Titel
Paris und Rom. Die staatlich gelenkten Kunstbeziehungen unter Ludwig XIV.


Autor(en)
Erben, Dietrich
Erschienen
Berlin 2004: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
409 S.
Preis
€ 69,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sven Externbrink, Fachbereich Geschichte und Kulturwissenschaften, Fachgruppe Neuere Geschichte, Philipps-Universität Marburg

Die vorliegende Studie, Erbens Züricher Habilitationsschrift, bietet mehr als nur eine Darstellung und Analyse der Kunstpolitik und -produktion im Zeitalter Ludwigs XIV. Untersucht wird vielmehr die enge Beziehung der staatlich gelenkten Kunst Frankreichs zu Italien. Vor allem in Rom fand die Kunstadministration des Sonnenkönigs die Vorbilder, an denen sich Projekte zu einer angemessenen Repräsentation der französischen Monarchie orientieren konnten bzw. die es zu übertreffen galt. Denn in Rom befand sich ja nicht nur der Sitz der katholischen Christenheit, sondern hier lebte auch die Erinnerung an die römische Antike, an das Imperium Romanum fort. Rom verkörpert gleichsam, so Erben, das Ziel der "französischen Kulturpolitik": die "Ablösung der politischen und geistlichen Titel, die Rom zu vergeben hatte, [...] und der Erwerb des Status einer Universalmonarchie" (S. VIIIf.). Die Umsetzung des Programms einer Rekonstruktion der engen Kunstbeziehungen Frankreichs zu Rom in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts versteht Erben als Entwurf einer "europäischen Perspektive der Kunstgeschichte", die sich der Theorie des Kulturkontaktes und der Kulturtransferforschung verpflichtet fühlt. Auf eine umfassende Darstellung des Komplexes französisch-römischer Kunstbeziehungen verzichtet der Autor zu Recht, da dies den Rahmen der Monografie weit gesprengt haben würde. So konzentriert er sich - entsprechend der oben skizzierten Thematik - vor allem auf den französischen Akteur.

Gegliedert ist die Studie in fünf Kapitel. Mit einem historischen Abriss der französisch-italienischen Kunstbeziehungen seit Karl VIII. (1483-1498) beginnt Erben. Frankreich öffnete sich in dieser Zeit der Kunst der italienischen Renaissance. Zahlreiche Künstler zogen von der Apenninenhalbinsel über die Alpen und traten in französische Dienste. Den Höhepunkt der Kunstbeziehungen im Zeitalter der Italienkriege markiert die Regierung Franz I., dessen Kunstpatronage zum Vorbild des Sonnenkönigs werden sollte (S. 42ff.). Aber auch nach der Vertreibung der Franzosen aus Italien blieben sowohl die französisch-italienischen Kunstbeziehungen wie auch die allgemeinen Beziehungen der beiden Länder intensiv, erinnert sei nur an die Ehe Heinrichs II. mit Katharina und Heinrichs IV. mit Maria von Medici. Einen Höhepunkt erreichten sie in jeder Hinsicht während des Ministeriats des Kardinals Mazarin, der seine vielfältigen Kontakte nach Italien zum Aufbau einer beeindruckenden Sammlung nutzte. Mit einem Blick auf die Kunstadministration der Monarchie um 1661 - Surintendance des bâtiments, Kunstakademie und Petit Conseil - schließt das Kapitel. An diese informative Einführung schließen sich die eigentlichen Untersuchungen an: Berninis Aufenthalt in Paris und die Konzeption der Fassade des Louvre (II.); die Gründung der Académie française in Rom als Ausbildungsstätte für französische Hofkünstler (III.); die Präsenz Frankreichs in Rom, d.i. die Repräsentation der Monarchie und ihres Selbstverständnisses in der Heiligen Stadt (IV.); und schließlich (V.) die Deutung der Architektur des Invalidendoms als Sinnbild französischer Herrschaftsansprüche, als "Monument des christlichen Universalanspruchs [Frankreichs] gegenüber dem Papsttum".

Als kunsthistorischem Dilettanten im Sinne Stendhals fehlen dem Rezensenten die Spezialkenntnisse zu einem Urteil über die Deutungen der einzelnen Kunstwerke. Lesenswert und instruktiv sind diese Abschnitte aber gerade für den Historiker, weil Erben die Interpretation der Kunstwerke immer eng an den spezifischen Kontext bindet. Hierbei ist besonders eine Quellengruppe zu erwähnen, auf die sich die Studie stützt, nämlich die diplomatischen Korrespondenzen der französischen Vertreter an der Kurie. Deren Verwendung belegt einmal mehr die Reichhaltigkeit dieser Quellen gerade für das 16. und 17. Jahrhundert. Darüber hinaus ist allein der Umfang der französischen diplomatischen Korrespondenz aus Rom Indiz für die Bedeutung Italiens für Frankreich im 17. Jahrhundert.

Als besonders beeindruckend bleibt das Schlusskapitel über den Invalidendom dem Rezensenten in Erinnerung, nicht zuletzt, weil hier eine kühne These aufgestellt wird: Der Invalidendom sei als Gegenentwurf zum Petersdom mit gleichen Funktionen konzipiert - "Hauptkirche der Monarchie, Reliquienkirche des Patrons und Grabeskirche der Dynastie des Stifters" (S. 354). Gegen diese Deutung sind bereits Einwände formuliert worden 1, wobei auf die entscheidende Rolle von Louvois, des Staatssekretärs für das Kriegswesens und Nachfolger Colberts als surintendant des bâtiments, hingewiesen wurde. Louvois blieb die Ausführung des Baus weitgehend überlassen, der König hatte nur wenig Anteil an der Planung. Aber gerade die Federführung des Projektes durch Louvois unterstützt die These Erbens. Der nach dem Tode Colberts beinahe zum premier ministre aufgestiegene Louvois steht für eine die tatsächliche Situation des Königsreiches verkennende Zuspitzung französischer Herrschaftsansprüche. Es erscheint durchaus möglich, dass der Kriegsminister im Invalidendom das von Erben beschriebene "Denkmal universalistischer Geltungsansprüche" (S. 342) sah. Dies würde gut zur Persönlichkeit von Louvois passen, der - so Ezechiel Spanheim - dazu neigte Frankreichs Ressourcen zu überschätzen, und gleichzeitig alles daran setzte, "de conserver à son Roi l’autorité d’arbitre des affaires de l’Europe".2

Diese Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit hebt Erben, obwohl sie ihm nicht verborgen bleibt, nicht deutlich genug hervor. Präzisierend bleibt auch auf die Tatsache hinzuweisen, dass eine Universalmonarchie von Ludwig XIV. nie angestrebt wurde, was ihm von seinen Gegnern vorgeworfen wurde. Gleichwohl trug jedoch der von Spanheim Louvois zugeschriebene Anspruch, "arbitre des affaires de l’Europe" zu sein, universalistische Züge. Damit verbunden war ein unverhohlener Hegemonialanspruch. Diese Darlegung der Ziele französischer Außenpolitik kommt in Erbens Studie ein wenig zu kurz.

Aber diese Diskussion seiner Thesen verdeutlicht, dass das Buch nicht nur für den Kunsthistoriker von Interesse ist, sondern auch von allen über den Sonnenkönig arbeitenden Historikern mit Gewinn herangezogen werden kann. Darüber hinaus bietet es eine gelungene Verwirklichung bzw. exemplarische Umsetzung interdisziplinärer Arbeit.

Anmerkungen:
1 Rezension von Hendrik Ziegler, in: sehepunkte 5 (2005), Nr. 4 [15.04.2005], URL: http://www.sehepunkte.historicum.net/2005/04/5473.html.
2 Spanheim, Ezéchiel, Relation de la cour de France, hg. v. Michel Ricard (Le Temps retrouvé 26), Paris 1973, S. 162.

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