M. Taylor: Ernest Jones, Chartism, and the Romance of Politics

Titel
Ernest Jones, Chartism, and the Romance of Politics 1819-1869.


Autor(en)
Taylor, Miles
Erschienen
Anzahl Seiten
278 S.
Preis
£52.50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Roland Ludwig, Maintal

Mit Taylors Buch liegt die erste wirklich ernstzunehmende vollständige Biografie eines der großen Führer der Chartisten, der nach der in weiten Kreisen als unzureichend empfundenen Parlamentsreform von 1832 entstandenen Bewegung für ein allgemeines (Männer-)Wahlrecht, vor.

Jones war erst 1846 und damit nahezu in der Endphase zum Chartismus gestoßen. Nichtsdestotrotz wurde er rasch zu einer, wenn nicht zu der zentralen Figur der letzten Jahre des Chartismus. Seine Konversion zum Chartismus war wohl das Ergebnis von einem an Byron orientierten Romantizismus, gescheiterten literarischen Ambitionen und dem Auseinanderfallen der Hoffnung auf einen Lebensstil der gehobenen Klasse.

Jones wurde am 25. Januar 1819 in Berlin geboren und starb einen Tag nach seinem 50. Geburtstag am 26. Januar 1869 in Manchester. Seine Familie gehörte zur gehobenen Mittelklasse, hatte aber über einen längeren Zeitraum schwerwiegende finanzielle Probleme. Taylor arbeitet die frühe lutheranische Prägung des jungen Ernest, der erst 1838 nach England ging, in Norddeutschland heraus. In England begann er eine Ausbildung zum Rechtsanwalt, die er sechs Jahre später als „Barrister“ abschloss.

Verbindungen in die Aristokratie und sogar zum Königshaus existierten in dieser Zeit. Jones’ bereits in jungen Jahren vorhandenen schriftstellerischen Ambitionen führten ihn zur Dichtung, zum Drama und waren von einer romantischen Weltsicht geprägt. Sein erster Roman The Wood Spirit, stark von deutscher patriotischer Dichtung beeinflusst, erschien 1841, der in Versen verfasste und autobiografisch unterlegte Roman My Life 1845. Sein juristisches Studium blieb in beruflicher Hinsicht zunächst folgenlos, Geld wurde – außer durch eine kurze Anstellung – mit Werken der Dichtung (in unzureichendem Maße) verdient – bis zum finanziellen Ruin in der Mitte der 1840er-Jahre. Jones Zuwendung zur Arbeiterbewegung schildert Taylor als Suche nach einem neuen Publikum nach einer tiefen persönlichen Krise in der Mitte der 1840er-Jahre (Tod des Vaters 1843, der Mutter 1845, finanzielle und schriftstellerische Misere) – Taylor nennt diesen Aufbruch: „a kind of social missionary“ (S. 75).

Dem stark proletarisch geprägten Chartismus wandte Jones sich 1846 zu; dort gehörte er zum Physical Force-Flügel. Jones war ein guter Redner, Organisator und Schriftsteller der Massenwahlrechtsbewegung. Seine Chartist Poems (Oktober 1846) verkauften sich in mehreren Auflagen sehr gut. Taylor interpretiert Jones’ literarischen Beitrag zum Chartismus nicht als proto-sozialistisch, sondern als religiös und melodramatisch-historisch (“gothic“) geprägt. Feargus O’ Connor engagierte Jones für die bedeutende Chartistenzeitung Northern Star, und Jones fungierte auch als Mitherausgeber des Monatsjournals The Labourer.

Jones’ Engagement für die Sache des Chartismus brachten ihm eine unter extrem harten Bedingungen vollzogene Gefängnisstrafe (z.T. in Einzelhaft, mit Schreibverhinderung und mit Folgen für Jones’ Gesundheit) von zwei Jahren ein. Taylors Darstellung dieser Zeit ist ohne Wärme und sehr distanziert.

Die Jahre nach Jones’ Entlassung aus dem Gefängnis (1850-59) wurde von journalistisch-publizistischen Aktivitäten geprägt. Jones gehörte wieder der National Charter Association an und gab mehrere Publikationen heraus; besonders die mehrjährige Arbeit an der radikalen Zeitung The People’s Paper war von Bedeutung. In der Mitte der 1850er-Jahre waren Chartismus und Ernest Jones quasi synonym. In den frühen 1860er-Jahren betätigte sich Jones als Rechtsanwalt in Manchester. Er war in Hunderten von Fällen aktiv, verteidigte Fenier, militante irische Nationalisten, wegen des Versuchs einer gewaltsamen Gefangenenbefreiung, setzte sich für Yorkshire-Bergarbeiter ein, engagierte sich aber ebenso in „gewöhnlichen“ Strafverfahren. In den letzten Jahren seines Lebens wurde Jones im liberalen Teil des politischen Spektrums um John Bright aktiv und beteiligte sich an der Kampagne für eine Parlamentsreform seit 1866; im Januar 1869, kurz vor seinem Tod, gewann er für Manchester einen Sitz im Parlament.

Taylor stellt auch für diesen Zeitraum den heroischen und romantischen Stil von Jones’ Einsatz in der Wahlrechtsfrage heraus. Insgesamt erhält Jones’ Engagement – ob für den Chartismus oder für die Reformbewegung der 1860er-Jahre – einen leicht anrüchigen Charakter, so als habe Jones nur aus finanziellen Gründen seinen Lebensweg gewählt. Taylor misstraut Jones’ ideeller Ausrichtung, hinter der er suspekte materielle Motive vermutet.

Das soziale und ökonomische Programm Jones’ gipfelte in den 1850er-Jahren in der Forderung nach einer Landreform. Taylor schreibt (S. 254): „His [Jones’] fame did not come from his familiarity with Marxist socialism at home and abroad, as twentieth-century assessments of his life have often claimed.” Stattdessen zeigt Taylor in seinem Buch mehrfach die rückwärtsgewandten Aspekte im politischen Denken von Jones, dessen Ideal einer christlichen Republik kleiner Landeigentümer an den Bedürfnissen des industriellen und städtischen Großbritannien vorbeiging. Jones trat für eine Nationalisierung des Bodens und für ein Genossenschaftswesen ein. Das Agrarland war für ihn das grundlegende Kapital.

Jones wurde in den 1840er-Jahren von der literarischen Romantik und von der demokratischen Protestbewegung beeinflusst/inspiriert. Die Zwiespältigkeit der sozialen Situation und der intellektuellen Prägungen Jones’ sind keine neue Erkenntnis, u.a. weist Dorothy Thompson in ihrem Buch The Chartists (New York 1984) darauf hin. Taylor behandelt breit die schriftstellerische Arbeit von Jones, seine Romane und Gedichte, seine romantischen Tendenzen; eine ähnlich breite Behandlung hätte man sich für seine politisch-strategische Gedankenwelt gewünscht.

Taylor charakterisiert Jones als Englands bedeutendsten romantischen Populisten des 19. Jahrhunderts (S. VI) und als Vertreter eines apostolischen Sozialismus (S. 136). Dabei zeigt Taylor wenig Verständnis für die Widersprüchlichkeit der Persönlichkeit Jones’, eines „gescheiterten“ Dichters und „verhinderten“ Juristen, der unter die Politiker fiel, noch weniger für seinen blumigen Stil und seine eitlen, aristokratischen Phantasien, die Jones mühelos mit demokratischer Politik verband.

Die Verbindung zu Marx taucht nur am Rande auf: Taylor untersucht sie nicht; dieser Verbindung fehlt somit jegliche Tiefenschärfe. Taylor ordnet Jones stattdessen in eine lange Reihe von „gentlemanly radicals“ Großbritanniens ein. Auch für einen romantisch beeinflussten Politikstil findet Taylor neben Jones weitere Beispiele: Gladstone, Disraeli, John Ruskin, William Morris.

Taylors manchmal ironische Behandlung, oft aber auch harsche Beurteilung der Motive von Jones’ Verhalten und Positionen ist nicht gerecht, wirkt mitunter distanziert und lässt Mitgefühl für Jones’ Lebensweg vermissen. Es ist nicht so, dass der Biograf schlecht gearbeitet hat. Nein, Taylors Biografie gehört zu den guten historischen Büchern – gut recherchiert und gut geschrieben. Die literarische Betätigung Jones’ wird breit dargestellt und dokumentiert. Es ist eine Biografie, die nach dem Grundsatz geschrieben ist: „Glaube nicht den Lebenslügen des Porträtierten.“ Aber etwas mehr menschliche Wärme hätte dieser kühlen, distanzierten Lebensschilderung auch unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten keinen Abbruch getan. Außerdem: Der von Taylor im Nachwort aufgestellten Behauptung, dass Jones ein Lügner, Betrüger, Antisemit (zu bedenken ist, dass der Antisemitismus ein gängiges Stereotyp dieser und nicht nur dieser Zeit war), ein rassistischer Frömmler, ein abwesender Vater und pflichtvergessener Ehemann gewesen ist, fehlen weitgehend die Belege im Text des Buches.

Am Rande: Es gibt keinen Grund, Ludwig Uhland durchgängig mit Umlaut zu schreiben – einmal Ühland ist bereits zuviel.

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