M. Brosius: Ancient Archives and Archival Traditions

Cover
Titel
Ancient Archives and Archival Traditions. Concepts of Record-Keeping in the Ancient World


Herausgeber
Brosius, Maria
Erschienen
Anzahl Seiten
XX, 362 S.
Preis
£55.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Sommer, School of Archaeology, Classics and Egyptology, University of Liverpool

Die globalisierte Moderne definiert sich selbst als Wissensgesellschaft 1, und entsprechend haben Medien und Mechanismen der Wissensbewahrung und -speicherung auch als Forschungsfelder Konjunktur. Der Trend hat seit geraumer Zeit auch die Altertumswissenschaften erreicht, die - wenigstens in ihrer orientalistischen Spezialisierung - sogar eine regelrechte Pionierrolle eingenommen haben.2 Maria Brosius von der University of Newcastle hat nun unlängst die Publikation eines bereits 1998 in Oxford veranstalteten Kolloquiums über Archive und Archivtraditionen im Altertum vorgelegt. Chronologisch reichen die Beiträge von der Frühbronzezeit bis in die römische Kaiserzeit, räumlich liegt der Schwerpunkt im Bereich des östlichen Mittelmeers, der Levante und Mesopotamiens, ergänzt um einen Beitrag der Herausgeberin zu Persepolis.

Trotz des vergleichsweise engen geografischen Ausschnitts ist das Spektrum der darin enthaltenen Archivtraditionen beachtlich: Behandelt werden so unterschiedliche Gesellschaften wie das frühbronzezeitliche (Piotr Steinkeller), chaldäische (Heather D. Baker) bzw. hellenistische und arsakidische (Joachim Oelsner, Antonio Invernizzi) Babylonien, Ebla (Alfonso Archi), Assyrien in seinen verschiedenen Machtentfaltungen (Klaas Veenhof, John N. Postgate, Mario Fales), das minoische Kreta (Alexander Uchitel), das mykenische Griechenland (Thomas Palaima), Persien (Maria Brosius), Griechenland (John Davies) und schließlich das römische Ägypten (Willy Clarysse).

Entsprechend den Vorgaben der Herausgeberin haben sich die Verfasser einer Reihe unterschiedlicher Aspekte und Fragestellungen angenommen, eher technischen (physische Gestalt der Dokumente und Verhältnis zwischen Form und Inhalt, Aufbewahrungs- und Archivierungstechniken) bzw. sprachlichen (Textformulare) und im engeren Sinn historischen. Besonderes Interesse verdient in diesem Zusammenhang die Herausbildung von Archivtraditionen der longue durée bzw. Übernahmen von einer Gesellschaft zur anderen: so die lange Kontinuitätslinie, die sich von sumerischen Archiven bis zum Neuassyrischen Reich spannt, oder die Übernahme des elamitischen Systems durch die Perser und schließlich des neubabylonischen durch die Seleukiden. Hieran lässt sich ablesen, wie Traditionen der Wissensbewahrung auch markante politische Zäsuren überdauern konnten, wie etwa im Babylonien der Seleukidenzeit, wo Keilschriftarchive ihre Bedeutung behaupten konnten.3 Umgekehrt besteht bekanntlich eine enge Wechselbeziehung zwischen sozialen und politischen Prozessen einerseits und der Schriftkultur andererseits:4 Gewandelte Bedürfnisse und Rechtswirklichkeiten veränderten mit der Zeit auch Beurkundungs- und Archivierungspraktiken.5

Derlei Zusammenhänge erhellen, für diverse historische und geografische Horizonte, die einzelnen Beiträge des Bandes sehr schön. Bei alledem kommt allerdings die "klassische" Antike mit gerade zwei Beiträgen ein wenig zu kurz; wenigstens über Archive in Italien, aber auch etwa im römischen Vorderasien, hätte man sich mehr gewünscht. Auch hätte insgesamt die Abgrenzung des Archivs von anderen Institutionen der Wissensbewahrung (namentlich Bibliotheken) deutlicher erfolgen können. Die milde Kritik im Detail schmälert nicht das Verdienst des Bandes, ein schwieriges Forschungsfeld systematisch erschlossen und zugleich mit weiterführenden Gedanken bereichert zu haben.

Anmerkungen:
1 Demnächst zusammenfassend Bittlingmeyer, Uwe H.; Bauer, Ullrich (Hgg.), Die Wissensgesellschaft. Mythos oder Realität?, Wiesbaden 2006; jüngst auch die Beiträge in Moldaschl, Manfred; Stehr, Niko (Hg.), Knowledge Economy. Beiträge zur Ökonomie der Wissensgesellschaft, Marburg 2005; Kübler, Hans-Dieter, Mythos Wissensgesellschaft. Gesellschaftlicher Wandel zwischen Information, Medien und Wissen. Eine Einführung, Wiesbaden 2005; Leyesdorff, Loet, A Sociological Theory of Communication, Parkland 2003.
2 Vor allem mit der 30. Rencentre Assyriologique Internationale (Leiden 1983): Veenhof, Klaas R. (Hg.), Cuneiform Archives and Libraries, Leiden 1986; vgl. auch Ferioli, Piera u.a. (Hgg.), Archives Before Writing, Torino 1994; Pedersén, Olof, Archives and Libraries in the Ancient Niear East 1500-500 B.C., Bethesda 1998.
3 Vgl. u.. Funck, Bernhard, Uruk zur Seleukidenzeit. Eine Untersuchung zu den spätbabylonischen Pfründentexten als Quelle für die Erforschung der sozialökonomischen Entwicklung der hellenistischen Stadt, Berlin 1984; Oelsner, Joachim, Materialien zur babylonischen Gesellschaft und Kultur in hellenistischer Zeit, Budapest 1986; van der Spek, Robartus J., The Babylonian City, in: Kuhrt, Amélie; Sherwin-White, Susan (Hgg.), Hellenism in the East. The Interaction of Greek and Non-Greek Civilizations from Syria to Central Asia after Alexander, Berkeley 1987, S. 32-56; Sommer, Michael, Babylonien im Seleukidenreich. Indirekte Herrschaft und indigene Bevölkerung, in: Klio 82 (2000), S. 73-90.
4 Vgl. Goody, Jack, Introduction, in: Ders. (Hg.), Literacy in Traditional Societies, Cambridge 1968, S. 1-26.
5 Wie sich insbesondere an den Privatarchiven vom mittleren Euphrat aus der römischen Kaiserzeit erkennen lässt. Vgl. u.a. Gnoli, Tommaso, Roma, Edessa e Palmira nel III sec. d. C. Problemi istituzionali. Uno studio sui Papiri dell'Eufrate, Pisa 2000; Sommer, Michael, Roms orientalische Steppengrenze. Palmyra - Edessa - Dura-Europos - Hatra. Eine Kulturgeschichte von Pompeius bis Diocletian, Stuttgart 2005, S. 256-269; vgl. aber auch etwa Cotton, Hannah M., The Archive of Salome Komaise, Daughter of Levi. Antoher Archive from the 'Cave of Letters', in: Zeitschrift für Papyrologie und Epigraphik 55 (1991), S. 171-208.

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