. Das etwas enttäuschende Schlusswort bietet keine Synthese der Studie, sondern fasst lediglich die Ergebnisse der einzelnen Kapitel zusammen.

Abschließend soll auf zwei problematische Punkte dieser ansonsten überzeugenden Arbeit eingegangen werden. Der erste betrifft das Verhältnis von ‚Norm‘ und ‚Realität‘, wobei die Autorin den letzten Begriff relativ unreflektiert benutzt. Als wichtigste Quelle für die Rekonstruktion des Alltags der Hofdamen zieht Keller nämlich elf Instruktionen für Fräuleinhofmeisterinnen heran, aus denen sie die Norm des Alltags, das „Wie-es-sein-sollte“ erschließt, um dann in einem zweiten Schritt mit Hilfe der aus den Instruktionen herauszulesenden Normverstöße die „Realität“ des Lebens bei Hofe zu beschreiben. Nun ist die Idee von historischer ‚Realität‘ an sich schon zweifelhaft. Erst recht irreführend aber ist die Vorstellung, man könne aufgrund von lückenhaft überlieferten Texten, bei denen es sich letztlich auch wieder um Wahrnehmungen und Darstellungen handelt, eine historische Wirklichkeit rekonstruieren.

Der zweite Kritikpunkt betrifft die Beobachtung, dass die Autorin die Handlungsspielräume der Hofdamen, entgegen den Befunden ihrer Untersuchung, nicht ausreichend würdigt. So treffen die Leser im Laufe des Buches auf Frauen, die nicht nur bei Tisch über den Kopf ihrer Herrin hinweg schwatzten, zu spät zum Gottesdienst erschienen und sich beim Plaudern mit Kavalieren erwischen ließen, sondern die auch die Karrieren von Brüdern und Ehegatten förderten, mittels der Kaiserin auf den Kaiser einzuwirken suchten und alles daran setzten, für sich und ihre Familien den größtmöglichen Vorteil aus ihrem Hofdienst zu ziehen. Doch die Autorin tendiert dazu, diese eigenwilligen Handlungen zu relativieren: Die Damen hätten zwar über Machtpositionen, aber nur über reduzierte Handlungsmöglichkeiten und keinen direkten politischen Einfluss verfügt, und sie hätten im höfischen System auch nicht als Patroninnen, sondern lediglich als Maklerinnen fungiert (S. 182f., 196f.).

Diese Beobachtungen können die Bedeutung der Arbeit jedoch nur bedingt schmälern, welche vor allem darin liegt, die Damen des Wiener Hofes der weiteren Forschung zugänglich gemacht und ihr Leben und ihren Alltag akribisch nachgezeichnet zu haben – in einem Stil, der die Lektüre zu einem Genuss macht.

Anmerkung:
1 Chapman, Sara, Patronage as Family Economy. The Role of Women in the Patron-Client Network of the Phélypeaux de Pontchartrain Family, 1670-1715, in: French Historical Studies 24 (2001), S. 11-35; Kleinman, Ruth, Social Dynamics at the French Court. The Household of Anne of Austria, in: French Historical Studies 16 (1990), S. 517-535.

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