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Titel
Wegbereiter der Shoa. Die Waffen-SS, der Kommandostab Reichsführer-SS und die Judenvernichtung 1939-1945


Autor(en)
Cüppers, Martin
Erschienen
Anzahl Seiten
464 S., 13 s/w Abb.
Preis
€ 59,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sebastian Weitkamp, Institut für Geschichte, Universität Osnabrück

Für den Schriftsteller Paul Carrell existierte in seinen Darstellungen des deutschen Ostfeldzuges 1941/42 die Waffen-SS nur als militärische Eliteformation, die in enger Kameradschaft zur Wehrmacht gegen die Rote Armee kämpfte. In seinen romanhaften und mitunter „romantischen“ Schilderungen über den Krieg in der Sowjetunion verliert er kein Wort über den brutalen Vernichtungskrieg in den besetzten Gebieten, der von der deutschen Führung, der politischen wie militärischen, geplant und von den Einheiten der Wehrmacht, der Ordnungs- wie Sicherheitspolizei und der Waffen-SS durchgeführt wurde. Bei Paul Carrell handelt es sich um den ehemaligen Chef der Presseabteilung des Auswärtigen Amtes, der mit bürgerlichem Namen Paul Karl Schmidt hieß. Der 1931 der NSDAP beigetretene, ehemalige SS-Obersturmbannführer hatte als Militärschriftsteller mit hohen Auflagen keinen geringen Anteil am Bild des Zweiten Krieges in der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Und zu diesem klitterhaften Bild gehört die These, dass es sich bei den Soldaten der Waffen-SS um „Soldaten wie andere auch“ gehandelt habe, wie es ebenfalls der ehemalige SS-Oberstgruppenführer Paul Hausser nach dem Krieg zu kolportieren versuchte.

Nun legt der Historiker Martin Cüppers eine überarbeitete Fassung seiner 2004 an der Universität Stuttgart angenommenen Dissertation vor, die als vierter Band in der von Klaus-Michael Mallmann herausgegebenen Reihe „Veröffentlichungen der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart“ erschienen ist. Cüppers hat es sich dabei zur Aufgabe gemacht, den Mythos zu widerlegen, die Waffen-SS sei als militärischer Verband nicht näher in die „Endlösung der Judenfrage“ verstrickt. Ob dieser konstatierte Mythos heute tatsächlich noch breit existiert, mag fraglich erscheinen, wenn man von revisionistischen Kreisen und ehemaligen SS-Veteranen absieht. Nichtsdestotrotz sind kritische Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet rar, so dass die vorliegende Studie eine wichtige Lücke schließt.

Wie schon der dreiteilige Untertitel suggeriert, hat sich der Band große Ziele gesetzt. Cüppers möchte nicht nur die Struktur und den Einsatz der Truppen des Kommandostabes Reichsführer-SS an der Ostfront 1941 nachvollziehen, sondern darüber hinaus diese Verbände bis 1945 untersuchen und durch eine Darstellung der Waffen-SS als Besatzungsinstrument in Polen in den Jahren 1939-41 zu einer Gesamteinordnung der Waffen-SS in den Kontext der Judenvernichtung 1939-1945 kommen.

Um diesem Ziel näher zu kommen, gliedert sich die Arbeit in fünf, chronologisch geordnete Teile. Im ersten Teil schildert Cüppers die Vorgeschichte der bewaffneten SS und deren Einsatz beim Überfall auf Polen 1939 und der folgenden Besatzungszeit. Das „Versuchsfeld Polen“ und nicht der Überfall auf die UdSSR zwei Jahre später bildet für ihn den eigentlichen Auftakt zur radikalisierten Vernichtungspolitik. Im Vorfeld des „Unternehmen Barbarossa“ wurde der „Kommandostab Reichsführer-SS“ gegründet, dem schließlich Infanteriebrigaden und Reiterregimenter mit 18.500 Soldaten zur Verfügung standen. Diese setzten sich hauptsächlich aus SS-Totenkopfstandarten zusammen, sprich der Konzentrationslager-SS. Nicht wenige Einheiten des Kommandostabes waren zuvor in Polen stationiert, wo sie sich schon an Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung beteiligt hatten.

Im zweiten Teil erstellt Cüppers ein Sozialprofil für einen Teil der Truppe, welches sich unter anderem nach Alter, zivilen Berufsgruppen, NSDAP-Mitgliedschaft und Freiwilligkeit des Eintritts in die Waffen-SS gliedert. Auffällig ist eine überproportional hohe Rate der Mitgliedschaft in NSDAP und Allgemeiner SS. Unter anderem deshalb kommt Cüppers zu dem Schluss, dass es sich nicht um „normale Deutsche“ handelte, sondern um „einen radikalen, nationalsozialistisch orientierten Teil der deutschen Gesellschaft“ (S. 353). Die antisemitische Disposition vieler Angehöriger der Waffen-SS fungierte dabei als Triebfeder. Infolgedessen wird die ideologische Bereitschaft zum Massenmord höher bewertet als mögliche ökonomische Zwänge, wie dies unlängst etwa Götz Aly getan hat. Mit der innovativen Betrachtung des „Innenlebens“ einer SS-Brigade in Kombination mit der Untersuchung der weltanschaulichen Ausbildung der Waffen-SS ist der zweite Teil vielleicht der interessantes des Bandes.

Im Zentrum des dritten Teils steht der Einsatz des Kommandostabes an der Ostfront im Jahr 1941. Bei der Darstellung kann Cüppers auf die im Zentralen Militärarchiv in Prag lagernden Unterlagen für die Jahre 1941/42 Jahre zurückgreifen, die den Krieg vollständig überdauert haben. Die Einheiten des Kommandostabes wurden seitens der Wehrmacht als Sicherungskräfte ohne belegbaren Widerstand akzeptiert. In den ersten Monaten des Ostkrieges töteten nur die Reiterbrigaden zehntausende Juden in den besetzten Gebieten in Abstimmung mit den Höheren SS- und Polizeiführern und unter den Augen der Wehrmacht. Die SS-Reiter waren, so streicht Cüppers heraus, die ersten Verbände, die in der UdSSR zur Massenvernichtung übergegangen waren.

Die folgenden Jahre werden im vierten Teil untersucht. In den Jahren 1942-44 wurde der Kommandostab bei der längerfristigen Sicherung der besetzten Gebiete insbesondere gegen die Partisanenbewegung eingesetzt, bei dessen wirksamer Bekämpfung die SS allerdings scheiterte. Die Bedeutung des Kommandostabes für den Mord an den Juden ging in dieser Phase zurück, aber der blutige Kleinkrieg blieb Camouflage für das weitere Vorgehen gegen die jüdische Bevölkerung. Ersatzeinheiten des Stabes waren daneben an der „Aktion Reinhard“ beteiligt, der Vernichtung des polnischen Judentums. Einschneidendes Ereignis des Jahres 1943 bildete der jüdische Aufstand im Warschauer Ghetto, wo ebenfalls Teile der Waffen-SS zur Niederschlagung eingesetzt wurden.

Sehr zum Gewinn der Arbeit nimmt Cüppers im fünften Teil auch die Nachkriegszeit in den Blick und schildert die Folgekarrieren einiger SS-Männer nach 1945, die sich unauffällig ins Nachkriegsdeutschland eingliederten. Dabei wird auch auf die justitielle (Nicht-)Strafverfolgung eingegangen, bei der nur acht Angeklagte wegen der Verbrechen zu Haftstrafen verurteilt wurden. Die Aussagen der ehemaligen SS-Männer in den umfangreich ausgewerteten Beständen der Ludwigsburger Zentralstelle ermöglichen es, sowohl die Taten vor 1945 als auch die Zeit danach zu dokumentieren. Neben den zeitgenössischen papierenen Hinterlassenschaften der Täter bilden die Ermittlungsakten der Justiz die zweite wichtige Quellengrundlage.

Für ein großes Manko ist das Lektorat verantwortlich. Der informative, 78 Seiten umfassende Anmerkungsapparat mit mehreren hundert Einträgen wird dem Leser als unhandliches Endnotenverzeichnis angeboten, was die Lesefreundlichkeit stark schmälert. Aber ein Orts- und Personenregister sowie Fotos und Karten vermitteln eine gute Übersicht. Insgesamt handelt es sich um eine äußerst lesenswerte und lesbare Studie.

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