M. Meumann u.a. (Hgg.), Herrschaft in der Frühen Neuzeit

Cover
Titel
Herrschaft in der Frühen Neuzeit. Umrisse eines dynamisch-kommunikativen Prozesses


Herausgeber
Meumann, Markus; Pröve, Ralf
Reihe
Herrschaft und soziale Systeme in de Frühen Neuzeit 2
Erschienen
Münster 2004: LIT Verlag
Anzahl Seiten
251 S.
Preis
€ 25,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frank Göse, Historisches Institut, Universität Potsdam

Staat und Staatsbildung, obwohl als Themen der historischen Forschung mitunter als zu konventionell oder gar überholt abgeschrieben, üben immer noch eine nahezu ungebrochene Faszination auf die Geschichtswissenschaft aus. Dies ist u. a. darauf zurückzuführen, dass sie mit einem anderen Schlüsselbegriff, dem der Herrschaft, in eine nahezu untrennbare Verbindung gebracht wurden und werden. So plausibel diese Beziehung zunächst klingen mochte (und mag), sind dennoch vermehrt Zweifel aufgetreten, ob Herrschaftsbeziehungen hinreichend nur mit einer „an Staatlichkeit orientierten Begrifflichkeit“ beschrieben werden können, in der der Staat gewissermaßen „als universale Leitkategorie“ (S. 19) fungiert.

Die Herausgeber des hier zu besprechenden Buches bemühen sich in ihrer instruktiven, umfassenden Einleitung, den ganzen Facettenreichtum dieser spannungsreichen Beziehung vorzustellen. Markus Meumann und Ralf Pröve setzen sich zunächst mit Absolutismus, Sozialdisziplinierung und Konfessionalisierung und damit solchen Begriffen auseinander, die die traditionellen etatistischen Interpretationsmodelle stützten, um sich im Anschluss mit der Stände-, Aufstands- und Widerstandsforschung einem konträren Konzept zuzuwenden. Doch auch dieses erscheint bei genauerem Hinsehen letztlich mit seinem Widerspruch gegen Begriffe wie „Regulierungsdruck“ oder „Verrechtlichungstendenzen“ auf den Bezugspunkt „Staat“ gerichtet. Aus der kompetenten Beschreibung der Verästelungen der Forschung leiten die Herausgeber die Konzeption des vorliegenden Bandes ab. Herrschaft wird hier nicht auf eine bipolare Erscheinung beschränkt, sondern in ein multipolares Begriffssystem eingeordnet. Die Beiträge zu Widerstand und Vollzugsdefizit werden hier nicht – wie oft praktiziert – als Ausnahme, sondern als Teil des Alltags von „Herrschaftspraxis“ beschrieben.

Die folgenden acht Beiträge versuchen sich aus sehr verschiedenen strukturellen und regionalen Blickwinkeln – und dies ist zweifellos ein Verdienst des Bandes – der zugrunde liegenden Fragestellung anzunähern. Frank Kleinhagenbrock wendet sich mit seinem Untersuchungsgebiet (Grafschaft Hohenlohe) einer Konstellation zwischen Obrigkeit und Untertanen zu, die nach älterem Interpretationsmuster allenfalls als Sonderfall interpretiert worden wäre. Die hier herangezogenen Quellen, die im Zusammenhang einer 1609 erfolgten Umwandlung von Untertanendiensten in Dienstgeld entstanden, lassen sich als „Ergebnis eines kommunikativen Prozesses zwischen Herrschaft und Untertanen“ (S. 60) erklären und bilden für den Autor die Veranlassung nach Kontinuitäten dieses „Einvernehmens von Herrschaft und Untertanen“ zu fragen. Methodisch sinnvoll erschien in diesem Zusammenhang auch der vergleichende Blick auf benachbarte Territorien, der die besondere Qualität des Verrechtlichungsprozesses bei den hohenlohischen Untertanen verdeutlicht.

Reingard Esser wählt in ihrem Beitrag eine kulturgeschichtliche Perspektive, die nach der Bedeutung von „Sprache als Herrschaftsmittel“ fragt. Das Beispiel der hessen-kasselschen Stände bestätigt im Großen und Ganzen die auch schon für einige andere Territorien nachgewiesenen Muster ständepolitischer Partizipationsbemühungen, insbesondere den Wandel von der konfessionellen Polemik hin zu juristischen Argumentation.

Ursula Löffler untersucht mit der dörflichen Amtsträgerschaft im Herzogtum Magdeburg eine Personengruppe im Herrschaftsgefüge zwischen Gemeinde und Obrigkeit, der gleichsam eine Scharnier- bzw. Mittlerstellung zukam. Es hätte nicht unbedingt des etwas isoliert dastehenden Ausfluges in die „Theorie der Strukturierung“ von Anthony Giddens bedurft; letztlich bestätigen die von der Autorin ausgewerteten Quellen wieder einmal die Mängel des traditionellen Herrschaftskonzeptes. Dörfliche Amtsträger „waren selbst Objekte der Herrschaft“ (S. 118), und die Dorfgemeinde verfügte über eigene Handlungsoptionen.

Als innovativ erweist sich der Ansatz von Thomas Fuchs, der zwar auch wieder die lokale Amtsträgerschaft eines Territorialstaates (Hessen-Kassel) in den Fokus nimmt, sich aber vor allem für die Wahrnehmung der Herrschaftspraxis interessiert. Der Beitrag geht damit explizit über das schlichte Aufzeigen von Vollzugsdefiziten des frühneuzeitlichen Staates hinaus, über die nun wahrlich Konsens in der Forschung bestehen dürfte. Der Autor kommt am Ende seiner Ausführungen zu dem Fazit: Herrschaftsdurchdringung erwies sich stets in mehrfacher Hinsicht als ressourcenabhängig.

Es erschien nur folgerichtig, dass die Herausgeber auch drei militärgeschichtliche Beiträge in den Band aufnahmen, bildet doch die Formierung der stehenden Heere einen entscheidenden Baustein im Interpretament der Staatsbildung im „absolutistischen“ Zeitalter. Jutta Nowosadtko, die sich bereits durch einschlägige Studien zu Themen der „neuen Militärgeschichte“ ausgewiesen hat, zeigt, dass Entwicklungen im Militärwesen, wie die Herausbildung eines miles perpetuus, eher allmählich verlaufende Prozesse denn scharf konturierte Zäsuren bildeten. Ältere Darstellungen zu dieser Thematik hatten Militär- und Zivilbevölkerung meist zu scharf voneinander getrennt. Ihrem Resümee, dass die „Verherrschaftlichung“ im Militär im 17./18. Jahrhundert „auf halbem Wege stehen blieb“ (S. 137), ist auf Grund der von ihr präsentierten Belege (vor allem zur Militärjustiz), aber auch anderer Erkenntnisse der neueren Forschung beizupflichten.

Auch Stefan Kroll wendet sich in seinem Aufsatz über die Rekrutenaushebungen im Kursachsen des 18. Jahrhunderts der herrschaftlichen Durchsetzung im Militär zu. Er rekonstruiert ein breites Spektrum an Formen eines aktiven und passiven Sich-Widersetzens der Bevölkerung. Sein Plädoyer, die Militärgeschichte stärker als bislang geschehen in die Protest- und Agrargeschichtsforschung einzubeziehen, ist daher plausibel.

In eine ähnliche Richtung zielt der Beitrag von Martin Winter, der sich den Zugriffsmöglichkeiten des preußischen Staates auf das Vermögen geflohener kantonpflichtiger Untertanen zuwendet. Auf der Basis einer dichten Quellenüberlieferung stellt der Autor ein Geflecht von persönlichen Interessen der Amtsträger, Kompetenzgerangel und subtilen Anpassungsstrategien der betroffenen Familien vor. Die auffällige Zunahme solcher Fälle nach dem Siebenjährigen Krieg erklärt er allerdings entgegen älteren Auffassungen weniger mit einer Zunahme von Widersetzlichkeiten seitens der Kantonpflichtigen als vielmehr mit verbesserten staatlichen Erfassungsmethoden.

Die Beobachtung der älteren Forschung, wonach es auch für eine spätere, zunehmend institutionalisierte Phase des Staatsbildungsprozesses Sinn macht, personale Bindungen zu berücksichtigen, greift Marcus Ventzke auf. Ihn interessiert, wie die im Zeichen der Aufklärung stehende Reformpolitik im Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach „initiiert und praktisch implementiert werden konnte“ (S. 231). Der Autor rekonstruiert innerhalb der Amtsträgerschaft, aber auch unter den Jenenser Universitätsgelehrten personelle Netzwerke, von denen alle Beteiligten Vorteile hatten. An Fallbeispielen kann er zeigen, wie durch die Nutzung von Multiplikatoren unter den örtlichen Eliten die Durchsetzung der Reformen in der Breite vorangetrieben wurde. Der Autor thematisiert aber auch die aus der kleinstaatlichen Begrenztheit entspringenden Probleme: Die Überschaubarkeit führte häufig zu „Monopolbildungen bestimmter Eliten oder Favoriten“; die für den Erfolg der Reformprojekte so dringend erforderliche Diskursivität litt deshalb unter den von den Weimarer Geheimen Räten dominierten „autoritären Netzwerken“ (S. 248).

Es ist verständlich, dass die acht Beiträge des vorliegenden Bandes nur einige exemplarische Fallstudien zu dem in der Einleitung eröffneten breiten empirischen und methodischen Spektrum des Themas bieten können. Alle Beiträge erweisen sich indes als instruktiv und weiterführend. Die Autoren versuchen durchgängig, „Herrschaft“ nicht als eindimensionalen Prozess und die Beherrschten nicht nur als „Befehlsempfänger“ zu begreifen. Es bleibt zu hoffen, dass die diesem Band zugrunde liegenden Ansätze auch für weitere strukturelle Bereiche und Territorien verfolgt werden.

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